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EULAR
Interview mit Adrian Forster
«Biologika-Therapien können die Impfantwort stark beeinflussen»
Foto: KD
Therapiebedingte Beeinträchtigungen der Impfung gegen SARS-CoV-2, die Dosisreduktion bei axialer Spondyloarthritis, der Einfluss von frühem Passivrauchen und der Luftverschmutzung auf die rheumatoide Arthritis oder Entzündungsmarker als kardiovaskuläre Risikofaktoren bei Gicht: Das sind einige der EULAR-Kongress-Highlights, die in einem Interview mit Dr. Adrian Forster, Chefarzt Rheumatologie an der Schulthess Klinik in Zürich, diskutiert wurden.
Mit einer vollständigen Impfung gegen SARS-
CoV-2 ist man gut geschützt. Gilt das auch für
Patienten mit entzündlichen Rheumaerkran-
kungen?
Dr. Adrian Forster: Leider nicht unbedingt. Die
für mich mit Abstand interessanteste Studie am
EULAR-Kongress kam aus Tel Aviv. Dort
wurde untersucht, welchen Einfluss die anti-
rheumatischen Basistherapeutika auf die
Adrian Forster
COVID-19-Impfungen bei Patienten mit entzündlichen Arthritiden haben. Tatsächlich
waren die Impfreaktionen teilweise sehr eingeschränkt, das
ging bis zu völligem Fehlen einer Antikörperbildung gegen
SARS-CoV-2. Unter Rituximab hatte innerhalb von 3 Mona-
ten nur 1 Prozent der Patienten Antikörper entwickelt. Fast
alle Patienten haben somit einen wohl ungenügenden Impf-
schutz. Wenn man berücksichtigt, dass das Risiko für einen
schweren COVID-19-Verlauf unter Rituximab ohnehin er-
höht ist, ist das verheerend. Auch unter Abatacept war die
Impfantwort schlecht, und bei Methotrexat wurden ebenfalls
gewisse Beeinträchtigungen beobachtet. Allerdings kann man
bei Abatacept eine gute Massnahme treffen, nämlich jeweils
vor und nach der Impfung eine Injektion auslassen. Auch bei
Methotrexat ist ein einmaliges Auslassen nach der Impfung
möglich. Bei Rituximab besteht hingegen nur mit einem mo-
natelangen Zuwarten die Chance, die Impfreaktion zu erhö-
hen. Wichtig für die Hausärzte: Man sollte in den 2 Wochen
vor der Impfung keine Steroidinjektion mehr durchführen,
weil sie ebenfalls zu einer schlechteren Impfantwort führen
kann. Sehr gut bei den Impfantworten weggekommen sind
hingegen die TNF-, IL-6- und IL-17-Inhibitoren sowie die
Januskinase-(JAK-)Hemmer. Darüber sind wir sehr froh.
Und der Einfluss der Biologika auf den COVID-19-Verlauf? Wie gesagt, unter Rituximab ist das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf klar erhöht. Ich hatte im vergangenen Jahr selbst einen unter 50 Jahre alten Familienvater, der mit Rituximab behandelt wurde, betreut. Er litt unter rheumatoider Arthritis (RA) und unter einer RA-assoziierten Lungenerkrankung. Natürlich ist es immer schwer zu sagen, welche Rolle die Komorbiditäten letztlich spielen. Aber der Fall war sehr dramatisch, denn der Mann ist leider an COVID-19 ver-
storben. Ich überlege mir deshalb bei bestimmten Patienten, Rituximab durch ein anderes Immunsuppressivum zu ersetzen. Hingegen wurde postuliert, dass Tocilizumab den Verlauf von COVID-19 bei einem «Zytokinsturm» günstig beeinflussen könne. Zu Beginn der Pandemie wurde deswegen Tocilizumab in den Spitälern bei COVID-19-Patienten breitflächig intravenös eingesetzt, sodass für Rheumapatienten dieses Medikament zu verknappen drohte. In Studien konnte jedoch nur ein beschränkter Benefit für ausgewählte Patienten bestätigt werden. Bei JAK-Inhibitoren gibt es Indizien dafür, dass die Verläufe bei COVID-19 weniger günstig sind. Auf der anderen Seite gab es eine Studie mit intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Patienten, nach der man den Eindruck hatte, dass der Verlauf einer schweren Erkrankung durch Baricitinib günstig beeinflusst wird. Wichtig bei solchen Untersuchungen ist immer die Phase der Krankheit. Es kann also sein, dass eine bestimmte Therapie zu Beginn einer Erkrankung schlecht ist, in späterem Stadium aber Vorteile bietet.
Neben den COVID-19-Studien gab es eine Vielzahl weiterer interessanter Arbeiten. Ja, beispielsweise der ungünstige Einfluss von Passivrauchen in der Kindheit hinsichtlich einer späteren RA; das war eine sehr schöne französische Arbeit. Auch eine Analyse der SCQM-Daten von Rüdiger Müller hat gezeigt, dass rauchende Patienten mit tiefer RA-Krankheitsaktivität eine stärkere Krankheitsprogression zu erwarten haben als solche, die nicht rauchen. Dazu passt auch eine sehr interessante italienische Studie, die den Einfluss der Luftverschmutzung auf die RA untersuchte. Sie zeigt sehr eindrücklich, dass schon eine relativ geringe Luftbelastung mit einem höheren Risiko für einen RA-Schub verbunden ist. Die Luftqualität ist ein wichtiger Faktor für die Entstehung und den Verlauf der RA.
Gab es etwas Neues zur Psoriasis-Arthritis? Ja, die JAK-Hemmer scheinen bei Psoriasis-Arthritis auch bei Beteiligung der Wirbelsäule gut zu wirken, ebenso wie Secukinumab bei Enthesitis-assoziierter Arthritis. Das sind generell sehr erfreuliche Nachrichten. Bis vor nicht allzu langer Zeit standen uns für solche Patienten nur TNF-Hemmer zur Verfügung. Jetzt haben wir mit den IL-17-, IL-23- und den
4 CongressSelection Rheumatologie | September 2021
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JAK-Hemmern doch ein breites Portfolio an Substanzen, mit dem wir für die meisten Patienten etwas Wirksames finden.
Eine Sicherheitsstudie aus Spanien bestätigt die etwas höhere Infektionsanfälligkeit bei JAK-Hemmern. Ein etwas erhöhtes Infektionsrisiko sehen wir bei den meisten Biologika. Allerdings haben wir bei den JAK-Hemmern ein im Vergleich zu den anderen Biologika deutlich höheres Risiko für eine Herpes-zoster-Aktivierung sowie ein erhöhtes Thromboembolierisiko. Deshalb meine ich, macht es Sinn, vor einer JAK-Hemmer-Behandlung eine Zoster-Impfung mit einem Totimpfstoff durchzuführen. Leider ist der Impfstoff Shingrix® in der Schweiz noch nicht kassenzulässig. Bei Patienten mit ohnehin schon erhöhtem Thromboserisiko sollte man mit JAK-Hemmern zurückhaltend sein.
Nochmal zurück zur Wirbelsäule. Laut einer Studie funktionieren bei der axialen Spondyloarthritis (SpA) TNF-Hemmer auch in niedrigerer Dosierung. Das ist eine wichtige Botschaft, weil sich dadurch das Infektionsrisiko und die Kosten vermindern lassen. Bei axialer SpA kann man viel besser die Dosis reduzieren respektive das Intervall verlängern als bei anderen Arthritiden. Insbesondere bei der RA können wir meistens in nur geringem Ausmass reduzieren bzw. verlängern. Ich habe SpA-Patienten, bei denen es genügt, alle 2 Monate Etanercept zu injizieren, obwohl es initial wöchentlich empfohlen wird. Natürlich ist entscheidend, was man mit der Therapie will. Das Hauptziel bleibt, die Schmerzen zu reduzieren und idealerweise zu beseitigen. Wenn das erreicht ist, kann man mit der Dosis zurückgehen bzw. die Intervalle verlängern. Wenn es aber darum geht, bei der SpA die radiologische Progression zu verhindern, also die Wirbelsäulenversteifung, gelten natürlich andere Überlegungen. Dann kann man wahrscheinlich nicht einfach reduzieren, sondern sollte den Krankheitsprozess anhaltend voll unterdrücken, was sich mittels MRI der Wirbelsäule überprüfen lässt. Wenn also jemand Risikofaktoren für einen Versteifungsprozess an der Wirbelsäule aufweist, sollte man wahrscheinlich einige Jahre ohne medikamentöse Reduktion weitertherapieren.
Wie lang muss die SpA behandelt werden, um eine Hemmung der Ankylosierung zu sehen? Dazu wurden zwei spannende Studien der deutschen GESPIC-Kohorte vorgelegt. Für die Wirbelsäule waren ungefähr 4 Jahre Therapie erforderlich, um eine signifikante Reduktion des Ankylosierungsprozesses zu erreichen. Das bedeutet, in den ersten 4 Jahren ist kein Unterschied zwischen Behandlung und Nichtbehandlung festzustellen. Das finde ich relativ lang. In der zweiten Studie wurde gezeigt, dass eine Therapie die Krankheitsprogression an den Iliosakralgelenken hemmen kann, allerdings ist das auch erst nach 2 bis 4 Jahren in signifikantem Ausmass radiologisch nachweisbar. Das sind zeitlich viel längere Dimensionen als bei der RA, dort sieht man bei den meisten Biologika bereits nach 3 Monaten einen antierosiven Effekt. Wahrscheinlich wird bei den Wirbeln durch die Entzündung ein Knochenwachstumsreiz gesetzt. Auch wenn die Entzündung weg ist, wirkt dieser Reiz noch lang weiter. Insgesamt machen diese Arbeiten bewusst, dass ein langfristiges sorgfältiges Monitoring der Patienten entscheidend ist.
Interessant ist auch eine Studie, nach der 1 von 20 Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung unter nicht diagnostizierter SpA leidet. Umgekehrt gilt das natürlich auch. Bei vielen Patienten mit SpA ist der Darm leicht entzündet, ohne dass sie das bemerken.
Entzündungen standen auch bei einer Studie zur Gicht im Fokus. Was hat es mit den Ablagerungen von Haurnsäurekristallen auf sich? Harnsäure-Ablagerungen bei der Gicht korrelieren mit höheren Entzündungsmarkern und subklinischen Entzündungen. Das ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Denn erhöhte Entzündungsmarker sind ein Hinweis auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Es wird ja viel darüber diskutiert, ob eine Senkung der Harnsäure auch das vaskuläre Risiko reduzieren könnte. Diese Studie liefert ein wichtiges Indiz dafür. Dazu passt auch sehr gut eine weitere Arbeit, nach der Patienten mit mehr Gichtanfällen ein höheres Mortalitätsrisiko haben. Wer mehr Gichtanfälle hatte, zeigte eine höhere Entzündungsaktivität im Blut. Mit einer langfristigen Senkung der Harnsäure verschwinden die Kristalldepots im Körper und dadurch die Anfälle. Wahrscheinlich verringert sich dadurch auch das kardiovaskuläre Risiko.
Die Riesenzellarteriitis war in diesem Jahr immer wieder Thema. Die Riesenzellarteriitis ist die häufigste Vaskulitis bei betagten Menschen. Bleibt sie unbehandelt, kann die Blutzufuhr zum Sehnerv unterbrochen werden und es plötzlich zur Erblindung kommen. Auf der anderen Seite bedeutet die oft jahrelange Behandlung mit Steroiden eine hohe Toxizität – ich denke hier vor allem an die rasche Entwicklung einer Osteoporose. Deshalb sind wir froh, mit den IL-6-Hemmern Substanzen zu haben, die eine starke Reduktion der Steroide ermöglichen. Bislang war das nicht möglich. Allerdings weiss man heute noch zu wenig darüber, wie lang eine solche Therapie nötig ist und in welchem Umfang sie Steroide entbehrlich macht.
Zum Schluss: Die Situation in den Praxen und auf den Statio-
nen hat sich nach den Corona-Einschränkungen wieder weit-
gehend normalisiert. Was bleibt Ihnen hinsichtlich der Be-
handlung Ihrer Rheumapatienten unter COVID-19-Bedin-
gungen in Erinnerung?
Wir mussten im vergangenen Jahr auf Weisung der Gesund-
heitsdirektion rund 6 Wochen lang alles herunterfahren. Dabei
haben wir versucht, das Beste aus der Situation zu machen.
Aber mit einem Rheumapatienten am Telefon oder am Bild-
schirm ist es doch etwas völlig anderes als bei einer Untersu-
chung in direktem Kontakt vor Ort. Am Anfang bestand ein
grosser Enthusiasmus für Videokonsultationen. Aber wir
merkten bald, wenn es darum geht, die Ursachen von zum Bei-
spiel einem schmerzhaften Gelenk zu identifizieren, dass wir
per Video rasch an unsere Grenzen kommen. Ich muss ehrlich
sagen, als wir die Patienten wieder vor Ort untersuchen durf-
ten, waren wir echt überrascht, was alles verpasst oder falsch
interpretiert worden ist. Es geht halt nichts über die gute alte
Sprechstunde mit dem direkten Patientenkontakt.
s
Das Interview führte Klaus Duffner.
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