Transkript
Highlights vom europäischen Herzinsuffizienzkongress
Neues zu SGLT2-Hemmern und zum Kaliumbinder
Am Jahreskongress der europäischen Heart Failure Association (HFA) wurden einige Late-Break-Studien rund um die Therapie der Herzinsuffizienz präsentiert. Das Bild, wonach sich SGLT2-Hemmer für alle Ausprägungen der Herzinsuffizienz eignen, sogar bei der akuten, komplettiert sich. Auch gegen den steigenden Kaliumspiegel unter Therapien mit Renin-Angiotensin-Aldosteron-System-Inhibitoren scheint mit einem Kaliumbinder eine gute Lösung gefunden zu sein.
Dapagliflozin für alle LVEF-Stadien
Patienten mit Herzinsuffizienz haben eine hohe Symptomlast und sind körperlich eingeschränkt, ungeachtet der Höhe der linksventrikulären Auswurffraktion (LVEF). In einer gepoolten Analyse der beiden Studien DEFINE-HF und PRESERVED-HF wurde untersucht, ob Dapagliflozin sowohl bei Herzinsuffizienzpatienten mit reduzierter LVEF als auch mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF) die physischen Einschränkungen verbessern kann. Die Studie präsentierte Prof. Mikhail Kosiborod, Saint-Luke’s Mid America Heart Institute Kansas City (USA), am HFA-Kongress. In die Analyse flossen die Daten von 263 Teilnehmern aus der DEFINE-HF-Studie (EF ≤ 40%) und von 324 Teilnehmern aus der PRESERVED-HF-Studie (EF ≥ 45%) ein. In beiden doppelblind randomisierten Studien wurde während 12 Wochen der Effekt von Dapagliflozin versus Plazebo untersucht. In beiden Studien war der Score im KCCQ (Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire) Bestandteil des primären Endpunkts. Damit werden bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz Symptome, körperliche und soziale Einschränkungen sowie die Lebensqualität abgefragt. Die Analyse der gepoolten Daten ergab nach 12 Wochen unter Dapagliflozin einen signifikanten Anstieg im KCCQCSS-Score um 5 Punkte, während der Score unter Plazebo unverändert blieb (p > 0,0001). In den Subgruppen zeigten sich zwischen den LVEF-Stadien keine Unterschiede im KCCQ-CSS-Score, was auch für den KCCQ-OS-Score (3,7 Punkte, signifikant) zutraf. Das bedeute, dass der Therapieeffekt von Dapagliflozin bei Herzinsuffizienzpatienten in allen LVEF-Stadien gleich hoch sei und der SGLT2-Hemmer die Symptome und körperlichen Einschränkungen gleichermassen verbessere, so der abschliessende Kommentar von Kosiborod.
Mehr Luft
Eine weitere klinische Multizenterstudie mit Dapagliflozin (DAPA-VO2) wurde am Kongress von Dr. Julio Nunez, Hospital Clinico Universitario de Valencia (E), präsentiert. In dieser Studie wurde der Effekt von Dapagliflozin auf die Leistungskapazität bei HFrEF-Patienten (HFrEF: Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion) der NYHA-Klassen
II bis IV anhand der maximalen Sauerstoffaufnahme nach Belastungsende (VO2 peak) untersucht. 90 Patienten erhielten randomisiert entweder Dapagliflozin 10 mg/Tag oder Plazebo. Zu 3 Zeitpunkten beziehungsweise bei Studienbeginn, nach 4 und nach 12 Wochen wurde jeweils die Leistungskapazität fahrradergometrisch gemessen. Dabei interessierte primär die VO2 peak und sekundär die Veränderungen in der Gehdistanz im 6-Minuten-Gehtest, bei der Lebensqualität sowie bei echokardiografischen Parametern. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 68 Jahren, 69 Prozent von ihnen waren männlich. Die Resultate zeigten in der Dapagliflozingruppe eine signifikant stärkere Zunahme der VO2 peak nach 1 wie auch nach 3 Monaten im Vergleich zu Plazebo (+ 1,09 und + 1,06 ml/ kg/min). Die Differenzen schlugen sich in den sekundären Endpunkten jedoch nicht nieder und ergaben hierbei keine signifikanten Unterschiede.
Empagliflozin auch bei akuter Herzinsuffizienz
In der Vergangenheit wurden zur Herzinsuffizienztherapie mit SGLT2-Hemmern zahlreiche Studien durchgeführt. In diesen wurden Patienten mit chronischer HFrEF mit und ohne Diabetes (EMPEROR-Reduced, DAPA-HF), Patienten mit chronischer HFpEF mit und ohne Diabetes (EMPEROR-Preserve) sowie Patienten mit Diabetes vor/ nach Hospitalisierung infolge akuter Herzinsuffizienz (SOLOIST) untersucht. Mit der nun am HFA-Kongress präsentierten EMPULSE-Studie schliesse sich eine Lücke, wie Prof. Piotr Ponikowski, Institute of Heart Diseases, Medical University Warschau (PL), betonte. Das Wissen decke nun nicht mehr nur die Stadien der Auswurffraktion ab, sondern auch den natürlichen Verlauf der Erkrankung. In der EMPULSE-Studie wurden nämlich Patienten mit akuter Herzinsuffizienz (HFrEF oder HFpEF) mit und ohne Diabetes untersucht. An der Studie nahmen 530 Patienten teil, die infolge einer neu aufgetretenen oder einer dekompensierten Herzinsuffizienz hospitalisiert wurden. Nach klinischer Stabilisierung, in der Regel 3 Tage nach Spitalaufnahme, erhielten sie randomisiert entweder Empagliflozin 10 mg oder Plazebo. Die Studiendauer betrug 90 Tage. In dieser Untersuchung wurde
CongressSelection Kardiologie | August 2022
19
zur Beurteilung des klinischen Nutzens eine Win-Ratio angewendet, die hierarchisch die Endpunktkomponenten Gesamtmortalität, Anzahl Herzinsuffizienzereignisse wie Rehospitalisierung (HFE), Zeit bis zu einer HFE und die Verbesserung im KCCQ-TSS (total symptom score) um ≥ 5 Punkte gewichtete. Die Win-Ratio ordnet die Patienten «Siegern» und «Verlierern» zu und soll über den Nutzen der Therapie mehr aussagen als nur der statistische p-Wert. Nach diesem System lag die Wahrscheinlichkeit für einen klinischen Nutzen einer Empagliflozintherapie in dieser frühen Phase um 36 Prozent signifikant höher als unter Plazebo (Win-Ratio: 1,36; 95%-Konfidenzintervall: 1,09 bis 1,68; p = 0,0054). Zudem war die HFE-Rate in der Verumgruppe tiefer als unter Plazebo.
Dekongestion wichtig
Die Kongestion ist die häufigste Ursache für eine herzinsuffizienzbedingte Spitaleinweisung. Dekongestion sei daher das erste Behandlungsziel einer akuten Herzinsuffizienz, so Ponikowski. Möglicherweise wirkten SGLT2-Hemmer auch in dieser Phase, weil sie ein dekongestives Potenzial hätten. Dieses kann am besten anhand des Gewichtsverlusts (korrigiert nach totaler Diuretikadosis) ermittelt werden, der als sekundärer Endpunkt definiert war. In der Empagliflozingruppe war das Gewicht über die ganze Studiendauer signifikant tiefer als unter Plazebo: –1,97 kg nach 15 Tagen, –1,74 kg nach 30 Tagen und –1,53 kg nach 90 Tagen. Die Gewichtsreduktionen über die 3 Zeitpunkte blieben auch nach der Korrektur für Diuretika, verglichen mit der Plazebogruppe, signifikant grösser. Die Resultate der EMPULSE-Studie zeigen, dass eine frühe Therapie bei hospitalisierten Patienten nach stabilisierter akuter Herzinsuffizienz eine klinisch relevante und anhaltende Dekongestion bewirkt. Für den klinischen Nutzen mitverantwortlich ist das Ausmass der Dekongestion beziehungsweise des Gewichtsverlusts.
Kaliumbinder zur Therapieoptimierung
In der DIAMOND-Studie, die von Prof. Stefan Anker, Charité Berlin (D), präsentiert wurde, ging es um die Behandlung der Hyperkaliämie, die bei einer Herzinsuffizienztherapie mit Renin-Angiotensin-Aldosteron-System-Inhibitoren (RAASI) vor allem bei alten und multimorbiden Patienten auftreten kann. Zu den RAASI zählen die Substanzklassen der ACEHemmer, der Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker (ARB), der Mineralokortikoid-Antagonisten (MRA) sowie der Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI). Patiromer, ein oraler Kaliumbinder, eröffnet die Möglichkeit, die volle Dosierung der RAASI beizubehalten und damit die Herzinsuffizienzprognose zu verbessern, anstatt die Dosis wegen einer bestehenden oder befürchteten Hyperkaliämie zu senken. Die DIAMOND-Studie ging der Frage nach, ob mit dem oralen Kaliumbinder Patiromer eine gute Kaliumkontrolle und damit eine optimale RAASI-Therapie und in der Folge weniger herzinsuffizienzbedingte Komplikationen möglich sind. Geplant waren die Rekrutierung von über 2500 Patienten, eine Studiendauer von 27 Wochen, und als primärer Endpunkt der Studie war der kardiovaskulär bedingte Tod oder die Hospitalisierung definiert. Die Coronapandemie verunmöglichte jedoch die Aufrechterhaltung dieser Studien-
planung. Die Pandemie verlangsamte die Rekrutierung, denn die Patienten mieden während der Pandemie die Spitäler, und viele Konsultationen verlagerten sich auf die telefonische oder virtuelle Ebene, wie Anker berichtete. Das machte die kontrollierte Einnahme der Studienmedikation und die RAASI-Optimierung schwierig, ebenso die dafür notwendigen regelmässigen Kaliumspiegelbestimmungen im Labor. Deshalb wurden die Studienendpunkte im letzten Jahr (2021) verändert und neu definiert. Als primärer Endpunkt galt neu die Veränderung des Serumkaliums bei Studienende, als sekundäre Endpunkte das Auftreten einer Hyperkaliämie (K+ > 5,5 mEq/l) und die Notwendigkeit für eine MRADosisreduktion unter die Zieldosis (50 mg Spironolacton, Eplerenon). Zusätzlich wurde eine Win-Ratio anhand eines RAASI-Scores eingeführt. Die volle Dosierung mit einer RAASI-Substanzklasse ergab jeweils die höchste Punktzahl, Dosisreduktionen oder Stopps hatten weniger oder gar keine Punkte zur Folge.
Kaliumspiegel bleibt tief
An der Studie beteiligten sich 1195 unter RAASI-Therapie
stehende Patienten mit HFrEF (NYHA II–IV, LVEF < 40%) und einer bestehenden oder einer früheren Hyperkaliämie (K+ > 5,0 mEq/l) in der Vorgeschichte, die zu einer RAASI-
Dosisreduktion oder zum Absetzen derselben geführt hat.
Das Durchschnittsalter lag bei 67 Jahren, und nahezu alle
Patienten hatten mindestens eine Komorbidität wie Hyper-
tonie (90%), Diabetes (40%) oder Vorhofflimmern (36%).
Etwa ein Viertel der Teilnehmenden war weiblich.
Vor der Randomisierung erhielten alle Patienten eingangs
Patiromer und wurden auf die RAASI-Zieldosis eingestellt.
85 Prozent der Hochrisikopatienten konnten damit gut ein-
gestellt werden. 878 Patienten wurden schliesslich in 2 gleich
grosse Gruppen randomisiert, die eine Gruppe erhielt weiter-
hin Patiromer, die andere Plazebo. Es zeigte sich, dass der
Kaliumspiegel in der Patiromergruppe über die ganze Studi-
enlaufzeit tief blieb, im Gegensatz zur Plazebogruppe, bei der
der Spiegel nach der Randomisierung rasch wieder anstieg.
Zu Studienende war der Kaliumspiegel in der Patiromer-
gruppe inklusive aller Subgruppen signifikant tiefer als in der
Plazebogruppe. Das Risiko für eine Hyperkaliämie war in
der Verumgruppe signifikant tiefer (13,9 vs. 19,4%), ebenso
die Notwendigkeit für eine Dosisreduktion bei MRA (13,9
vs. 18,9%). In der Verumgruppe waren signifikant mehr Pa-
tienten bei über 50 Prozent der RAASI-Zieldosis (92 vs.
87%). Die Win-Ratio war in der Kaliumbindergruppe eben-
falls signifikant besser, RAASI-Dosisreduktionen mussten
seltener vorgenommen werden.
Die Nebenwirkungsrate war in den Gruppen ausgeglichen,
auch eine Hypomagnesiämie trat unter dem Kaliumbinder
nicht häufiger auf (4,5 vs. 5% unter Plazebo).
Die Studie zeige, so Anker, dass die meisten HFrEF-Patienten
mit einer RAASI-bedingten Hyperkaliämie mithilfe eines Ka-
liumbinders normale RAASI-Dosen erreichen könnten und
der Kaliumspiegel damit auch anhaltend tief bleibe, sodass
RAASI-Dosisreduktionen nicht nötig würden. Patiromer sei
eigentlich ein «Anxiolytikum für Ärzte».
vh s
Quelle: Heart Failure Congress 2022, 21. bis 24. Mai 2022 in Madrid
20 CongressSelection Kardiologie | August 2022