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EULAR
Gicht
Zielwerte für Urat sollten erreicht werden – nicht nur wegen der Lebensqualität
Das Management der Gicht gestaltet sich aufgrund der nach wie vor zahlenmässig sehr begrenzten, aber gut wirksamen therapeutischen Optionen in der Regel einfach. Eine Senkung der Harnsäurespiegel ist nicht nur im Hinblick auf die Reduktion von Attacken und damit die Lebensqualität der Patienten essenziell, sie hilft auch, das kardiovaskuläre Risiko zu vermindern.
Im Management der Gicht gelte es, 3 Ziele zu erreichen, so Dr. Fernando Perez-Ruiz aus Vizcaya (E): • «patient reported outcomes», allen voran Schmerz, ver-
bessern • strukturelle Schäden und damit Behinderung vermeiden • extensive Uratablagerung verhindern, da diese zu systemi-
scher Inflammation und damit zu erhöhter Mortalität führt. Die «patient reported outcomes» stehen dabei in einem direkten Zusammenhang zur Anzahl der Attacken, aber auch zum strukturellen Schaden. Die Reduktion von Gichtschüben verbessert nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen, sondern verhindert auch Schäden und bewirkt, dass soziale und berufliche Beeinträchtigungen minimiert werden (1). Tophi sind ein Prädiktor für strukturelle Schäden und damit für Behinderung, was nicht nur für die Hände (2), sondern auch für die Füsse (3) gezeigt werden konnte. Tophi sind ebenso wie strukturelle Schäden mit erhöhter Mortalität assoziiert (4).
Treat to Target für Gichtpatienten
Aus diesen Gründen habe man, so Perez-Ruiz, bereits vor Jahren ein Treat-to-Target-Konzept für die Gicht entwickelt, das einerseits auf ein Therapieziel, andererseits aber auch auf ein Präventionsziel ausgerichtet sei. Das Therapieziel besteht darin, alle Uratkristalle aufzulösen und damit Gichtschübe zu beenden. Das präventive Ziel besteht darin, die Bildung von Uratdepots zu verhindern. Weiter ist auch noch zwischen einer intensiven Therapie, die auf schnelle Auflösung von Depots abzielt, und einer weniger intensiven Therapie für die langsame Auflösung kleinerer Depots zu unterscheiden. Hinsichtlich des anzustrebenden Harnsäurespiegels gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Fachgesellschaften: Zumeist wird ein Ziel von weniger als 6 mg/dl vorgegeben, die EULAR fordert bei schwerer Gicht einen Wert unter 5 mg/dl, und die britische Rheumatologengesellschaft will alle Patienten auf maximal 5 mg/dl bringen. Dass eine intensive Uratreduktion mit einem deutlichen Rückgang der Gichtanfälle assoziiert ist, wurde mittlerweile in Studien gut dokumentiert. Dabei konnte der Anteil der Patienten, die Gichtschübe durchmachen, von 100 Prozent
auf weniger als 2 Prozent gesenkt werden (5). Auch Tophi gehen unter der Harnsäuresenkung zurück, wobei sehr niedrige Uratspiegel die Abheilung beschleunigen (6). Für das folgende Management nach einem Gichtschub konnte gezeigt werden, dass weitere Attacken ausbleiben, wenn der Harnsäurespiegel unter 7 mg/dl gehalten werden kann. Dieser Befund war unabhängig von einer etwaigen Medikamenteneinnahme (7). Dennoch scheint ein Harnsäurespiegel knapp unter 7 mg/dl nicht gesund zu sein. Denn um die kardiovaskuläre Mortalität und die Gesamtmortalität zur reduzieren, erscheint eine Senkung des Harnsäurespiegels auf Werte unter 6 mg/dl notwendig (8, 9).
Erste Wahl: Xanthin-Oxidase-Inhibitoren
In der Therapie der Gicht sind die Xanthin-Oxidase-Inhibitoren (XOI) erste Wahl und die beste Option für die grosse Mehrzahl der Patienten. Die erforderliche Dosierung hängt einerseits vom Urat-Ausgangswert, andererseits aber auch vom angestrebten Zielwert ab. Dabei betont Perez-Ruiz, dass die empfohlenen Dosierungen für Patienten mit gesunder Nierenfunktion gälten. Weiter bestehe das Problem, dass sich bei hohem Ausgangs- und niedrigem Zielwert rechnerisch nicht selten Dosierungen ausserhalb der Zulassung ergäben. Unter den XOI ist Allopurinol die am längsten eingesetzte und nach wie vor mit grossem Abstand am meisten verschriebene Option. Nach mehr als 60 Jahren Erfahrung sei das Sicherheitsprofil mittlerweile sehr gut bekannt, so Perez-Ruiz. Für die ganz grosse Mehrheit der Patienten ist Allopurinol eine sehr sichere und verträgliche Therapie. Schwerste Nebenwirkungen sind jedoch möglich und betreffen die Haut im Sinne von SCAR (severe cutaneous adverse reaction) oder den gesamten Organismus im Rahmen von DRESS (drug related eosinophilia with systemic symptoms) mit im schlimmsten Fall tödlichem Ausgang. Das Risiko hängt einerseits von der Dosierung, andererseits aber vor allem von einem bestimmten genetischen Hintergrund ab. Ein Risiko-Allel (HLA B*58:01) für diese Nebenwirkungen ist bekannt. Dieses ist in der weissen europäischen Bevölkerung mit weniger als 2 Prozent selten, bei Asiaten jedoch deutlich häufiger. Darüber hinaus erhöhen eine eingeschränkte Nierenfunktion sowie die Einnahme von Diuretika das Risiko.
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Ein Screening auf HLA B*58:01 vor Beginn einer Therapie mit Allopurinol werde, so Perez-Ruiz, nur in Populationen mit hoher Prävalenz empfohlen. Als Alternative zu Allopurinol ist seit einigen Jahren das in zahlreichen Studien untersuchte Febuxostat zugelassen. Vergleichsdaten zu Allopurinol in den grössten Patientenkollektiven kommen aus den Studien CARES und FAST. Dabei zeigte sich die Gleichwertigkeit der beiden Therapien im Erreichen eines Zielwerts von weniger als 6 mg/dl Urat. Die Chancen, niedrigere Zielwerte zu erreichen, waren mit Febuxostat jedoch besser. Allerdings zeigen die Sicherheitsdaten ein widersprüchliches Bild. In der CARES-Studie ergab sich hinsichtlich des primären Sicherheitsendpunkts, eines Komposits kardiovaskulärer Ereignisse, kein Unterschied zwischen Febuxostat und Allopurinol. Perez-Ruiz wies jedoch darauf hin, dass Auswertungen hinsichtlich der sekundären Endpunkte kardiovaskulärer Tod und Gesamtmortalität für Febuxostat ein höheres Risiko gezeigt hätten. Das bestätigte sich in der FAST-Studie jedoch nicht. Mehrere mögliche Ursachen dieser Divergenz werden diskutiert. Zum einen war der Anteil der Patienten, die für die finale Auswertung nicht mehr zur Verfügung standen, in der CARES-Studie höher als in der FAST-Studie. Und zum anderen wurden in der FAST-Studie kardiovaskuläre Risikofaktoren bei der Randomisierung berücksichtigt. Die Dosierungen waren in der FAST-Studie höher, was für eine stärkere Aussagekraft der FAST-Studie im Hinblick auf die Sicherheit spricht.
Kaum Alternativen zu XOI in Sicht
Ausserhalb der Gruppe der XOI haben mehrere, gut etablierte und häufig eingesetzte Medikamente einen günstigen Effekt auf den Harnsäurespiegel. Ihr Einsatz bei Gicht ist zwar ausserhalb der Indikation, diese Wirkung kann jedoch gleichsam «mitgenommen» werden, wenn der Einsatz dieser Substanzen bei den oft multimorbiden Gichtpatienten aus anderen Gründen indiziert ist. Perez-Ruiz nannte den Lipidsenker Atorvastatin, das Antihypertensivum Losartan, das bei Hypertriglyzeridämie eingesetzte Fenofibrat sowie das Antirheumatikum Leflunomid. Eine potenzielle Alternative für Patienten, die XOI nicht vertragen, könnten die Uricasen sein, die den Abbau von Harnsäure zu Alantoin katalysieren. Allerdings sind die Einsatzmöglichkeiten begrenzt. Für Rasburicase stehen nur offene Studien zur Verfügung; zudem wird die Wirkung durch die Bildung neutralisierender Antikörper limitiert. Pegloticase ist zwar in den USA und in Europa zugelassen, wurde jedoch aus kommerziellen Erwägungen vom europäischen Markt genommen.
ohne Evidenz aus klinischen Studien, bei diesen Patienten ein
Follow-up anhand des NT-pro-BNP, das vor Beginn der The-
rapie mit Febuxostat und weiter im Verlauf regelmässig be-
stimmt werden solle.
Bei Hochrisikopatienten stehen auch die sonst kaum noch
verwendeten Urikosurika – insbesondere Benzbromaron –
als Option der zweiten Wahl zur Verfügung. Das gilt sowohl
für kardiovaskuläre als auch für renale Risikopatienten. Ein
Vergleich mit Allopurinol ergab eine Überlegenheit von Ben-
ziodaron in einem Kollektiv von Patienten nach Nierentrans-
plantation (11). Ein vor wenigen Jahren publizierter Review
zeigt, dass Urikosurika in Kombination mit XOI zu einer
weiteren Uratsenkung sowie zur Reduktion klinischer End-
punkte bei Gichtpatienten führen (12).
s
Reno Barth
Quelle: How-to-Treat-Session «Gout» beim virtuellen EULAR-Kongress am 4. Juni
2021.
Referenzen: 1. Khanna PP et al.: Long-term therapy for chronic gout results in
clinically important improvements in the health-related quality of life: short form-36 is responsive to change in chronic gout. Rheumatology (Oxford). 2011;50(4):740-745. 2. Dalbeth N et al.: Tophaceous joint disease strongly predicts hand function in patients with gout. Rheumatology (Oxford). 2007;46(12):1804-1807. 3. Stewart S et al.: Clinically-evident tophi are associated with reduced muscle force in the foot and ankle in people with gout: a cross-sectional study. J Foot Ankle Res. 2017;10:25. 4. Perez-Ruiz F et al.: Tophaceous gout and high level of hyperuricaemia are both associated with increased risk of mortality in patients with gout. Ann Rheum Dis. 2014;73(1):177-182. 5. Perez-Ruiz F et al.: Treatment of chronic gout in patients with renal function impairment: an open, randomized, actively controlled study. J Clin Rheumatol. 1999;5(2):49-55. 6. Perez-Ruiz F et al.: Effect of urate-lowering therapy on the velocity of size reduction of tophi in chronic gout. Arthritis Rheum. 2002;47(4):356-360. 7. Perez-Ruiz F et al.: A two-stage approach to the treatment of hyperuricemia in gout: the «dirty dish» hypothesis. Arthritis Rheum. 2011;63(12):4002-4006. 8. Mackenzie IS et al.: Long-term cardiovascular safety of febuxostat compared with allopurinol in patients with gout (FAST): a multicentre, prospective, randomised, open-label, non-inferiority trial. Lancet. 2020;396(10264):1745-1757. 9. Pérez Ruiz F et al.: Failure to reach uric acid target of <0.36 mmol/L in hyperuricaemia of gout is associated with elevated total and cardiovascular mortality. RMD Open. 2019;5(2):e001015. 10. White WB et al.: Cardiovascular Safety of Febuxostat or Allopurinol in Patients with Gout. N Engl J Med. 2018;378(13):1200-1210. 11. Perez-Ruiz F et al.: Long-term efficacy of hyperuricaemia treatment in renal transplant patients. Nephrol Dial Transplant. 2003;18(3):603-606. 12. Perez-Ruiz F, Dalbeth N: Combination urate-lowering therapy in the treatment of gout: What is the evidence? Semin Arthritis Rheum. 2019;48(4):658-668.
Qual der Wahl bei Patienten mit hohen Risiken
Eine besondere Situation besteht bei Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko. In diesen Fällen wird wegen der unklaren Studienlage zu Febuxostat generell Allopurinol empfohlen, bis weitere Studiendaten zur Klärung der Situation verfügbar sind und entsprechende Änderungen in den regulatorischen Auflagen erfolgen. Perez-Ruiz betonte jedoch, dass laut EMA Febuxostat immer eingesetzt werden könne, wenn es keine sinnvolle Alternative gebe. Zu Patienten mit Herzinsuffizienz der NYHA-Klassen III und IV fehlen allerdings jegliche Daten. Perez-Ruiz empfahl, allerdings
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