Transkript
RHEUMA TOP
Hüftgelenkersatz
Patienten entscheiden über Operationszeitpunkt
Zur Patientenzufriedenheit können Hausärztinnen und Hausärzte im Rahmen der Patientenführung viel beitragen. Das betrifft sowohl die Phase vor einem geplanten Hüftgelenkersatz als auch die postoperative Nachsorge. Wichtig ist zu wissen, worauf man verzichten sollte.
Die Indikation zur Hüfttotalprothese ist dann zu stellen, wenn ein anhaltend grosser Leidensdruck trotz konservativer Therapie besteht. Dieser Zeitpunkt sollte so spät wie möglich, aber so früh, wie es sinnvoll sei, gewählt werden – unabhängig vom Patientenalter, erklärte PD Dr. Patrick Zingg, Universitätsklinik Balgrist, Zürich. Wie das in der Schweiz gehandhabt wird, erhellt das SIRIS-Register (www.sirisimplant.ch). Demnach erfolgen jährlich rund 500 Hüftimplantate auf 100 000 Risikopatienten über 50 Jahre. Dieser Wert war über die letzten Jahre ziemlich konstant, jedenfalls ohne Zuwachs über die demografische Entwicklung hinaus. Das Durchschnittsalter der Implantatempfänger lag bei 66 Jahren für Männer und bei 70 Jahren für Frauen; der Frauenanteil betrug 53 Prozent. Es ist der Patient, der über den Zeitpunkt entscheidet, jeweils in Abhängigkeit von der individuellen Erwartung an Lebensqualität und Leistungsfähigkeit. In speziellen Fällen wird auch der Orthopäde zur Operation drängen, beispielsweise bei ausgedehnter Zerstörung im Hüftgelenk im Rahmen einer rheumatoiden Arthritis. Eine Hüftarthroskopie ist in der Regel nicht sinnvoll, da die Zeitspanne bis zum künstlichen Hüftgelenk zu kurz ist. Patienten mit Hüftarthrose erfahren durch diesen Eingriff sehr oft keine durchschlagende Besserung der Beschwerden, so dass schon sehr bald trotzdem eine Prothesenoperation erfolgen muss. Dieser Eingriff ist dann erfolgreich, wenn Formstörungen und Labiumläsionen ohne Knorpelschaden vorliegen.
KURZ & BÜNDIG
� Floride Infekte oder auch Ulzera sind Kontraindikationen für eine Operation.
� Bei Wundheilungsstörung oder Wundinfekt sind Wundabstriche zu unterlassen.
� Gelenkprotheseninfektionen nach einem zahnmedizinischen Eingriff sind äusserst selten und rechtfertigen keine prophylaktische Antibiotikagabe.
Präoperative Betreuung
Zu den Erwartungen der Patienten an einen Hüftersatz gehören Schmerzfreiheit, Funktionsverbesserung (Beweglichkeit, Gehen, Sport) sowie die Dauerhaftigkeit des Operationsresultats. Zur Patientenzufriedenheit können auch Hausärztinnen und Hausärzte im Rahmen der Patientenführung viel beitragen. Wie Erhebungen aus Grossbritannien gezeigt haben, ist die postoperative Patientenzufriedenheit auch im höheren Alter gegeben. Zudem ist der finanzielle Aufwand beim Hüftgelenkersatz im Vergleich zu anderen gängigen Eingriffen (Organtransplantationen, Bypassoperationen, Sprunggelenkprothesen usw.) wesentlich geringer. Bei 80-Jährigen ist die Mortalität im Zusammenhang mit dem Eingriff naturgemäss höher, im Vergleich zu Patienten unter 60 Jahren ungefähr 20-mal höher. Die gesteigerte perioperative Mortalität ist jedoch vor dem Hintergrund der im fortgeschrittenen Alter höheren Sterberate zu sehen. Durch die Prothesenoperation ist für die 30-Tages-Mortalität nach dem Eingriff mit einer Erhöhung um 1 bis 1,5 Prozent zu rechnen. Das bedeute, dass auch bei 80-Jährigen und Älteren eine gute Chance bestehe, mit niedrigem Risiko ein gutes Operationsergebnis zu erzielen, stellte Zingg klar. Eine individuelle Abwägung des Risikos, am besten in Zusammenarbeit zwischen Orthopäden, Anästhesisten und Hausärzten, ist dabei zwingend. Nach Hüftgelenkersatz können 94 Prozent wieder Sport treiben. Im Allgemeinen sind dabei schonendere Sportarten zu bevorzugen. Eine Rückkehr zu sportlicher Aktivität ist wahrscheinlicher bei jüngeren Patienten, geringerem Körpergewicht und vorangegangener sportlicher Betätigung. Für die Patienten ist die Dauerhaftigkeit der Prothese bedeutsam. Nach Registerdaten aus Schweden ist davon auszugehen, dass Personen über 75 Jahre nach 15 Jahren noch zu 94 Prozent und nach 20 Jahren immer noch zu 93 Prozent die erste Hüftprothese haben. Deutlich tiefer sind diese Prozentsätze (75 bzw. 63%) jedoch bei Patienten, die schon unter 50 Jahren eine Hüftprothese benötigen. Im Einzelfall lässt sich nicht vorhersagen, wer zu den Glücklichen gehört, deren Prothese besonders lange hält, und wer sich schon früh mit einer Reoperation konfrontiert sieht.
14 CongressSelection Rheumatologie | November 2021
RHEUMA TOP
Die postoperative Zufriedenheit hängt in hohem Mass davon ab, wie angemessen die Erwartungen präoperativ waren. Abstriche muss man bei dieser Erwartung machen, wenn eine sekundäre Arthrose vorliegt, ferner bei Revisionseingriffen sowie vorbestehenden Pathologien, beispielsweise der Abduktoren oder der Wirbelsäule. Hautläsionen sind eine häufige Infektursache. Floride Infekte oder auch Ulzera sind Kontraindikationen für eine Operation. Präoperativ wird eine zahnärztliche Kontrolle empfohlen. Adipositas ist ein grosses Risiko für die Notwendigkeit von Revisionseingriffen und muss schon präoperativ thematisiert werden. Vom Hüftgelenkersatz darf man nicht erwarten, dass es postoperativ zu einer Gewichtsabnahme kommt. Das gilt für Normalgewichtige und Adipöse gleichermassen. Deshalb sollte bei deutlich Übergewichtigen immer versucht werden, das Gewicht präoperativ zu senken, idealerweise auf einen Body-Mass-Index unter 30. Auch mit Arthrose im Hüftgelenk ist ein körperliches Training möglich und hilft bei der angestrebten Gewichtsabnahme. Diabetiker haben ein erhöhtes Infektionsrisiko. Dabei ist das HbA1c ein schlechter Prädiktor. Entscheidend ist der Blutzuckerverlauf direkt um den Operationszeitpunkt und in den folgenden Wochen, was eine besonders gute Betreuung erfordert.
Nachbehandlung
Die Behandlung nach dem Eingriff muss individuell erfolgen und ist abhängig vom operativen Vorgehen. Nach unkomplizierter Operation mit standardmässigem anteriorem Zugang ist die Vollbelastung an zwei Stöcken für zwei Wochen möglich. Bei azetabulärem Knochenaufbau ist hingegen nur eine Teilbelastung (15 kg) während sechs Wochen erlaubt. Das gilt auch nach Trochanterosteotomie oder Abduktorenrevision, die eine längere Phase der Teilbelastung mit zusätzlicher Bewegungseinschränkung (Flexion, Abduktion, Adduktion) erfordern. Nach anteriorem und anterolateralem Zugang dürfen die Patienten keine kombinierte Extension und Aussenrotation durchführen, umgekehrt sind nach posteriorem
Zugang Flexion, Adduktion und Innenrotation zu vermei-
den.
Bei Wundheilungsstörung oder Wundinfekt sind Wundab-
striche zu unterlassen, da sie ohnehin nur die Befunde der
physiologischen Hautflora ergeben würden. Sinnvoll ist hin-
gegen eine korrekte Diagnostik zum Ausschluss eines Infekts.
Dazu gehören Entzündungsparameter (Blutsenkung, C-re-
aktives Protein) sowie eine Gelenkpunktion mit Erfassung
von Zellzahl, Zelldifferenzierung und Bakteriologie (2 Wo-
chen nach letzter Antibiotikaeinnahme). Eine Antibotikaver-
abreichung sollte – ausser in seltenen Notsituationen – nicht
vor einer umfassenden Diagnostik erfolgen.
Die Infekthäufigkeit liegt im ersten postoperativen Jahr bei
1 Prozent. Spätinfekte ab dem dritten Jahr kommen mit nied-
riger Frequenz ebenfalls vor und machen 1 Prozent über zehn
Jahre aus. Gelenkprotheseninfektionen nach einem zahnme-
dizinischen Eingriff sind äusserst selten und rechtfertigen
keine prophylaktische Antibiotikagabe. In den ersten drei
Monaten nach dem Eingriff herrscht im Hüftgelenk eine pe-
riartikuläre Hyperämie, die lokale Infekte begünstigt. Nach
Möglichkeit sollte in diesem Zeitraum auf zahnmedizinische
Eingriffe verzichtet werden. Nur bei Patienten aus Risiko-
gruppen (Immunsuppression, Diabetes, rheumatoide Arthri-
tis, fortgeschrittene Leberzirrhose usw.) ist eine Antibiotika-
prophylaxe vor Eingriffen in der Mundhöhle zu erwägen.
Postoperativ ist immer, bedingt durch eine Abduktorenkon-
traktur, eine gewisse Beilängendifferenz vorhanden, die nicht
zu einer frühzeitigen Verordnung von Schuheinlagen verfüh-
ren sollte. Vielmehr schaffen hier Dehnungsübungen Besse-
rung. Besteht auch nach sechs Monaten noch eine störende
Beinlängendifferenz, ist eine erneute Überweisung zum Or-
thopäden wichtig, um den Kontext sorgfältig abklären zu
lassen.
s
Halid Bas
Quelle: Workshop: «Hüftgelenksersatz – Dos and Don’ts für den Hausarzt», Rheuma Top 2021, online am 26. August 2021.
CongressSelection Rheumatologie | November 2021
15