Transkript
EULAR
Psoriasis-Arthritis
Wie misst man die Krankheitsaktivität richtig?
Die Krankheitsaktivität von Patienten mit Psoriasis und/oder Psoriasis-Arthritis wird mit Scores quantifiziert, die all ihre besonderen Vor- und Nachteile haben. Die Wahl des Scores kann erheblichen Einfluss auf das Ergebnis der Messung und damit das klinische Vorgehen oder die Bewertung einer Therapie haben.
Die Frage von «lumping and splitting» könne sich nicht nur im Hinblick auf die Zusammenfassung verschiedenen Phänotypen unter einer gemeinsamen Diagnose stellen, sondern auch wenn es beispielsweise um unterschiedliche Parameter gehe, die die Aktivität ein und derselben Krankheit beschreiben sollten, so Prof. Laura Coates von der Universität Oxford. Das trifft beispielsweise auf die Psoriasis-Arthritis (PsA) und die verschiedenen Massgrössen für ihre Krankheitsaktivität (outcome measures) zu. Das Problem im Fall der PsA ist, dass es eben keine einzige, einheitliche Grösse gibt, die allein anzeigt, wie aktiv die Erkrankung eines individuellen Patienten zu einem bestimmten Zeitpunkt ist. Deshalb werden in der Regel mehrere dieser Grössen in einem Komposit oder Score zusammengefasst. Meist werden diese Scores von Forschern und Klinikern ohne die Mitwirkung von Patienten entwickelt und berücksichtigen wichtige Aspekte der Erkrankung nur unzureichend (1).
Kein Informationsgewinn durch Fatigue und Schmerz
Bezieht man die «patient reported outcomes» mit ein, ergeben sich zusätzliche Probleme. So schlüsselte eine vor Kurzem publizierte Arbeit das Symptom Fatigue bei PsA auf und konnte es mit einer Reihe von Komponenten in Verbindung bringen, die sich wiederum in drei Gruppen gliedern liessen: Inflammation (gemessen z. B. anhand der Zahl der geschwollenen Gelenke oder anhand des CRP), Chronizität (z. B. Krankheitsdauer und Schäden) und chronischer Schmerz. Die Zusammenhänge seien also komplex, und Fatigue könne nicht einfach als einzelnes isoliertes Symptom oder Score-Item betrachtet werden (2). Von diesem Befund ausgehend, stellte die gleiche Gruppe die Frage, ob eine Verbesserung der Therapie erreicht werden könne, wenn gebräuchliche Scores um die Komponenten Fatigue und Schmerz erweitert würden. Die Autoren gelangten zu dem Schluss, dass die Erweiterung der Scores CPDAI (composite psoriatic disease activity index) und GRACE um diese Komponenten hinsichtlich einer allfälligen Therapieeskalation keinen zusätzlichen Nutzen bringe (3). Auf dieser Basis entschied die Group for Research and Assessment of Psoriasis and Psoriatic Arthritis (GRAPPA), dass Krankheitsaktivität und Aus-
wirkungen (impact) separat gemessen werden sollten. Splitting ist hier dem Lumping vorzuziehen. Als Score für klinische Studien wird der PASDAS (psoriatic arthritis disease activity score) empfohlen, und das Therapieziel sollte sowohl in Studien als auch im klinischen Alltag minimale Krankheitsaktivität sein.
Scores für unterschiedliche Krankheitsmanifestationen
Da die Psoriasis eine vielfältige Erkrankung mit zahlreichen unterschiedlichen Manifestationen und Komorbiditäten ist, stellt sich nicht zuletzt die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Kompositscores im Vergleich zu Scores, die jeweils die Krankheitsaktivität einer bestimmten Manifestation messen. So kann beispielsweise die Hautbeteiligung mit dem Psoriasis Area and Severity Index (PASI) gemessen werden. Für die periphere Gelenkbeteiligung bieten sich Scores an, die auch bei der rheumatoiden Arthritis zum Einsatz kommen, und in Studien wird das Ansprechen einer PsA nach den Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) bewertet. Bei axialer Erkrankung kommen die für die axiale Spondyloarthritis entwickelten Scores BASDAI, ASDAS und BASFI zum Einsatz. Auch Daktylitis und Enthesitis oder der Nagelbefall können mit entsprechenden Masseinheiten quantifiziert werden. Als Alternative bieten sich Kompositscores an, die darauf abzielen, das Krankheitsgeschehen möglichst breit zu quantifizieren. Das entspricht der klinischen Realität, da zum Beispiel die Mehrzahl der Patienten mit PsA mehr als nur diese eine Manifestation der Psoriasis zeigt. Mehrere unterschiedliche Kompositscores (CPDAI, PASDAS, GRACE) sind in Gebrauch und sollen die vielfältigen Krankheitsmanifestationen von PsA-Patienten möglichst breit erfassen. Keiner dieser Scores enthalte alle potenziell relevanten Items, so Coates. Die Vor- und Nachteile beider Zugänge liegen auf der Hand: Während individuelle Scores eine exakte Messung der Krankheitsaktivität in jeder untersuchten Domäne ermöglichen, damit bei der Wahl der Therapie hilfreich sein können und sich für die Definition von Endpunkten in klinischen Studien eignen, erlauben Kompositscores eine Abschätzung der gesamten Krankheitsaktivität. Sie eignen sich damit
CongressSelection Rheumatologie | September 2021
19
EULAR
ebenfalls als Studien-Outcome und können Therapieentscheidungen beeinflussen, wenn es darum geht, die Gesamtsituation des Patienten zu berücksichtigen. Coates wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Patienten, die beispielsweise unter einer moderaten PsA, moderater Hautsymptomatik und moderater axialer Beteiligung litten, dennoch insgesamt erheblich durch die Psoriasis beeinträchtigt sein könnten. Damit kommen verschiedene Scores in derselben Studie zu unterschiedlichen Resultaten. In die PRESTA-Studie wurden Patienten aufgenommen, die sowohl unter schwerer Psoriasis der Haut als auch unter schwerer PsA litten, und randomisiert einmal oder zweimal wöchentlich mit jeweils 50 m g Etanercept behandelt. Der primäre Endpunkt war die Bewertung der Hautsymptomatik durch die Behandler. Nach 12 Wochen erwies sich die höhere Dosierung von Etanercept als überlegen im Hinblick auf die Hautsymptomatik, also den primären Endpunkt. Hinsichtlich der Gelenkbeteiligung zeigten sich jedoch keine Unterschiede zwischen den Gruppen (4). Die Patienten sprachen in beiden Armen sehr gut auf Etanercept an. Die Betrachtung der individuellen Domänen erlaube also Aussagen darüber, welches Medikament bei welchen Symptomen am besten wirke und wo es nicht benötigt werde. Diese Differenzierung geht verloren, wenn Kompositscores verwendet werden. Das wurde anhand der Daten aus der PRESTA-Studie in einer eigenen Arbeit untersucht, in der man zu dem Ergebnis gelangte, dass der mCPDAI (modified CPDAI) Unterschiede zwischen den beiden Dosisgruppen detektierte, der Disease Activity Index for Psoriatic Arthritis (DAPSA) hingegen nicht. Ausschlaggebend für die Abweichungen des mCPDAI vom DAPSA war die Erfassung von Daktylitis und Enthesitis (5). Ähnliches sei, so Coates, auch für den Vergleich von DAPSA und PASDAS, der ebenfalls Daktylitis und Enthesitis erfasse, demonstriert worden (6).
Wie linear sind lineare Scores wirklich?
Geht es darum, Therapieergebnisse (outcomes) zu messen, besteht die Wahl zwischen binären und linearen Scores. Ein binärer Score bedeutet, dass ein bestimmter Outcome erreicht werden kann oder nicht. Als Beispiel nannte Coates die ACR-Endpunkte, die in Studien klare Ja-Nein-Aussagen liefern. Im Gegensatz dazu ergeben lineare Scores wie der DAPSA einen Zahlenwert, der eine mehr oder weniger starke Krankheitsaktivität anzeigt. Daraus ergibt sich allerdings das Problem, dass die Ergebnisse relativ frei interpretiert werden können. Beispielsweise kann ein mehrfach vorbehandelter Patient mit einer schweren Oligoarthritis denselben DAPSAWert aufweisen wie ein Patient mit einer unter DMARD-Therapie gut kontrollierten Polyarthritis – obwohl die beiden Patienten durch die Erkrankung sehr unterschiedlich belastet sein können. Es stellt sich also die Frage, wie linear die linearen Scores tatsächlich die Krankheitsaktivität abbilden. Hinzu kommen noch erhebliche Probleme bei der Anwendung der für klinische Studien entwickelten und oft sehr komplizierten Scores. Zur Lösung dieses Problems wurden kürzlich vereinfachte Scores vorgeschlagen, die auf einer Simplifizierung des GRACE-Scores auf Basis der Visual Analogue Scale (3VAS und 4VAS) beruhen. Die vereinfachten Scores erwiesen sich in einer multizentrischen Studie (7) als so weit brauchbar,
dass GRAPPA die weitere Evaluation in Studien empfiehlt. Coates bezeichnete 3VAS und 4VAS als «mögliche Zukunft».
Ausblick auf die neuen GRAPPA-Empfehlungen
Ebenfalls im Rahmen des EULAR-Kongresses präsentierte
Coates die neuen GRAPPA-Empfehlungen (8). Basis für die
neuen Empfehlungen sind Literatursuchen in den Datenban-
ken MEDLINE, EMBASE und Cochrane CENTRAL aus den
Jahren 2019 und 2020 sowie Kongresspräsentationen der
Jahre 2017 bis 2020. Eine wichtige Neuerung ist unter ande-
rem ein «overarching principle», das die Rolle des Patienten
und einer gemeinsamen Entscheidungsfindung von Patient
und Behandler stärker betont.
Die Komorbiditätendomäne soll in Zukunft in Zustandsbil-
der, die direkt mit der PsA in Zusammenhang stehen, also
Uveitis und chronisch entzündliche Darmerkrankungen,
sowie echte Komorbiditäten aufgeteilt werden. Die
GRAPPA-Empfehlungen geben zu jeder bei PsA potenztiell
betroffenen Domäne – Arthritis, Enthesitis, Daktylitis, axia-
lem Befall und Haut- bzw. Nagelbefall – konkrete Therapie-
ratschläge. Die Wahl der Therapie für einen individuellen
Patienten sollte nach Möglichkeit alle Domänen umfassen,
die für diesen Patienten relevant sind. Neu ist auch eine Er-
klärung zu Biosimilars, für die ein rigoroser Zulassungspro-
zess gefordert wird.
s
Reno Barth
Quelle: Symposium «What is new in Psoriatic Arthritis» beim virtuellen EULAR-
Kongress am 4. Juni 2021.
Referenzen: 1. Tillett W et al.: A Multicenter Nominal Group Study to Rank
Outcomes Important to Patients, and Their Representation in Existing Composite Outcome Measures for Psoriatic Arthritis. J Rheumatol. 2017;44(10):1445-1452. 2. Skougaard M et al.: Relationship Between Fatigue and Inflammation, Disease Duration, and Chronic Pain in Psoriatic Arthritis: An Observational DANBIO Registry Study. J Rheumatol. 2020;47(4):548-552. 3. Tillett W et al.: Composite Measures for Clinical Trials in Psoriatic Arthritis: Testing Pain and Fatigue Modifications in a UK Multicenter Study. J Rheumatol. 2021; jrheum.201674. Online ahead of print. 4. Sterry W et al.: Comparison of two etanercept regimens for treatment of psoriasis and psoriatic arthritis: PRESTA randomised double blind multicentre trial. BMJ. 2010;340:c147. 5. FitzGerald O et al.: Application of composite disease activity scores in psoriatic arthritis to the PRESTA data set. Ann Rheum Dis. 2012;71(3):358-362. 6. Mulder MLM et al.: Implementing Psoriatic Arthritis Disease Activity Score-guided treat-to-target in psoriatic arthritis routine clinical practice: (im)possible? Rheumatology (Oxford). 2019;58(12):2330-2331. 7. Tillett W et al.: Composite Measures for Routine Clinical Practice in Psoriatic Arthritis: Testing of Shortened Versions in a UK Multicenter Study. J Rheumatol Suppl. 2021;97:45-49. 8. Coates LC et al.: The group for research and assessment of psoriasis and psoriatic arthritis (GRAPPA) treatment recommendations 2021 Ann Rheum Dis 2021; 80:139-140.
20 CongressSelection Rheumatologie | September 2021