Transkript
EULAR
Minderung der Lebensqualität
Problematische Konstellation: Rheuma, Sex und Schwangerschaft
Rheumatische Erkrankungen beeinflussen die Lebensqualität auf vielfache Weise negativ. So beeinträchtigen sie die Sexualität, reduzieren die Chancen auf Empfängnis und führen zu erhöhten Schwangerschaftsrisiken. Mehrere im Rahmen des EULAR-Kongresses 2022 vorgestellte Arbeiten beschäftigten sich mit diesen Themen und weisen zum Teil auf negative Auswirkungen sehr lange in der Rheumatologie etablierter Medikamente hin.
Dass chronische Schmerzen und eingeschränkte Beweglichkeit das Sexualleben beeinträchtigen, ist naheliegend. Dennoch bestehe nach wie vor eine beträchtliche Evidenzlücke hinsichtlich der Auswirkungen chronisch rheumatischer Erkrankungen auf die Sexualität der Betroffenen, wie Dr. Carlos Valera-Ribera vom Hospital Universitario Doctor Peset in Valencia, Spanien, ausführt. Die Zahl der publizierten Studien ist gering, die methodische Qualität oft unzureichend, und Kontrollgruppen fehlen in aller Regel. Seine Gruppe versuchte nun, die Prävalenz sexueller Dysfunktion bei Patienten und Patientinnen mit rheumatoider Arthritis (RA) oder Psoriasisarthritis (PsA) zu erheben und mit der Normalbevölkerung zu vergleichen. Dazu wurden mittels Fragebogen in einer Kohorte von 188 Personen die Domänen Freude, Lust, Erregung und Orgasmus abgefragt. Die Auswertung zeigte bei 48 Prozent der Befragten mit RA und bei 30 Prozent der Befragten mit PsA irgendeine Form der sexuellen Dysfunktion. In der Kontrollgruppe traf das lediglich auf 6 Prozent der Befragten zu. Männer waren stärker beeinträchtigt als Frauen. Allerdings geben die Autoren zu bedenken, dass die Erkrankung nicht mechanistisch ausschliesslich direkt für die Probleme verantwortlich gemacht werden dürfe. Vielmehr wisse man schon länger, dass beispielsweise die Selbstwahrnehmung des eigenen Gesundheitszustandes, der Beschäftigungsstatus und die ökonomische Situation die sexuelle Gesundheit beeinflussten. Diese Faktoren müssten im Umgang mit sexueller Dysfunktion in der Rheumapopulation berücksichtigt werden, zumal chronisch rheumatische Erkrankungen alle diese Lebensbereiche ungünstig beeinflussten. Sie schlagen deshalb vor, im klinischen Alltag den Fragebogen CSFQ-14 (changes in sexual functioning questionnaire) zu verwenden, um sexuelle Dysfunktion nicht nur zu erkennen, sondern auch nach einzelnen Komponenten aufgeschlüsselt diagnostizieren zu können. Als Cut-off für sexuelle Dysfunktion werden in der Regel 47 Punkte für Männer und 41 für Frauen angegeben. In der nun vorgestellten Studie lagen die mittleren Werte in der Rheumakohorte mit 36 bei den Frauen und 43 bei den Männern unter dieser Schwelle und im Mittel um 8,2 Punkte unter denjenigen gesunder Kontrollen. Das Risiko für eine sexuelle Dysfunktion nahm generell mit dem Alter zu, wobei Patienten mit Rheuma stärker betroffen
waren als Kontrollen und jenseits der 50 fast ausnahmslos unter deutlichen Einschränkungen litten (1). Noch weniger als zur Prävalenz sexueller Funktionsstörungen bei Menschen mit rheumatischen Erkrankungen ist zu möglichen Interventionen bekannt. Eine ebenfalls im Rahmen des EULAR-Kongresses 2022 vorgestellte Studie unterstreicht den Wert nicht medikamentöser Massnahmen in dieser Indikation, von denen offenbar selbst Patientinnen und Patienten profitieren können, die unter systemischer Sklerose (SSc) oder idiopathischen inflammatorischen Myopathien (IIM) leiden – seltenen Erkrankungen, die mit einer generell stark eingeschränkten Lebensqualität assoziiert
sind. Barbora Heřmánková, Physiotherapeutin in Prag, und
Kollegen untersuchten die Wirkung eines 8-wöchigen Physiotherapieprogramms auf die sexuelle Gesundheit von 12 Frauen mit SSc oder IIM. Das Training bestand aus Übungen für die Beckenbodenmuskulatur und 2-mal wöchentlicher, überwachter Physiotherapie für mit der Erkrankung assoziierte muskuloskelettale Probleme. Die Ergebnisse wurden mit einer Vielzahl von Scores und Instrumenten evaluiert wie unter anderem mit dem Female Sexual Function Index (FSFI), dem Brief Index of Sexual Functioning for Women (BISF-W), dem Sexual Quality of Life-Female (SQoL-F) und dem Health Assessment Questionaire (HAQ). Dabei zeigte sich, dass die Intervention im Vergleich zu einer unbehandelten Kontrollgruppe nicht nur zu verbesserter sexueller Funktion, sondern auch zu Verbesserungen des Funktionsstatus und der Lebensqualität führte. Dem standen zum Teil signifikante Verschlechterungen in der Kontrollgruppe gegenüber (2).
NSAR können die Konzeption erschweren
Eine eingeschränkte Fruchtbarkeit bei Frauen mit Spondyloarthritis (SpA) fand eine Studie auf Basis der französischen GR2-Kohorte. Von den 88 beobachteten Patientinnen mit Kinderwunsch seien 63,6 Prozent im Beobachtungszeitraum schwanger geworden. Bei 45,4 Prozent der Kohorte habe man eine Einschränkung beobachtet, und die mediale Zeit bis zur Empfängnis habe 16,1 Monate betragen, so Dr. med. Sabrina Hamroun vom Cochin Hospital in Paris. Eine multivariate Analyse zeigte Assoziationen von höherem Lebensalter und von Einnahme nicht steroidaler Antirheumatika
22 CongressSelection Rheumatologie | September 2022
EULAR
(NSAR) in der Zeit vor der Konzeption mit einer längeren Zeit bis zur Empfängnis. Mit einer Risikoerhöhung um den Faktor 3 war der Effekt ausgeprägt. Im Gegensatz dazu waren der Body-Mass-Index, die Krankheitsaktivität, die Dauer der Erkrankung, Rauchen, die SpA-Form sowie die Exposition gegenüber konventionellen systemischen DMARD oder Biologika nicht mit Problemen bei der Empfängnis assoziiert. Frauen mit Kinderwunsch sollte daher ein vorsichtiger Umgang mit NSAR empfohlen werden, so Hamroun (3). Im Unterschied dazu kann für das häufig eingesetzte DMARD Methotrexat im Hinblick auf die männliche Fruchtbarkeit Entwarnung gegeben werden. In einer nun von Dr. med. Luis Fernando Perez-Garcia vom Erasmus University Medical Center in Rotterdam vorgestellten prospektiven Kohortenstudie wurden bei 48 Männern Spermaparameter vor und nach der Einnahme von Methotrexat untersucht und mit denjenigen gesunder Kontrollen verglichen. Die Auswertung zeigte keine relevanten und signifikanten Veränderungen des Spermas hinsichtlich Konzentration, Volumen und Motilität der Spermien durch die Exposition gegenüber Methotrexat. Auch zu den gesunden Kontrollen wurden keine signifikanten Differenzen gefunden (4).
Risikoschwangerschaften bei rheumatischen Erkrankungen häufig
Im Rahmen des EULAR-Kongresses 2022 vorgestellte Daten zeigen auch, dass rheumatische Erkrankungen einen Risikofaktor für ungünstige Entwicklungen in der Schwangerschaft darstellen. So erhöht der systemische Lupus erythematodes (SLE) das Risiko sowohl für fetale als auch schwere maternale Morbidität erheblich. Auswertungen aus der amerikanischen National Inpatient Sample Database, in der alle Frauen erfasst wurden, die in den Jahren 2008 bis 2017 wegen Schwangerschaftskomplikationen oder zur Entbindung in Krankenhäuser aufgenommen wurden, zeigen bei Frauen mit SLE im Vergleich zu gesunden Kontrollen ein erhöhtes Risiko für eine intrauterine Wachstumsretardierung (8,0 vs. 2,7%) sowie für Frühgeburten (14,5 vs. 7,3%). Allerdings waren die Gebärenden mit SLE älter und wiesen mehr Komorbiditäten auf als der Durchschnitt der Kohorte. Vor allem waren bei SLE-Patientinnen schwere mütterliche Komplikationen deutlich häufiger. Die Autoren betonen, dass Schwangerschaften bei Frauen mit SLE nach wie vor riskant bleiben und in jedem Fall so gut wie möglich geplant und begleitet werden müssten (5).
2 weitere Studien aus der GR2-Kohorte zeigen erhöhte Risi-
ken für einen ungünstigen Verlauf der Schwangerschaft so-
wohl für Patientinnen mit SpA als auch für Patientinnen mit
RA. Für Frauen mit SpA wurde bei 92,1 Prozent eine Lebend-
geburt und bei 87,3 Prozent eine Lebendgeburt zum Termin
gefunden. Spontanaborte und Totgeburten waren sehr selten.
Allerdings lag nur bei 63,5 Prozent ein «favorable pregnancy
outcome» gemäss der Definition der Studie vor. Hauptgrund
für eine Einstufung als ungünstig war ein für das Gestations-
alter zu geringes Körpergewicht (6). Auch bei RA wurde ein
signifikantes Schwangerschaftsrisiko gefunden. In der nun
präsentierten Auswertung hatten nur etwas mehr als die
Hälfte der Patientinnen ein als günstig eingestuftes Ergebnis
ihrer Schwangerschaft. Hauptgründe für ein ungünstiges
Outcome waren Frühgeburt und/oder ein zu niedriges Ge-
burtsgewicht für das Gestationsalter. In der multivariaten
Analyse erwies sich unter anderem die Exposition gegenüber
Kortikosteroiden während der Schwangerschaft (Odds
Ratio: 3,2; 95%-Konfidenzintervall: 1,1–9,6; p = 0,04) als
Risikofaktor (7).
s
Reno Barth
Quelle: Hybride Jahrestagung der European Alliance of Associations for Rheuma-
tology (EULAR). 1. bis 4. Juni 2022 in Kopenhagen.
Referenzen: 1. Valera-Ribera C et al.: Impact of chronic joint diseases on the
sexual sphere with regards to a healthy population: a multicenter study. Ann Rheum Dis. 2022;81(1):89;OP0139. 2. Heřmánková B et al.: Effect of an 8-week specialized physical therapy program on sexual health in female patients with systemic sclerosis and idiopathic inflammatory myopathies: A pilot study. Ann Rheum Dis. 2022;81(1):136;OP0208-HPR. 3. Hamroun S et al.: Preconceptional NSAID treatment is associated with longer time-to-conception in women with spondyloarthritis: analysis of the prospective GR2 cohort. Ann Rheum Dis. 2022;81(1):99;OP0153. 4. Perez-Garcia LF et al.: What is the effect of methotrexate on semen parameters of men diagnosed with immune-mediated diseases? Ann Rheum Dis. 2022;81(1):84;OP0131. 5. Mehta B et al.: Fetal and maternal morbidity in pregnant systemic lupus erythematosus (SLE) patients: A 10-year U.S. national study. Ann Rheum Dis. 2022;81(1):80;OP0124. 6. Hamroun S et al.: More than 30% of women with spondyloarthritis have an unfavourable pregnancy outcome most frequently due to small for gestational age: analysis of the prospective GR2 cohort. Ann Rheum Dis. 2022;81(1):808;POS1000. 7. Hamroun S et al.: Unfavourable pregnancy outcome is significantly associated with corticosteroid exposure during pregnancy in women with rheumatoid arthritis: analysis of the prospective GR2 cohort. Ann Rheum Dis. 2022;81(1):82;OP0127.
CongressSelection Rheumatologie | September 2022
23