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ERS
Pneumologische Konsultationen in Zeiten der Pandemie
Gratwanderung zwischen guter Betreuung und Infektionsrisiko
In Zeiten von COVID-19 besteht für medizinisches Personal ein besonders hohes Ansteckungsrisiko, das auch durch Impfungen nicht auf null reduziert werden kann. Vorsichtsmassnahmen sind deshalb zwingend erforderlich. Die Pneumologie ist dabei besonders betroffen, da Patienten bei vielen Untersuchungen keine Maske tragen können und unter Umständen forciert ausatmen müssen.
Die in Krankenhäusern etablierten Schutzmassnahmen seien im niedergelassenen Bereich nicht 1:1 realisierbar, betonte Dr. Noel Baxter aus Edinburgh (GB), Board Director der International Primary Care Respiratory Group (IPCRG). Das kann Kreativität erforderlich machen. Zwischen den Patienten sowie zwischen Patient und Behandler sollte ein möglichst grosser Abstand eingehalten werden; Raumteilungen und Abschirmungen können in manchen Situationen hilfreich sein. Das Personal sollte Gesichtsschutz tragen und selbstverständlich geimpft sein. Telemedizin kann eine gute Alternative zum Besuch in der Praxis sein, hat allerdings Schwächen und Limitationen, wie die Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) in einem Positionspapier festhält (1). Telemedizin ist vor allem dann keine Option, wenn der Patient so schwer symptomatisch wird, dass sofortiges Handeln erforderlich ist, wenn sich die Symptome derart verändern, dass eine differenzialdiagnostische Abklärung vorgenommen werden muss, oder wenn eine Behandlung in einem Zentrum geboten ist. Die IPCRG ist in ihren Überlegungen noch weiter gegangen und präsentiert im Internet umfangreiche Empfehlungen für die Fernbetreuung von Patienten (2). Wichtig sei dabei, so Baxter, den Prozess zu strukturieren, bevor man mit der Behandlung beginne. Ein Umdenken sei deshalb erforderlich, und vieles, was in langen Jahren ärztlicher Erfahrung eingeübt worden sei, lasse sich eben nicht so einfach auf eine Online-Konsultation übertragen. Telemedizin erfordert auch eine stärkere Mitarbeit des Patienten. Beispielsweise müssen für das Monitoring der Krankheit wichtige Parameter zu Hause vom Patienten selbst erhoben werden. Blutdruck und Körpertemperatur sind einfach zu messen, ebenso die Herzund die Atemfrequenz. In Zeiten von COVID-19 haben auch Pulsoximeter weite Verbreitung gefunden, in manchen asiatischen Ländern wurden sie sogar von den Regierungen kostenlos verteilt. Der Body-Mass-Index ist ebenso leicht zu bestimmen, und die Inhalationstechnik kann mittels Video aus der Distanz kontrolliert werden. Darüber hinaus können einfache Tests wie zum Beispiel auf Atemlosigkeit beim Aufstehen durchgeführt werden. Die IPCRG hat zu relevanten Fragen zur sicheren Spirometrie in der allgemeinmedizinischen Praxis die publizierte Evidenz durchforstet und versucht, praktikable Lösungen zu erarbeiten. Die Suche ergab in erster Linie Expertenmeinungen sowie Extrapolationen aus indirekter Evidenz. Diese
zeigte unter anderem, dass Spirometrie und andere Prozedu-
ren, bei denen Tröpfchen freigesetzt werden können, bereits in
der Vergangenheit mit einer erhöhten Gefahr für die Übertra-
gung von Viren in Verbindung gebracht worden waren. In
diesem Sinne dürfe nicht vergessen werden, dass diese Tröpf-
chen auch Oberflächen kontaminieren könnten, die dann zur
Verbreitung des Virus beitrügen, betonte Baxter. Hier greifen
konventionelle Hygienemassnahmen. In der Praxis ist zudem
zunächst die Frage zu stellen, ob man in der konkreten Situa-
tion tatsächlich eine Spirometrie braucht, und wenn das nicht
der Fall ist, kann man darauf verzichten. Ist sie unumgänglich,
sollten eher entspannte als forcierte Manöver verwendet wer-
den, um den Patienten nicht zum Husten zu reizen.
Für Grossbritannien hat die Primary Care Respiratory So-
ciety (PCRS) mittlerweile detaillierte Empfehlungen erstellt,
in denen auf technische Aspekte wie den Einsatz von Filtern
und die sichere Reinigung der Geräte sowie den erforderli-
chen Luftaustausch im Gebäude ausführlich eingegangen
wird (3). An schönen Tagen sei die Spirometrie im Freien
durchaus eine Option, so Baxter. Wenn möglich, sollten alle
Patienten vor der Untersuchung auf eine Infektion mit SARS-
CoV-2 getestet werden.
Auch Alternativen zur Spirometrie sind denkbar. Wichtige
Informationen können beispielsweise Anamnese-Fragebö-
gen liefern. Mit tragbaren Geräten im Taschenformat kann
ausser Haus eine «Mikrospirometrie» durchgeführt werden.
Und nicht zuletzt besteht die Option für ein Peak-Flow-
Tagebuch auf Basis von Heimmessungen, die mit einem trag-
baren Peak-Flow-Meter durchgeführt werden. Ein exspirato-
rischer Spitzenfluss von 75 Prozent des Sollwerts oder weni-
ger ist ein Hinweis auf Obstruktion. Bleibt dieser Wert über
2 Wochen bestehen und reagiert er nicht auf Salbutamol,
besteht der Verdacht auf COPD. Das sei kein anerkanntes
Verfahren zur Diagnose einer COPD, so Baxter, in schwieri-
gen Zeiten aber eine brauchbare Option, die in Grossbritan-
nien auf dem Höhepunkt der Pandemie häufig eingesetzt
worden sei.
s
Reno Barth
Quelle: Primary Care Session Part I: «Restarting COPD care in the post-COVID era», beim Jahreskongress der European Respiratory Society (ERS) am 6. September 2021, online.
16 CongressSelection Allergologie | Pneumologie | Dezember 2021
Referenzen: 1. https://goldcopd.org/ 2. https://www.ipcrg.org 3. https://www.pcrs-uk.org/
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