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Weizenallergie und Zöliakie
Es muss nicht immer Weizen sein
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Eine Weizenallergie ist als echte Nahrungsmittelallergie in erster Linie im frühen Kindesalter nachweisbar. Bei Erwachsenen werden dagegen verschiedene andere Krankheitsbilder im Zusammenhang mit Weizen beobachtet – die Ausprägungen reichen über anstrengungsinduzierte anaphylaktische Reaktionen über Bäckerasthma bis zur eosinophilen Ösophagitis.
Weizen ist ein häufiges Allergen, das vor allem bei Kindern von Bedeutung ist: Die Prävalenz einer diagnostisch bestätigten Weizenallergie liegt bei Kindern (0–14 Jahre) weltweit zwischen 0,1 und 0,5 Prozent. Diese Allergie tritt bei 90 Prozent der betroffenen Kinder bereits bei der ersten Exposition gegenüber Weizen auf, daher wird sie häufig schon während der ersten 2 Lebensjahre diagnostiziert, berichtete Dr. Isabel J. Skypala vom Royal Brompton Hospital aus London (GB) beim Jahrestreffen der American Academy of Allergy, Asthma and Immunology (AAAAI). Eine Verzögerung der ersten Exposition über ein Alter von 6 Monaten hinaus ist mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Weizenallergie assoziiert. Bei Erwachsenen benötigen allergische Reaktionen auf Weizen meist Kofaktoren, um manifest zu werden; bekannt ist diese Reaktionsform als WDEIA (wheat-dependent exercise induced anaphylaxis). Die Betroffenen können meist Weizen-
KURZ & BÜNDIG
� Eine Weizenallergie entwickelt sich bei Kindern meist sehr früh im Leben und bildet sich noch während der Kindheit wieder zurück.
� Bei Erwachsenen tritt eine Weizenallergie oft als WDEIA oder als Bäckerasthma auf.
� Nach Milch ist Weizen der zweithäufigste Trigger für eine eosinophile Ösophagitis.
� Reaktionen auf weizenhaltige Produkte können auch durch die Aufnahme von Mehlmilben verursacht werden, die sich im Mehl vermehren, das lang aufbewahrt wird.
� In der Diagnostik sollten einzelne Weizenallergene getestet und Kreuzreaktionen von Gräserpollenallergikern ausgeschlossen werden.
� Bei Verdacht auf Zöliakie sollte das Vorliegen einer Weizenallergie ausgeschlossen werden.
produkte essen, ohne Symptome zu entwickeln, doch wenn Kofaktoren wie körperliche Anstrengung, Schmerzmittel (ASS oder NSAR) oder Alkohol im zeitlichen Zusammenhang zur Weizenaufnahme hinzukommen, erleiden diese Patienten schwere allergische Reaktionen, die bis zum anaphylaktischen Schock reichen können. Die ursächlichen Allergene sind meist Gliadin oder Lipid-Transfer-Proteine (LTP). Allerdings gibt es auch klassische allergische Reaktionen auf Weizenmehl bei Erwachsenen in Form von Rhinitis und Asthma. Betroffen sind oft Mitarbeiter des Backgewerbes, deshalb bezeichnet man die Erkrankung auch als Bäckerasthma. Die auslösenden Allergene sind hier am häufigsten α-Amylase, Proteine aus der Gruppe der Trypsin-Inhibitoren oder LTP. Häufig ist Weizen als Nahrungsmittel auch ein Trigger der nicht durch IgE vermittelten, aber zu den allergischen Erkrankungen zählenden eosinophilen Ösophagitis (EoE). Sie ist gekennzeichnet durch eine Eosinophileninfiltration der Ösophagusschleimhaut. Etwa 75 Prozent der EoE-Patienten sind Atopiker und weisen Sensibilisierungen auf Nahrungsmittel und/oder Aeroallergene auf. Weizen ist in bis zu 60 Prozent der Patienten als Trigger der EoE beteiligt und nach Milch das zweithäufigste auslösende Nahrungsmittel. Eine weitere mögliche Ursache bei Patienten, die über Reaktionen auf mehlhaltige Lebensmittel berichten, können auch Mehlmilben sein. Insbesondere dann, wenn Mehl lange oder auch in feuchter Umgebung aufbewahrt wird, können sich darin Mehlmilben vermehren. Dieses Problem betrifft nicht nur Weizenprodukte, sondern auch andere Zerealien. Eine solche Milbenallergie sollte man bei entsprechenden Beschwerden als Differenzialdiagnose in Erwägung ziehen, betonte Skypala.
Basis der Diagnostik ist eine gute Anamnese
Die beste Methode, um eine Weizenallergie zu diagnostizieren, ist zunächst eine gute Anamnese. Dabei sollte auch nach dem Vorliegen einer allergischen Rhinitis, eines Asthmas oder einer atopischen Dermatitis gefragt werden. Das ist deshalb relevant, weil Patienten mit atopischer Dermatitis häufig im Hauttest positiv auf Weizen reagieren, ohne dass dies eine klinische Relevanz hätte. Patienten mit allergischer Rhi-
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Abbildung 1: Weizen (Triticum aestivum) und Einkorn (Triticum monococcum) im Vergleich (Bild: Mark Nesbitt/wikimedia commons)
Abbildung 2: Dinkel (Spelt; Triticum aestivum subsp. spelta) (Bild: Hans/pixabay)
Abbildung 3: Zweikorn (Emmer; Triticum dicoccum) (Bild: MonikaP/pixabay)
nitis sind oft sensibilisiert gegenüber Gräsern und könnten aufgrund einer Kreuzreaktivität zwischen Gräsern und Weizen einen positiven Allergietest auf Weizen aufweisen. Glutenine und Gliadine sind die wichtigsten im Weizen enthaltenen Allergene, die bei Weizenallergie oder WDEIA involviert sind. Insbesondere Omega-5-Gliadin hat in der Diagnose einer Weizenallergie oder WDEIA eine gute Aussagekraft, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Bei Erwachsenen mit Verdacht auf WDEIA kann eine Nahrungsmittelprovokation hilfreich sein, die bei hoher Dosierung des Weizenglutens oft auch ohne einen zusätzlichen körperlichen Belastungstest zu Symptomen und damit zur Diagnose führt.
Individualisierte Ernährungsberatung unerlässlich
Sobald eine Weizenallergie oder WDEIA diagnostisch bestätigt wurde, ist es sowohl für Kinder als auch für Erwachsene wichtig, auf alle Formen von Lebensmitteln, die Weizen und Weizenarten enthalten, zu verzichten. Dazu zählen auch alte Getreidesorten wie Dinkel, Zweikorn (Emmer) und Einkorn (Abbildung 1–3); zudem sollte auch Couscous gemieden werden, da er aus Hartweizengriess besteht. Alle anderen Weizensorten werden normalerweise vertragen, nur vereinzelt gibt es Fallberichte, dass der Konsum von Gerste ebenfalls zu Reaktionen bei Weizenallergikern geführt habe. Eine individualisierte Ernährungsberatung sei bei diesen Patienten unerlässlich, betonte Skypala.
Weizenallergie als vorübergehendes Phänomen
In den meisten Fällen verschwindet die Nahrungsmittelall-
ergie auf Weizen noch während der Kindheit, sodass die
meisten als Kinder betroffenen Patienten bereits im Alter von
16 bis 18 Jahren Weizenprodukte wieder vertragen. «Es ist
wichtig, bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit, ob eine
Weizenallergie vorliegt oder nicht, unvoreingenommen zu
sein», hob Skypala hervor. Wenn auch, abgesehen von der
WDEIA, eine klassische, symptomatische Allergie auf Wei-
zenprodukte bei Erwachsenen selten ist, neigen viele Erwach-
sene dazu, Weizenprodukte zu meiden. Das wiederum birgt
die Gefahr für eine unzureichende Nährstoffversorgung.
Denn weizenfreie Diäten enthalten nur unzureichende Men-
gen an Kalzium, Eisen, Zink, Folat und Ballaststoffen, man-
che glutenfreie Produkte haben zudem auch einen niedrigen
Proteinanteil.
Um unnötige Diätmassnahmen und ihre negativen Folgen zu
vermeiden, ist eine gründliche Testung auf das Vorliegen
einer Weizenallergie auch bei Erwachsenen sinnvoll, und
wenn diese negativ ausfällt, soll das Vorliegen einer Zöliakie
oder Weizenintoleranz abgeklärt werden.
s
Adela Žatecky
Quelle: Session 316 «Wheat Allergy or Gluten Intolerance: Sifting the Facts» beim Jahrestreffen der American Academy of Allergy, Asthma and Immunology (AAAAI), 26. Februar bis 1. März 2021 online.
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