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SSC/SSCS
Herzinsuffizienzpatienten nach der Spitalentlassung
4 Medikamente statt 3 und alle gleichzeitig
Die aktuellen Guidelines empfehlen nach der Spitalentlassung für alle Herzinsuffizienzpatienten neu die gleichzeitige Gabe von 4 Substanzklassen, um die Mortalität zu reduzieren. Zusätzlich können regelmässige Kontrollen und Patientenempowerment helfen, das Erreichte zu konsolidieren und die Rehospitalisierungsrate reduzieren. Wie das geht, war am Jahreskongress der Schweizer Gesellschaft für Kardiologie (SSC/SSCS) in St. Gallen zu erfahren.
Bei der Behandlung einer dekompensierten Herzinsuffizienz ist die Dekongestion das Wichtigste. Danach folgt die Etablierung der Pharmakotherapie zur Reduktion des Mortalitätsrisikos. Gemäss den neuen Guidelines der European Society of Cardiology (1) hat für die Erstlinientherapie ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Bestand die Behandlung bis jetzt aus den 3 Substanzklassen ACE-Hemmer bzw. Sacubitril/Valsartan, Betablocker und Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist (MRA), ist jetzt neu zusätzlich noch ein SGLT2-Hemmer empfohlen. Die 4 Therapien sollten ausserdem nicht mehr wie bis anhin sequenziell eingesetzt werden, sondern gleichzeitig, erklärte Dr. Matthias Paul, Leiter Herzinsuffizienz und stationäre Kardiologie, Herzzentrum Luzern, am SSC/SSCS-Kongress die Neuerung (Tabelle). Grund dafür ist die Erkenntnis, dass die Dekongestion auch nach der Stabilisierung einer akuten Dekompensation wichtig ist. Denn die ersten paar Wochen nach Spitalentlassung seien heikel und die Mortalität in dieser vulnerablen Phase immer noch hoch, so Paul. Die Guidelines empfehlen deshalb, dass nach der kompletten Dekongestion im Spital die orale Medikation noch vor der Entlassung optimiert und 1 bis 2 Wochen nach der Entlassung vom Hausarzt auftitriert werden soll. Dabei sei auch auf Zeichen von erneuter Kongestion und auf eventuelle Medikamentenunverträglichkeiten zu achten (1). Zur Vorbereitung der Entlassung muss sichergestellt werden, dass der Patient ganz entstaut ist, was sich anhand der klinischen Zeichen und des NT-proBNP-Werts ablesen lässt. Dieser sollte gemäss Paul halb so hoch sein wie vor der Spitalaufnahme. Das Zielgewicht sollte ausserdem unter oralen Diuretika 24 bis 48 Stunden stabil sein. Der Patient soll des Weiteren instruiert werden, das Gewicht zu kontrollieren, die Medika-
KURZ & BÜNDIG
� Die Basistherapie für alle Herzinsuffizienzpatienten besteht aus 4 Substanzklassen: ACE-Hemmer/ARNI, Betablocker, MRA, SGLT2-Hemmer gleichzeitig.
� In den ersten Wochen nach Spitalentlassung Stauungsproblematik im Auge behalten, ggf. NT-proBNP messen.
� Patientenschulung mit Empowerment zur Verbesseung der Lebensqualität aufgleisen.
mente regelmässig einzunehmen, aktiv zu bleiben, die Flüssigkeitsrestriktion beizubehalten und bei Verschlechterung des Zustands entsprechend zu reagieren. Voraussetzung dafür ist allerdings ein Verständnis des Patienten für die Erkrankung und deren Anzeichen. Dieses erlangt er durch Patientenschulung.
Patientenschulung verbessert Lebensqualität
Ziel der Patientenschulung sei ein Empowerment, das heisst die Erhöhung der Autonomie und der Selbstbestimmung, im medizinischen Sinn auch die Förderung der Eigenständigkeit zum selbstbestimmten Handeln, mit anderen Worten Hilfe zur Selbsthilfe, wie Dr. Christoph Kaufmann, Chefarzt Klinik Le Noirmont, Hôpital du Jura, erklärte. Es gilt also, die Anliegen des Behandlers (Gewicht, BNP, Adhärenz) und die Probleme des Patienten (z. B. Schwindel, trockener Mund) aufeinander abzustimmen. Ziel dabei ist es, den Patienten in die Lage zu bringen, seine Probleme selbst zu überwachen und zu korrigieren. Das Instrumentarium, das er dazu erlernt, kann dazu beitragen, dass es ihm besser geht und dadurch die Rehospitalisierungsrate sinkt. Dass dieser Ansatz nicht nur die Lebensqualität erhöht, sondern auch Kosten spart, zeigte eine 12-wöchige Studie aus Hongkong mit 236 durchschnittlich 70-jährigen Herzinsuffizienzpatienten der NYHA-Klassen II bis IV. Die Patienten wurden doppelblind in eine Empowerment- oder in eine Edukationsgruppe randomisiert. Die Teilnehmer von beiden Gruppen erhielten dieselbe didaktische Schulung, jene der Empowermentgruppe lernten, noch zusätzlich Symptome zu erkennen und darauf zu reagieren, Ziele selbst zu setzen und zu verändern, das Flüssigkeitsmanagement und Ernährungsmodifikationen sowie Gewohnheiten zielorientiert anzupassen. Die Veränderungen hinsichtlich Selbstversorgung, Management, Symptomerkennung und Selbstvertrauen wurden anhand des SCHFI-Scores (self-care heart failure index), eines Fragebogens mit 29 Items, ermittelt. Die Empowermentgruppe erreichte eine klinisch relevante Verbesserung bei der Symptomerkennung und beim Symptommanagement sowie beim Vertauen in die eigenen Fähigkeiten im Vergleich zu jenen, die nur eine theoretische Schulung erhalten hatten. Zudem führte das Empowermentprogramm gegenüber der Edukation 9 Monate nach der Intervention zu signifikant weniger Rehospitalisierungen und damit auch zu tieferen Folgekosten (2).
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Tabelle:
Behandlungsstrategie bei HFrEF
Mortalitätssenkung für alle Patienten
ACE-Hemmer/ARNI
Betablocker
MRA
SGLT2-Hemmer
Reduktion der herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierung/Mortalität – für ausgewählte Patienten Volumenüberlastung: Diuretika
Sinusrhythmus mit Linksschenkelblock ≥ 150 ms: CRT-P/D
Sinusrhythmus mit Linksschenkelblock 130–149 ms oder nicht- Linksschenkelblock ≥ 150 ms: CRT-P/D
ischämische Ätiologie: ICD
nicht-ischämische Ätiologie: ICD
Vorhofflimmern: Gerinnungshemmung
Vorhofflimmern: Digoxin, PVI
koronare Herzkrankheit: CABG
Eisenmangel: Eisen-(III-)carboxymaltose
Aortenstenose: SAVR/TAVI
Mitralklappeninsuffizienz: MK-TEER
Herzfrequenz SR > 70 bpm: Ivabradin
schwarze Patienten: Hydralazin/ ISDN
ACE-I/ARNI-Unverträglichkeit: ARB
Für ausgewählte Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz
Herztransplantation
MCS als BTT/BTC
Langfristige MCS als DT
Reduktion von HF-bedingten Spitalaufenthalten und Verbesserung der Lebensqualität – für alle Patienten
sportliche Rehabilitation
multidisziplinäres Versorgungsmanagement
Grün: Empfehlungsgrad I, violett: Empfehlungsgrad IIa Abkürzungen: ACE: Angiotensin-Converting-Enzym, ARB: Angiotensin-Rezeptorblocker, ARNI: Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor, bpm: Schläge pro Minute, BTC: Bridge-to-Candidacy-Indikation, BTT: Bridge-to-Transplantation-Indikation, CABG: koronarer Bypass, CRT-D: kardiale Resynchronisationstherapie mit Defibrillator, CRT-P: kardiale Resynchronisationstherapie mit Schrittmacher, DT: Zieltherapie, HF: Herzinsuffizienz, HFrEF: Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion, ICD: implantierbarer Kardioverter-Defibrillator, ISDN: Isosorbiddinitrat, MCS: mechanische Kreislaufunterstützung, MK-TEER: Mitralklappentranskatheter-Edge-to-Edge-Rekonstruktion, MRA: Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist, PVI: Pulmonalvenenisolation, SAVR: chirurgische Aortenklappenrekonstruktion, SGLTZ: sodium glucose linked transporter 2, SR: Sinusrhythmus, TAVI: Transkatheteraortenklappenimplantation Quelle: mod. nach (1)
Intrinsische Motivation fördern
Für ein effizientes Empowerment sollte jedoch bekannt sein, wo der Patient persönlich steht. Dazu ist das Konzept der Salutogenese, einer Balance von Risiko- und Schutzfaktoren, hilfreich. Es wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vom Soziologen Aaron Antonovsky entwickelt, um herauszufinden, welche Schutzmechanismen Überlebenden von Konzentrationslagern geholfen haben, diese Zeit zu überstehen. Daraus entstand der Sense of Coherence (SOC), der die Kapazität
Herzinsuffizienzzentren in der Schweiz
https://www.rosenfluh.ch/qr/hfzenterenschweiz Pocketcard Diagnose und Management der chronischen Herzinsuffizienz 2022 (Arbeitsggruppe «Herzinsuffizienz der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie»)
https://www.rosenfluh.ch/qr/sgkempfehlungenhf2022
abbildet, die eigenen Ressourcen zu nutzen, um sich gesund
zu halten. Der SOC besteht aus 3 Domänen (Verstehbarkeit
der Ereignisse, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit), sie wer-
den anhand eines Fragebogens ermittelt. Dass das Konzept
auch in der Kardiologie anwendbar ist, zeigte die prospektive,
8 Jahre dauernde Helsinki-Heart-Studie mit über 4000 Män-
nern zum Einfluss von Gesundheitsindikatoren auf die Ge-
samtmortalität. Neben Rauchen, Alkohol, Beruf wurde auch
der SOC untersucht. Dabei zeigte sich, dass die gesundheits-
fördernde Qualität des SOC einen relevanten Einfluss auf die
Gesamtsterblichkeit hat (3).
Um letztlich die kardiovaskuläre Gesundheit der Patienten zu
verbessern, hat sich die Technik des Motivational Intervie-
wing bewährt, einer Methode, um die intrinsische Motiva-
tion bei ambivalenten oder resistenten Patienten zu verbes-
sern. Sie ist bei Suchterkrankungen und zum Rauchstopp
breit etabliert, ist aber auch zur Verhaltensänderung zuguns-
ten der kardiovaskulären Gesundheit nutzbringend, wie ein
systematischer Review darlegen konnte (4).
s
Valérie Herzog
Quelle: «Holistic post-discharge management of HF patients – What to think at discharge». SSC/SSCS Annual Meeting, 15. bis 16. Juni 2022 in St. Gallen.
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Referenzen: 1. McDonagh TA et al.: 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment
of acute and chronic heart failure. Eur Heart J 2021;42:3599-3726. 2. Yu DS et al.: Effectiveness and cost-effectiveness of an empower-
ment-based self-care education program on health outcomes among patients with heart failure: a randomized clinical trial. JAMA Netw Open 2022;5(4):e225982. 3. Poppius E et al.: The sense of coherence, occupation and all-cause mortality in the Helsinki Heart Study. Eur J Epidemiol 2003;18(5):389-393. 4. Thompson DR et al.: Motivational interviewing: a useful approach to improving cardiovascular health? J Clin Nurs 2011;20(9-10):1236-1244.
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