Transkript
SGR
Gicht
Die Hausarztpraxis ist die erste Anlaufstelle
Die prophylaktische Langzeittherapie der Gicht kann anfangs schmerzhafte Gichtschübe auslösen. Umso wichtiger ist eine gute Betreuung durch Ärzte, medizinische Assistentinnen und die Rheumaliga. An der gemeinsamen Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (SGR) und von Reha Schweiz diskutierte ein halbes Dutzend Fachleute über die optimale Versorgung der Betroffenen.
Bei der Therapie von Gichtpatienten würden 2 Strategien verfolgt, erläuterte Dr. Adrian Forster von der SchulthessKlinik Zürich: Erstens wolle man mit der Senkung der Serumharnsäure langfristig die Erkrankung zur Ruhe bringen, ohne zukünftige Folgen zu riskieren. Zweitens müsse eine antientzündliche Therapie durchgeführt werden. «Bei einem akuten Schub muss eben sofort das Feuer gelöscht werden», so der Rheumatologe. «Entscheidend ist aber zu wissen, dass bei der Einleitung von harnsäuresenkenden Therapien gehäuft Gichtschübe auftreten. Das verwirrt die Patienten, da sie sich auf dem falschen Weg wähnen. Wenn in dieser Phase Unsicherheiten oder Fragen auftreten, ist es sehr wichtig, dass eine Rücksprache stattfindet.» Allerdings sei gerade die Entscheidung, auf viele Jahre hinaus Medikamente nehmen zu müssen, oft schwierig, berichtete der Hausarzt Dr. Christoph Hurni aus Unterseen. Gerade bei prophylaktischen Therapien lässt dann oft die Adhärenz zu wünschen übrig. Schliesslich sei es für Gichtpatienten häufig nicht einfach, sich adäquat zu ernähren, sagte die Internistin und Rheumatologin Dr. Ines von Mühlenen aus Basel, denn eine solche Diät sei vor allem von Verzicht geprägt. Zentral dabei ist es, stets auf die individuelle Krankheitssituation einzugehen. Hier spielen medizinische Praxisassistenten (MPA) eine immer wichtigere Rolle. Deren Beratung und Hilfestellung werde von den Patienten sehr dankbar aufgenommen, so die Basler Spezialistin. Einen weiteren Aspekt brachte Sandra Portmann, medizinischen Praxiskoordinatoren (MPK) aus Sempach, zur Sprache: Oft würden Patienten ihr ganz andere Fragen stellen als dem Arzt, sagte sie. Darüber, dass nach solchen Gesprächen ein Feedback an den Mediziner umso wichtiger ist, waren sich die Teilnehmer einig.
Gichtprävention schon in frühen Jahren?
«Der typische Gichtpatient ist ein älterer übergewichtiger Mann, oft mit Begleiterkrankungen wie Hypertonie, Nierenoder Herzinsuffizienz, der relativ viel Bier konsumiert», erklärte Adrian Forster. Peter Kurat ist ein Gichtpatient, der zwar nicht dem Bild dieses typischen Patienten entspricht, aber, wie er in Interlaken darlegte, «auf dem Weg dorthin» war. Seinen ersten sehr schmerzhaften Gichtanfall erlitt der 55-Jährige, als er vor wenigen Jahren eine drastische Diät durchführte und 20 Kilogramm abnahm. Zudem entwickelte er Diabetes. Heute blickt er mit gemischten Gefühlen auf sein Leben zurück: «Ich habe mich gefragt, warum ich erst Zu-
gang zu Informationen über Gicht bekomme, seit ich unter der Krankheit leide. Vielleicht wäre es vor 25 Jahren sinnvoll gewesen, mir beizubringen, was mir in Bezug auf Gicht und Diabetes guttun könnte.» Aber richtet man als junger Mensch sein Leben wirklich nach der Option aus, in ferner Zukunft möglicherweise an Gicht zu erkranken? Häufig reagiere man ja erst dann, wenn sich Symptome einstellten, meinte Portmann, eine Prävention Jahrzehnte zuvor sei zwar schön, aber wer mache das bei Gicht? Von Mühlenen gab zu bedenken, dass eine Gichtprävention sehr schwierig sei, da die Erkrankung eine sehr komplexe Pathophysiologie zeige und vieles noch unbekannt sei. Viele Nahrungsmittel, die beispielsweise für den Muskelaufbau sehr gut sind, fördern Gicht. Das Wissen um eine langfristige Gichtprävention ist einfach noch zu gering.
Hausärzte erste Anlaufstelle bei Gicht
Heute seien die Präventionsangebote der Rheumaliga
Schweiz sehr breit gefächert, wie Isabelle Steeb, wissenschaft-
liche Mitarbeiterin bei der Rheumaliga, darlegte. Sie umfas-
sen Gesundheits- und Aktionsstage in allen grösseren Städten
in der Schweiz, Familientage, Aufklärung auf der Website,
Informationsbroschüren, Ernährungsberatung per Telefon
oder direkt vor Ort, psychologische Beratungen und vieles
mehr. Dabei würden nicht nur Betroffene mit Gicht, sondern
auch deren Angehörige angesprochen, betonte Steeb. Kurat
bestätigte die Patientenfreundlichkeit solcher Broschüren:
«Was da drinsteht, verstehe ich.» Auch mit dem Projekt
KOMPASS versucht die Rheumaliga, den Betroffenen mit
Arthritis, Gicht und Osteoporose dabei zu helfen, mit den
Auswirkungen ihrer Krankheit besser umzugehen und ihr
Selbstmanagement zu stärken. Allerdings gab Hurni zu be-
denken, dass die Rheumaliga in den Hausarztpraxen noch zu
wenig präsent sei. «Die Allgemeinpraktiker sind die primäre
Anlaufstelle der Patienten. Gehen sie an die Hausärztekon-
gresse, um die Grundversorger besser zu erreichen», so sein
Rat an Steeb. Von Mühlenen bestätigte das ebenfalls: «Vor
allem bei der Gicht sind die Hausärzte die ersten Ansprech-
partner.»
s
Klaus Duffner
Quelle: «Gicht – versorgen WIR besser als ICH», gemeinsamer Kongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie und von Reha Schweiz, 8. September 2022 in Interlaken.
30 CongressSelection Rheumatologie | November 2022