Transkript
SGK
Antithrombotische Therapie nach akutem Koronarsyndrom
Nicht alles für jeden
Zur Verhinderung von erneuten Thrombosen nach koronaren Ereignissen gibt es mit den verschiedenen Plättchenhemmern und Antikoagulanzien einige Kombinationsmöglichkeiten. Für die Wahl der antithrombotischen Therapie gilt es, unter anderem Klinik und Komorbiditäten zu berücksichtigen sowie das Risiko für Blutungen gegen jenes für erneute ischämische Ereignisse abzuwägen. Wie das gehen kann, erklärte Prof. Jürg Hans Beer, Chefarzt Innere Medizin, Kantonsspital Baden, am virtuellen Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie.
Nach einer erfolgreichen perkutanen Intervention (PCI) nach akutem koronarem Ereignis (ACS) ohne ST-Hebung sollte der Patient mindestens 1 Jahr antithrombotisch behandelt werden. Gemäss den Guidelines der European Society of Cardiology (1) ist für die Wahl der antithrombotischen Therapie und ihrer Dauer das Blutungsrisiko entscheidend. Bei tiefem Blutungsrisiko ist die duale antithrombotische Therapie (dual antiplatelet therapy, DAPT) während 12 Monaten mit Acetylsalicylsäure (ASS) und einem P2Y12-Antagonisten, vorzugsweise Prasugrel und als Alternativen Ticagrelor oder Clopidogrel, empfohlen. Danach soll die DAPT mit Kombinationen aus ASS plus Rivaroxaban oder ASS plus einem P2Y12-Antagonisten weitergeführt werden. Anstatt einer DAPT in den ersten 12 Monaten kann diese alternativ auch nur 3 Monate durchgeführt werden, ab dem 3. Monat folgt dann eine zeitlich unbegrenzte Therapie mit Ticagrelor allein. Ist das Blutungsrisiko hoch, soll für 3 Monate eine DAPT mit ASS und Clopidogrel erfolgen, ab dem 3. Monat unbegrenzt nur noch mit ASS. Bei sehr hohem Blutungsrisiko ist eine DAPT mit ASS plus Clopidogrel während 1 Monats angezeigt, danach unbegrenzt mit Clopidogrel allein. Leidet der Patient zusätzlich an einem Vorhofflimmern, erhält er nach der perkutanen Koronarintervention ungeachtet seines Blutungsrisiko während der ersten Woche im Spital eine Dreifachtherapie, bestehend aus einem direkten oralen Antikoagulans (DOAK) oder einem Vitamin-K-Antagonisten plus ASS plus P2Y12-Antagonist. Danach erfolgt bei tiefem Blutungsrisiko eine Zweifachtherapie mit einem (D)OAK und einem Plättchenhemmer für die nächsten 12 Monate, danach mit dem (D)OAK allein. Ist das Blutungsrisiko hoch, wird die Zweifachtherapie nur für 6 Monate durchgeführt, danach mit alleiniger (D)OAK. Bei sehr hohem Blutungsrisiko verkürzt sich die Zweifachtherapie auf 1 Monat, gefolgt von einer (D)OAK-Therapie plus einem Plättchenhemmer bis zum 12. Monat, ab dann ein (D)OAK allein (1).
Bestimmung des Ischämie- und Blutungsrisikos
Das Risiko für eine Ischämie oder eine Blutung kann mit entsprechenden Scores bestimmt werden. Mit dem DAPTScore lässt sich das Ischämierisiko nach 12 Monaten einschätzen. Damit wird die Frage beantwortet, ob eine Verlängerung der DAPT auf 30 Monate erfolgen soll. Der DAPT-Score berücksichtigt Variablen wie Alter, Diabetes mellitus, vormaligen Herzinfarkt oder PCI, aktuellen Herzinfarkt, Herzinsuffizienz oder linksventrikuläre Auswurffraktion < 30 Prozent sowie Stenteigenschaften. Das Blutungsrisiko wird dagegen mit dem PERCISEDAPT-Score ermittelt. Dazu zählen Alter, Hämoglobinwert, Nierenfunktion, Leukozytenzahl und vormalige Blutungen. Dieser Score hilft bei der Entscheidung, ob die DAPT nach einer PCI auf 3 beziehungsweise 6 Monate verkürzt werden soll (2). Mit dem PERCISE-DAPT-Score lässt sich gemäss Beer auch voraussagen, welcher Patient einen Nutzen von einer verlängerten DAPT hat. Gemäss einer Analyse profitiert der komplexe Patient mit tiefem Blutungsrisiko eher von einer verlängerten DAPT, während bei nicht komplexen Patienten und solchen mit hohem Risiko eine verkürzte DAPT nutzbringender ist (3). Mussten sich Herzinfarktpatienten mit ST-Hebung einer PCI unterziehen, erhalten jene mit erhöhtem Thromboserisiko eine DAPT mit ASS plus P2Y12-Antagonist plus eventuell einem tief dosierten DOAK für 12 bis 36 Monate. Bei erhöhtem Blutungsrisiko kann ASS durchgehend gegeben werden, ein zusätzlicher P2Y12-Antagonist nur während der ersten 6 bis 12 Monate (2).
Vorgehen bei stabiler KHK
Patienten mit chronischem Koronarsyndrom (CCS) beziehungsweise stabiler koronarer Herzkrankheit (KHK) im Sinusrhythmus und mit hohem Ischämierisiko sollen gemäss den ESC-Guidelines für die Langzeitprävention zum ASS ein zweites Antithrombotikum erhalten, sofern ihr Blutungsrisiko tief ist (4).
8 CongressSelection Kardiologie | Pneumologie | August 2021
SGK
Tabelle:
Antithrombotische Therapie nach akutem Koronarsyndrom
Substanzklasse
Präparat
Antikoagulanzien Faktor-Xa-Inhibitoren
Rivaroxaban (Xarelto®)
Apixaban (Eliquis®) Edoxaban (Lixiana®) Fondaparinux (Arixtra®)
Thombin-Inhibitoren
Dabigatran (Pradaxa®)
niedermolekulares Heparin
Enoxaparin (Clexane®, Inhixa®)
Thrombozytenaggregationshemmer
P2Y12-Antagonisten
Clopidogrel (Plavix®, Generika) Prasugrel (Efient®)
Ticagrelor (Brilique®)
Cangrelor (Kengrexal®)
COX- und Prostaglandinhemmer
Acetylsalicylsäure
Verabreichung
oral oral oral Injektion oral
oral oral oral Injektion oral
GP-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonist
Eptifibatid (Integrilin®) Tirofiban (Aggrastat®)
Quelle: mod. nach JH Beer, SGK 2021 und (1)
Injektion Injektion
CCS-Patienten mit zusätzlichem Vorhofflimmern nach PCI
sollen antikoaguliert werden, vorzugsweise mit einem
DOAK (Apixaban 2 × 5 mg/Tag, Dabigatran 2 × 150 mg/
Tag, Edoxaban 60 mg/Tag, Rivaroxaban 20 mg/Tag). Bei
Bedenken bei hohem Blutungsrisiko kann die Dosis von
Rivaroxaban auf 15 mg/Tag reduziert werden.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Dual antiplatelet therapy after ACS over time: one size does not fit all», Jahreskongress der Swiss Society of Cardiology, 9. Bis 11. Juni 2021, virtuell.
Referenzen: 1. Collet JP et al.: 2020 ESC Guidelines for the management of acute
coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation. Eur Heart J. 2021;42(14):1289-1367. 2. Jurisic, Cardiovascular Medicine 2021, in press. 3. Lüscher T et al.: Eur Heart J 2021, in press. 4. Knuuti J et al.: 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of chronic coronary syndromes. Eur Heart J. 2020;41(3):407477.
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