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Behandlung von schwerem Asthma
Orale Steroide durch Biologika ersetzen
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Viele Patienten mit schweren Asthmasymptomen stehen unter einer Therapie mit oralen Kortikosteroiden. Neben der effizienten Symptomlinderung treten allerdings auch schon sehr früh schwere Folgeerscheinungen auf. Deshalb empfiehlt die Global Initiative for Asthma (GINA), Kortikosteroide erst einzusetzen, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind. Worauf bei der systemischen Kortikosteroidtherapie und beim Ersatz durch Biologika zu achten ist, erläuterten Experten virtuellen Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie von verschiedenen Experten.
Wenn ein Asthma so schwer ist, dass es fast nicht beherrschbar ist, lindern orale Kortikosteroide die Symptome. Weltweit nähmen zwischen 15 und 57 Prozent der Patienten mit schwerem Asthma regelmässig orale Kortikosteroide, berichtet Prof. Louis-Philippe Boulet, Institut universitaire de cardiologie et de pneumologie de Québec (CAN), Mitglied der GINA-Kommission (Global Initiative for Asthma). Doch so gut diese auch wirken, die Nebenwirkungen sind beträchtlich, sodass ihr Einsatz zeitlich begrenzt bleiben sollte. Gemäss einem systematischen Review von 139 Studien über die Asthmatherapie mit systemischen Kortikosteroiden berichten die meisten Untersuchungen von einem erhöhten Risiko für Diabetes und Adipositas als Folgeerscheinung. Das Risiko für ossäre, muskuläre, kardiovaskuläre und psychiatrische Komplikationen sowie für Hypertonie, Hypercholsterinämie und Katarakt ist ebenfalls erhöht (1). Eine Untersuchung mit 808 Patienten zeigte ausserdem, dass die meisten Patienten mit oralen Kortikosteroiden (93%) mindestens 1 der 6 Folgeerscheinungen erleiden: Pneumonie, Diabetes, Gewichtszunahme, Katarakt, Infektion und Fraktur (2). Das Risiko für solche Komplikationen ist dosisabhängig: Bei Dosierungen < 5 mg/Tag steigt es auf das 2,5-Fache, verglichen mit keiner Einnahme, bei Dosen von 5 bis 10 mg/Tag auf das 3-Fache und bei > 10 mg/Tag auf das 3,5-Fache (3). Auch gelegentliche Verabreichungen können zu Komplikationen führen, denn die Gefahr steigt mit der kumulativen Dosis und
KURZ & BÜNDIG
� Orale Kortikosteroide ziehen schwere Folgeerscheinungen nach sich.
� Das Risiko für Folgeerscheinungen steigt mit der kumulativen Dosis, auch gelegentliche Verabreichungen fallen ins Gewicht.
� Mit dem Einsatz eines Biologikums können Steroide gespart oder ausgeschlichen werden.
� Die Therapieresponse eines Biologikums kann nach 4 bis 6 Monaten beurteilt werden, bei ungenügender Antwort kann gewechselt werden.
ist bereits bei 2 Kurzzeitbehandlungen erhöht (4), so Boulet. Deshalb sei es wichtig, vor einer Verordnung von oralen Kortikosteroiden die Diagnose zu überprüfen und die Faktoren für Exazerbationen zu minimieren. Dazu gehören beispielsweise die Optimierung der Asthmaerhaltungstherapie wie der Wechsel eines Biologikums auf ein anderes, wenn die Wirkung ungenügend ist. Weitere Massnahmen sind die Ermutigung des Patienten zu einer guten Adhärenz, die Überprüfung der Inhalationstechnik und die Erstellung eines Notfallplans im Fall von Exazerbationen. Orale Kortikosteroide müssen zur Beendigung ausgeschlichen werden. Ein Konsensuspapier empfiehlt, die Ausschleichgeschwindigkeit der gegebenen Dosis anzupassen: • ≥ 20 mg/Tag: rasche Reduktion um 10 mg/Tag oder 30 bis
50 Prozent alle 2 bis 4 Wochen • 5 bis 20 mg/Tag: Reduktion um 2,5 bis 5 mg/Tag alle
0,5 bis 2 Wochen • 5 bis 10 mg/Tag: Reduktion um 1 bis 2,5 mg/Tag alle 1 bis
2 Wochen (5). Eine gleichzeitige Einführung eines Biologikums könnte beispielsweise helfen, das Wiedererstarken der Erkrankung infolge Reduktion der oralen Kortikosteroide abzufedern, so Boulet.
Biologika rücken vor
Weil die Nebenwirkungen von systemischen Kortikosteroiden so schwer sind und so früh auftreten, sollen sie gemäss den neuen GINA-Guidelines 2021 nur noch eingesetzt werden, wenn alle anderen Optionen, auch Biologika, ausgeschöpft sind (6), berichtet Prof. Roland Buhl, Medizinische Klinik, Schwerpunkt Pneumologie, Universitätsspital Mainz. Biologika können bei Asthmapatienten mit einer allergischen oder eosinophilen Pathogenese zum Einsatz kommen, bei erhöhten FeNO-Werten oder bei jenen, die systemische Kortikosteroide als Erhaltungstherapie benötigten, so Buhl weiter. Momentan stehen 5 verschiedene Biologika zur Verfügung. Die Wahl richtet sich nach der Pathogenese des Asthmas. Bei klarer allergischer Ursache empfehlen die GINA-Guidelines Omalizumab (Anti-IgE) zur Behandlung von schwerem Asthma (7). Dieses bindet an den Fc-Bestandteil des freien IgE, reduziert dieses, und die Rezeptorexpression wird herunterreguliert. Bei schwerem eosinophilen Asthma mit Ex-
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azerbationen im vergangenen Jahr sollen bei Eosinophilen ≥ 300/µl die Anti-IL-5/5-Rezeptor-Therapien Benralizumab (Anti-IL-5R), Mepolizumab, Reslizumab eingesetzt werden, bei Eosinophilen ≥ 150/µl oder FeNO ≥ 25 ppb kommt der Anti-IL-4R Dupilumab zum Einsatz (7). Dass die Biologika im Praxisalltag funktionieren, zeigte beispielsweise eine Real-World-Studie mit Mepolizumab. Die REALITI-A-Studie umfasste 368 Patienten mit schwerem Asthma, die von ihrem Arzt seit 12 Monaten Mepolizumab 100 mg s.c. alle 4 Wochen neu erhalten hatten. Es zeigte sich, dass die klinisch relevanten Exazerbationen von anfänglich 4,63 auf 1,43 um 69 Prozent sanken (p < 0,001). Bei 159 Patienten, die unter oralen Kortikosteroiden standen, konnte die Dosis von 10 mg nach 21 bis 24 Wochen auf 5 mg reduziert und bis zum Studienende aufrechterhalten werden (8). Eine weitere Real-World-Studie untersuchte die Langzeittherapieresponse von Anti-IL-5/5R-Biologika bei Patienten mit schwerem eosinophilen Asthma. 114 Praxispatienten, die eine Therapie mit Benralizumab, Mepolizumab oder Reslizumab begannen, wurden eingeschlossen. Nach 2 Jahren zählten 15 Prozent der Patienten zu den «Superrespondern», das heisst, sie waren ohne Resterkrankung. Diese Patientengruppe tendierte zu einer kürzeren Erkrankungsdauer, ohne Nasenpolypen und einem tieferen BMI. 69 Prozent der Teilnehmer sprachen partiell an, ihre Resterkrankung betraf die reduzierte Lungenfunktion (59%), eine unkontrollierte sinonasale Erkrankung (58%) und unkontrollierte Asthmasymptome (48%). 11 Prozent der Patienten sprachen gar nicht an. Insgesamt führte eine Anti-IL-5/5R-Therapie somit zu einer
kompletten oder partiellen Therapieresponse bei 83 Prozent der Patienten. Aufgrund der Resterkrankung kam es bei 41 Prozent zu einem Wechsel des Biologikums (9).
Überdies zu beachten
Bei einer Therapie mit Biologika sollte jedoch beachtet
werden, dass nicht jede Allergie obligat auch Treiber des
schweren Asthmas sein müsse, so Buhl. Eine kürzlich publi-
zierte Subgruppenanalyse der Dupilumab-Zulassungsstudie
LIBERTY ASTHMA QUEST hat beispielsweise ergeben,
dass die Exazerbationen auch bei jenen rückläufig waren, die
eine Allergie hatten (10). Ein zweiter Blick bei Patienten, die
eine Allergie angäben oder einen positiven Allergietest auf-
wiesen, lohne sich also, so Buhl.
Die Behandlung mit einem Biologikum sollte 4 bis 6 Monate
lang durchgeführt werden, um eine Therapieantwort ad-
äquat beurteilen zu können, so der Rat von Buhl. Allerdings
wirkt nicht jedes Biologikum bei jedem Patienten. Ist die
Therapieantwort ungenügend und geht es dem Patienten
nicht besser, kann auf ein anderes Biologikum umgestellt
werden. Fühlt sich der Patient dagegen so gut, dass er mit der
Biologikatherapie aufhören möchte, ist das laut dem Refe-
renten ohne Weiteres möglich. Ebenso eine spätere Wieder-
aufnahme der Therapie mit dem gleichen Biologikum, wenn
sich die Erkrankung nach wenigen Wochen oder Monaten
erneut verschlechtert. Biologika haben keinen krankheits-
modifizierenden Effekt, weshalb die inhalative Therapie
während der ganzen Zeit weitergeführt werden muss, so der
Experte abschliessend.
s
Nationales Register zu schwerem Asthma
Asthma ist eine verbreitete chronische Erkrankung. Unter einem schweren Asthma leiden je nach Definition etwa 5 bis 10 Prozent der Asthmatiker in der Schweiz. Um nähere Informationen über den Krankheitsverlauf zu erhalten, wurde 2018 ein nationales Register zum schweren Asthma ins Leben gerufen. Darin würden beispielsweise Angaben zu Anamnese, Symptomen, Fragebogen, zur funktionellen und zusätzlichen Diagnostik sowie zur Medikation erfasst, berichtet der Verantwortliche Prof. Jörg Leuppi, Chefarzt Universitätsklinik für Innere Medizin, Kantonsspital Baselland. Die Daten kommen von über 40 Institutionen der Schweiz, ein Drittel davon sind niedergelassene Lungenfachärzte, zwei Drittel Kliniken.
Bislang sind Daten zu 200 Patienten zusammengekommen, darunter 114 männlichen Geschlechts. Das Durchschnittsalter liegt bei 56 Jahren. Der Body-Mass-Index sei, so Leuppi, überraschenderweise hoch (BMI ca. 30). Etwa 40 Prozent der erfassten Patienten leiden gemäss ICD-10 an einem allergischen Asthma, 30 Prozent an einer nicht allergischen und zirka 20 Prozent an einer gemischten Form, bei den restlichen Patienten ist die Form nicht bekannt. 40 Prozent haben im vergangenen Jahr keine Exazerbationen erlitten, etwa 20 Prozent hatten 1/Jahr, 30 Prozent > 1/Jahr und etwa 5 Prozent > 1/Monat. Bezüglich Medikation sind bei 17,5 Prozent systemische Kortikosteroide als Erhaltungstherapie eingesetzt, mehr als ein Drittel verwenden Mepolizumab, etwa ein Viertel Benralizumab und etwa 18 Prozent Omalizumab. Der Anteil von Dupilumab und Reslizumab liegt gemäss Leuppi unter 10 Prozent. Das Register nimmt weiter Daten von Patienten mit schwerem Asthma auf.
Weitere Angaben unter: www.clinicaltrials.gov; NCT03984253
Valérie Herzog
Quelle: «Severe Asthma», Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für
Pneumologie, 17. bis 18. Juni 2021, virtuell.
Referenzen: 1. Bleecker ER et al.: Systematic literature review of systemic corti-
costeroid use for asthma management. Am J Respir Crit Care Med. 2020;201(3):276-293. 2. Sweeney J et al.: Comorbidity in severe asthma requiring systemic corticosteroid therapy: cross-sectional data from the optimum patient care research database and the british thoracic difficult asthma registry. Thorax. 2016;71(4):339-346. 3. Volmer T et al.: Consequences of long-term oral corticosteroid therapy and its side-effects in severe asthma in adults: a focused review of the impact data in the literature. Eur Respir J. 2018;52(4):1800703. 4. Price DB et al.: Adverse outcomes from initiation of systemic corticosteroids for asthma: long-term observational study. J Asthma Allergy. 2018;11:193-204. 5. Suehs CM et al.: Expert consensus on the tapering of oral corticosteroids for the treatment of asthma. A delphi study. Am J Respir Crit Care Med. 2021;203(7):871-881. 6. Asthma management and prevention for adults and children older than 5 years (Update 2021): www.ginasthma.org/wpcontent/uploads/2021/05/GINA-Pocket-Guide-2021-V2-WMS.pdf. Letzter Abruf: 22.6.21. 7. GINA Difficult-to-treat & severe Asthma 2019: https:// ginasthma.org/wp-content/uploads/2019/04/GINA-Severeasthma-Pocket-Guide-v2.0-wms-1.pdf. Letzter Abruf: 22.6.21. 8. Harrison T et al.: Real-world mepolizumab in the prospective severe asthma REALITI-A study: initial analysis. Eur Respir J. 2020;56(4):2000151. 9. Eger K et al.: Long-term therapy response to anti-IL-5 biologics in severe asthma – a real-life evaluation. J Allergy Clin Immunol Pract. 2021;9(3):1194-1200. 10. Corren J et al.: Dupilumab efficacy in patients with uncontrolled, moderate-to-severe allergic asthma. J Allergy Clin Immunol Pract. 2020 Feb;8(2):516-526.
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