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SGR
Biosimilars in der Rheumatologie
Pro und Contra – Argumente im Überblick
Zur Behandlung verschiedenster rheumatoider Erkrankungen kommen zunehmend Biosimilars zum Einsatz. Sind sie dem Original ebenbürtige Präparate, die dabei helfen, die Kosten zu senken, oder sind es klinisch kaum getestete Risikomedikamente, die überdies wenig zur Kostensenkung beitragen? Am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (SGR) wurden beide Seiten dieser Kontroverse in einer überaus interessanten Session ausführlich beleuchtet.
Biosimilars sind ihren Originalprodukten per definitionem sehr ähnlich, aber sie sind niemals identisch. Die Ähnlichkeit bezieht sich auf die molekulare Struktur, die biologische Aktivität, die Reinheit, die Immunogenität und die Sicherheit. Während die Aminosäuren normalerweise tatsächlich identisch sind, unterscheiden sich die Biosimilars vom Original vor allem durch ihre Dreidimensionalität und Glykolisierung. Werden 2 identische Biosimilars unter verschiedenen Handelsnamen vertrieben, nennt man sie Bioidenticals. Dabei handelt es sich um identische Kopien, die den gleichen Herstellungs- und Formulierungsprozess aufweisen und in der gleichen Produktionsstätte produziert werden (Beispiel: Inflectra® und Remsima®). In der Europäischen Union sind derzeit 69 Biosimilars zugelassen (in der Schweiz sind 37 Biosimilars zu 13 verschiedenen Originalpräparaten auf dem Markt [Network Biosimilars, Oktober 2021]).
tiven Daten», berichtete Langenegger. Sehr wichtig dabei seien die geringeren Kosten. Bei einer Erstzulassung für Biosimilars gilt in der Schweiz, dass sie mindestens 25 Prozent günstiger als das Originalpräparat sein müssen. Nach 3 Jahren erfolgt eine Reevaluation, ab der dann eine nur noch 10-prozentige Preisdifferenz festgelegt wird. «Für mich sind 10 Prozent kein grosser Unterschied», gab Langenegger zu. «Das Gute daran ist jedoch, dass es zu einem gewissen Preisdruck nach unten kommt.» Tatsächlich zeige das Beispiel Humira®, dass das auch funktioniere. Während der Originalpreis bei 578 Franken liege und die meisten anderen Biosimilars rund 500 Franken kosteten (was keine gewaltige Differenz sei), werde Hyrimoz® als erstes Präparat (438 Franken) mit einem deutlicheren Preisnachlass angeboten. «Ich nehme an, dass die anderen Firmen nachziehen werden», so die Vermutung des Zuger Spezialisten.
Pro: gleichwertige Effektivität und Sicherheit – weniger Kosten
«Biosimilars durchlaufen einen relativ strengen Prüfungsprozess auf Grundlage der Struktur, der pharmazeutischen Qualität, der biologischen Aktivität, der Sicherheit und der Immunogenität», sagte Dr. Thomas Langenegger vom Zuger Kantonsspital, der in einer überaus interessanten BiosimilarSession am Jahrestreffen der Schweizer Rheumatologen in Interlaken die Rolle des «Biosimilar-Verteidigers» zu spielen hatte. Eine solche Prüfung schliesst Studien zu Toxizität, Pharmakokinetik, Pharmakodynamik, klinischer Effektivität und klinischer Sicherheit ein. Dazu gehören auch SwitchStudien unterschiedlicher Kombinationen (1, 2). «Solche Studien haben gezeigt, dass die Biosimilars punkto Sicherheit und Effektivität gegenüber den Originalpräparaten gleichwertig sind», so der Rheumatologe. Ein weiterer Unterschied zu den Originalprodukten: Erweist sich ein Biosimilar dem Original in einer bestimmten Indikation als «hoch ähnlich», kann auf weitere Indikationen, für die das Referenzpräparat bereits eine Zulassung besitzt, extrapoliert werden. So wurden beispielsweise klinisch für rheumatoide Arthritis (RA) und Psoriasisarthritis (PsA) geprüfte Adalimumab-Biosimilars auf ankylosierende Spondyloarthrits (SpA), Morbus Crohn/ Colitis ulcerosa, Uveitis, Plaque-Psoriasis oder Hidradenitis suppurativa extrapoliert. Die Annahme dahinter: Wenn sich Biosimilars in Studien für bestimmte Indikationen als gleichwertig gegenüber den Originalen gezeigt haben, darf man das auch für andere Indikationen annehmen. «Die Zukunft wird zeigen, ob das für alle gilt. Momentan kenne ich keine nega-
Contra: viel weniger Studien, zu geringer Preisunterschied
Prof. Andrea Rubbert-Roth vom Kantonsspital St. Gallen hatte die Aufgabe, anschliessend «das Haar in der Suppe» zu präsentieren, sprich die Argumente gegen Biosimilars zu erläutern. Tatsächlich gebe es eine Variabilität zwischen Biosimilars und den Originalpräparaten, beispielsweise seien Struktur und Glykolisierung möglicherweise unterschiedlich. Die Regularien für die Zulassung eines neuen Biologikums hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit seien in grossen klinischen Studien sehr streng. Die vergleichenden klinischen Studien bei Biosimilars gestalteten sich dagegen deutlich weniger umfangreich, so die Rheumatologin. «Man denkt dann, na ja, so ein bisschen weniger Prüfung haben sie schon, aber dafür sind sie ähnlich, das kommt schon hin. Die Frage ist: Reicht uns das?» Häufig würde nämlich nur eine Indikation klinisch untersucht und dann auf andere Indikationen extrapoliert. Zudem würden häufig die Langzeitdaten fehlen. Ein Beispiel für die Untersuchung eines Biosimilars: 2 RA-Studien für 9 Indikationen mit 526 respektive 350 Patienten. Ein weiteres Beispiel: Für die Studie zur Untersuchung des Adalimumab-Biosimilars Hulio® wurden insgesamt 728 RA-Patienten eingeschlossen (davon erhielt rund die Hälfte nicht das Biosimilar) (3). Dagegen seien für eine Langzeitsicherheitsstudie des Originalpräparats Humira® insgesamt 29 967 Patienten in 9 unterschiedlichen Indikationen mit verschiedensten Fragestellungen eingeschlossen worden, berichtete Rubbert-Roth (4). «Ich glaube, damit haben wir ungleich mehr therapeutische Sicherheit.» Bei
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einem Patienten mit Morbus Crohn wurde zudem beschrieben, wie es bei einem Switch von einem Infliximab-Similar auf ein anderes Infliximab-Similar zu einer Plaque-Psoriasis-Exazerbation gekommen ist, die beim Re-Switch wieder verschwand (5). «Das ist für mich ein Hinweis, dass man nicht automatisch davon ausgehen kann, dass die biologische Identität bei Biosimilars wirklich vorhanden ist», so die St. Galler Spezialistin. Zudem würden zu den möglichen Problemen im Alltag die Unübersichtlichkeit der Preise, die fehlende Transparenz im Beipackzettel, die Chargendokumentation und die Kommunikation mit den Patienten zählen. Apropos Preis: «Humira® mit derzeit 578 Franken und die Biosimilars mit 500 Franken – das ist für mich kein riesengrosser Unterschied», meinte Rubbert-Roth. «Die meisten Biosimilars sind weniger als 15 Prozent billiger als die Originalpräparate. Bei einem so geringen Preisunterschied sind sie immer noch teuer. Ich würde erwarten, dass Biosimilars deutlich preiswerter werden.» In anderen Ländern sei das anders.
Durch Biosimilars mehr Patienten unter Biologika
Wie beschrieben, muss ein neues Biologikum (bDMARD) für jede neue Zulassung die entsprechenden umfangreichen Studien nachweisen. Ein Biosimilar kann das alles umgehen und nach einer ersten sensitiveren Indikation (wie z. B. RA) für eine ganze Reihe weiterer Indikationen sofort die Zulassung erhalten (6). «Wir hatten zu Beginn grosse Probleme, diese Extrapolationen zu akzeptieren», berichtete Prof. Xenofon Baraliakos von der Ruhr-Universität Bochum. Trotzdem ergebe das teilweise Sinn, da die Erwartung bestehe, dass durch eine verkürzte und dadurch wesentlich günstigere Zulassung auch die Medikamente preiswerter würden. Hingegen wolle man mehr Daten zu speziellen Situationen bei bestimmten Indikationen. An diesem Punkt sei die verpflichtende Pharmakovigilanz ein ganz wichtiger Punkt. Diese umfasst die Bewertung von eingehenden Verdachtsfällen hinsichtlich Nebenwirkungen nach Zulassung und Markteinführung sowie die fortlaufende Überwachung der Risiken in Relation zum Nutzen eines Arzneimittels nach der Zulassung. In Deutschland sei die Zulassung von Biosimilars früh und schnell erfolgt, so Baraliakos. Bereits ein Jahr nach Einführung hatten sich die Verschreibungen von 0,7 Millionen auf 1,3 Millionen fast verdoppelt. «Das zeigt, dass es keine sehr grossen Widerstände gab.» Tatsächlich habe es durch die Biosimilars einen deutlichen gesellschaftlichen Nutzen gegeben. Vor dem Jahr 2015, als noch keine Biosimilars zur Verfügung standen, betrug – nach Angaben der AG Pro Biosimilars – die durchschnittliche Wartezeit von Patienten mit RA, PsA oder axialer SpA bis zum Start einer Therapie mit Biologika 7,4 Jahre (7). Nach der Einführung habe sich die Zeit nach Diagnose bis zum Beginn einer solchen Therapie auf 0,7 Jahre (2015), 0,5 Jahre (2016) und 0,3 Jahre (2018) dramatisch verkürzt. Zwar kam es in den Niederlanden bei den Gesamtausgaben für biologische Medikamente durch den Zuwachs an bDMARDNutzern nicht zu der erhofften Kostendämpfung. Da jedoch mehr Patienten behandelt wurden, reduzierten sich die mittleren Ausgaben pro Individuum deutlich (8). Auch die European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) hat auf diese Entwicklung reagiert. So heisst es in den Emp-
fehlungen zur Therapie von RA von 2020 (9): Um die Gesundheitssysteme zu entlasten, solle man bei therapeutischen Entscheidungen die kostengünstigere Variante wählen, solange sichergestellt sei, dass eine ähnliche Effektivität und Sicherheit gewährleistet seien. Letzteres scheint eine norwegische Studie, die sehr verschiedene Erkrankungen des rheumatoiden Formenkreises einschloss, zu bestätigen (10). In dem skandinavischen Land seien «quasi über Nacht» die Patienten von Originalprodukten auf Biosimilars umgestellt worden, berichtete der Bochumer Mediziner. Sowohl die Patienten als auch die Ärzte, die sich an dieser Untersuchung beteiligten, kamen zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der Krankheitsaktivität keine signifikanten Unterschiede zu verzeichnen waren. In einer eigenen Studie von Prof. Baraliakos und Kollegen, die demnächst veröffentlicht wird, zeigt sich überdies, dass 2 Jahre nach dem Wechsel auf die Biosimilars noch 75 Prozent der Patienten bei den Nachfolgepräparaten blieben und nur 18 Prozent wieder zurück auf die Originalprodukte wechselten, was doch ein sehr gutes «Drug-Survival» sei, so Baraliakos (11). Auch bei den Patienten mit Komorbiditäten konnten keine Unterschiede festgestellt werden.
Anteil Biosimilars: 4,6 Prozent
Welche Gesundheitskosten verursachen Biosimilars? Im Gesamthaushalt der Gesundheitsausgaben der Schweiz machten die Ausgaben für Medikamente im Jahr 2019 12,1 Prozent aus. Davon gehe ein knappes Viertel (2021: 1,47 Milliarden Franken) zulasten von «biologischen Präparaten» (12). Und 72,6 Prozent davon gingen auf Kosten von Biologika, für die es keine Biosimilars gebe, 22,8 Prozent würden für Referenzpräparate und 4,6 Prozent für deren Biosimilars ausgegeben, berichtete Prof. Axel Finckh von den Hôpitaux universitaires de Genève. Beispiel Infliximab (Remicade®): Während in Norwegen der Anteil der Biosimilars dieses Wirkstoffs bei 98 Prozent liegt (und damit praktisch keine Originalpräparate mehr eingesetzt werden), sind es in Grossbritannien 92 Prozent, in Italien 79 Prozent, in Frankreich 60 Prozent und in Deutschland 53 Prozent (13). In der Schweiz werden 22 Prozent, in Österreich nur 10 Prozent und in den USA 7 Prozent Biosimilars anstelle des Originals verwendet. «Was die Verwendung von Biosimilars angeht, stehen wir in der Schweiz eher am unteren Ende der Tabelle», so Finckh. Woran liegt das? Möglicherweise gebe es in der Schweiz zu wenig Anreize, Biosimilars zu verschreiben; Biosimilars würden sogar bisweilen mehr administrative Arbeit und geringere Margen bedeuten. Aber auch für Patienten gebe es keine echten Anreize, sich für Biosimilars einzusetzen. Dabei existiere kein rationaler Grund, warum Biosimilars schlechter seien als die Originalpräparate, erklärte Prof. Burkhard Möller vom Inselspital Bern. Der einzige relevante Unterschied sei ökonomischer Natur.
Diskussion um die Preisabschläge
Genau an diesem Punkt setzte Dr. Enea Martinelli aus Interlaken an. Wenn man Biosimilars einsetze, sei das zwar gut für die Gemeinschaft, da aber die eigenen Margen dann geringer ausfielen, sei die Motivation dafür «schmal», so der Chefapotheker der Spitalapotheker. Das System schaffe falsche Anreize, und das führe dazu, dass man es sich 2-mal überlege, ob tatsächlich ein Biosimilar zum Zuge komme. Derzeit fin-
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Tabelle:
Biosimilars in der Rheumatologie
Substanz Adalimumab Infliximab Etanercept Rituximab Teriparatid
Referenzpräparat Humira® Remicade® Enbrel® Mabthera® Forsteo®
Angaben nach Langenegger, Swissmedic
Biosimilars Abrilada®, Amgevita®, Hulio®, Hukyndra®, Hyrimoz®, Idacio®, Imraldi® Inflectra®, Remsima® Benepali®, Erelzi® Rixathon®, Truxima® Livogiva®, Movymia®, Teriparatid-Mepha®, Terrosa®
det die Vernehmlassung zur Preisfindung der Biosimilars
statt. Dabei sollen die Preisabschläge gegenüber den Origina-
len stufenweise nach Umsatz des Präparats festgelegt werden.
Beispielsweise könnte bei einem Umsatz von 4 bis 8 Millio-
nen Franken ein 10-prozentiger Abschlag erfolgen, bei
einem Umsatz von 24 bis 40 Millionen Franken ein 40-pro-
zentiger und bei über 40 Millionen Franken ein 60-pro-
zentiger Abschlag. Die Motivation, bei so hohen Abschlä-
gen eine breite Versorgung mit diesen Medikamenten zu
erreichen, würde jedoch sinken, und die Hersteller würden
es sich überlegen, manche Biosimilars überhaupt noch ein-
zuführen. Aber auch für Martinelli sind Biosimilars ein ef-
fektives Mittel, um Kosten zu senken. Zudem sei die Viel-
falt des Angebots auf längere Sicht entscheidend für die
Versorgungssicherheit.
Über die Vielfalt der gut besuchten Veranstaltung freute sich
Chair Prof. Daniel Aeberli vom Inselspital Bern: «Ich bin
froh, dass wir diese Diskussion heute angestossen haben und
dass wir aus dieser Fülle von Information etwas herauspflü-
cken können.»
s
Klaus Duffner
Quelle: Gemeinsamer Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (SGR) und von Reha Schweiz. Session Biosimilars, 8. September 2022, Interlaken.
Referenzen: 1. Dörner T et al.: Biosimilars in rheumatology: current perspectives
and lessons learnt. Nat Rev Rheumatol. 2015; 11(12):713-24. 2. Morf H et al.: Einsatz von Biosimilars in der Behandlung der rheu-
matoiden Arthritis: Ein Überblick. Z Rheumatol. 2022; 81(2):110117. 3. Huizinga TWJ et al.: Adalimumab Biosimilars in the Treatment of Rheumatoid Arthritis: A Systematic Review of the Evidence for Biosimilarity. Rheumatol Ther. 2021;8(1):41-61. 4. Burmester GR et al.: Long-Term Safety of Adalimumab in 29 967 Adult Patients From Global Clinical Trials Across Multiple Indications: An Updated Analysis. Adv Ther. 2020;37(1):364-380. 5. Pagnini C et al.: Similar But Not Identical: Plaque Psoriasis Exacerbation in a Patient With Crohn’s Disease After Switching From CT-P13 to SB2 Infliximab Biosimilar. Inflamm Bowel Dis. 2020;26(8):e83-e84. 6. Curigliano G et al.: Biosimilars: Extrapolation for oncology. Crit Rev Oncol Hematol. 2016;104:131-7. 7. AG Pro Biosimilars iQVIA März 2018, iQVIA Global Consulting Services Juli 2018. 8. Müskens WD et al.: Does etanercept biosimilar prescription in a rheumatology center bend the medication cost curve? J Rheumatol. 2021;48:1803-1809. 9. Smolen JS et al.: EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological diseasemodifying antirheumatic drugs: 2019 update. Ann Rheum Dis. 2020;79(6):685-699. 10. Jørgensen KK et al.: Switching from originator infliximab to biosimilar CT-P13 compared with maintained treatment with originator infliximab (NOR-SWITCH): a 52-week, randomised, doubleblind, non-inferiority trial. Lancet (London, England). 2017; 389(10086):2304-2316. 11. Redeker I et al: Are comorbidities in patients with chronic inflammatory rheumatic diseases associated with treatment non-adherence to biosimilars in a non-medical switch scenario? Ann Rheum Dis. 2022; 81(1):1805. 12. IQVIA iQPharma, APO/SD/DRO/SPI, Januar 2021. 13. Statista 2022
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