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Lipidsenkung
Neue Substanzklassen erweitern die Therapie
Nicht nur der erhöhte LDL-Cholesterin-Wert per se, sondern auch die Dauer dieser Exposition über die Jahre fällt für die kardiovaskuläre Gesundheit ins Gewicht. Je früher mit einer entsprechenden Senkung begonnen wird, desto grösser ist der risikosenkende Effekt. Kombinationen mit verschiedenen Lipidsenkern seien dafür notwendig, Unterstützung gebe es durch neue Substanzklassen, wie Prof. Augusto Gallino, Präsident der Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA), am virtuellen Jahreskongress der Swiss Society of Cardiology erklärte.
Je tiefer die LDL-Cholesterin-(LDL-C-)Exposition, desto tiefer auch das Herzinfarktrisiko: Pro mmol/l LDL-C-Reduktion sinkt das Risiko für ein atherosklerotisches kardiovaskuläres Ereignis (ASCVD) um 20 Prozent. Das ist die Quintessenz aus den randomisiert kontrollierten Studien (RCT) mit Lipidsenkern der letzten 20 Jahre. Bei prospektiven Kohortenstudien mit einem längeren Follow-up (12 vs. ca. 5 Jahre bei RCT) liegt der Effekt bei 30 Prozent, und bei Beobachtungsstudien mit mendelscher Randomisierung, bei welchen die Auswirkung von genetischen Polymorphismen (tiefe LDL-Spiegel vs. Kontrolle) untersucht wird, beträgt dieser Effekt bei einer Beobachtungszeit von 52 Jahren 50 Prozent (1). Die Reduktion des LDL-Werts sei aber nicht die ganze Erklärung für den mitunter grossen Effekt, betont Gallino. Dass der Effekt mit zunehmender Beobachtungszeit grösser werde, sei mit der Abnahme der Expositionsdauer hoher LDL-Werte unter Therapie zu erklären. Somit müsse es nicht nur «je tiefer, desto besser», sondern auch «je früher, desto besser» heissen, um die kumulative Exposition während des ganzen Lebens reduzieren zu können. Möglicherweise sei die Zeit gekommen, die kumulative LDL-C-Exposition in Zukunft in «LDL-years» (2), nach dem Vorbild der Tabakexpositionsdauer (Pack-Years), anzugeben.
Für die Therapie ist das Risiko entscheidend
Die Risikostratifizierung der European Society of Cardiology (ESC) orientiert sich daher für die Festlegung der LDL-C-
KURZ & BÜNDIG
� Der LDL-C-Zielwert richtet sich nach dem kardiovaskulären Risiko.
� Je früher die LDL-Senkung beginnt, desto grösser ist die kardiovaskuläre Risikosenkung über die Jahre.
� Mit Kombinationen von Lipidsenkern kann eine beträchtliche Senkung des LDL-C-Werts erreicht werden.
Zielwerte am bereits entstandenen kardiovaskulären Risiko mit der Definition von 4 Risikoklassen: tief, moderat, hoch, sehr hoch. Die tiefste Risikoklasse erlaubt den höchsten Zielwert (3,0 mmol/l), bei moderatem Risiko liegt der Zielwert bei 2,6 mmol/l, bei hohem Risiko sollte ein Zielwert von 1,8 mmol/l oder eine Halbierung des Ausgangswerts angestrebt werden, bei sehr hohem Risiko ein Zielwert von 1,4 mmol/l oder eine Halbierung des Ausgangswerts (3). Diese ambitionierten Zielwerte können mit Kombinationen aus verschiedenen Lipidsenkern angestrebt werden. Von einem Statin mit moderater Intensität kann eine LDL-C-Senkung von etwa 30 Prozent erwartet werden, von einem Statin mit hoher Intensität etwa 50 Prozent und von einem PCSK9-Hemmer etwa 60 Prozent. Je nach Kombination von Substanzklassen kann die LDL-C-Reduktion um bis zu 85 Prozent gesteigert werden (Tabelle).
Unterstützung durch neue Medikamente
Die europaweite Beobachtungsstudie DA VINCI zu den Lipidsenkern in der primären und sekundären Therapie habe leider aufgedeckt, dass die Zielwerte von Patienten in der sekundären Prävention bei Weitem nicht erreicht würden, wie Prof. Isabella Sudano, Herzzentrum, Universitätsspital Zürich, berichtet (4). Zum Erreichen dieses Ziels wurden neue Substanzklassen für die Lipidsenkung entwickelt, die teilweise bereits verfügbar sind. Bereits in der Schweiz neu zugelassen ist Bempedoinsäure, allein (180 mg) und als Kombination mit Ezetimibe (180/10mg). Die neue Substanz hemmt an anderer Stelle als die Statine die Cholesterinsynthese und kann oral 1 ×/Tag nahrungsunabhängig eingenommen werden. Bempedoinsäure wirkt leberspezifisch ohne Aktivität in den Muskelzellen, wodurch muskuläre Nebenwirkungen vermieden werden. Das Risiko für Gicht ist unter dieser Substanz jedoch erhöht (1,2 vs. 0,3% Plazebo), sodass der Harnsäurespiegel überwacht werden sollte (5). Bempedoinsäure eigne sich für Patienten mit einer Statinintoleranz und zur Kombination mit anderen lipidsenkenden Therapien, so Sudano. Der LDL-C-Wert kann durch Bempedoinsäure um 17 Pro-
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Tabelle
Zu erwartende LDL-Reduktion mit verschiedenen Therapien
Substanzklasse
Statin mit moderater Intensität Statin mit hoher Intensität (Rosuvastatin, Atorvastatin) Statin mit hoher Intensität + Ezetimibe Ezetimibe Bempedoinsäure Bempedoinsäure + Ezetimibe PCSK9-Hemmer (Evolocumab, Alirocumab) PCSK9-Hemmer + Statin mit hoher Intensität PCSK9-Hemmer + Statin mit hoher Intensität + Ezetimibe
Quelle: modifiziert nach (2), (6)
LDL-Reduktion im Durchschnitt 30% (2) 50% (2)
65% (2) 23% (6) 17% (6) 36% (6) 60% (2) 75% (2) 85% (2)
zent gesenkt werden, in Kombination mit Ezetimibe um 36 Prozent (6). Eine weitere neue Substanz, die sich der mRNA-Interferenz (small interfering RNA, siRNA) bedient, wurde in den USA und der EU bereits zugelassen, in der Schweiz steht die Zulassung kurz bevor. Die mRNA für PCSK9 wird durch den neuen Wirkstoff Inclisiran an der Translation zur Proteinsynthese gehindert, was das Gen für PCSK9-Synthese sozusagen abschaltet. Diese Hemmung der mRNA-vermittelten Proteinsynthese vermag die erhöhten LDL-C-Werte trotz intensivierter Statinbehandlung um weitere 50 Prozent zu senken (7). Die subkutane Applikation (300 mg) erfolgt nach der ersten Dosis nach 3 Monaten und danach halbjährlich. Die Nebenwirkungen sind hauptsächlich lokal an der Injektionsstelle und mehrheitlich milder Natur. Systemische oder schwere Nebenwirkungen sind in den Zulassungsstudien nicht aufgetreten (7).
Weiter in Entwicklung befindet sich eine den Lp(a)-Spiegel
reduzierende Therapie mit dem Antisense-Oligonukleotid
APO(a)-LRX. In einer Studie mit Patienten mit kardiovasku-
lärer Erkrankung senkte die neue Substanz den Lp(a)-Spiegel
dosisabhängig (8). Inwiefern das auch das Risiko für kardio-
vaskuläre Ereignisse beeinflusst, ist Gegenstand der momen-
tan laufenden HORIZON-Studie (9).
Ein weiteres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei Pati-
enten mit Atheroskleose stellten erhöhte Triglyzeride dar, so
Sudano. In Entwicklung befinden sich etliche Substanzen zur
Senkung dieser Werte, meist Hemmer von Apolipoprotein
C3 sowie Angiopoietin-like 3 (ANGPTL3) (10).
s
Valérie Herzog
Quelle: «Update in antilipidemic prevention and risk factors», Jahreskongress des Swiss Society of Cardiology, 9.–11. Juni 2021, virtuell.
Referenzen: 1. Ference BA et al.: Low-density lipoproteins cause atherosclero-
tic cardiovascular disease. 1. Evidence from genetic, epidemiologic, and clinical studies. A consensus statement from the European Atherosclerosis Society Consensus Panel. Eur Heart J. 2017;38(32):2459-2472. 2. Brandts J et al.: Low Density Lipoprotein Cholesterol-Lowering Strategies and Population Health: Time to Move to a Cumulative Exposure Model. Circulation. 2020;141(11):873-876. 3. Mach F et al.: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J. 2020;41(1):111-188. 4. Ray KK et al.: EU-Wide Cross-Sectional Observational Study of Lipid-Modifying Therapy Use in Secondary and Primary Care: the DA VINCI study. Eur J Prev Cardiol. 2020;zwaa047. 5. Pinkosky SL et al.: Liver-specific ATP-citrate lyase inhibition by bempedoic acid decreases LDL-C and attenuates atherosclerosis. Nat Commun. 2016;7:13457. 6. Ballantyne CM et al.: Bempedoic acid plus ezetimibe fixed-dose combination in patients with hypercholesterolemia and high CVD risk treated with maximally tolerated statin therapy. Eur J Prev Cardiol. 2020;27(6):593-603. 7. Ray KK et al.: Two Phase 3 Trials of Inclisiran in Patients with Elevated LDL Cholesterol. N Engl J Med. 2020;382(16):1507-1519. 8. Tsimikas S et al.: Lipoprotein(a) Reduction in Persons with Cardiovascular Disease. N Engl J Med. 2020 Jan 16;382(3):244-255. 9. Assessing the impact of Lipoprotein (a) lowering with TQJ230 on major cardiovascular Events in patients with CVD (Lp[a]HORIZON). ClinicalTrials.gov. NCT04023552. 10. Laufs U et al.: Clinical review on triglycerides. Eur Heart J. 2020;41(1):99-109c.
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