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Nahrungsmittelallergien
Die Frage der evidenzbasierten Prävention
Nahrungsmittelallergien entwickeln sich in den industrialisierten Ländern zu einem immer weiter verbreiteten Problem. Strategien der Prävention werden deshalb dringend benötigt. Leider ist die Datenlage derzeit noch unzureichend, und es können nur wenige evidenzbasierte Empfehlungen gegeben werden.
Aktuelle Studien zeigen, dass rund 8 Prozent der Kinder und Jugendlichen in den USA von Nahrungsmittelallergien betroffen sind. Fast die Hälfte davon (42,3%) leidet unter mindestens einer schweren, 39,9 Prozent leiden unter multiplen Nahrungsmittelallergien, 19 Prozent waren schon einmal wegen ihrer Allergie in der Notaufnahme, und 40,7 Prozent tragen einen Adrenalininjektor. Unter Kindern mit atopischen Komorbiditäten ist die Prävalenz sogar noch höher (1). «Vergleichbare Zahlen haben wir auch aus anderen westlichen Ländern, und sie zeigen, wie prävalent und wie massiv das Problem der Nahrungsmittelallergien geworden ist. Mangels kurativer Therapien muss deshalb das Augenmerk auf die Prävention gelegt werden», sagte dazu Prof. Alexandra Santos vom Londoner King’s College (GB).
Ursachenforschung: Was erhöht das Allergierisiko?
Vier Gruppen von Risikofaktoren sind bekannt bzw. werden diskutiert. Santos nannte Ekzeme, Allergenexposition, mangelnde Exposition gegenüber Mikroben und Mangelernährung bzw. Vitamin-D-Mangel. Die Bedeutung von Ekzemen wurde mittlerweile in mehreren Studien dokumentiert, und sie ist umso ausgeprägter, je früher im Leben und je schwerer sich die Ekzeme manifestieren. Das Vorhandensein eines Ekzems erhöht das Risiko für eine Nahrungsmittelallergie etwa um den Faktor 6 (2). In der EuroPrevall Birth Cohort waren Ekzeme sogar mit einer 9-fachen Erhöhung des Risikos für eine Allergie gegen Hühnereiweiss assoziiert (3). Ein Modell zur Erklärung der zunehmenden Prävalenz von Nahrungsmittelallergien bietet die «Dual-allergen-exposure»Hypothese, die besagt, dass orale Exposition gegenüber Allergenen insbesondere in höherer Dosis Toleranz induziert, während Exposition über die Haut, und dabei besonders über entzündete Haut, Allergien induziert. Allergieprävention sei also eine Frage des Timings und der Art der Exposition (4). Diese Hypothese wurde in der randomisierten LEAP-Studie bestätigt, die in einem Kollektiv von Kindern mit sehr hohem individuellem Risiko die Auswirkungen von Erdnusskonsum in den ersten 60 Lebensmonaten mit Erdnusskarenz verglich und dabei eine Reduktion des Auftretens von Erdnuss-
allergien um mehr als zwei Drittel fand. Insbesondere führte der frühe Konsum von erdnusshaltigen Nahrungsmitteln auch zu keinen Sicherheitsproblemen (5). Ebenfalls diskutiert wird im Zusammenhang mit Nahrungsmittelallergien die Hygienehypothese, der ursprünglich die Beobachtung zugrunde lag, dass Kinder aus grossen Familien seltener allergisches Asthma und allergische Rhinitis entwickeln. Eine grosse Geschwisterzahl sowie Haustiere reduzieren ausserdem das Risiko, eine Nahrungsmittelallergie zu entwickeln (6). In einer Studie konnte sogar eine Risikoreduktion um 90 Prozent beobachtet werden, wenn Kinder mit einem Hund im Haushalt aufwuchsen (7). Des Weiteren dürfte in der Entwicklung von Nahrungsmittelallergien das Darmmikrobiom eine Rolle spielen, wenngleich die Evidenz hier noch etwas dünner ist. Santos verwies auf Studien im Tiermodell, die zeigten, dass sich Nahrungsmittelallergien bzw. Resistenz gegen dieselben durch Übertragung von Darmbakterien auf keimfrei aufgezogene Mäuse übertragen liessen. Beobachtungsstudien beim Menschen legen nahe, dass die Remission einer Nahrungsmittelallergie mit charakteristischen Veränderungen des Darmmikrobioms assoziiert ist (8). Randomisierte, kontrollierte Studien zu Interventionen stünden bislang allerdings noch aus, so Santos. Ähnliches gilt für die Rolle von Vitamin D. Santos verwies auf Beobachtungsstudien, die zeigten, dass mit zunehmender Entfernung vom Äquator und mit abnehmender Sonnenlichtexposition die Prävalenz von Nahrungsmittelallergien zunimmt, was sich beispielsweise in den Verschreibungen von Autoinjektoren niederschlägt (9). Allerdings zeigte die Vitamin-D-Supplementation zwecks Prävention von Allergien in einem Review der verfügbaren Studien keine Wirkung, wobei jedoch nur eine sehr überschaubare Zahl an Studien ausgewertet werden konnte (10). Santos betonte, dass das Design einer derartigen Studie herausfordernd sei, zumal Faktoren wie Genetik, geografische Breite und Ernährung einbezogen werden müssten.
Unzureichende Evidenz zu Präventionsstrategien
Strategien zur Prävention von Nahrungsmittelallergien umfassen Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. Die Primärprävention richtet sich an gesunde Kinder, die Sekundär-
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prävention kommt zum Tragen, wenn bereits eine Sensibilisierung auf ein Antigen vorhanden ist, und die Tertiärprävention soll den Schaden minimieren, wenn bereits eine voll ausgeprägte Nahrungsmittelallergie besteht. In der Primärprävention wurden unterschiedliche Strategien untersucht, von der Allergenaufnahme durch die Mutter während der Schwangerschaft über Stillen, Pro- und Präbiotika, Fischöl und Vitamine bis zur Verwendung von Emollienzien zur Verbesserung der Hautbarriere und bis zur Impfung mit BCG (Bacillus Calmette-Guérin). Ein Review randomisierter, kontrollierter Studien gelangte jedoch zu wenig ermutigenden Ergebnissen. Von der zuvor erwähnten Prävention von Erdnussallergien abgesehen, konnte für die meisten Interventionsversuche keine Wirksamkeit gezeigt werden. Auch Stillen beeinflusst das Risiko des Kindes nicht, eine Nahrungsmittelallergie zu entwickeln. Die frühe Exposition gegenüber Kuhmilch erhöht sogar die Gefahr für eine Sensibilisierung. Eine Exposition gegenüber gekochtem, aber nicht gegenüber pasteurisiertem rohem Ei scheint eine Sensibilisierung zu verhindern. Insgesamt wird die Evidenz zu dieser Fragestellung als unzureichend eingestuft (11). Dementsprechend neutral fallen die Empfehlungen der EAACI aus: Es werden keine Einschränkungen der Diät während der Schwangerschaft empfohlen. Auch für die wenigsten diskutierten Massnahmen besteht ausreichende Evidenz. In der ersten Lebenswoche sollen gestillten Kindern keine Folgemilchprodukte auf Basis von Kuhmilch gegeben werden. Der beste Zeitpunkt, gekochtes Ei und Erdnüsse einzuführen, ist das Alter zwischen 4 und 6 Monaten. Darüber hinaus können beim aktuellen Evidenzstand keine Empfehlungen gegeben werden (12). Derzeit würden, so Santos, mehrere kontrollierte Studien durchgeführt, die einige Evidenzlücken schliessen sollten. Untersucht werden unter anderem eine hochallergene Kost in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft und über 4 Monate Stillzeit, Probiotika nach der Geburt, intensivierte Behandlung von Ekzemen, Vitamin-D-Supplementation, Cashewnüsse in der Babynahrung und die BCG-Impfung im Vergleich zu Plazebo. Eine Testung auf Sensibilisierung wird bei unauffälligen Säuglingen nicht empfohlen. Eine Ausnahme machen die US-Leitlinien, die einen Test auf Erdnussallergie bei Risikokindern empfehlen, die bereits andere Nahrungsmittelallergien oder ein schweres Ekzem entwickelt haben. Solche Tests sind auch insofern problematisch, weil sie Zeit benötigen und damit verhindern, dass die Kinder in einem normalen Zeitrahmen mit den potenziellen Allergenen in Berührung kommen. Das bedeute jedoch nicht, so Santos, dass in spezialisierten Allergiezentren, wo das ohne grossen Aufwand möglich sei, nicht getestet werde. Jedenfalls müsse man bei der Interpretation der Ergebnisse vorsichtig sein, zumal spezifisches IgE bei sehr jungen Kindern schon in sehr niedriger Konzentration mit einem deutlich höheren Allergierisiko assoziiert sei, als das bei älteren Kindern der Fall sei. Hinsichtlich möglicher präventiver Massnahmen ist die Evidenz dünn. Jedenfalls zeigt die LEAP-Studie, dass die frühe Exposition gegenüber Erdnüssen auch bei Kindern, die bereits eine Sensibilisierung auf Erdnuss aufweisen, den Ausbruch einer klinisch manifesten Allergie noch verhindern kann (5).
Ist bereits eine Nahrungsmittelallergie vorhanden, bestehen
die Massnahmen der Tertiärprävention aus der Vermeidung
von Schaden. Das bedeutet zunächst einmal eine Allergen-
karenz zur Vermeidung anaphylaktischer Ereignisse sowie
die Verschreibung von Notfallmedikation samt zugehöriger
Patientenschulung. Allfällige Komorbiditäten wie allergi-
sches Asthma müssen behandelt werden. Psychologische Be-
treuung und Ernährungsberatung helfen den Patienten, mit
ihrer Situation zurechtzukommen. Für die Zukunft besteht
Hoffnung auf verbesserte und breiter verfügbare immunmo-
dulatorische Therapien.
s
Reno Barth
Quelle: Symposium «Food allergy» im Rahmen des Kongresses der European Aca-
demy of Allergology and Clinical Immunology (EAACI), online am 10. Juli 2021.
Referenzen: 1. Gupta RS et al.: The Public Health Impact of Parent-Reported
Childhood Food Allergies in the United States. Pediatrics. 2018;142(6):e20181235. 2. Martin PE et al.: Which infants with eczema are at risk of food allergy? Results from a population-based cohort. Clin Exp Allergy. 2015;45(1):255-264. 3. Grimshaw KEC et al.: Risk Factors for Hen̕s Egg Allergy in Europe: EuroPrevall Birth Cohort. J Allergy Clin Immunol Pract. 2020;8(4):1341-1348.e5. 4. Du Toit G et al.: Prevention of food allergy. J Allergy Clin Immunol. 2016;137(4):998-1010. 5. Du Toit G et al.: Randomized trial of peanut consumption in infants at risk for peanut allergy. N Engl J Med. 2015;372(9):803813. 6. Koplin JJ et al.: Environmental and demographic risk factors for egg allergy in a population-based study of infants. Allergy. 2012;67(11):1415-1422. 7. Marrs T et al.: Dog ownership at three months of age is associated with protection against food allergy. Allergy. 2019;74(11):22122219. 8. Bunyavanich S, Berin MC: Food allergy and the microbiome: Current understandings and future directions. J Allergy Clin Immunol. 2019;144(6):1468-1477. 9. Allen KJ et al.: Vitamin D insufficiency is associated with challenge-proven food allergy in infants. J Allergy Clin Immunol. 2013;131(4):1109-1116. 10. Yepes-Nuñez JJ et al.: Vitamin D supplementation in primary allergy prevention: Systematic review of randomized and non-randomized studies. Allergy. 2018;73(1):37-49. 11. De Silva D et al.: Preventing food allergy in infancy and childhood: Systematic review of randomised controlled trials. Pediatr Allergy Immunol. 2020;31(7):813-826. 12. Halken S et al.: EAACI guideline: Preventing the development of food allergy in infants and young children (2020 update). Pediatr Allergy Immunol. 2021;32(5):843-858.
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