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Interstitielle Lungenerkrankungen
Sklerodermie und rheumatoide Arthritis gefährden die Lunge
ERS
Interstitielle Lungenerkrankungen (ILD) können als Komplikationen von Autoimmunerkrankungen auftreten und die Prognose der Patienten massiv beeinträchtigen. Diese ILD können unter bestimmten Voraussetzungen wie eine idiopathische Lungenfibrose, also mit antifibrotischen Medikamenten, behandelt werden.
Interstitielle Lungenerkrankungen (ILD) können primär, also beispielsweise in Form einer idiopathischen Lungenfi brose (IPF), oder sekundär auftreten. Häufige Ursache se kundärer ILD sind rheumatische Erkrankungen oder Auto immunerkrankungen im weiteren Sinne. Diese beträfen in den Industriestaaten geschätzte 5 Prozent der Bevölkerung und seien damit bereits die dritthäufigste Krankheits gruppe, so Prof. Michael Kreuter aus Heidelberg (D). Die Lungenbeteiligung im Rahmen dieser Erkrankungen kann die Pleura, die Atemwege, die Lungengefässe oder das Lun genparenchym betreffen. Während das Risiko einer Lun genbeteiligung für Erkrankungen wie den Lupus erythema todes oder die Sklerodermie gut bekannt ist, steht sie im Zusammenhang mit anderen Autoimmunerkrankungen weniger im Fokus des Interesses. Das betreffe zum Beispiel die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, so Kreu ter. Dabei entwickelt fast ein Drittel der Betroffenen extra intestinale Manifestationen, und in 1 bis 5 Prozent der Fälle ist die Lunge involviert. Dabei sind unterschiedlichste Ma nifestationen möglich, über den Pleuraerguss, thrombo embolische Komplikationen und die eosinophile Pneumo nitis bis zur NSIP (nonspecific interstitial pneumonia) und UIP (usual interstitial pneumonia) als Ausdruck einer inter stitiellen Lugenerkrankung (1). Beim Morbus Crohn kann es zu einer granulomatösen ILD kommen, die als Differen zialdiagnose bei Verdacht auf Sarkoidose berücksichtigt werden muss. Evidenzbasierte Therapien gibt es mangels Studien keine. Empirisch würden, so Kreuter, inhalative oder systemische Steroide, andere immunsuppressive Subs tanzen oder Antikörper eingesetzt.
Rheuma betrifft häufig auch die Lunge
Noch häufiger sind diverse Formen der Lungenbeteiligung bei rheumatischen Erkrankungen. Auch hier ist das Spek trum breit. Infrage kommen beispielsweise Medikamenten nebenwirkungen, pulmonalarterielle Hypertonie (vorwie gend bei Bindegewebserkrankungen) oder auch eine direkte Beteiligung der Lunge im Sinne einer interstitiellen Lugener krankung (2). Letztere tritt immer wieder als Komplikation der Sklerodermie auf, kommt jedoch auch oft bei der sehr
viel häufigeren rheumatoiden Arthritis (RA) vor. Ein speziel les RA-Problem stellen die sogenannten Rheumaknoten in der Lunge dar. Dabei handelt es sich um kleine Granulome, die differenzialdiagnostisch nicht leicht von einem Lungen karzinom zu unterscheiden sind. Das erschwere vor allem bei Patienten mit Rauchanamnese die Situation, so Kreuter. Die Behandlung der Rheumaknoten besteht in einem verbesser ten Management der Grunderkrankung. Ein wesentlich schwerwiegenderes und im schlimmsten Falle lebensbedrohliches Problem sind die interstitiellen Lugener krankungen, die sich bei ungünstigen Verläufen als UIP präsentieren. Damit gleichen sie sowohl im histologischen Bild als auch in der Prognose der idiopathischen Lungenfib rose. Skandinavische Registerdaten zeigen bei 2,2 Prozent der RA-Patienten eine ILD – die sich äusserst ungünstig auf die Prognose auswirkt. Die 1-Jahres-Mortalität liegt bei 13,9 Prozent im Vergleich zu 3,8 Prozent bei RA-Patienten ohne ILD. Mehr als 60 Prozent der Patienten mit RA-ILD versterben innerhalb von 10 Jahren (3). Bei Patienten mit systemischer Sklerose ist ILD mittlerweile die häufigste Todesursache (4). Im klinischen Alltag werden im Management der rheuma assoziierten interstitiellen Lugenerkrankung unterschiedli che immunsuppressive Therapien eingesetzt. Kreuter betonte jedoch, dass das in einem weitgehend evidenzfreien Raum geschehe und die Behandlung dieser Erkrankung erst in letzter Zeit und zunehmend auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werde. So hat sich die Einschätzung zu Methotrexat (MTX) in den vergangenen Jahren verschoben. Kreuter be richtete, dass noch vor wenigen Jahren angenommen worden sei, dass MTX vor allem toxisch auf die Lunge wirke. Da gegen konnte in letzter Zeit gezeigt werden, dass Patienten mit RA-ILD unter MTX-Therapie ein besseres Überleben haben (5). In der Scleroderma-Lung-Studie 1 wurde mit Cyclophosphamid eine kleine, aber signifikante Verbesse rung der Lungenfunktion und eine Reduktion des modifizier ten Rodnan-Skin-Scores (mRSS) gezeigt (6). In der nicht plazebokontrollierten Scleroderma-Lung-Studie 2 konnte das auch für Mycophenolatmofetil demonstriert werden, das vor allem besser vertragen wurde als das toxischere Cyclo
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phosphamid. Die EULAR gibt eine «Kann»-Empfehlung für Cyclophosphamid (7). Ob die erreichten Effekte klinisch relevant sind, wird unter Experten heftig diskutiert.
Nintedanib bei Sklerodermie-assoziierter ILD
Für Patienten mit systemischer Sklerosse (SSc) und Fibrosie rung der Lunge steht mit Nintedanib (Ofev®) nun eine spezi fisch in dieser Indikation zugelassene Substanz zur Verfü gung. In der Phase-III-Studie SENSCIS wurde mit Nintedanib im Vergleich zu Plazebo eine Reduktion der Abnahme an Lungenfunktion (gemessen als FVC) erreicht. Patienten, die als Hintergrundtherapie Mycophenolat einnahmen, sprachen besonders gut auf die Therapie an (8). Die SENSCIS-Daten sind nur für die Behandlung der SSc-ILD aufschlussreich. Doch mittlerweile nähert man sich der ILD im Zusammen hang mit anderen Grundkrankheiten zunehmend pragma tisch. Es wurde spekuliert, dass man jede ILD, die sich wie eine IPF verhalte, auch wie eine IPF behandeln könne – also mit Nintedanib oder Pirfenidon. Für Nintedanib wurde die ser Ansatz in der Phase-III-Studie INBUILD untersucht, und es konnte ebenfalls eine Reduktion des jährlichen Verlustes an FVC demonstriert werden (9). Für Pirfenidon (Esbriet®) wurden in der kleineren und noch nicht vollständig publizier ten RELIEF Studie ähnliche Ergebnisse gezeigt (10). Für die Indikationsstellung zur Therapie mit Nintedanib oder Pirfenidon muss die Diagnose einer UIP gegeben sein. Besteht eine UIP ohne bekannte Grunderkrankung und werden keine alternativen Erklärungen für den Zustand der Lunge gefun den, handelt es sich um eine IPF. Die UIP kann mittels hoch auflösender CT (HRCT) diagnostiziert werden, so sie durch ein typisches Honigwabenmuster (honey combing) auffällt, das irreparabel untergegangenes und fibrosiertes Lungenpa renchym repräsentiert. Leider ist der Befund aber nicht immer so klar. Die ERS-Leitlinie zur Diagnostik der IPF von 2018 unterscheidet zwischen sicherer UIP, wahrscheinlicher (pro bable) UIP, unbestimmt (indeterminate) im Hinblick auf UIP und alternativer Diagnose (11).
Biopsie bei unklaren Befunden umstritten
Lässt die Bildgebung keinen eindeutigen Befund zu, kommt die Lungenbiopsie ins Spiel, die in der Leitlinie bei wahr scheinlicher UIP, unbestimmt im Hinblick auf UIP und alter nativer Diagnose empfohlen wird. Dabei handelt es sich je doch um eine eingeschränkte (conditional) Empfehlung auf Basis schwacher Evidenz. Denn sie hat den erheblichen Nach teil, dass für die IPF-Diagnose eine offene, chirurgische Biop sie erforderlich ist, die besonders für Patienten in schlechtem Allgemeinzustand ein nicht zu unterschätzendes Mortalitäts risiko bedeutet. Prof. Athol Wells aus London (GB) empfiehlt einen pragma tischen Zugang zur Frage nach der Biopsie und weist auf ein
ebenfalls 2018 publiziertes Statement der Fleischner Society
(12) hin. Darin wird festgehalten, dass die Biopsie unterblei
ben kann, wenn eine wahrscheinliche UIP vorhanden ist und
das klinische Bild einer IPF entspricht. Damit erlaubt die
Fleischner Society eine medikamentöse Therapie der IPF auf
Basis einer «Arbeitshypothese». Wells unterstreicht jedoch,
dass sowohl die ERS als auch die Fleischner Society bei un
klarer HRCT die multidisziplinäre Diskussion des Falls emp
fählen. Die Fleischner Society hebt auch hervor, dass bei
wahrscheinlicher UIP die tatsächliche Wahrscheinlichkeit, ob
diese mit der Biopsie bestätigt werden kann, stark von der
klinischen Präsentation und dem Alter des Patienten abhängt.
In der Praxis genügt einer Mehrheit der Kliniker die «Arbeits
diagnose» im Sinne der Fleischner Society. Offene Biopsien
werden nach Möglichkeit vermieden (13).
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Reno Barth
Quelle: Session «Image-based guidelines and recommendations in respiratory diseases» und State of the Art Session «Interstitial lung diseases (ILD) and beyond» am 7. und 9. September im Rahmen des virtuellen Kongresses der European Respiratory Society (ERS 2020).
Referenzen: 1. Massart A, Hunt DP: Pulmonary Manifestations of Inflammatory
Bowel Disease. Am J Med 2020; 133(1): 39–43. 2. Mathai SC, Danoff SK: Management of interstitial lung disease
associated with connective tissue disease. BMJ 2016; 352: h6819. 3. Hyldgaard C et al.: A population-based cohort study of rheuma-
toid arthritis-associated interstitial lung disease: comorbidity and mortality. Ann Rheum Dis 2017; 76(10): 1700–1706. 4. Rubio-Rivas M et al.: Mortality and survival in systemic sclerosis: systematic review and meta-analysis. Semin Arthritis Rheum 2014; 44(2): 208–219. 5. Rojas-Serrano J et al.: Rheumatoid arthritis-related interstitial lung disease (RA-ILD): methotrexate and the severity of lung disease are associated to prognosis. Clin Rheumatol 2017; 36(7): 1493–1500. 6. Tashkin DP et al.: Cyclophosphamide versus placebo in scleroderma lung disease. N Engl J Med 2006; 354: 2655–2666. 7. Tashkin DP et al.: Mycophenolate mofetil versus oral cyclophosphamide in scleroderma-related interstitial lung disease (SLS II): a randomised controlled, double-blind, parallel group trial. Lancet Respir Med 2016; 4: 708–719. 8. Distler O et al.: Nintedanib for Systemic Sclerosis-Associated Interstitial Lung Disease. N Engl J Med 2019; 380(26): 2518–2528. 9. Flaherty KR et al.: Nintedanib in Progressive Fibrosing Interstitial Lung Diseases. N Engl J Med 2019; 381(18): 1718–1727. 10. Günther A et al.: Exploring Efficacy and Safety of oral Pirfenidone for progressive, non-IPF Lung Fibrosis (RELIEF). RCT 1879, presented at ERS 2019. 11. Raghu G et al.: Diagnosis of Idiopathic Pulmonary Fibrosis. An Official ATS/ERS/JRS/ALAT Clinical Practice Guideline. Am J Respir Crit Care Med 2018; 198(5): e44–e68. 12. Lynch DA et al.: Diagnostic criteria for idiopathic pulmonary fibrosis: a Fleischner Society White Paper. Lancet Respir Med 2018; 6(2): 138–153. 13. Walsh SLF et al.: Diagnostic Likelihood Thresholds That Define a Working Diagnosis of Idiopathic Pulmonary Fibrosis. Am J Respir Crit Care Med 2019; 200(9): 1146–1153.
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