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ESC
Duale antithrombotische Therapie nach Stent
Bei Hochrisikopatienten ist kürzer besser
Bei Patienten, die einen Stent erhalten, folgt bei tiefem Blutungsrisiko normalerweise eine duale Plättchenhemmung (DAPT) für 12 Monate, um allfällige Thrombosen zu verhindern. Aber was ist mit Patienten, die ein hohes Blutungsrisiko haben? Bei ihnen empfehlen die Guidelines zwar eine Verkürzung auf 6 oder gar auf 1 Monat, doch reflektiere diese Empfehlung nur gerade die Meinung von Experten, wie Prof. Marco Valgimigli vom Cardiocentro Ticino bemängelte. Deshalb initiierte er die MASTER-DAPTStudie. Am diesjährigen ESC-Kongress präsentierte er deren Resultate.
Die MASTER-DAPT-Studie wurde initiiert, um prospektiv die Frage zu klären, ob der Nutzen einer 1-monatigen DAPT versus einer länger dauernden DAPT hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse erhalten bleibt und gleichzeitig die Blutungsrate senkt. Die Studie war als nicht Unterlegenheitsstudie geplant. Als Kandidaten für die Studie eigneten sich Patienten mit akutem oder chronischem Koronarsyndrom, die durch eine perkutane Intervention (PCI) mit einem Sirolimus-eluting Stent (Ultimaster®) mit bioabbaubarer Polymerbeschichtung alle stenosierten Koronargefässe erfolgreich behandelt hatten und ein oder mehrere Kriterien (Kasten) für ein hohes Blutungsrisiko erfüllten. Jene Patienten, die während etwa eines Monats nach der PCI weder ischämische Ereignisse noch Blutungen aufwiesen und ihre DAPT regelmässig einnahmen, wurden in die Studie eingeschlossen. Die Teilnehmer wurden offen und 1:1-randomisiert entweder einer verkürzten (1 Monat) oder einer Standard-DAPT (6 Monate) zugewiesen.
Kriterien für ein hohes Blutungsrisiko
(≥ 2 Kriterien qualifizieren für ein hohes Blutungsrisiko)
1. orale Antikoagulation während ≥ 12 Monate 2. kürzlich aufgetretene, klinisch relevante Blutung 3. vormalige spitalpflichtige Blutung 4. Alter ≥ 75 Jahre 5. systemische Umstände mit erhöhtem Blutungsrisiko 6. Anämie (Hb < 11g/dl) oder Transfusion innert der letzten 4 Wochen 7. chronische Behandlung mit Steroiden oder nicht steroidalen
Antiphlogistika 8. Tumor mit erhöhtem Blutungsrisiko 9. Hirnschlag oder transiente ischämische Attacke innerhalb der letz-
ten 6 Monate 10. PRECISE DAPT Score ≥ 25
In der Studie waren 3 koprimäre Endpunkte definiert: 1. schwere klinische Ereignisse beziehungsweise die Kombination aus Gesamtmortalität, Myokardinfarkt, Hirnschlag, schwere, klinisch relevante und nicht schwere Blutungen; 2. schwere kardiale oder zerebrale Ereignisse; 3. Blutungen entsprechend der Definition des Bleeding Academic Research Consortium Typ 2, 3 oder 5 zwischen der Randomisierung und dem 335. Tag.
1 versus 6 Monate
Insgesamt nahmen 4547 durchschnittlich 76 Jahre alte Patienten aus 30 Ländern teil, sie erhielten nach median 34 Tagen nach PCI eine verkürzte (1 Monat) oder eine Standard-DAPT. Knapp 70 Prozent waren Männer und 36 Prozent hatten einen orale Antikoagulation, 48 Prozent unterzogen sich einer PCI wegen eines akuten Koronarsyndroms. Im Median wiesen die Patienten 2,1 Kriterien für ein hohes Blutungsrisiko auf. Die Patienten der 1-Monats-Gruppe stoppten die angefangene DAPT unmittelbar und setzen die Thromboseprophylaxe mit einem einzelnen Plättchenhemmer für 11 Monate bis zu Studienende fort. Eine Ausnahme bildeten Patienten, bei denen eine orale Antikoagulation klinisch indiziert war, sie setzten die Plättchenhemmermonotherapie für 5 Monate fort. Die Standardtherapiegruppe führte die DAPT während 5 weiteren Monaten durch (insgesamt 6 Monate). Patienten mit einer klinisch indizierten oralen Antikoagulation setzten die DAPT dagegen für 2 weitere Monate fort (insgesamt 3 Monate), gefolgt von einer Plättchenhemmer-Monotherapie für 11 Monate. In der 1-Monats-Gruppe wurden zur DAPT Acetylsalicylsäure (29%), Clopidogrel (54%), Ticagrelor (14%) und Prasugrel (1%) verwendet.
Gleich viele kardiovaskuläre Events, aber weniger Blutungen
Das Resultat nach 335 Tagen zeigte, dass die verkürzte DAPT verglichen mit der Standard-DAPT hinsichtlich schwerer
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klinischer Ereignisse (7,5 vs. 7,7%), schwerer kardialer und zerebraler Ereignisse (6,1 vs. 5,9%) der Standard-DAPT nicht unterlegen war. Zudem ereigneten sich unter dem kürzeren Regime weniger schwere und nicht schwere klinisch relevante Blutungen. Hier war die 1-Monats-DAPT der Standard-DAPT überlegen (6,5 vs. 9,4%). Bei Patienten nach Stenteinlage mit einem hohen Blutungsrisiko bleibt der Nutzen einer DAPT gemäss diesen Resultaten auch bei kurzer Anwendungszeit von einem Monat erhalten, es treten aber weniger Blutungen auf. Das gilt auch für Patienten mit akutem Koronarsyndrom oder komplexen Vielgefässläsionen, die laut Studienleiter Valgimigli im Gegensatz zu anderen Studien nicht ausgeschlossen worden waren. Diese Ergebnisse können als Entscheidungshilfe zur DAPT genutzt werden bei Patienten, die nach 30 Tagen nach der PCI ohne ischämisches Ereignis sind, aber ein hohes Blutungsrisiko haben, fasst Valgimigli die Bedeutung der Resul-
tate zusammen. Die MASTER-DAPT-Studie wurde zeit-
gleich mit der Präsentation am ESC-Kongress im «New Eng-
land Journal of Medicine» publiziert (3).
s
Valérie Herzog
Quelle: «Hotline 2», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 27. bis 30. August 2021, virtuell.
Referenzen: 1. Collet JP et al.: 2020 ESC Guidelines for the management of
acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation. Eur Heart J. 2021;42:1289-1367. 2. Valgimigli M et al.: 2017 ESC focused update on dual antiplatelet therapy in coronary artery disease developed in collaboration with EACTS. Eur Heart J. 2018;39:213-254. 3. Valgimigli M et al.: Dual Antiplatelet Therapy after PCI in Patients at High Bleeding Risk. N Engl J Med. 2021;10.1056/NEJMoa2108749. doi:10.1056/NEJMoa2108749
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