Transkript
ESC
Atherosklerose
Intensivierte Lipidsenkung mit Halbjahresspritze
Weil lipidreiche Plaques bei atherosklerotischen Patienten hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse gefährlicher sind als lipidarme, ist eine effiziente Lipidsenkung eine gute Investition in die Zukunft. Mit dem modernen Ansatz der PCSK9-Synthese-Blockade kann mit einer zweimal jährlichen Injektion eine beträchtliche Lipidsenkung erreicht werden, wie am virtuellen Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) zu erfahren war.
Bei Plaques mit erhöhtem Risiko für eine Thrombose kann ein potenziell belastender, aber momentan noch harmloser Trigger irgendwann später ein kardiales Ereignis auslösen. Diese Beobachtung habe zu der Bezeichnung «vulnerable Plaque» geführt, berichtete Prof. Robert A. Byrne, Mater Private Network an der RCSI University, Dublin (Irland), am ESC-Kongress. Dabei sind lipidreiche Plaques eher mit kardiovaskulären Ereignissen verbunden als lipidarme, wie eine Studie zeigte, in der Patienten mit Verdacht auf koronare Herzkrankheit prospektiv mit einer intravaskulären Bildgebungsmethode auf lipidreiche Plaques untersucht wurden (1). Das präventive Ziel ist es daher, einen erhöhten LDL-Cholesterin-(LDL-C-)Spiegel zu senken, um atherosklerotisch bedingte kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern.
PCSK9-Synthese direkt blockieren
Etwa ein Viertel der Patienten mit atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung (ASCVD) habe eine polyvaskuläre Erkrankung (PVD), was die kardiovaskuläre Prognose weiter verschlechtere, wie Prof. Wolfgang Koenig, Deutsches Herzzentrum, München (D), betonte. Eine starke Lipidsenkung kann zum Beispiel durch monoklonale Antikörper (Alirocumab, Evolocumab) erfolgen, die an das Protein PCSK9 binden und so die Aufnahme von LDL-C aus dem Blut in die Leber erhöhen. Damit sinkt der LDL-C-Spiegel im Blut. Eine weitere Möglichkeit ist aber auch die direkte Blockade der hepatischen PCSK9-Synthese mit Inclisiran. Dabei handelt es sich um ein Small-Interfering-RNA-(siRNA-)Molekül, das durch RNA-Interferenz selektiv die Synthese von hepatischem PCSK9 verhindert. Damit sinkt der LDL-C-Spiegel ebenfalls. Mehrere Studien aus dem ORION-Studien-Programm haben gezeigt, dass mit Inclisiran, alle 6 Monate subkutan appliziert, zusätzlich zu einer maximal verträglich dosierten Statintherapie oder anderen Lipidsenkern gegenüber Plazebo eine Differenz des LDL-Spiegels um fast 50 Prozent erreichbar ist. Das trifft für Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie (ORION-9) (2), für Patienten mit ASCVD (ORION-10) (3) sowie für Patienten mit ASCVD und ASCVD-Risikoäquivalenten (ORION-11) (3) zu. In der nun am ESC-Kongress vorgestellten gepoolten Analyse aller 3 Studien ging es um die Wirkung von Inclisiran gegenüber Plazebo bei Patienten mit und ohne polyvaskuläre Erkrankung (PVD). Diese war definiert durch ≥ 2 betroffene Gefässe. Die 3660 Patienten wiesen ein LDL-C ≥ 1,8 mmol/l trotz maximal verträglich dosierter Statintherapie auf,
jene mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie ≥ 2,6 mmol/l. Die Patienten aus den 3 Studien wurden 1:1 zu zusätzlich 300 mg Inclisiran oder Plazebo randomisiert. Die erste Injektion erhielten sie an Tag 1, die zweite an Tag 90 und dann alle 6 Monate bis Tag 540. Als primäre Endpunkte waren die plazebokorrigierte prozentuale Veränderung des LDL-C bis Tag 510 und die zeitkorrigierte Veränderung zwischen Tag 90 und Tag 540 definiert.
50-prozentige Senkung
Die Auswertung bis Tag 510 zeigte für die Patienten mit PVD eine plazebokorrigierte Senkung des LDL-C um 48,9 Prozent (Inclisiran –40,9% vs. Plazebo +8,0%). Bei den Patienten ohne PVD betrug die Differenz 51,5 Prozent (Inclisiran –45,8% vs. Plazebo +5,7%). In absoluten Zahlen resultierte der LDL-C-Spiegel unter Inclisiran bei –1,3 mmol/ vs. +0,2 mmol/l beziehungsweise –1,4 mmol/l vs. +0,1 mmol/l. Die Unterschiede waren signifikant. Die prozentuale Veränderung zwischen Tag 90 und Tag 540 war ähnlich hoch: Bei Patienten mit polyvaskulärer Erkrankung lag die Differenz unter Inclisiran bei 50,6 Prozent, bei Patienten ohne polyvaskuläre Erkrankung bei 51,2 Prozent. Die Nebenwirkungen waren bei beiden Gruppen ähnlich. Unter Inclisiran traten Reaktionen an der Einstichsstelle häufiger auf als unter Plazebo (5 vs. 0,7%), diese waren jedoch milder und vorübergehender Natur. Leber- und Nierenfunktions- sowie Kreatininwerte unterschieden sich nicht zwischen den Gruppen, ebenso wenig die Thrombozytenzahl. Die Studie zeigt also, dass Inclisiran 2-mal jährlich zusätzlich zu einer maximal verträglich dosierten Statintherapie mit oder ohne andere Lipidsenker den LDL-C-Wert wirksam und verträglich bei Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie, mit ASCVD oder ASCVD-Risikoäquivalenten senkt (4). Weil für Patienten mit polyvaskulärer Erkrankung ein sehr hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bestehe, könne eine intensive Risikoreduktion daher sinnvoll sein, so König. Eine 2-mal jährliche Verabreichung trage ausserdem zu einer besseren Adhärenz bei und damit zu einer kürzeren Expositionszeit hoher Lipidwerte, was sich sicher in einer reduzierten Ereignisrate niederschlagen würde. s
Valérie Herzog
Quelle: «Evolving frontiers for coronary artery disease», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 27. bis 30. August 2021, virtuell.
8 CongressSelection Kardiologie | Diabetologie | Dezember 2021
Referenzen: 1. Waksman R et al.: Identification of patients and plaques vulne-
rable to future coronary events with near-infrared spectroscopy intravascular ultrasound imaging: a prospective, cohort study. Lancet. 2019;394(10209):1629-1637. doi:10.1016/S01406736(19)31794-5 2. Raal FJ et al.: Inclisiran for the treatment of heterozygous familial hypercholesterolemia. N Engl J Med. 2020;382:1520-1530. doi: 10.1056/NEJMoa1913805 3. Ray KK et al.: Two phase 3 trials of inclisiran in patients with elevated LDL cholesterol. N Engl J Med. 2020;382:1507-1519. doi: 10.1056/NEJMoa1912387 4. Wright RS et al.: Pooled patient-level analysis of Inclisiran trials in patients with familial hypercholesterolemia or atherosclerosis. J Am Coll Cardiol. 2021;77(9):1182-1193. doi:10.1016/j. jacc.2020.12.058