Transkript
Zusatznutzen mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten berechnen
Mit Antidiabetika Lebenszeit gewinnen
EASD
Wissenschaftliche Evidenz basiert auf reproduzierbaren, prospektiven, randomisierten und plazebokontrollierten Studien. Ihre Ergebnisse fliessen in die Praxis ein, wenn sie überzeugend sind, wie das bei GLP-1-Rezeptor-Agonisten der Fall ist. Die letzte Hürde ist aber der Patient, der vom Vorteil einer lebenslangen Medikation überzeugt werden muss. Mit Wahrscheinlichkeiten und relativen Risikoreduktionen stehen die Chancen schlecht, anschaulicher ist dagegen die gewonnene ereignisfreie Lebenszeit, die mit einem einfachen Kalkulator errechnet werden kann.
Foto: vh
In den kardiovaskulären Outcome-Studien
SUSTAIN-6 und PIONEER-6 führte das sub-
kutan beziehungsweise oral zu verabreichende
Semaglutide bei Patienten mit Typ-2-Diabetes
und hohem kardiovaskulärem Risiko zu einer
Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen
(1, 2). Die gepoolte Risikoreduktion für
3-Punkt-MACE (major adverse cardiovascular
events) betrug 24 Prozent (Hazard Ratio: 0,76;
Prof. Jan Westerink
95%-Konfidenzintervall: 0,62–0,92) (3). Das führte auch zur Empfehlung der European So-
ciety of Cardiology, bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und
kardiovaskulärer Vorerkrankung oder hohem kardiovasku-
lärem Risiko GLP-1-Rezeptor-Agonisten einzusetzen (4). Es
sei aber schwierig, den Patienten den in Studien beobachteten
Vorteil und die Empfehlungen der Guidelines verständlich
zu machen, bemerkte Prof. Jan Westerink, Department of
Vascular Medicine, University Medical Center Utrecht (NL),
am EASD-Kongress. Ausserdem treffe die durchschnittliche
Risikoreduktion nur auf die untersuchte Population in der
Studie zu und habe meistens nichts zu tun mit dem Patienten,
der vor einem sitze. Verständlicher für den Patienten wäre der
absolute Nutzen hinsichtlich kardiovaskulär ereignisfreier
Jahre bei zusätzlicher Therapie mit Semaglutide.
Mit dem DIAL-Modell (diabetes lifetime-perspective predic-
tion) könne das errechnet werden (5), so Westerink. Das
Modell fusst auf Daten von 389 3 66 Patienten mit Typ-2-
Diabetes aus dem schwedischen Diabetesregister und wurde
extern validiert, auch in Bezug auf andere geografische
Örtlichkeiten. Mit der Eingabe der individuellen Daten des
Patienten wie Alter, Geschlecht, Erkrankungen, einigen La-
borparametern und der aktuellen Therapie errechnet der
Kalkulator namens U-Prevent anhand der vorhandenen Stu-
diendaten das 10-Jahres-Risiko für kardiovaskuläre Ereig-
nisse sowie das Lebenszeitrisiko und den Therapieeffekt mit
der eingegebenen Behandlung. Der Kalkulator kann unter
https://u-prevent.com kostenfrei benutzt werden, die an-
schaulichen Übersichten können direkt mit dem Patienten
besprochen werden.
Baselinedaten der Patienten in den beiden Studien und der
Kombination mit der Hazard Ratio von 0,76 ein kardiovas-
kulär ereignisfreier Lebenszeitgewinn von 0 bis 4 Jahren (im
Durchschnitt 1,7 Jahre). Den grössten Nutzen haben Patien-
ten mit dem höchsten Ereignisrisiko, also mit Vorerkrankun-
gen, bei Patienten ohne kardiovaskulärer Vorerkrankung,
aber mit einem kardiovaskulären Risiko oder einer Nieren-
funktionsstörung war er entsprechend kleiner. Der ereignis-
freie Lebenszeitgewinn hängt auch vom Alter ab. Je früher der
Patient mit einer Therapie beginnt, desto grösser ist der Nut-
zen: Beispielsweise gewinnen kardiovaskulär vorerkrankte
Patienten zwischen 50 und 59 Jahren 2,9 ereignisfreie Jahre,
Patienten über 85 Jahre dagegen nur noch 0,6 Jahre. Bei Pati-
enten ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung, aber mit einem
kardiovaskulären Risiko oder einer Nierenfunktionsstörung
ist der Zugewinn bescheidener (0,55–0,75 Jahre, je nach
Alter). Die Reduktion des 10-Jahres-Risikos mit Semaglutide
liegt gemäss DIAL-Modell bei durchschnittlich 6 Prozent, das
bei einer Number Needed to Treat von 16.
Was heisst das jetzt konkret? Bei einem 61-jährigen Patienten
(Diabetesdauer 10 Jahre, BMI 33 kg/m2, kardiovaskuläre
Erkrankung, SBP 137 mmHg, Non-HDL 3 mmol/l, HbA1c 6,9% und eGFR 75) beläuft sich das 10-Jahres-Risiko auf
27 Prozent, zusätzlich mit Semaglutide sinkt es auf 21 Pro-
zent. Das bedeutet eine Risikoreduktion von 21 Prozent für
ein erneutes kardiovaskuläres Ereignis. In absoluten Zahlen
bedeute das einen Zuwachs von ereignisfreier Lebenszeit um
2,4 Jahre von 16,4 auf 18,8 Jahre, so Westerink.
Mit dem DIAL-Modell kann dem Patienten in verständlicher
Weise veranschaulicht werden, welchen zusätzlichen Nutzen
eine weitere Therapie in gewonnenen Lebensjahren bringen
würde. Für die Etablierung einer lebenslangen Behandlung
könnte das ein entscheidender Faktor für eine gute Compli-
ance sein.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Broken heart in diabetes». Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 21. bis 25. September 2020, virtuell.
Gemäss U-Prevent bis 4 Jahre mehr
U-Prevent
Im Kalkulator zeigt sich im Fall von Semaglutide zusätzlich
rosenfluh.ch/qr/u-prevent zur Standardtherapie bei Eingabe der durchschnittlichen
CongressSelection Kardiologie | Diabetologie | Pneumologie | Dezember 2020
33
EASD
Referenzen: 1. Marso SP et al.: Semaglutide and Cardiovascular Outcomes in
Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2016;375(19):18341844. 2. Husain M et al.: Oral Semaglutide and Cardiovascular Outcomes in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2019;381(9):841851. 3. Husain M et al.: Semaglutide (SUSTAIN and PIONEER) reduces cardiovascular events in type 2 diabetes across varying cardiovascular risk. Diabetes Obes Metab. 2020;22(3):442-451. 4. Cosentino F et al.: 2019 ESC Guidelines on diabetes, pre-diabetes, and cardiovascular diseases developed in collaboration with the EASD. Eur Heart J. 2020;41(2):255-323. 5. Berkelmans GFN et al.: Prediction of individual life-years gained without cardiovascular events from lipid, blood pressure, glucose, and aspirin treatment based on data of more than 500 000 patients with Type 2 diabetes mellitus. Eur Heart J. 2019;40(34):2899-2906.
34 CongressSelection Kardiologie | Diabetologie | Pneumologie | Dezember 2020