Transkript
ERS
COVID-19
Die erste Pandemie unter den Augen der Massenmedien
Covid-19 ist in mehrfacher Hinsicht besonders. Das betrifft nicht nur das Virus SARS-CoV-2, das der Wissenschaft noch einige Rätsel aufgibt, sondern auch den Umgang mit der Erkrankung. Erstmals wurde eine Pandemie von Anfang an von den Massenmedien verfolgt – die Ergebnisse waren leider nicht immer konstruktiv.
Coronaviren stünden, neben Influenzaviren als potenzielle Pandemieerreger schon länger auf dem Radar der Infektiologen, so Prof. Tobias Welte aus Hannover (D). Dennoch wurde die Menschheit von SARS-CoV-2 ähnlich unvorbereitet getroffen wie beispielsweise vor 100 Jahren von der Spanischen Grippe. Welte wies darauf hin, dass auch damals in der Prävention ähnliche Wege gegangen worden seien wie heute – und das mit Erfolg. Eine kürzlich publizierte Arbeit verglich die Influenza-Mortalität des Jahres 1918 in Chicago, wo das Tragen von Schutzmasken Pflicht war, mit jener in New Orleans, wo praktisch keine Masken getragen wurden, und fand in New Orleans eine vierfach höhere Sterblichkeit (1). Völlig neu an der Corona-Pandemie ist jedoch die engmaschige mediale Verfolgung seit den Anfängen, und das mit täglicher Berichterstattung. Welte: «Das Problem war allerdings, dass neben News auch jede Menge Fake News verbreitet wurden. Und das hat sowohl die Reaktionen der Menschen als auch die Massnahmen der Politik beeinflusst. Dieser Einfluss war nicht hilfreich.» Welte betonte, dass die Wissenschaft derzeit mit jedem Tag mehr über das Virus und die Erkrankung lerne. SARS-CoV-2 verhalte sich wie kein Virus zuvor, und alles, was man heute über das Virus wisse, könne sich schon morgen gänzlich anders darstellen. So sehe man weltweit abnehmende Fallsterblichkeiten. Welte: «In der ersten Phase der Pandemie sind 10 bis 15 Prozent der Patienten mit bestätigter Infektion auch daran verstorben.» Mittlerweile liege die Letalität einer manifesten COVID-19-Erkrankung in allen Ländern – auch mit wenig entwickelten Gesundheitssystemen – unter 5, zumeist unter 3 Prozent. In keinem Land ist es im Verlauf der Pandemie zu einer Zunahme der Fallsterblichkeit gekommen.
Zusammenbruch des Gesundheitssystems
Über die Erkrankung COVID-19 wurde im Dezember 2019 erstmals aus China berichtet. Welte betonte allerdings, es gebe einen Konsens unter Experten, dass bereits vor Dezember in China COVID-19-Erkrankungen aufgetreten sein müssen. Wuhan demonstrierte auch gleich zu Beginn der Pandemie, was im schlimmsten Fall passieren kann, wenn man die Kontrolle über das Virus verliert: Die Krankenhäuser waren
so schnell überfüllt, dass Patienten in Notquartieren versorgt werden mussten. Welte: «Man kann sich vorstellen, dass unter solchen Bedingungen die Standards der Versorgung entsprechend schlecht sind.» Das Ergebnis war eine katastrophale Sterblichkeit, die im urbanen und üblicherweise gut versorgten Wuhan in der ersten Phase der Pandemie zehnmal höher lag als im angrenzenden ländlichen Hubei. Während der ersten Phase der Pandemie verliefen in Wuhan 14 Prozent der Infektionen schwer und 5 Prozent kritisch. Die Fallsterblichkeit lag bei 2,8 Prozent – was angesichts der hohen Erkrankungszahlen in der kurzen Zeit aber genügte, um das Bestattungssystem zusammenbrechen zu lassen. China löste dieses Problem mit einem von der Armee durchgesetzten, extrem restriktiven Lockdown, der zu einem schnellen Abflauen der Erkrankungszahlen führte (2). Das Virus kam in Europa im Januar 2020 an. Einer der Treiber dürfte die Mailänder Modemesse Fashion Week gewesen sein. Die ersten Diagnosen wurden jedoch erst Ende Februar gestellt. Das Virus konnte sich also fast zwei Monate lang unbemerkt in Norditalien ausbreiten. Katastrophale Auswirkungen hatte das Fussballspiel zwischen Atalanta Bergamo und Valencia in Mailand am 21. Februar 2020. Dieser Superspreader-Event sorgte auch für die Verbreitung des Virus nach Spanien. Welte wies in diesem Zusammenhang auf die «tödlichen 4» hin: ▲ kalte und feuchte Luft ▲ mangelnder Abstand ▲ Aerosolproduktion ▲ Alkoholkonsum.
Als Ergebnis brach auch in Teilen Italiens das Gesundheitssystem zusammen, und die Gesamtsterblichkeit stieg steil an. Die zahlreichen Todesfälle hatten nur in rund der Hälfte der Fälle einen direkten Bezug zu COVID-19. Die andere Hälfte verstarb, weil die medizinische Versorgung nicht mehr funktionierte (3). In Ländern wie Deutschland, das keine hohen Erkrankungszahlen hatte, war kein Anstieg der Gesamtmortalität zu bemerken. Welte: «Wir waren einerseits besser auf die Pandemie vorbereitet und konnten die Erkrankungszahlen immer gut unter Kontrolle halten. Andererseits hat Deutschland
40 CongressSelection Kardiologie | Diabetologie | Pneumologie | Dezember 2020
ERS
aber bei Weitem die grössten intensivmedizinischen Kapazitäten in Europa.» Auch demografische Unterschiede kamen zum Tragen. So hat Deutschland 6-mal mehr Singlehaushalte als Italien, und pro Person steht rund 2,5-mal mehr Platz zur Verfügung. Und man hatte auch das Glück, relativ spät von der Pandemie getroffen worden zu sein. So konnte man den Patienten eine Reihe von Behandlungsfehlern wie polypharmakologische Therapieversuche ersparen. Das kann einer der Gründe für die sinkende Fallsterblichkeit von COVID-19 sein. Die Gründe für dieses weltweit zu beobachtende Phänomen sind unklar, da es auch bestehen bleibt, wenn die Daten hinsichtlich bekannter Risikofaktoren adjustiert werden. Ob sich die Virulenz des Virus verändert hat, ist ebenso ungeklärt wie die Frage nach einer zunehmenden Immunität in der Bevölkerung. Welte verwies auf Studien, die bei rund einem Drittel der Untersuchten Coronavirus-spezifische T-Zellen fanden. Woher diese kommen, ist allerdings unklar. Die Frage sei nun, wie weit Massnahmen gelockert werden könnten oder doch verschärft werden müssten, um Katastrophen zu verhindern. Das seien allerdings politische Entscheidungen, die jedoch auf Basis wissenschaftlicher Informationen getroffen werden sollten. Es gelte nun, vorsichtig zu sein und nicht panisch. Die bekannten Präventionsmassnahmen Social Distancing, verstärkte Handhygiene und Aerosolkontrolle hätten sich als wirksam erwiesen. Die Zukunft werde weisen, wann und in welchem Ausmass sie zum Einsatz kommen müssten.
Langsame Erholung: Die Folgen von COVID-19
Auf ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wies eine im Rahmen des ERS-Kongresses 2020 vorgestellte Originalarbeit der Universität Innsbruck hin: die Spätfolgen von Infektionen mit SARS-CoV-2. Zwar verlaufen mehr als 80 Prozent der Infektionen mild oder sogar asymptomatisch, doch erkranken eben auch Menschen schwer; und manche Betroffene werden beatmungspflichtig. Dass invasive Beatmung zu (in unterschiedlichem Masse reversiblen) Schädigungen der Lunge führen kann, ist bekannt. Doch COVID-19 zeigt auch bei nicht beatmungspflichtigen Patienten eine Tendenz, zumindest zeitweise persistierende Symptome und langfristige Einschränkungen zu hinterlassen. Die Innsbrucker Forscher präsentierten nun ein Langzeit-Follow-up von 150 konsekutiven Patienten aus Tirol, einem der ersten COVID-19-Hotspots in Europa. Daten der ersten 86 Patienten wurden mittlerweile ausgewertet; sie waren im Durchschnitt 61 Jahre alt und zu 65 Prozent Männer. Annähernd die Hälfte waren Raucher oder Exraucher, und 65 Prozent waren übergewichtig oder adipös. Die Schwere der Erkrankung war sehr unterschiedlich: 18 Patienten (21%) mussten auf der Intensivstation behandelt werden, 16 (19%) davon wurden invasiv beatmet. Der durchschnittliche Krankenhausaufenthalt betrug 13 Tage. Alles in allem waren die Patienten nach der Erkrankung in keinem guten Zustand, ihre Verfassung besserte sich mit der Zeit jedoch in mehrfacher Hinsicht. Bei der ersten Visite klagte mehr als die Hälfte über mindestens ein persistierendes Symptom, zumeist Dyspnoe und Husten, 88 Prozent zeigten im Lungen-CT Auffälligkeiten. Zwischen der ersten und der zweiten Visite ging der Anteil der Patienten mit auffälligem
CT jedoch auf 56 Prozent zurück, 39 Prozent litten nach wie vor unter Dyspnoe. Zwischen den Wochen 6 und 12 wurden auch Verbesserungen des forcierten Einsekundenvolumens (FEV1), der forcierten Vitalkapazität (FVC) sowie der Diffusionskapazität (DLCO) registriert. Ebenso normalisierte sich das Bild im CT zunehmend. Während in Woche 6 noch bei 74 Patienten (88%) eine Milchglastrübung (ground glass opacities) zu sehen war, waren 6 Wochen später nur noch 48 Patienten (56%) davon betroffen. Bei mehr als der Hälfte der Patienten zeigte der Herzultraschall eine diastolische Dysfunktion. Auch verschiedene Marker für Myokardschädigung, Hyperkoagulabilität und Inflammation waren erhöht. Von der dritten Visite liegen noch keine Daten vor (4).
Mit früher Rehabilitation schneller fit
Eine französische Gruppe untersuchte die Wirksamkeit von
Rehabilitationsmassnahmen bei Patienten nach schweren
COVID-19-Verläufen. Die Erholung der Probanden wurde
mit wöchentlichen 6-Minuten-Gehtests quantifiziert. Viele
Patienten waren bei ihrer Ankunft in der Rehaklinik über-
haupt nicht in der Lage zu gehen. Nach 3 Wochen konnte die
Belastbarkeit auf 43 Prozent des jeweiligen Solls erhöht wer-
den. Die Studie zeigte auch, dass die individuellen Ergebnisse
umso besser waren, je früher mit der Rehabilitation begonnen
wurde. Patienten, die schon in der ersten Woche nach Ent-
wöhnung vom Respirator mit der Rehabilitation begannen,
ging es schneller besser als Patienten, die später mit der Re-
habilitation anfingen (5).
▲
Reno Barth
Quelle: Virtueller Kongress der European Respiratory Society (ERS), Covid-19-Sitzung am 6. September, Poster.
Referenzen 1. Gavrilova NS, Gavrilov LA: Patterns of mortality during pande-
mic: An example of Spanish flu pandemic of 1918. Popul Econ 2020; 4(2): 56–64. 2. Wu Z, McGoogan JM: Characteristics of and Important Lessons From the Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) Outbreak in China: Summary of a Report of 72 314 Cases From the Chinese Center for Disease Control and Prevention. JAMA 2020; 323(13): 1239–1242. 3. Magnani C et al.: How Large Was the Mortality Increase Directly and Indirectly Caused by the COVID-19 Epidemic? An Analysis on All-Causes Mortality Data in Italy. Int J Environ Res Public Health 2020; 17(10): 3452. 4. Sahanic S et al.: Persisting pulmonary impairment following severe SARS-CoV-2 infection, preliminary results from the CovILD study. ERS 2020, Abstract OA4143. 5. Al Chikhanie Y et al.: New insights into determinants of patient-reported outcomes in chronic respiratory diseases. ERS 2020, Abstract PA938.
CongressSelection Kardiologie | Diabetologie | Pneumologie | Dezember 2020
41