Transkript
RHEUMA TOP
Gicht
Beherzt im Anfall, mit langem Atem in der Prophylaxe
Die Gicht kann auch bildgebend diagnostiziert werden, die Anfallsbehandlung sollte rasch eine adäquate Entzündungshemmung bewirken, die Prophylaxe vor weiteren Schüben muss meistens medikamentös begleitet werden und konsequent erfolgen. Ein kurzer Abriss der Empfehlungen zum Vorgehen.
Der subjektive Eindruck, dass Gichtfälle in der täglichen Praxis immer häufiger würden, täusche nicht, sagte Prof. Diego Kyburz, Chefarzt Rheumatologie, Universitätsspital Basel, mit Blick auf die Prävalenzdaten, die einen kontinuierlichen Anstieg, vor allem bei Männern, inzwischen aber auch bei Frauen, dokumentieren. Die Ablagerung von Harnsäurekristallen erfolgt durch Ausfällung oberhalb der Löslichkeitsgrenze. Die Uratkristalle stimulieren das angeborene Immunsystem (NLRP3-Inflammasom) und führen zur Freisetzung von Interleukin 1 beta und zur Entstehung der bekannten Entzündungsphänomene. Der erhöhte Harnsäurespiegel geht in 90 Prozent der Fälle auf eine verminderte (vorwiegend renale) Exkretion zurück und beruht nur bei 10 Prozent auf einer erhöhten endogenen Purinsynthese. Von Bedeutung sind bei der Gicht die Komorbiditäten wie kardiovaskuläre Komplikationen und metabolische Störungen (Typ-2-Diabetes, metabolisches Syndrom, Übergewicht) sowie eine einsetzende und progrediente Verschlechterung der Nierenfunktion (inkl. Nierensteinbildung). Gichtpatienten haben ein erhöhtes Risiko, an Herz-Kreislauf-Leiden zu versterben, und zwar auch unabhängig von vorbestehenden kardiovaskulären Erkrankungen (1). In einer grossen Ko-
KURZ & BÜNDIG
� Die Prävalenz der Gicht nimmt zu.
� Wichtig sind die häufig vorliegenden Begleiterkrankungen (Herz und Gefässe, Niere, Diabetes) und damit in Zusammenhang eine erhöhte Mortalität.
� Die Anfallstherapie stützt sich auf NSAR, Colchizin und Steroide.
� Die Prophylaxe beruht auf der Harnsäuresenkung mit Allopurinol oder Febuxostat.
� Das Monitoring der Uratwerte und die Anpassung der Therapie entscheiden über den Langzeiterfolg der Harnsäuresenkung.
hortenstudie ergab sich für die Beziehung zwischen Gesamtund kardiovaskulärer Mortalität sowie Uratspiegel eine u-förmige Kurve, für krebsbedingte Todesfälle bestand jedoch keine Mortalitätssteigerung bei hohen Uratwerten (2).
Diagnose auch mit Bildgebung möglich
Standard bei der Diagnose ist der Nachweis von Uratkristallen im Gelenkpunktat. Eine Alternative ist die Bildgebung, die heute oft mittels Ultraschall erfolgt. Typischer Befund ist eine Doppelkontur durch Kristallablagerung auf dem Knorpel. Im konventionellen Röntgenbild können in fortgeschrittenen Stadien Erosionen sichtbar sein, eine präzisere Darstellung der Uratablagerungen erlaubt die Dual-EnergyComputertomografie (DECT). Viel weniger bekannt als Monathritiden und Tophi an typischer Lokalisation ist die Möglichkeit eines axialen Befalls (mit einer Prävalenz von 14 bis 35%). Diese Manifestation kann als akutes lumbales oder zervikales Schmerzsyndrom imponieren, begleitet von akut erhöhten Entzündungsparametern, die die Frage einer akuten infektiösen Genese aufwerfen.
NSAR ausreichend hoch dosieren
In der Therapie beim akuten Gichtanfall stehen orale, nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) an erster Stelle. Die NSAR sollten in dieser Indikation hoch dosiert werden, um eine ausreichende Entzündungshemmung zu erzielen. Für Diclofenac nannte Kyburz eine Dosis von 150 mg/Tag, für Ibuprofen bis 2400 mg/Tag. Dabei sind Kontraindikationen und Nebenwirkungen zu beachten. Eine Alternative bieten COX-2-Hemmer (Etoricoxib 60 mg/Tag, Celecoxib bis 400 mg/Tag). An zweiter Stelle steht der Einsatz von Colchizin. In der Anfallstherapie gibt man 1 mg sofort und 0,5 mg nach einer Stunde per os. Ab dem zweiten Tag beträgt die Dosis 2-mal 0,5 mg/Tag. Dosisanpassungen sind notwendig bei Niereninsuffizienz (GFR 30–60 ml/min) und Leberinsuffizienz (Child A/B). Hier verabreicht man 1 mg Colchizin am ersten Tag und einmal 0,5 mg/Tag ab dem zweiten Tag. Zu beachten sind Interaktionen mit starken CYP3A4-Inhibitoren und PGP-Hemmern. Eine weitere Therapieoption bieten Ste-
18 CongressSelection Rheumatologie | November 2021
RHEUMA TOP
roide, entweder per os oder intraartikulär, wenn zur Diagnostik ohnehin punktiert werden muss. Ist die Anwendung weder von NSAR noch von Colchizin oder einem Steroid möglich – beispielsweise bei Diabetes –, besteht die Option einer Interleukin-1-Inhibition mit Canakinumab. Diese ist sehr effektiv. Allerdings ist Canakinumab für diese Indikation nicht zugelassen, weshalb es nur in seltenen ausgewählten Fällen und nach Kostengutsprache eingesetzt werden kann.
Mit Ernährungsumstellung allein kommt man kaum zum Ziel
Die Prophylaxe hat bei etablierter Gicht zum Ziel, weitere Schübe zu verhindern, die Bildung neuer Uratkristalle zu unterbinden sowie bestehende Kristallablagerungen und Tophi aufzulösen. Das gelingt, wenn der Harnsäurespiegel unter die Löslichkeitsgrenze von 360 µmol/l gesenkt werden kann. Der Zielwert für die Harnsäure ist somit ≤ 360 µmol/l, sollte aber bei Vorliegen von Tophi tiefer angesetzt werden (bei 300 µmol/l). Dieser Zielwert orientiere sich an der physikalischen Löslichkeitsgrenze und nicht an den Normalwerten der Labore, die sich nach Standardabweichungen richteten, präzisierte Kyburz. Für die Prophylaxe bringen Ernährungsumstellungen durchaus etwas. So sollten Gichtpatienten fruktosehaltige Getränke meiden, ebenso Alkohol und hier vor allem Bier. Angeraten wird auch Zurückhaltung bei Purinquellen in der Nahrung (rotes Fleisch, Innereien, Meeresfrüchte, Hülsenfrüchte). Als hilfreich zum Erreichen des Zielwerts gilt auch die erhöhte Einnahme von entrahmter Milch, fettarmem Joghurt, pflanzlichem Eiweiss, Kirschen, Kaffee und Vitamin C. Bei der oft angezeigten Reduktion des Körpergewichts ist zu beachten, dass sie sanft erfolgt (–1 kg/Monat) und Crash-Diäten sowie eiweissreiche Diäten vermieden werden. Auch bei sorgfältiger Beachtung der diätetischen Vorgaben ist jedoch nur eine Harnsäurereduktion von 10 bis 15 Prozent zu erwarten. Mit rein ernährungsbezogenen Massnahmen werde man den Zielwert somit sehr oft nicht erreichen, sagte Kyburz warnend. Bei vielen Patienten ist eine medikamentöse Harnsäuresenkung unumgänglich. Gemäss Leitlinien steht dabei Allopurinol an erster Stelle. Die Anfangsdosis beträgt 100 mg/Tag. Sie wird alle 2 bis 4 Wochen um 100 mg/Tag gesteigert, in der Regel bis 300 mg/Tag. Ist damit der Zielwert noch nicht erreicht, kann man die Allopurinoldosis durchaus weiter anheben, bis auf maximal 900 mg/Tag. Eine Dosisanpassung ist jedoch bei Niereninsuffizienz zwingend. Wichtig ist ferner die Interaktion mit Azathioprin und 6-Mercaptopurin, die bei Autoimmunleiden häufig verschrieben werden. Hier muss die Allopurinoldosis auf ein Viertel reduziert werden.
Febuxostat als gute Alternative
Bei ungenügender Wirkung von Allopurinol oder Kontraindikationen gegen diese Substanz bietet Febuxostat, ein nicht purinbasierter Xanthinoxidasehemmer, eine Alternative. Febuxostat wird vorwiegend hepatisch ausgeschieden, eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz (GFR > 30 ml/min) ist deshalb nicht notwendig. Zum Einsatz bei stärkerer Niereneinschränkung gibt es nur wenig Daten. Die Dosierung beträgt anfangs 40 mg/Tag und kann nach 2 bis 4 Wochen auf
80 mg/Tag gesteigert werden, wenn der Harnsäurespiegel
immer noch über 360 µmol/l liegt. Bei Behandlung mit Aza-
thioprin oder 6-Mercaptopurin ist Febuxostat kontraindi-
ziert, und Vorsicht ist geboten bei schwerer Leberinsuffizienz
(Child C).
Die 2018 publizierte CARES-Studie hatte Zweifel an der
kardiovaskulären Sicherheit von Febuxostat gestreut, da
zwar die Rate kardiovaskulärer Ereignisse sich nicht von der-
jenigen unter Allopurinol unterschied, aber die Gesamt- und
die kardiovaskuläre Mortalität unter Febuxostat erhöht er-
schienen (3). Die FAST-Studie hat hierzu neuere Daten ge-
liefert und Entwarnung gegeben (4). In einer offenen Studie
wurde eine Risikopopulation (Alter > 60 J., mind. 1 kardio-
vaskulärer Risikofaktor, n = 6120) zu Allopurinol oder Febu-
xostat randomisiert. Der primäre Endpunkt war zusammen-
gesetzt aus Hospitalisation wegen Myokardinfarkt, akutem
Koronarsyndrom, Schlaganfall und tödlichem kardiovasku-
lärem Ereignis. Hinsichtlich dieses primären Endpunkts be-
stand für Febuxostat kein Unterschied zu Allopurinol, das
Non-Inferiority-Niveau wurde erreicht. Separat wurde zu-
sätzlich die kardiovaskuläre Mortalität untersucht, was
ebenfalls keinen statistisch signifikanten Unterschied ergab.
Die Indikation zur Harnsäuresenkung ist gegeben bei mehr
als zwei Gichtanfällen pro Jahr, ferner bei Vorliegen von
Tophi oder Nierensteinen. Bei jungen Patienten unter
40 Jahren mit hohem Uratspiegel (> 480 µmol/l) und/oder
Begleiterkrankungen ist die Indikation schon bei Erstmani-
festation zu stellen. Die Prophylaxe beginnt man 2 Wochen
nach einem akuten Schub, als Schubprophylaxe sollte man
Colchizin (0,5–1 mg/Tag) für 6 Monate verschreiben.
Gicht ist bei adäquater Harnsäuresenkung zwar heilbar, die
Realität sieht aber anders aus, denn viele Patienten sind nicht
adäquat eingestellt, und die Therapieadhärenz liegt unter
50 Prozent. Deshalb ist eine gute Langzeitüberwachung der
Harnsäurewerte mit Therapieanpassungen notwendig. Pati-
enteninformation, -schulung und -partizipation seien ent-
scheidend, betonte Kyburz.
s
Halid Bas
Quelle: Vortrag «Gicht – was ist neu?», Rheuma Top 2021, online am 26. August 2021.
Referenzen: 1. Choi HK et al.: Independent impact of gout on mortality and risk
for coronary heart disease. Circulation. 2007;116(8):894–900. 2. Kuo CF et al.: Significance of serum uric acid levels on the risk of
all-cause and cardiovascular mortality. Rheumatology (Oxford). 2013;52(1):127–134. 3. White WB et al.: Cardiovascular Safety of Febuxostat or Allopurinol in Patients with Gout. N Engl J Med. 2018;378(13):1200–1210. 4. Mackenzie IS et al.: Long-term cardiovascular safety of febuxostat compared with allopurinol in patients with gout (FAST): a multicentre, prospective, randomised, open-label, non-inferiority trial. Lancet. 2020;396(10264):1745–1757.
CongressSelection Rheumatologie | November 2021
19