Transkript
SSC/SSCS
Langzeitblutdruckmessung
Das richtige Gerät auswählen
Die ambulante Langzeitblutdruckmessung liefert wesentliche Erkenntnisse für Diagnose und Therapie einer Hypertonie. Aber wie misst am besten? Am Oberarm oder am Handgelenk? Und wie weit sind die neuen Devices bereits einsetzbar? Dr. med Francesco Muggli und Dr. Gregoire Wuerzner erklärten, worauf es bei der Durchführung der Messung und der Auswahl der Geräte ankommt.
Aktuelle internationale Guidelines empfehlen die ambulante Langzeitblutdruckmessung (ABPM) als Goldstandard bei der Diagnose eines Bluthochdrucks. Auch für das Management einer Hypertonie ist es wichtig zu wissen, wie gut der Blutdruck tatsächlich kontrolliert ist. Eine ABPM kommt routinemässig zum Einsatz, um kostenintensive Untersuchungen und Langzeitinterventionen in die Wege zu leiten – oder diese gar nicht erst vorzunehmen. Eine ungenügende Messmethode oder der Einsatz ungenauer Blutdruckmessgeräte könne zu einer Überdiagnose einschliesslich überflüssiger Behandlungen führen oder zu einer Unterdiagnose und damit zu (vermeidbaren) kardiovaskulären Erkrankungen, wie Dr. med. Francesco Muggli, Vezia, einleitend aufzeigte. Die Vorteile einer 24-Stunden-Messung liegen auf der Hand: Sie ermöglicht wiederholte Blutdruckmessungen ausserhalb der Praxis sowohl in der täglichen Routine als auch nachts während des Schlafs. Sie identifiziert eine Weisskittel- sowie eine maskierte Hypertonie und bestätigt einen unkontrollierten und/oder behandlungsresistenten Bluthochdruck. Sie erlaubt die Evaluation der Blutdruckkontrolle über 24 Stunden hinweg und somit eine Überprüfung der Medikation.
Voraussetzungen für eine 24-Stunden-Messung
Für die Durchführung sollte ein Tag mit einem normalen Ablauf gewählt und eine aussergewöhnliche Belastung vermieden werden. Es sollte ein validiertes elektronisches Device mit einer Oberarmmanschette gewählt werden, die den individuellen Oberarmumfang berücksichtigt. Für eine Beurteilung müssen mindestens 20 gültige Werte tagsüber und 7 nachts erhoben werden, sonst sollte die Untersuchung wiederholt werden. Empfohlen werden durchgängig Messintervalle von 15 bis 30 Minuten. Für einen Bluthochdruck sprechen Werte ≥ 130/80 mmHg sowie Werte von tagsüber (wach) ≥ 135/85 mmHg und nachts (schlafend) ≥ 120/70 mmHg. «Für die korrekte Einordnung der Werte ist es sehr wichtig, dass die Patienten ihre Aktivitäten bzw. ihren Schlafzeitraum richtig angeben», erinnerte Muggli.
Anforderungen an Hard- und Software
Essenzielle Anforderungen an die Hardware umfassen Manschetten für Arme mit einem Umfang von 22 bis 42 cm sowie eine automatische Validierung derselben. Optional sind eine Schätzung vaskulärer und zentraler hämodynamischer Parameter (wie z. B. Pulswellengeschwindigkeit, Aortenblutdruck, Druckwellenreflexionen) und eine automatische Arte-
fakterkennung (mit Ausschluss derselben aus der Messung.) Hinsichtlich der Software muss es möglich sein, über 24 Stunden hinweg Messintervalle von 15 Minuten zu definieren, ggf. auch andere (alle 20, 30 und 60 Minuten). Die Gesamtanzahl der überwachten Stunden sowie die Anzahl der durchgeführten Blutdruckmessungen inklusive der Anzahl (Prozent) gültiger Messungen müssen ersichtlich sein. Der 24-Stunden-Blutdruck sowie – auf Basis der angegebenen Schlafenszeiten oder einer Aktivitätsmessung – der Wachund der Schlafblutdruck müssen automatisch ermittelt werden. Eine nächtliche Blutdruckabnahme muss sowohl für den systolischen (SBP) als auch den diastolischen Blutdruck (DBP) kalkuliert und das zirkadiane Muster muss diagnostiziert werden. Die Ergebnisse sollen homogen und standardisiert auf einer Seite ausgedruckt werden. Als Unterstützung bei der Auswahl haben internationale Experten einen Überblick validierter Geräte zusammengestellt (siehe Linktipp).
Ambulante Blutdruckmessung in Spezialfällen
Schwangerschaft Dr. med. Gregoire Wuerzner, Lausanne, beschäftige sich zunächst mit der Bedeutung der Hypertonie in der Schwangerschaft: Bei 2,2 Prozent der Schwangeren wird bereits vor der Schwangerschaft eine chronische Hypertonie diagnostiziert (1). Auch bei den Frauen, bei denen im ersten Trimenon eine Hypertonie diagnostiziert wird, geht man von einer chronischen Hypertonie aus. Bei den Babys kann es zu einer vorzeitigen Geburt sowie zu einem für ihr Gestationsalter niedrigen Geburtsgewicht kommen. Bei zuvor normotensiven Frauen, bei denen nach der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) Blutdruckwerte > 140/90 mmHg auftreten, wird von einer Schwangerschaftshypertonie gesprochen. Mit mindestens einer weiteren Organmanifestation (z. B. Proteinurie) sind die Kriterien für eine Präeklampsie erfüllt, aus der sich eine Eklampsie entwickeln kann. Das Risiko für eine Schwangerschaftshypertonie steigt mit einem mütterlichen Alter > 35 Jahre sowie mit weiteren Faktoren wie Übergewicht/Adipositas, Nierenerkrankungen oder einem Diabetes. Sowohl der systolische als auch der diastolische Blutdruck variieren im Verlauf der Schwangerschaft. Bei normotensiven Schwangerschaften nehmen die Werte bis etwa zur Mitte hin ab und steigen dann wieder an, bei Frauen, die eine Schwangerschaftshypertonie entwickeln, bleibt der Blutdruck am Anfang eher stabil oder fällt weniger ab. Die in der
10 CongressSelection Kardiologie | August 2022
SSC/SSCS
Geräteübersicht
Unter www.stridebp.org findet man eine Übersicht der Geräte, die diesen Anforderungen entsprechen, so die Empfehlung von Francesco Muggli. Als empfohlene Devices für die ambulante 24-Stunden-Blutdruckmessung gelten Geräte mit Oberarmmanschette mit mindestens einer von Stride anerkannten Validierungsstudie (publiziert innerhalb der letzten 10 Jahre).
Konsensusdokument der European Society of Hypertension (ESH) Aktuelle Praxis-Guideline der ESH für die Praxis- und die ambulante Blutdruckmessung
rosenfluh.ch/qr/esh_gl_rr-messung
24-Stunden-Blutdruckmessung ermittelten Werte sollten unter < 140/90 mmHg liegen (siehe Tabelle). Mit normalen Heimmessungen verpasst man einen nächtlich erhöhten Blutdruck, der bei einer Hochrisikoschwangerschaft als starker Prädiktor für eine Präeklampsie zwischen der 13. und der 27. SSW gilt (relatives Risiko für eine Präeklampsie/Eklampsie: OR: 11,4). Auch eine maskierte Hypertonie ist bei Schwangeren nicht selten (OR: 2,58%), sie stellt ebenfalls eine Hochrisikosituation dar (2). Eine Hypertonie während der Schwangerschaft verändert das Blutdruckprofil noch 6 Wochen nach der Schwangerschaft (3). Zwar müssen die Grenzwerte für den Blutdruck und dessen Therapie in der Schwangerschaft noch bestätigt werden, aber das Anstreben eines Blutdrucks < 140/90 mmHg war auch bei Frauen mit einer milden Hypertonie (< 160/90 mmHG) mit einer besseren Prognose assoziiert, ohne das Risiko für ein SGA-Geburtsgewicht(SGA: small for gestational age) zu erhöhen (4).
Tabelle:
Praxisblutdruck
< 140/90 mmHg
vor der 20. SSW
Heimblutdruck
< 135/85 mmHg
< 140/90 mmHg
24-Stunden-Blutdruckmessung
Tag und Nacht
< 130/80 mmHg
< 126/76 mmHg
Tagsüber (wach)
< 135/85 mmHg
< 132/79 mmHg
Nachts (im Schlaf)
< 120/70 mmHg oder Dipping 10 bis 15%
< 114/66 mmHg
Ambulante Blutdruckwerte in der Schwangerschaft (nach Brown et al. [5])
Adipositas Stark übergewichtige Patienten leiden oft unter einer maskierten bzw. einer nächtlichen Hypertonie. Zur korrekten Einschätzung ihrer Blutdruckwerte ist die richtige Manschettengrösse und -form essenziell. Sei die Manschette zu klein oder zu eng, drohten eine Überschätzung der Werte und somit eine Überdiagnose. Um das zu vermeiden, empfehle sich eine konische Manschette, so Wuerzner. Bei der Verwendung von automatisierten oszillometrischen Blutdruckmessgeräten sollte darauf geachtet werden, dass validierte Instrumente eingesetzt werden. Bei Patienten mit morbider Adipositas ist zur Detektion einer nächtlichen Hypertonie von einer Messung am Handgelenk abzuraten, die Übereinstimmung mit den am Oberarm ermittelten Werten beträgt lediglich 76 Prozent und ist damit suboptimal (6).
Vorhofflimmern Die Blutdruckmessung bei Patienten mit Vorhofflimmern stellt ein Problem dar. Derzeit kann keine Messmethode wirklich empfohlen werden, weder auskultatorisch noch oszillometrisch. Die Werte variieren ebenso wie die ventrikuläre Wiederauffüllungszeit, die Kontraktilität und das Auswurfvolumen sehr stark. Insofern scheint die beste Methode, um sich realen Werten anzunähern, derzeit die häufigere Wiederholung der Messungen zu sein.
ABPM oder Wearables?
Theoretisch ist die 24-Stunden-Blutdruckmessung die beste Form der Blutdruckmessung ausserhalb der Praxis und für den üblichen Patienten die beste Wahl. Aber in der Praxis werde sie noch zu selten zur Diagnose eines Bluthochdrucks eingesetzt, wie Wuerzner berichtete. Ausserdem sei die Reproduzierbarkeit zwar auf Bevölkerungsebene gut, die individuelle Reproduzierbarkeit hinsichtlich Dipping sei hingegen weniger gut. Weiter berichtet eine Reihe von Patienten über ernsthafte Nebenwirkungen (Schmerzen im Messarm, Schlafstörungen, Beeinträchtigung der täglichen Aktivitäten). Sie tolerierten vor allem die wiederholten Messungen nachts schlecht (7). Rund 10 Prozent weigerten sich, die Untersuchung noch einmal zu wiederholen. Hier bieten sich manschettenlose Devices als mögliche Alternative an. Zur Anwendung kommen dabei verschiedene Verfahren und Sensoren (z. B. Fingeroszillometrie, Körpersensoren, arterielle Tonometrie, pulsoximetrische Reflexionsmessungen sowie optische Sensoren). Ihre Messungen basieren auf der Analyse der Wellenform von Druckimpulsen. Da sie ohne Druckmessung arbeiten, bedarf es in den meisten Fällen einer Initialisierungsprozedur, die die Verwendung eines oszillometrischen Geräts erfordert.
Wer nutzt Wearables?
In einer nationalen Befragung gaben 30 Prozent von etwa 4500 erwachsenen US-Amerikanern an, dass sie im letzten Jahr Wearables für die Gesundheit eingesetzt hätten, und 70 Prozent waren bereit, ihre Daten mit dem Provider zu teilen – jüngere, gesunde, wohlhabendere, besser ausgebildete und technikaffine Menschen (8). Die Wearables erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, im Gegensatz zu Standardmessverfahren kann einfach eine grosse Menge an Daten erhoben werden. Das Potenzial ist gross, die Wearables könnten dazu
CongressSelection Kardiologie | August 2022
11
SSC/SSCS
beitragen, die Awareness zu verbessern und die selbststän-
dige Blutdrucküberwachung zu erleichtern. Sie könnten
damit zudem die Adhärenz und die Langzeitblutdruckkon-
trolle verbessern, ist der Experte überzeugt. Aber Achtung,
ein falscher Einsatz, eine falsche Rückversicherung können
eine verpasste Gelegenheit bedeuten, kardiovaskuläre Risi-
ken zu reduzieren.
Die ersten Devices befänden sich in der Validierung und
hätten bislang eine gute Genauigkeit gezeigt, wie z. B. das
Aktiia-Armband, berichtete Wuerzner, leitender Prüfarzt der
Zulassungsstudie. Ob die Devices hinsichtlich des kardio-
vaskulären und des renalen Risikos letztlich bessere Progno-
sewerte liefern können als die herkömmliche 24-Stun-
den-Blutdruckmessung, muss erst noch nachgewiesen wer-
den. «Wir müssen die Devices einsetzen, sie testen und den
Umgang damit lernen, dann werden wir innerhalb eines Jah-
res schon weiter sein als heute», so das Plädoyer des Exper-
ten.
s
Quelle: «SSC/SHS Ambulatory blood pressure monitoring (ABPM)». SSC/ SSCS Annual Meeting, 15. bis 16. Juni 2022 in St. Gallen.
Referenzen: 1. National Center for Health Statistics, USA 2019. 2. Salazar MR et al.: Nocturnal hypertension in high-risk mid-pregnancies
predict the development of preeclampsia/eclampsia. J Hypertens. 2019;37(1):182-186. 3. Ditisheim A et al.: Prevalence of Hypertensive Phenotypes After Preeclampsia: A Prospective Cohort Study. Hypertension. 2018;71(1):103-109. 4. Tita ATet al.: Treatment for Mild Chronic Hypertension during Pregnancy. N Engl J Med. 2022;386(19):1781-1792. 5. Brown MA et al.: Ambulatory blood pressure monitoring in pregnancy: what is normal? Am J Obstet Gynecol. 1998;178(4):836-842. 6. Pucci G et al.: Assessment of nocturnal hypertension by ambulatory blood pressure monitoring at the forearm in people with morbid obesity. J Clin Hypertens (Greenwich). 2020;22(9):1538-1545. 7. van der Steen MS et al.: Side effects of ambulatory blood pressure monitoring. Blood Press Monit. 2005;10(3):151-155. 8. Chandrasekaran Ret al.: Patterns of Use and Key Predictors for the Use of Wearable Health Care Devices by US Adults: Insights from a National Survey. J Med Internet Res. 2020;22(10):e22443.
Christine Mücke
12 CongressSelection Kardiologie | August 2022