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Interstitielle Lungenerkrankungen
Antifibrotische Therapie nützt nicht nur bei idiopathischer Lungenfibrose
Die interstitiellen Lungenerkrankungen (ILD) stellen eine grosse und heterogene Gruppe von Erkrankungen dar. Sie können familiär oder sporadisch auftreten, relativ gutartig oder rasch progredient verlaufen. Aufgrund der Verfügbarkeit zugelassener Therapien stand unter den ILD in den letzten Jahren die idiopathische Lungenfibrose im Mittelpunkt des Interesses. Aktuell erfahren auch andere Erkrankungen verstärkte Aufmerksamkeit.
Eine Strategie, einen Überblick über die Vielfalt der interstitiellen Lungenerkrankungen (ILD) zu erhalten, stellen Register dar, in die möglichst viele Patienten eingeschlossen werden sollen. Biobanken böten darüber hinaus die Option, aus diesen Registern Daten für die Grundlagen- und die Biomarker-Forschung zu generieren, so Prof. Dr. Andreas Günther aus Giessen (D), der für die Zukunft den länderübergreifenden Zusammenschluss von Registern erwartet. Als Beispiel nannte Günther das 2009, also deutlich vor der Markteinführung der antifibrotischen Medikamente, mit Mitteln der EU gegründete European IPF Network (IPF: idiopathic pulmonarg fibrosis). Ungeachtet des IPF-Fokus wurden auch Patienten mit anderen ILD sowie Kontrollpersonen, darunter COPD-Patienten, und Verwandte der Patienten eingeschlossen. Von den anonymisierten Teilnehmern werden zahlreiche Parameter von der Lungenfunktion samt Diffusionskapazität über das Lungen-CT, Biopsie-Ergebnisse und Blutchemie bis zu genetischen Daten, sofern die Patienten ihre Zustimmung erteilen, gesammelt. Insgesamt werden an die 3000 Parameter erhoben. Der Zugang zu Daten, die eine Identifikation der Patienten ermöglichen, wird durch ein aufwendiges Datenschutzsystem geregelt.
Wirksamkeitsnachweis im klinischen Alltag
Auf Basis der Daten aus dem European IPF Network konnten bereits zahlreiche Studien publiziert werden. Unter diesen Publikationen nannte Günther unter anderem eine Arbeit zum individuellen Ansprechen von IPF-Patienten auf Pirfenidon. Die Daten zeigen, dass zwar erhebliche individuelle Unterschiede bestehen und einzelne Patienten tatsächlich nicht profitieren, dass Pirfenidon jedoch insgesamt im klinischen Alltag von Nutzen ist (1). Insgesamt zeigen die Registerdaten eine deutliche Verlängerung des Überlebens von IPF-Patienten seit Einführung antifibrotischer Therapien (2). Eine weitere Arbeit definierte die Rolle des CT in der individuellen Prognose-Abschätzung und konnte zeigen, dass HRCT-Parameter (HRCT: hochauflösende Computertomografie) mit physiologischen Parametern sowie mit der Überlebenswahrscheinlichkeit korrelierten (3). Register erlauben zum Beispiel die longitudinale Verfolgung des Krankheitsverlaufs sowie eine Abschätzung der Bedeu-
tung von Komorbiditäten im klinischen Alltag. Einen Quantensprung nach vorn habe, so Günther, die Kombination von Registern und Biobanken gebracht, da diese tiefere Einsichten auch in pathophysiologische Zusammenhänge eröffneten. Von entscheidender Bedeutung sind dabei Proben aus den Lungen von Transplantationspatienten, die Proben werden mit der innovativen Dünnschnitttechnik HPLS (high precision cut lung slices) aufgearbeitet. In dem gewonnenen Ex-vivo-Gewebe können Untersuchungen mit neuen Wirkstoffklassen durchgeführt werden. An der Kryokonservierung der Dünnschnitte wird gearbeitet. Auch Studien zur regenerativen Kapazität von Lungengewebe können so in vitro durchgeführt werden. In einem weiteren organisatorischen Schritt soll das European IPF Network nun zu einem ILD-Register erweitert werden, in das idealerweise in den kommenden Jahren 4000 weitere Patienten eingeschlossen werden sollen. Letztlich soll das Register auch bis zu 1000 pädiatrische Patienten mit ILD inkludieren. Grosser Wert soll in Zukunft auch auf das Monitoring im häuslichen Umfeld gelegt werden, zumal Geräte für die Heimspirometrie mittlerweile ausreichend verlässliche Daten liefern. Weiter sollen Genom, Transkriptom, Proteom, Volatom, Mikrobiom und Komorbidom erhoben und beobachtet werden. Die Auswertungen und insbesondere die Suche nach Mustern und neuen Phänotypen sollen mithilfe künstlicher Intelligenz erfolgen.
Familiäre Häufung bei ILD keine Seltenheit
Aus den Registern erwartet man zudem mehr Informationen zu den hereditären ILD. In diese Gruppe gehört die familiäre idiopathische Lungenfibrose. Diese liegt vor, wenn ein IPF-Patient zwei nahe Verwandte mit IPF oder einer anderen fibrosierenden interstitiellen Pneumonie hat. Eine entsprechende Familiengeschichte werde von bis zu 25 Prozent der Patienten mit IPF angegeben und sei auch bei nicht klassifizierbarer ILD sowie anderen Formen von ILD nicht selten, so Prof. Coline van Moorsel aus Utrecht (NL). Die familiäre IPF unterscheidet sich von der sporadischen auch hinsichtlich der Klinik. Die Betroffenen sind bei Auftreten der Erkrankung jünger und häufiger Nichtraucher, der Frauenanteil ist höher. Das Überleben ist ähnlich schlecht, der Verlust an Lungen-
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funktion sogar noch schneller (4). Das gilt in noch höherem Mass für die Non-IPF-ILD, bei denen ein familiärer Hintergrund ein noch ungünstigerer Prognosemarker ist (5). Umso wichtiger sei es, diese Patienten zu identifizieren, um ihnen früh eine adäquate Behandlung zukommen lassen zu können, betonte van Moorsel. Bei weniger als der Hälfte der Patienten mit familiären ILD ist der genetische Hintergrund bekannt. Dabei handelt es sich entweder um Mutationen, die mit dem Surfactant in Zusammenhang stehen, oder deutlich häufiger um Telomermutationen (6). Patienten mit Surfactant-Mutationen sind bei Diagnosestellung jünger und rund zur Hälfte pädiatrische Fälle. Auch innerhalb dieser Gruppen ist eine Differenzierung möglich. Die Surfactant-Mutationen wiesen eine sehr hohe Penetranz auf, Berichte über asymptomatische Carrier seien selten, so van Moorsel. Das CT ist oft inkonklusiv oder nicht klassifizierbar mit Milchglastrübung. Das für die IPF typische Muster einer «usual interstitial pneumonia» (UIP) fehlt häufig. Die Erkrankung kann sich entweder als reine Lungenfibrose präsentieren oder Teil sehr seltener genetischer Multisystemsyndrome sein. Manche der Surfactant-Mutationen sind auch mit Lungenkrebs assoziiert. Deshalb sollten Patienten mit einer isolierten pulmonalen Manifestation früh lungentransplantiert werden, da sie ein sehr hohes Lungenkrebsrisiko haben.
Patienten mit Telomer-Mutationen sprechen auf antifibrotische Therapie an
Die klinische Präsentation der Telomer-Mutationen unterscheidet sich deutlich von diesem Bild. Sie sind Teil der Short-Telomer-Syndrome, die zu einer fortschreitenden Verkürzung von Chromosomen und einem beschleunigten Alterungsprozess führen. Das Manifestationsalter sowie die Schwere der Manifestation hängen nicht nur von der Mutation selbst, sondern auch von der ebenfalls erblichen Ausgangslänge der Telomere ab. Dabei fällt das Phänomen der «genetic anticipation» auf: Die Erkrankung manifestiert sich von Generation zu Generation früher und schwerer, in Folgegenerationen sind oft mehrere Organsysteme betroffen. Patienten, die mit einer Lungenfibrose infolge einer Telomerverkürzung symptomatisch werden, können zwischen 30 und 80 Jahre alt sein. Die Erkrankung kann sich sowohl als isolierte Lungenfibrose präsentieren als auch mit Zeichen und Symptomen eines generalisierten Syndroms, so mit Leberauffälligkeiten und hämatologischen Erkrankungen. Die genetische Analyse wird dadurch erschwert, dass manche Mutationen erst nach mehreren Generationen pathogen werden. In einem Fall gelang es, für mehrere, vordergründig nicht verwandte Betroffene einen gemeinsamen Vorfahren zu finden, der vor 300 Jahren lebte (7). Studiendaten zeigen, dass Patienten mit Lungenfibrose und Telomermutationen sicher sowohl mit Nintedanib als auch mit Pirfenidon antifibrotisch behandelt werden können und dass ihnen die Behandlung Vorteile im Sinne einer langsameren Abnahme der forcierten Vitalkapazität bringt. In den Plazebogruppen verloren Patienten mit kurzen Telomeren besonders schnell an Lungenfunktion (8). Eine Post-hocAnalyse von Studien zu Pirfenidon zeigte, dass Patienten mit Telomerlängen oberhalb und unterhalb des Medians im gleichen Mass von der Therapie profitierten (9).
Wenn die medikamentöse Therapie versagt, ist die Lungentransplantation eine Option. Transplantierte IPF-Patienten mit Telomer-Mutation haben ein geringfügig schlechteres Langzeitüberleben als IPF-Patienten ohne Telomer-Mutation, sind im Übrigen aber gut transplantierbar (10). Hämatologische Komplikationen wurden beschrieben und können eine Anpassung der immunsuppressiven Medikation erforderlich machen (11). Screening-Massnahmen für nahe Verwandte sind sinnvoll, da diese ein erheblich erhöhtes Risiko aufweisen, selbst eine Lungenfibrose zu entwickeln. Nicht selten werden beim Familienscreening interstitielle Auffälligkeiten gefunden. Allerdings zeigt eine aktuelle Studie, dass beim Screening der Familien von Patienten mit vermeintlich sporadischer IPF ebenfalls häufig ILD diagnostiziert werden. Allerdings konnten bei diesen Betroffenen keine bekannten genetischen Syndrome gefunden werden (12). Van Moorsel unterstrich, dass die Definitionen der familiären Lungenfibrose diskutiert würden.
Antifibrotische Medikamente nicht bei IPF wirksam
Angesichts der seit Kurzem verfügbaren antifibrotischen Medikamente habe man der IPF in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit gewidmet, so Dr. Martin Kolb aus Hamilton (Kanada). Dabei dürfe jedoch nicht vergessen werden, dass nur rund 20 Prozent der gesamten Patientenpopulation mit ILD auf die IPF entfielen (13). Mit mehr als 200 beschriebenen Entitäten stellen die ILD eine grosse Gruppe von Erkrankungen dar, die sich wiederum in mehrere grosse Untergruppen einteilen lassen. Kolb nannte die idiopathischen interstitiellen Pneumonien, die Autoimmun-ILD, die Sarkoidose, die exogen allergische Alveolitis (EAA) und die nicht näher bezeichnete Gruppe der «anderen ILD». In den vergangenen Jahren wurden mehrere Algorithmen zur Abschätzung von Progredienz und Prognose publiziert. Nach gründlicher Anamnese und Lungenfunktionstests sowie Serologie spielt dabei die HRCT eine entscheidende Rolle. Die Diagnose IPF kann gestellt werden, wenn die HRCT das Bild einer UIP zeigt und keine Ursache für die ILD gefunden wird. Diese Diagnose bedeutet die Indikationsstellung zur Behandlung mit einem der heute zugelassenen Antifibrotika. Wird eine EAA diagnostiziert, gilt es, das Allergen zu identifizieren und den Patienten entsprechend zu beraten bzw. antiinflammatorisch und bei Bedarf immunsuppressiv zu behandeln. Seit einiger Zeit wird hinterfragt, wie sinnvoll die Aufsplitterung der Gruppe der ILD in so viele unterschiedliche Erkrankungen im klinischen Alltag ist, zumal aus vielen Diagnosen keine therapeutischen Konsequenzen folgen. Stattdessen wird ein Vorgehen gefordert, das sich an der Entwicklung der Erkrankung («disease behaviour») orientiert. Aktuell bestünde nämlich die Gefahr, so Kolb, dass Patienten mangels entsprechenden diagnostischen Etiketts von Therapien ausgeschlossen blieben, von denen sie vermutlich profitieren würden. Aus der Perspektive der Prognose betrachtet, kann eine ILD selbstlimitierend und reversibel, reversibel mit Progressionsrisiko, stabil mit residueller Erkrankung, progredient und irreversibel mit Chance auf Stabilisierung oder progredient und irreversibel auch unter Therapie sein. Die IPF ist
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nach diesem Schema progredient und irreversibel auch unter
Therapie (14). Das sind allerdings auch andere ILD (15), von
denen viele so selten sind, dass sie vermutlich niemals in eige-
nen Studien untersucht werden. Da die für die IPF zugelasse-
nen Substanzen in den Prozess der Fibrosierung eingreifen,
könnten sie jedoch auch bei anderen fibrosierenden ILD
wirksam sein.
Allerdings unterstrich Kolb, dass nicht alle fibrosierenden
ILD mit Antifibrotika behandelt würden und diese nicht
immer gut verträglichen Therapien nur bei aggressiv progre-
dienten Erkrankungen zum Einsatz kommen sollten. Ein
progredienter, fibrosierender Phänotyp wird häufig bei ILD
im Zusammenhang mit systemischer Sklerose oder rheuma-
toider Arthritis (RA), bei exogen allergischer Alveolitis und
bei nicht klassifizierbaren interstitiellen Pneumonien beob-
achtet. Bislang wurden die Antifibrotika in einer Reihe qua-
litativ hochwertiger Studien untersucht. Nintedanib erwies
sich in den Studien INPULSIS (16), SCENSIS (17) und INBU-
ILD (18) als wirksam bei den Indikationen IPF, Skleroder-
ma-ILD und verschiedenen progredient fibrosierenden ILD,
inklusive RA-ILD. Pirfenidon erwies sich ebenfalls in Non-
IPF-ILD als wirksam, wobei die Qualität der Daten hier
etwas schlechter war (19).
s
Reno Barth
Quelle: State of the Art Session «Interstitial Lung Diseases» beim Jahreskongress der European Respiratory Society (ERS) am 6. September 2021, online.
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done in idiopathic pulmonary fibrosis. Am J Respir Crit Care Med. 2015;191(1):110-113. 2. Loeh B et al.: Lung CT Densitometry in Idiopathic Pulmonary Fibrosis for the Prediction of Natural Course, Severity, and Mortality. Chest. 2019;155(5):972-981. 3. Guenther A et al.: The European IPF registry (eurIPFreg): baseline characteristics and survival of patients with idiopathic pulmonary fibrosis. Respir Res. 2018;19(1):141.
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