Transkript
SGAIM
Therapie des Eisenmangels
Anämie in zwei Schritten abklären
Eine Anämie geht mit Leistungsverlust einher und muss behandelt werden. Ob es sich um einen Eisenmangel handle, sei mit einer einfachen Abklärung herauszufinden, wie PD Dr. Esther Bächli, Chefärztin Spital Uster, am virtuellen Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) erklärte. Die Art des Eisenmangels entscheide dabei über die Art der Substitution.
In Europa sind Anämien am häufigsten durch einen Eisenmangel verursacht, weitere häufige Ursachen sind Niereninsuffizienzen, Hämoglobinopathien oder gynäkologischen Ursprungs (1). Anämien können auch im Spital erworben werden, das Risiko dafür steigt bei weiblichem Geschlecht, bei längerem Aufenthalt, bei beeinträchtigter Nierenfunktion oder nach grösseren Eingriffen. Schwere Spitalanämien bergen ein grösseres Risiko für eine Rehospitalisierung oder Tod (2) oder für eine Persistenz der Anämie über 1 Jahr nach Spitalentlassung (3).
2-Stufen-Abklärung
Die Anämieabklärung soll gemäss Bächli bei Hb-Werten < 100 g/l durchgeführt werden und erfolgt in 2 Schritten. Mit der Bestimmung der Retikulozytenzahl wird eine Kontrolle der Erythrozyten vorgenommen. Eine verringerte Retikulozytenzahl (< 100 × 109/l) weist auf eine reduzierte Erythrozytenproduktion hin, eine erhöhte Retikulozytenzahl (> 100 × 109/l) auf eine verstärkte Zerstörung der roten Blutkörperchen oder auf einen Erythrozytenverlust infolge Blutung. In einem zweiten Schritt erfolgt die Bestimmung des mittleren korpuskulären Volumens (MCV), was je nach Wert Hinweise auf mögliche Ursachen gibt: • tiefe Retikulozytenzahl bei tiefem MCV: Eisenmangel, An-
ämie der chronischen Erkrankung (ACD), myelodysplastisches Syndrom (MDS), Thalassämie • tiefe Retikulozytenzahl bei normalem MCV: Nierenversagen, aplastische Anämie (ACD) • tiefe oder hohe Retikulozytenzahl bei hohem MCV: Schilddrüsendysfunktion, Vitamin-B12-/Folsäuremangel, MDS, Alkoholabusus/Lebererkrankung • hohe Retikulozytenzahl bei normal hohem MCV: hämolytische Anämie, akuter Blutverlust.
Wann ist es ein Eisenmangel?
Ein wahrer Eisenmangel bei chronisch entzündlichen Erkrankungen kann einfach über die Ferritin- und die Transferrinwerte diagnostiziert werden (Abbildung): Bei einem Ferritinwert < 200 µg/l und einer Transferrinsättigung < 20 Prozent ist ein wahrer Eisenmangel sehr wahrscheinlich.
Diese Patienten profitieren von einer parenteralen Eisensubstitution. Liegen der Ferritinwert bei < 500 µg/l und die Transferrinsättigung zwischen 20 und 25 Prozent, ist eine Anämie der chronischen Erkrankung der Grund, beispielsweise bei chronischer Nierenerkrankung oder Herzinsuffizienz. Auch bei diesen Patienten ist ein Eisenmangel wahrscheinlich und eine parenterale Eisensubstitution zu erwägen. Patienten mit Ferritinwerten > 500 µg/l und einer Transferrinsättigung > 20 Prozent hätten dagegen meist keinen Eisenmangel und profitierten auch nicht von einer parenteralen Eisensubstitution, so Bächli. Bei Ferritinwerten < 30 µg/l und einer Transferrinsättigung bis 45 Prozent liegt ein reiner Eisenmangel ohne chronisch entzündliche Erkrankung vor (4).
Therapie des Eisenmangels
Vor Beginn einer Eisensubstitution ist die Suche nach der zugrunde liegenden Ursache essenziell. Diese soll in jedem Fall behandelt werden. Ist eine Eisensubstitution indiziert, soll gemäss Bächli auch nach den Grundsätzen von Smarter Medicine wenn möglich oral substituiert werden, beispielsweise mit Eisen-III-Maltol (Feraccru®), das eine gute gastrointestinale Verträglichkeit bei einer Dosierung von 30 bis 60 mg/Tag aufweist. Tiefe Dosierungen und eine Gabe jeden 2. Tag führen zu weniger gastrointestinalen Nebenwirkungen, so der Tipp der Referentin. Bei Patienten ohne schwere oder ohne Anämie oder mit latentem Eisenmangel stellt die orale Eisensubstitution die bevorzugte Therapie dar. Eine schwere Eisenmangelanämie erfordert dagegen eine parenterale Eisensubstitution. Das ist beispielsweise der Fall bei einer intestinalen Malabsorption bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder nach einem Magenbypass, bei chronischer Blutung sowie bei funktionellem Eisenmangel. Ein rascher Wiederaufbau des Eisenspeichers kann auch vor einem operativen Eingriff mit hohem Blutverlust notwendig werden. Bei parenteraler Eisensubstitution können zeitabhängig Nebeneffekte auftreten. Zu Flush oder Schmerzen in der Wirbelsäule kann es innerhalb der ersten 5 Minuten infolge zu rascher Injektion kommen. Bei Verlangsamung der Infusion
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SGAIM
Abbildung: Eisenspeicher bei chronisch entzündlichen Erkrankungen (CEE)
50 nach Eisenüberladung suchen
Transferrinsättigung (%) Eisenmangel
40
adäquate Eisenspeicher bei den meisten CEE 30
möglicher Eisenmangel bei chronischer Nierenerkrankung
20
Eisenmangel
Eisenmangel möglich bei
10
wahrscheinlich
chronischer Nierenerkrankung
bei den meisten CEE
oder Herzinsuffizienz
adäquate Eisenspeicher; Eisenüberladung
bei i.v. Eisengabe möglich
adäquate Eisenspeicher bei den meisten CEE
(funktioneller Eisenmangel)
0 30
100
200
500 Ferritin (µg/l)
800 1000
Quelle: mod. nach (4).
verschwinden diese Effekte. Innerhalb von 5 bis 30 Minuten kann eine Anaphylaxie oder eine Hypersensitivität mit generalisiertem Juckreiz auftreten. In diesem Zeitfenster sollte der Patient in der Praxis überwacht werden. Bis zu 3 Tagen nach der Substitution können grippeähnliche Symptome oder Myalgien auftreten, nach 5 bis 20 Tagen meist asymptomatisch erniedrigte Phosphatwerte (5). Bei Patienten mit in kurzen Abständen wiederholten parenteralen Eisensubstitutionen kann unter der Gabe von Eisencarboxymaltose eine symptomatische Hypophosphatämie mit Müdigkeit und Muskelschmerzen auftreten, das Risiko für Knochenfrakturen und Osteomalazie steigt. Bei älteren Menschen mit niedrigem Körpergewicht oder bei mangelernährten Menschen sollte für eine repetitive Verabreichung eine tiefere Dosis gewählt werden, so Bächli. Im Fall von Symptomen sind eine Bestimmung des Phosphatspiegels und eine Substitution bei erniedrigten Werten angezeigt. Bei einer parenteralen Eisensubsti-
Anämie nach WHO-Definition Männer: < 130 g/l Frauen: < 120 g/l Kinder und Schwangere: < 110 g/l African-American: wahrscheinlich ca. 50 g/l tiefer
Beeinflussung der normalen Hb-Konzentration durch: Geschlecht: Männer haben höhere Werte als Frauen (Pubertät bis ca. 65 Jahre) Männer über 70 Jahre: Hb-Konzentration sinkt um 0,69 g/l/Jahr Wohnhöhe über 1800 Meter über Meer: höherer Hb-Wert
Quelle: WHO, PD Dr. A. Bächli, SGAIM 2021 Hb: Hämoglobin
tution mit Eisen-III-derisomaltosid kann höher dosiert wer-
den, und die Hypophosphatämierate ist tiefer. Nach der
parenteralen Verabreichung brauche es bei beiden Präpara-
ten ein Zeitintervall für geplante Magnetresonanzuntersu-
chungen von 1 beziehungsweise 4 Wochen (6), so Bächli.
In der Nachkontrolle 3 Monate nach der parenteralen
Substitution sollte die Anämie behoben sein und der Ferritin-
wert im Normbereich liegen, sofern keine andere Erkran-
kung bestehe, so Bächli abschliessend.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Anämie», Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin, 19. bis 21. Mai 2021, virtuell.
Referenzen: 1. Kassebaum NJ et al.: A systematic analysis of global anemia burden
from 1990 to 2010. Blood. 2014;123(5):615-624. 2. Makam AN et al.: Incidence, Predictors, and Outcomes of Hospi-
tal-Acquired Anemia. J Hosp Med. 2017;12(5):317-322. 3. Warner MA et al.: Prevalence of and Recovery From Anemia Follo-
wing Hospitalization for Critical Illness Among Adults. JAMA Netw Open. 2020;3(9):e2017843. 4. Kleber Yotsumoto F: Diagnosis and management of iron deficiency in chronic inflammatory conditions (CIC): is too little iron making your patient sick? Hematoloy Am Soc Hematol Educ Program. 2020; 2020(1):478–486 5. Richards T et al.: Questions and answers on iron deficiency treatment selection and the use of intravenous iron in routine clinical practice. Ann Med. 2021;53(1):274-285. 6. Pasricha SR et al.: Iron deficiency. Lancet. 2021;397(10270):233-248.
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