Transkript
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Neue Vergleichsstudien für die Therapie
ECCO
Wer die Wahl hat, hat die Qual. Mit der steigenden Zahl unterschiedlicher Behandlungsoptionen bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) stellt sich immer mehr die Frage, welches Wirkprinzip für welchen Patienten das Beste ist. Am virtuellen Jahreskongress der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) wurde eine ganze Reihe neuer Studien vorgestellt, in denen verschiedene Wirkstoffe miteinander verglichen wurden.
Um es vorwegzunehmen: Eine grosse randomisierte und unabhängige Head-to-Head-Studie, wie sie am vergangenen ECCO-Kongress vorgestellt wurde, gab es in diesem Jahr nicht. Obwohl Medikamentenvergleiche häufig interessante Aspekte zeigen, sollte nicht vergessen werden, dass Designs und Patientenpopulationen verschiedener Studien nicht immer die gleichen Ausgangsvoraussetzungen besitzen, sodass manche Vergleiche hinken.
Infliximab s.c. vs. Vedolizumab: Vorteil für Infliximab s.c.
Das subkutan applizierbare Infliximab-Biosimilar CT-P13 (Remsima®, Inflectra®) ist von der EMA sowohl für die Behandlung von Patienten mit Morbus Crohn als auch für Patienten mit Colitis ulcerosa zugelassen. Mit einem internationalen Literaturreview respektive mit einer Metaanalyse wollte man die klinische Effektivität und Sicherheit dieses subkutanen TNF-Hemmers mit dem Integrinantagonisten Vedolizumab (Entyvio®) vergleichen (1). Dafür wurden die zwischen 2010 und 2021 gewonnenen Daten von 7 randomisierten, kontrollierten Studien analysiert. Dabei zeigte Infliximab in der Induktionsphase bei den Morbus-Crohn-Patienten eine signifikant höhere Effektivität als Vedolizumab. Eine klinische Remission hätten 47 Prozent der Patienten unter Infliximab respektive 17 Prozent unter Vedolizumab erreicht, berichtete Prof. Laurent Peyrin-Biroulet, Universitätsspital Nancy (F). Zwar waren in der Erhaltungsphase unter den Morbus-Crohn-Patienten ebenfalls numerische Vorteile für Infliximab zu verzeichnen, das Signifikanzniveau wurde jedoch nicht erreicht (57% [Infliximab] vs. 42% [Vedolizumab]). Überdies kam es unter Vedolizumab mit 32 Prozent zu deutlich mehr Therapieabbrüchen wegen unzureichender Wirkung als unter Infliximab (5%). Bei den Colitis-ulcerosa-Betroffenen konnten zum Beispiel hinsichtlich der klinischen Remission zwischen den beiden Medikamenten während der Induktions- (34% [Infliximab] vs. 40% [Vedolizumab]) und der Erhaltungsphase 51% [Infliximab] vs. 39% [Vedolizumab] insgesamt keine signifikanten Wirkunterschiede festgestellt werden. Die Sicherheitsdaten beider Antikörper waren – zumindest in der 1-JahresAnalyse – sowohl für Morbus Crohn als auch für Colitis
ulcerosa vergleichbar. Einschränkung: Die Studienpopulation wies teilweise unterschiedliche Voraussetzungen auf. So seien die Patienten in den ausgewerteten Arbeiten unter Vedolizumab im Gegensatz zu jenen unter Infliximab nicht alle Anti-TNF-naiv gewesen, sodass hier möglicherweise Verzerrungen zuungunsten von Vedolizumab denkbar seien, so Peyrin-Biroulet.
Ustekinumab vs. Vedolizumab: keine Unterschiede
Beim retrospektiven Vergleich zwischen dem Interleukin12/23-Inhibitor Ustekinumab und Vedolizumab war das Patientenkollektiv hingegen ausgeglichen: Alle Teilnehmenden der Studie litten unter Morbus Crohn, alle hatten eine gescheiterte Anti-TNF-Therapie mit Adalimumab oder Infliximab hinter sich, und alle wurden dann in der 2. oder 3. Linie entweder mit Ustekinumab (n = 365) oder Vedolizumab (n = 654) behandelt (2). Der Therapieeffekt wurde anhand des «inverse probability of treatment weighting» abgeschätzt. Zwischen den beiden Substanzen konnten hinsichtlich des Behandlungserfolgs keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden. Morbus-Crohn-Betroffene mit Erkrankung des Kolons, des Ileums oder des Ileokolons zeigten im Lauf des 5-Jahres-Follow-ups für beide Substanzen ähnliche Abbruchraten. Die Persistenz der Teilnehmenden für Ustekinumab und Vedolizumab betrug nach 1, 2, 3 und 5 Jahren insgesamt 67, 54, 49 und 49 Prozent.
Vedolizumab vs. Ustekinumab: Vorteil für Ustekinumab
Auch die Teilnehmenden an einer spanischen Registerstudie (ENEIDA) litten unter Morbus Crohn und hatten bereits mindestens eine gescheiterte Anti-TNF-Therapie hinter sich (3). «Tatsächlich gelten 20 bis 30 Prozent der MorbusCrohn-Patienten als Anti-TNF-Nonresponder, oder sie entwickeln eine Unverträglichkeit», sagte Dr. Maria José Garcia, Santander (E). Viele würden mit der Zeit einen Wirkverlust erleben, weswegen sich die Frage stelle, welche Therapie nach einer TNF-Inhibition adäquat sei, so die spanische Gastroenterologin. Die in die Vergleichsstudie eingeschlossenen 755 Patienten und Patientinnen waren entweder mit Vedoli-
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zumab (n = 195) oder Ustekinumab (n = 560) behandelt worden. Dabei erwies sich die Wahrscheinlichkeit, auch noch nach 20 Monaten mit dem Ausgangswirkstoff behandelt zu werden, als signifikant höher für Ustekinumab als für Vedolizumab (p < 0,001). Insgesamt hätten über 40 Prozent aller Teilnehmenden ihre Behandlung im Lauf der Zeit abgebrochen, so Garcia. Die Daten zur klinischen Response und zur klinischen Remission würden zugunsten von Ustekinumab tendieren. So zeigten nach 2 Jahren 24 Prozent der Patienten unter Ustekinumab und 13 Prozent unter Vedolizumab eine klinische Remission. Das Sicherheitsprofil war für beide Wirkstoffe ähnlich. Vedolizumab vs. TNF-Inhibitoren: Vorteil für Vedolizumab Hingegen waren die Teilnehmenden an einer neuen RealWorld-/Head-to-Head-Studie nicht in 2. oder 3. Linie behandelt worden, sondern sie waren noch nie mit Biologika in Kontakt gekommen (4). Für diese prospektive Untersuchung wurden an 45 CED-Zentren in Deutschland 71 MorbusCrohn-Patientinnen und Patienten mit Vedolizumab und 223 mit den TNF-Inhibitoren Infliximab und Adalimumab behandelt und evaluiert. Nach 52 Wochen hatten signifikant mehr unter Anti-TNF-Inhibitoren stehende Teilnehmende ihre Therapie abgebrochen respektive gewechselt als unter Vedolizumab (22,4 vs. 5,6%; p < 0,001), das heisst, 94 Prozent der mit Vedolizumab Behandelten hatten ihre Therapie bis zum Schluss durchgehalten. Die klinische Remissionsrate nach einem Jahr sei mit 76 Prozent für Vedolizumab numerisch höher gewesen als unter Anti-TNF-Therapie mit 64 Prozent, wobei der Vergleich mit Adalimumab das Signifikanzniveau erreicht habe (76 vs. 59%), betonte Bernd Bokemeyer, Minden (D), in seinem Vortrag. Zudem hätten 92 Prozent der nach 14 Wochen sich in Remission befindenden Teilnehmenden unter Vedolizumab auch nach 52 Wochen noch eine Remission aufgewiesen (Anti-TNF: 66%). Beide Gruppen zeigten nach einem Jahr Therapie eine signifikant höhere Lebensqualität. Tofacitinib vs. Vedolizumab: Vorteil für Tofacitinib Wie schlagen sich Januskinase-(JAK-)Inhibitoren im Vergleich zu Biologika bei der Behandlung von Patienten mit CED, wenn eine erste Anti-TNF-Behandlung gescheitert ist? Dieser Frage wollte ein niederländisches Forscherteam nachgehen, indem es für eine prospektive Studie Patienten mit Colitis ulcerosa aus dem Register der Dutch Initiative for Crohn’s and Colitis (ICC) detektierte (5). Die Teilnehmenden, die zuvor auf eine Anti-TNF-Therapie nicht oder kaum angesprochen hatten, wurden entweder mit Vedolizumab (n = 83) oder mit dem JAK-Inhibitor Tofacitinib (n = 65) behandelt. Die Propensity-Score-Analyse zeigte, dass die mit Tofacitinib Behandelten gegenüber den mit Vedolizumab Behandelten zu den Zeitpunkten in Woche 12, 24 und 52 mit einer signifikant grösseren Wahrscheinlichkeit eine kortikosteroidfreie klinische Remission erreichten (OR: 5,9; 3,0; 3,0; p < 0,01). So befanden sich beispielsweise nach 24 Wochen 63 Prozent der Teilnehmenden unter Tofacitinib und 40 Prozent unter Vedolizumab in einer solchen Remission. Zudem war es für die Patienten, die mit einem JAK-Inhibitor behandelt wurden, wahrscheinlicher, eine biochemische Remission zu erreichen. Hinsichtlich des Auftretens schwerer unerwünschter Nebenwirkungen konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Wirkmechanismen festgestellt werden. Es traten keine thromboembolischen Ereignisse auf. Tofacitinib vs. Vedolizumab: Vorteil für Tofacitinib Ebenfalls um einen Vergleich zwischen Tofacitinib und Vedo- lizumab zur Behandlung von Patienten mit Colitis ulcerosa und mindestens einer gescheiterten Anti-TNF-Vorbehand- lung ging es in einer neuen französischen Untersuchung (6). Für die retrospektive Studie wurden die Daten von 87 mit Tofacitinib und von 112 mit Vedolizumab behandelten er- wachsenen Patientinnen und Patienten ausgewertet. Den pri- mären Endpunkt, nämlich eine kortikosteroidfreie klinische Remission nach 16 Wochen, erreichten 45 Prozent der Teil- nehmenden unter Tofacitinib und 40 Prozent unter Vedolizu- mab (p = 0,64). Im Gegensatz dazu waren die Unterschiede zwischen Tofacitinib und Vedolizumab hinsichtlich der en- doskopischen Verbesserung respektive der Mukosaheilung signifikant, nämlich 24,4 Prozent vs. 7 Prozent und 13 Pro- zent vs. 3 Prozent. Auch bei Patienten mit schwerer Colitis ulcerosa scheine Vedolizumab weniger wirksam zu sein als Tofacitinib, erklärte Dr. Anthony Buisson, Universitätsspital Clermont-Ferrand (F). Insgesamt seien beide Substanzen für Colitis-ulcerosa-Patienten mit mindestens einer fehlgeschla- genen Anti-TNF-Therapie für die Induktion einer steroid- freien Remission nach 16 Wochen effektiv. s Klaus Duffner Quelle: DOP Session 9: The Atlantic: Comparative effectiveness & Biomarkers. Jahreskongress der European Crohn’s and Colitis Organization 2022, 18. Februar 2022, virtuell. Referenzen: 1. Peyrin-Biroulet L et al.: A comparative efficacy and safety analysis of subcutaneous infliximab and vedolizumab in patients with Crohn’s Disease and Ulcerative Colitis. DOP73, presented at ECCO 2022 virtual. 2. Desoki R et al.: Comparative effectiveness of vedolizumab and ustekinumab in Crohn’s Disease patients who failed anti-TNF treatment: Interrogating 1019 patients from the UK IBD BioResource. DOP74, presented at ECCO 2022 virtual. 3. García MJ et al.: Comparative study of the effectiveness of vedolizumab versus ustekinumab after anti-TNF failure (VERSUS-CD). DOP78, presented at ECCO 2022 virtual. 4. Di Giuseppe R et al: Comparative real-world effectiveness and persistence of vedolizumab versus anti-TNF therapy in biologic-naïve patients with crohn´s disease with propensity score adjustment: maintenance phase results at week-52 from the prospective VEDOIBD study. DOP77, presented at ECCO 2022 virtual. 5. Straatmijer T et al.: Effectiveness and safety of tofacitinib versus vedolizumab in patients with ulcerative colitis: a nationwide, ICC Registry study. DOP75, presented at ECCO 2022 virtual. 6. Buisson A et al: Real-world multicenter comparison of effectiveness between tofacitinib and vedolizumab in patients with ulcerative colitis after failure to at least one anti-TNF agent. DOP76, presented at ECCO 2022 virtual. 6 CongressSelection Gastroenterologie | Juni 2022