Transkript
AIU
Polyposis nasi
Es geht auch ohne Chirurgie
Biologika können bei chronischer Rhinosinusitis mit Polyposis nasi langfristig für freies Atmen und Riechen sorgen. Wenn bei einer chronischen Rhinitis mit Polypen die Nasenatmung und damit das Riechvermögen eingeschränkt sind, bleibt oft nur die chirurgische Entfernung der nasalen Schleimhautwucherungen. Doch auch das wirkt nicht dauerhaft: Die Polypen wachsen häufig nach. Da den Polypen ein Entzündungsgeschehen zugrunde liegt, könnten antiinflammatorische Biologika helfen.
Ein einfacher Schnupfen ist lästig: Die Nase läuft, man kann nicht durch die Nase atmen, riecht und schmeckt nichts, der Kopf drückt, dazu ist die Oberlippe vom häufigen Naseputzen entzündet. Alles zusammen verhindert, dass man schlafen kann. Kurz: Bei Rhinosinusitis ist man krank. In der Regel ist der Spuk jedoch nach einer Woche vorbei. Belastend ist dagegen, wenn diese Symptome chronisch werden. Von einer chronischen Rhinosinusitis (CRS) spricht man, wenn die Schnupfensymptome länger als 12 Wochen persistieren. Und es sind nicht wenige, die daran leiden: In Westeuropa seien es etwa 10,9 Prozent der Bevölkerung, berichtete Dr. Peter Jandus aus Genf beim diesjährigen Allergy and Immunology Update (AIU). Wenn bei CRS noch Nasenpolypen (NP, CRS with NP = CRSwNP) hinzukommen, die zusätzlich zur geschwollenen Schleimhaut das Nasendach verlegen, erhöht sich die Krankheitslast, wird die Lebensqualität eingeschränkt und steigen die Kosten für die Behandlung. Die Prävalenz von CRSwNP wird auf 2,1 bis 4,3 Prozent geschätzt. CRS ohne NP (CRS sine NP = CRSsNP) kann uni- oder bilateral vorkommen, bestehen jedoch Polypen, sind in der Regel beide Nasengänge betroffen. Die Schleimhautwucherungen sind meist an der mittleren Nasenmuschel lokalisiert, können sich aber auch in den Nebenhöhlen befinden. Mit der CRS sind häufig auch andere Erkrankungen vergesellschaftet, vor allem die der Atemwege wie Asthma, des Weiteren chronische Entzündungen wie Vaskulitis oder Granulomatose, zystische Fibrose, Immundefizite, Schlafapnoe und gastroösophagealer Reflux. Als Risikofaktoren für eine CRS gelten Übergewicht, metabolisches Syndrom, bakterielle und virale Infektionen, Rauchen, Vitamin-D-Defizit, Alkoholabusus, anatomische Veränderungen im Nasen-Rachen-Raum und Schadstoffbelastung der Atemluft. Die Standardtherapie bei CRSwNP besteht bei • milden Formen aus Spülungen mit Salzlösungen und korti-
koidhaltigem Nasenspray • mittlerem Schweregrad aus systemischen Steroiden und/
oder Antibiotika
• schweren Formen und bei Versagen der medikamentösen Massnahmen bis anhin nur aus der chirurgischen Sanierung der Nase und ihrer Nebenhöhlen mit Entfernung der Polypen.
Doch die operativen Eingriffe haben ihre Tücken. Denn auch wenn die Operation zunächst erfolgreich ist und die Beschwerden beseitigt sind, kommt es häufig zu einem Rezidiv, auch wenn die intranasale Steroidtherapie weitergeführt wird: • 12 Monate nach der Operation bei 20 Prozent • 18 Monaten nach der Operation bei 40 Prozent • 12 Jahre nach der Operation leiden 80 Prozent der Ope-
rierten wieder unter CRSwNP. Wie Jandus weiter berichtete, wird die CRSwNP als immunologische Erkrankung gesehen, an der eine Vielzahl von Mediatoren und Zelltypen beteiligt sind. Diese Entzündungsform wird dem Typ 2 zugerechnet. Deshalb finden sich bei CRSwNP-Patienten häufig weitere Typ-2-getriebene Erkrankungen: • bei der Hälfte Asthma • bei 75 Prozent allergische Rhinitis • bei etwa 10 bis 20 Prozent besteht als Komorbidität ein
Analgetika-Intoleranz-Syndrom (AIS), das auch als NSAID-ausgelöste Atemwegserkrankung (N-ERD) bezeichnet wird. Die Forschungen im letzten Jahrzehnt haben aber Optionen eröffnet, wie man diese Entzündungsprozesse beeinflussen kann. Das gilt auch für die CRSwNP, besonders wenn die operative Entfernung der Polypen nicht den gewünschten Erfolg erzielt. Mit Biologika, meist monoklonalen Antikörpern, die bereits bei anderen Indikationen zugelassen sind, lassen sich die Entzündungsprozesse hemmen. Jandus stellte einige dieser Biologika vor, die auch bei CRSwNP eingesetzt werden könnten.
Dupilumab
Einer der von Jandus genannten Entzündungshemmer ist das bei atopischer Dermatitis erfolgreich eingesetzte Dupilumab. Der rekombinante, humane, monoklonale IgG4-Antikörper
8 CongressSelection Allergologie | Mai 2021
AIU
Abbildung:
Indikationen für Biologika bei CRSwNP Nachweis bilateraler Polypen bei einem Patienten nach ESS*
3 Kriterien erforderlich
Kriterien
• Nachweis einer Typ-2-Entzündung
• Bedarf an systemischen Kortikoiden oder Kontraindikation gegen deren Anwendung
• Signifikant eingeschränkte Lebensqualität • Signifikanter Geruchsverlust • Diagnose eines Asthmas als Komorbidität
Grenzwerte
Gewebseosinophile ≥ 10/hpf ODER Bluteosinophile ≥ 250/µl ODER Gesamt-IgE ≥100 IU/ml
≥ 2 Zyklen/Jahr ODER Langzeitanwendung (> 3 Monate) niedrig dosierter Kortikoide SNOT-22 ≥ 40 Anosmie im Riechtest Asthma mit Bedarf an ICS-Dauertherapie
*ESS: Endoscopic Sinus Surgery Quelle: Europäischen Positionspapier zu Rhinosinusitis mit Nasenpolypen (5), online unter https://www.rhinologyjournal.com/Documents/Supplements/supplement_29.pdf
richtet sich gegen die Alpha-Untereinheit der Rezeptoren von Interleukin (IL) 4 und IL-13. Dadurch werden die Signalwege der beiden Zytokine gehemmt. Dass Dupilumab auch bei CRSwNP wirkt, wurde in der SINUS-Studie nachgewiesen: Bei erwachsenen Patienten mit schwerer CRSwNP reduzierte Dupilumab die Polypengrösse, die Sinustrübung und den Schweregrad der Symptome – und das bei guter Verträglichkeit. Dupilumab hat sich bereits in der täglichen Praxis bewährt: In Deutschland ist der Antikörper seit 2019 für die Behandlung von Patienten mit schwerer CRSwNP zugelassen (1).
Omalizumab
Omalizumab ist ein rekombinante humanisierter, monoklonaler Antikörper gegen Immunglobulin E (Anti-IgE) und wird vor allem zur Behandlung bei schwerem allergischem Asthma und bei chronisch spontaner Urtikaria eingesetzt. Doch auch bei CRSwNP hilft Omalizumab, wie in den 2 plazebokontrollierten Studien POLYP 1 + 2 nachgewiesen werden konnte. Auch hier verbesserte das Biologikum signifikant die endoskopischen und klinischen Symptome bei ebenfalls guter Verträglichkeit. In den Studien wurde zudem untersucht, wie oft bei den Teilnehmern eine Medikation mit systemischen Kortikoiden erforderlich war. Im Vergleich zu Plazebo war das in der Verumgruppe um 62 Prozent seltener der Fall. Auch die Notwendigkeit für eine (weitere) Operation war unter Omalizumab um 18 Prozent geringer (2).
Mepolizumab
Mepolizumab ist ein humanisierter, monoklonaler Antikörper gegen IL-5, der bereits zur Therapie von Patienten mit einem refraktären eosinophilen Asthmas zugelassen ist. Und auch bei CRSwNP hilft offenbar die Blockade von IL-5, wie in der SYNAPSE-Studie belegt werden konnte. Hier richtete man den Fokus auf die Polypengrösse und die sinunasalen Symptome wie die Obstruktion. Ergebnis: Im Score für die Beurteilung der nasalen Polypen zeigte sich unter Mepolizumab eine signifikante Verbesserung im Vergleich zu Plazebo. Noch deutlicher fiel dieser Unterschied beim Score für die nasale Obstruktion aus: Um mehr als 3 Punkte besserten sich im Mittel die Beschwerden auf der VAS-Skala im Vergleich zu Plazebo. Auch alle sekundären Endpunkte zeigten einen signifikanten Vorteil für Mepolizumab. So reduzierte sich die Indikation für NP-Operationen um 57 Prozent (Hazard Ratio 0,43; p = 0,003), und auch die Notwendigkeit für den Einsatz systemischer Steroide ging zurück. Ebenso verbesserte sich der SNOT-22 (Sinonasal-Outcome-Test-22-Score) und auch die Scores zur Messung des Geruchsverlusts. Das Nebenwirkungsprofil entsprach demjenigen, wie es von anderen Mepolizumab-Indikationen bekannt war, wobei Nasopharyngitis mit 23 bis 25 Prozent in der Verumgruppe die häufigste Nebenwirkung war (3).
Benralizumab
Noch ein weiterer Rezeptorantagonist verkleinert die nasalen Polypen: Benralizumab – ein humanisierter, monoklonaler Antikörper des Typs IgG1κ. Er bindet mit hoher Affinität
CongressSelection Allergologie | Mai 2021
9
AIU
und Spezifität an den humanen IL-5-Rezeptor (IL-5Rα), der auf der Oberfläche der eosinophilen Granulozyten lokalisiert ist. Es kommt zur Apoptose der Granulozyten und so zu einer Reduktion der Entzündungsreaktion. In der ANDHI-Studie wurde Benralizumab bei Patienten mit schwerem Asthma getestet. Da die Untersucher um die enge Assoziation zwischen Asthma und Nasenpolypen wissen, wurde in einer Subgruppenanalyse auch der Effekt auf die Polypen ausgewertet. Ergebnis: In der Benralizumab-Gruppe verbesserte sich der SNOT-22 um fast 20 Punkte, in der Plazebogruppe waren es nur knapp 10 Punkte (4).
Stellenwert der Biologika
Aufgrund der insgesamt guten Ergebnisse der Biologika bei CRSwNP wurde im europäischen Positionspapier zu Rhinosinusitis mit Nasenpolypen ein Entscheidungsweg für die Behandlung der CRSwNP-Patienten mit Biologika festgehalten (5). Danach müssen 3 der folgenden 5 Kriterien erfüllt sein (siehe Abbildung): Nachweis einer Typ-2-Entzündung, Indikation für systemische Steroide (oder Kontraindikationen dafür), eindeutige Einschränkung der Lebensqualität (SNOT-22 über 40 Punkte), signifikanter Verlust des Geruchssinns und Vorliegen eines Asthmas als Komorbidität. Ob die Biologika beim einzelnen Patienten wirken, sollte nach 16 Wochen und nach 1 Jahr kontrolliert werden. In seinem Fazit berichtete Jandus, dass in der Schweiz noch keines der Biologika für die Behandlung der CRSwNP zuge-
lassen sei. Auch wenn es bereits Empfehlungen gebe, seien noch viele Fragen offen, z. B. wie lange behandelt werden müsse und mit welchem Biologikum am besten die Therapie zu starten sei. Des Weiteren sollten Biomarker gesucht werden, die für die Therapiekontrolle eingesetzt werden könnten. s
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Allergy and Immunology Update (AIU), online am 30. Januar 2021.
Referenzen: 1. Bachert C et al.: Efficacy and safety of dupilumab in patients with
severe chronic rhinosinusitis with nasal polyps (LIBERTY NP SINUS-24 and LIBERTY NP SINUS-52): results from two multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, parallel-group phase 3 trials. Lancet. 2019;394(10209):1638-1650. 2. Gevaert P et al.: Efficacy and safety of omalizumab in nasal polyposis: 2 randomized phase 3 trials. J Allergy Clin Immunol. 2020;146(3):595-605. 3. Hopkins C et al.: Late Breaking Abstract – Add-on mepolizumab for chronic rhinosinusitis with nasal polyps: SYNAPSE study, European Respiratory Journal 2020;56(Suppl. 64):4616. DOI: 10.1183/13993003.congress-2020.4616 4. Harrison TW et al.: Onset of effect and impact on health-related quality of life, exacerbation rate, lung function, and nasal polyposis symptoms for patients with severe eosinophilic asthma treated with benralizumab (ANDHI): a randomised, controlled, phase 3b trial. Lancet Respir Med. 2021;9(3):260-274. 5. Fokkens WJ et al.: European Position Paper on Rhinosinusitis and Nasal Polyps 2020. Rhinology. 2020;58(Suppl S29):1-464. doi: 10.4193/Rhin20.600.
10 CongressSelection Allergologie | Mai 2021