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EAU
Neue Behandlungsmöglichkeiten beim Prostata- und Blasenkarzinom
Vom PSA-Screening zur Gentherapie
Die Uroonkologie wird auf dem Kongress der European Association of Urology vor allem aus einer klinisch-praktischen Perspektive behandelt. Oft werden die Implikationen bereits publizierter oder auf onkologischen Kongressen bereits vorgestellter Arbeiten diskutiert, daneben werden jedoch auch wichtige Erstpräsentationen gezeigt.
Ein zentrales onkologisches Thema am diesjährigen Kongress der European Association of Urology war das Screening auf Prostatakarzinom. Angesichts der suboptimalen Treffsicherheit von PSA als Biomarker werden dringend Strategien gesucht, um die Aussagekraft von PSA zu verbessern beziehungsweise bei Männern mit erhöhtem PSA Karzinome ausschliessen zu können. Eine solche Strategie könnte in einer besseren Vorselektion der Männer liegen, die zum Screening kommen. In der deutschen PROBASE-Studie wird ein risikoadaptiertes Screening nach Ausgangs-PSA und Alter untersucht. Dr. Christian Arsov von der Universität Düsseldorf gab im Rahmen einer Special Session des Kongresses einen ersten Einblick in die Ergebnisse. Das Design der Studie geht von der Beobachtung aus, dass das PSA im Alter zwischen 45 und 50 Jahren ein starker Prädiktor für eine fortgeschrittene Prostatakrebserkrankung 30 Jahre später ist. Das wird in der PROBASE-Studie nun prospektiv untersucht. Zwischen 2014 und 2019 wurden mehr als 46 000 Männer im Alter von 45 Jahren in die Studie aufgenommen. Bei den Probanden wurden entweder sofort das PSA bestimmt (Arm A), oder sie erhielten eine rektale Tastuntersuchung und einen PSA-Test im Alter von 50 Jahren (Arm B). Die getesteten Probanden wurden nach ihren PSA-Werten in die Risikogruppen hoch, mittel und niedrig eingeteilt, wobei hoch durch ein bestätigtes PSA von mehr als 3 ng/ml definiert war. Ein hohes Risiko war selten. Bei 344 Probanden lag das PSA beim ersten Test über 3 ng/ml, was mit einem zweiten Test nur bei 179 Männern bestätigt wurde. An die 90 Prozent der Kohorte fiel in die Low-risk-Gruppe. Schliesslich wurden 120 Studienteilnehmer biopsiert, wobei 48 Karzinome gefunden wurden, was bei 23 201 Probanden in Arm A einer Prävalenz von 0,2 Prozent entspricht. In Arm B hatten 57 Männer einen auffälligen Befund in der digital-rektalen Untersuchung und wurden biopsiert, wobei nur 2 Karzinome entdeckt wurden.
Damit zeige die PROBASE-Studie, so Arsov, dass bei jungen Männern nur dann eine Biopsie durchgeführt werden solle, wenn ein erhöhtes PSA durch einen zweiten Test bestätigt werde. Die Daten zeigen auch, dass Prostatakarzinome bei 45-jährigen Männern sehr selten sind.
Bildgebung kann Biopsien verhindern
Wesentlich zu einer zielgerichteten Indikation für eine Biopsie beitragen könnte in den nächsten Jahren die Magnetresonanztomografie (MRT). Daten aus einer Kohorte von mehr als 12 000 Männern werden in der schwedischen STHLM3MRI-Studie ausgewertet. Alle Probanden der Studie wurden zunächst auf PSA getestet. Lag dieses über 3 ng/ml, so erhielten die Männer randomisiert entweder eine Standardbiopsie oder zunächst eine MRT-Untersuchung. Wurden in der MRT Hinweise auf pathologische Läsionen gefunden, folgten Standard- und gezielte Biopsien. Über die gesamte Population lag das mediane Alter der Probanden bei 61 Jahren und das PSA bei 1 ng/ml, die randomisierten Studienteilnehmer (MRT-Gruppe) waren im Median 66 Jahre alt und hatten ein PSA von 4,3 ng/ml. Bei mehr als 50 Prozent der Männer mit erhöhtem PSA wurden in der MRT keine pathologischen Läsionen gefunden. Letztlich wurden im randomisierten Arm bei 21 Prozent der Männer mit einem PSA über 3 ng/ml klinisch signifikante Prostatakarzinome, definiert durch einen Gleason-Score von 7 oder mehr, gefunden. Im Vergleichsarm wurden bei 18 Prozent der Männer mit einem PSA über 3 ng/ml klinisch signifikante Karzinome diagnostiziert. Damit konnte die Nichtunterlegenheit des MRTProtokolls gezeigt werden. Bei 4 Prozent der Patienten im experimentellen und bei 12 Prozent im Standardarm wurden klinisch nicht signifikante Karzinome entdeckt. Im MRTArm wurden um rund die Hälfte weniger Biopsien durchgeführt als im Standardarm. Der Vermeidung von Biopsien steht ein hoher Bedarf nach MRT-Untersuchungen gegenüber (1).
2 CongressSelection Urologie | November 2021
EAU
Neue Radioliganden-Therapie beim Prostatakarzinom
Unter den präsentierten Studien zur Therapie des Prostatakarzinoms sticht vor allem eine bereits prominent publizierte heraus: die Phase-III-Studie VISION, die die Wirksamkeit einer Radioliganden-Therapie mit Lutetium-177-(177Lu-) PSMA-617 untersuchte. Die Therapie nütze den Umstand, dass das prostataspezifische Membran-Antigen (PSMA) vom metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinom in hohem Mass exprimiert werde, so Prof. Dr. Johann de Bono vom britischen Institute of Cancer Research. Der Ligand 177Lu-PSMA-617 bindet an PSMA, setzt Betastrahlung frei und führt so zu einer lokalen Strahlenexposition PSMA-exprimierender Zellen und ihrer Umgebung. In die internationale, offene Phase-III-Studie VISION waren mehr als 800 Patienten mit metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom eingeschlossen. Einschlusskriterien waren Vorbehandlung mit mindestens einem Androgen-Rezeptor-Blocker und mindestens eine taxanhaltige Chemotherapie sowie ein mittels PET-CT nachgewiesener PSMA-exprimierender Tumor. Die Patienten wurden mit 177Lu-PSMA-617 plus Standardtherapie oder mit Standardtherapie allein behandelt. Primäre Endpunkte waren das progressionsfreie Überleben sowie das Gesamtüberleben. Als sekundäre Endpunkte wurden das objektive Ansprechen, die Krankheitskontrolle und die Zeit bis zum ersten symptomatischen skelettbezogenen Ereignis erhoben. Sowohl das progressionsfreie als auch das Gesamtüberleben wurden durch 177Lu-PSMA-617 plus Standardtherapie signifikant verlängert, damit wurden die beiden primären Endpunkte erreicht. Das kombinierte Risiko von Progression oder Tod war um 60 Prozent reduziert (Hazard Ratio: 0,40; 99,2%-Konfidenzintervall: 0,29 bis 0,57; p < 0,001). Das Gesamtüberleben lag bei 15,3 vs. 11,3 Monaten. 177LuPSMA-617 führte zu keiner Verschlechterung der Lebensqualität, obwohl unerwünschte Wirkungen vom Grad 3 in der Verumgruppe häufiger auftraten als unter Plazebo (52,7 vs. 38,0%). (2)
Blasenkarzinom: Gentherapie in den USA zugelassen
Beim Blasenkarzinom zeichnen sich interessante Entwicklungen ab, und Therapien mit vollkommen neuen Wirkmechanismen stehen kurz vor der Einführung in die Klinik. Das betrifft zum Beispiel die Gentherapie mit Nadofaragene firadenovec, einem nicht replizierenden, rekombinanten Typ-5-Adenovirus, das eine Kopie des menschlichen Interferon-alpha-2b-Gens transportiert. Das Virus infiziert nach intravesikaler Instillation Tumorzellen, die darauf das antineoplastische Interferon alpha-2b produzieren, was wiederum zur Aktivierung von Genen führt, die antivirale, antiproliferative und immunmodulierende Effekte anstossen. Die Anfang des Jahres publizierte Phase-III-Studie erreichte ihren primären Endpunkt. Nadofaragene firadenovec führte bei 53,4 Prozent der Patienten mit CIS (Carcinoma in situ) ± Ta/T1-Tumoren, die auf BCG nicht oder nicht mehr angesprochen hatten, zu vollständigem Ansprechen. Bei fast der Hälfte der Patienten blieb dieses Ansprechen über zumindest 15 Monate erhalten (3). Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Adminisration) hat auf Basis
dieser Daten bereits die Zulassung für Nadofaragene firade-
novec erteilt.
Die Zulassungsstudie wurde in zwei Kohorten geführt. In die
eine waren Patienten mit CIS oder CIS plus Ta/T1-Tumoren
eingeschlossen, in die andere Patienten mit High-Grade-
Ta/T1-Tumoren ohne CIS.
Im Rahmen des EAU-Kongresses 2021 wurden mit mehreren
Postern weiterführende Analysen der Phase-III-Daten prä-
sentiert. So zum Beispiel Subgruppenanalysen und eine ge-
nauere Aufarbeitung der Patientencharakteristika bei Ein-
schluss in die Studie. Als Subgruppen wurden unter anderem
ausgewertet: Alter (< 70 oder ≥ 70 Jahre), Geschlecht, Krank-
heitsstatus bei Einschluss (BCG-refraktär oder BCG-An-
sprechen verloren), Vortherapien und BCG-Behandlungen
(≤ 3 oder > 3). Die Studie fand keine bestimmten Patienten-
charakteristika, die mit besserem oder schlechterem Anspre-
chen assoziiert waren. Auch die multivariate Analyse brachte
keine Prädiktoren für ein Ansprechen zutage. Alle Subgrup-
pen sprachen gleich gut an. (4)
Eine weitere, im Rahmen des EAU-Kongresses 2021 präsen-
tierte Arbeit stellt den angenommenen Wirkmechanismus
der Therapie zumindest teilweise infrage. Ausgehend von der
Befürchtung, die Immunreaktion des Patienten auf das Virus
könne das Ansprechen auf die Therapie reduzieren, wurden
bei Respondern und Nonrespondern neutralisierende Anti-
körper gegen Nadofaragene firadenovec bestimmt. Die Aus-
wertung zeigte das überraschende Ergebnis, dass Patienten,
die Antikörper gegen den Vektor bildeten, besser auf die
Therapie ansprachen. Nach 3 Monaten waren in beiden Ko-
horten Antikörper gegen den Vektor bei Respondern signifi-
kant häufiger als bei Nonrespondern. Nach 15 Monaten sei
das dem Trend nach immer noch so, allerdings sei die Signi-
fikanz verloren gegangen, was, so die Autoren, auch an den
kleinen Patientenzahlen in dieser Auswertung liegen könne.
Jedenfalls könne man aus diesen Daten schliessen, dass eine
signifikante Immunreaktion gegen den Vektor die Wirksam-
keit der Therapie nicht beeinträchtige (5).
s
Reno Barth
Quelle: Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), 8. bis 12. Juli,
virtuell.
Referenzen: 1. Nordström T et al.: MRI-targeted or systematic biopsies in pro-
state cancer screening: The STHLM3MRI trial. P1015, presented at EAU 2021 virtual. 2. Sartor O et al.: Lutetium-177-PSMA-617 for metastatic castrationresistant prostate cancer. N Engl J Med. 2021; 385(12):1091-1103. doi: 10.1056/NEJMoa2107322 3. Boorjian SA et al.: Intravesical nadofaragene firadenovec gene therapy for BCG-unresponsive non-muscle-invasive bladder cancer: a single-arm, open-label, repeat-dose clinical trial. Lancet Oncol. 2021;22(1):107-117. doi:10.1016/S1470-2045(20)30540-4 4. Narayan V et al.: Subgroup analyses of the phase 3 study of intravesical nadofaragene firadenovec in patients with high-grade, BCG-unresponsive Non-Muscle Invasive Bladder Cancer (NMIBC). P0745, presented at EAU 2021 virtual. 5. Narayan V et al.: Significant anti-adenovirus antibody response positively correlates with efficacy in patients treated with nadofaragene firadenovec for high-grade BCG-unresponsive NonMuscle Invasive Bladder Cancer (NMIBC). P0745, presented at EAU 2021 virtual.
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