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Diabetestherapie mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten
Starke kardiovaskuläre Protektion
Viele Typ-2-Diabetiker haben zusätzlich kardiovaskuläre Risikofaktoren oder sind bereits kardiovaskulär erkrankt. Grosse kardiovaskuläre Outcome-Studien haben für die humanen GLP-1-RezeptorAgonisten eine Senkung der Rate an schweren kardiovaskulären Ereignissen belegt. Mit der Blutzucker-, Blutdruck- und Gewichtssenkung allein lässt sich dieser Effekt nicht erklären. Antiatherosklerotische pleiotrope Effekte werden diskutiert.
Trotz stetiger Verbesserungen in der Diabetes-
therapie haben Typ-2-Diabetiker noch immer
ein fast doppelt so hohes Risiko, an einer kardio-
vaskulären Erkrankung zu versterben, als Pati-
enten ohne Diabetes, wie eine schwedische Re-
gisterstudie mit fast einer halben Million Patien-
ten zeigte (1). Die Lebenserwartung eines Dia-
betikers ist um etwa 6 Jahre verkürzt, mit kar-
diovaskulärer Erkrankung um etwa 12 Jahre (2).
Prof. Mansoor Husain
Aus der UKPDS-Studie ist bekannt, dass eine
Zunahme des HbA1c-Werts mit einem Risikoanstieg für schwere kardiovaskuläre Ereignisse
und Herzinsuffizienz einhergeht (3). Doch konnte im Umkehr-
schluss dieses Risiko mit der Senkung des HbA1c-Werts nicht im gleichen Ausmass gesenkt werden, wie Prof. Mansoor
Husain, University of Toronto (CAN), am Jahreskongress der
American Diabetes Association (ADA) ausführte. Gleichzeitig
stiegen die Herzinsuffizienzraten (4).
Seit der Publikation der EMPA-REG-OUTCOME-Studie mit
dem SGLT2-Hemmer Empagliflozin und der LEADER-Studie
mit dem GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) Liraglutide
stehen erstmals Antidiabetika zur Verfügung, die die kardio-
vaskuläre Ereignisrate senken (5, 6). Während bei den SGLT2-
Hemmern von einem Klasseneffekt gesprochen werden kann,
ist der kardioprotektive Effekt bei den GLP-1-RA nur bei den
Vertretern humanen Ursprungs (Liraglutide, Dulaglutide,
Semaglutide und Albiglutide) zu finden (5, 7–10).
Die metabolischen Veränderungen unter GLP-1-RA bewegen
sich zusammengenommen beim HbA1c-Wert bei einer Reduktion um 0,8 bis 1,4 Prozent, beim Gewicht bei einem Verlust
KURZ & BÜNDIG
� Humane GLP-1-RA können die kardiovaskuläre Ereignisrate senken.
� Die kardioprotektive Wirkung ist nicht restlos geklärt, scheint aber über die Blutzucker-, Blutdruck- und Gewichtssenkung hinauszugehen.
� GLP-1-RA sind bei Typ-2-Diabetikern zur Kardioprävention empfohlen.
um 3 bis 4 kg und beim systolischen Blutdruck bei einer Reduktion um 3 bis 6 mmHg. Zudem bewirken sie eine leichte Reduktion der Triglyzeride, des LDL-Cholesterins und eine leichte Zunahme des HDL-Cholesterins. Die Herzfrequenz steigt um 2 bis 4 bpm (11).
Evidenz von Dulaglutide, Liraglutide und Semaglutide
Dulaglutide zeigte beispielsweise in der 5,4 Jahre dauernden REWIND-Studie (n = 9901) (9) gegenüber Plazebo eine signifikante HbA1c-Reduktion von 0,61 Prozent, das Gewicht sank signifikant um 1,5 kg, der systolische Blutdruck fiel signifikant um 1,7 mmHg, und die Herzfrequenz stieg signifikant um 1,9 bpm. Der primäre Endpunkt als Kombination von nicht tödlichem Herzinfarkt, nicht tödlichem Hirnschlag und kardiovaskulärem Tod wurde durch Dulaglutide signifikant um 12 Prozent gesenkt (Hazard Ratio [HR]: 0,88; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,79–0,99; p = 0,026). Bei Betrachtung der einzelnen Ereignisse sticht die signifikante Reduktion des Hirnschlagrisikos um 26 Prozent heraus. Aus weiteren Subanalysen gehe hervor, dass Patienten mit oder ohne vorgängige kardiovaskuläre Erkrankung gleich stark von Dulaglutide profitierten, so Husain (9). Semaglutide (0,5 und 1 mg/Woche) wurde ebenfalls in kardiovaskulärer Hinsicht geprüft. Die subkutane Form erhielten in der SUSTAIN-6-Studie 3297 Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulärem Risiko doppelblind randomisiert während 104 Wochen. Als primärer Endpunkt war die Kombination aus kardiovaskulärem Tod, nicht tödlichem Myokardinfarkt oder nicht tödlichem Hirnschlag definiert (3-Punkt-MACE) (7). Nach Studienende zeigte sich unter Semaglutide im Vergleich zu Plazebo eine Risikoreduktion der 3-Punkt-MACE um 26 Prozent (HR: 0,74; 95%-KI: 0,58–0,95; p < 0,001), was die Nichtunterlegenheit belegte. Die hohe Risikoreduktion war vor allem der tieferen Rate an nicht tödlichem Hirnschlag (HR: 0,61) geschuldet. Den HbA1c-Wert senkte Semaglutide 0,5 mg beziehungsweise 1 mg, verglichen mit den Ausgangswerten, um 1,1 und 1,4 Prozent (vs. 0,4% Plazebo), und die Gewichtsreduktion betrug 3,6 und 4,9 kg (vs. 0,7 und 0,5 kg Plazebo). Der Blutdruck sank in der Verumgruppe um 3,5 und 5,4 mmHg (vs. 2,2 und 2,8 mmHg Plazebo), und die Pulsrate stieg von
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72 bpm um 2,1 und 2,4 bpm (vs. 0,1 und –0,1 bpm). Alle Unterschiede waren signifikant. Die orale, täglich einzunehmende Form von Semaglutide wurde in der PIONEER-6-Studie bei 3183 Patienten untersucht. Die Studie sei mit 16 Monaten kürzer als die SUSTAIN-6-Studie gewesen, weil die Studienlaufzeit als Zeitraum bis zum Erreichen einer vordefinierten Zahl von Erstereignissen definiert war, so die Erklärung von Studienleiter Husain. Semaglutide zeigte bezüglich schwerer kardiovaskulärer Ereignisse (MACE) in dieser Studie mit einer signifikanten Risikoreduktion von 21 Prozent eine Nichtunterlegenheit gegenüber Plazebo, doch erreichte es die Überlegenheitsgrenze nicht (8). Der HbA1c-Wert sank um 0,7 Prozent stärker als unter Plazebo und das Gewicht um 3,4 kg mehr. Der systolische Blutdruck sank um 2,6 mmHg, und die Herzfrequenz lag um 3,9 bpm höher als unter Plazebo. Kombiniert man die Studiendaten der beiden Semaglutideformen, sind die MACE-Raten sehr ähnlich. Weil die PIONEER-Studie so früh gestoppt worden sei, habe sich keine Überlegenheit herausbilden können, so Husain (12). Bei herzinsuffizienten Patienten haben Semaglutide wie auch Liraglutide gemäss Husain keine Vorteile, aber auch keine Nachteile.
Empfehlung der Guidelines
Aufgrund der klinischen Daten dieser kardiovaskulären Outcome-Studien empfiehlt die European Society of Cardiology (ESC) in Zusammenarbeit mit der europäischen Diabetesgesellschaft EASD in ihren Guidelines bei therapienaiven Typ-2-Diabetikern mit atherosklerotisch bedingten kardiovaskulären Erkrankungen (ASCVD) oder sehr hohem kardiovaskulärem Risiko oder mehreren Risikofaktoren, mit einer SGLT2-Hemmer- oder GLP-1-RA-Monotherapie zu beginnen. Bei Patienten, die bereits unter einer Metformintherapie stehen, sollte ein SGLT2-Hemmer oder ein GLP1-RA dazugegeben werden, ungeachtet des HbA1c-Werts (13). Die europäischen und amerikanischen Diabetesgesellschaften geben in einem Update zu den geltenden Guidelines zusätzlich die Empfehlung, wonach bei Typ-2-Diabetikern mit ASCVD und grosser Gefahr für MACE der Nutzen eines GLP-1-RA am grössten ist. Um das MACE-Risiko zu reduzieren, kann bei Typ-2-Diabetikern ohne ASCVD, aber hohem kardiovaskulärem Risiko die Gabe eines GLP-1-RA erwogen werden (14). In der Schweiz empfiehlt die Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) die frühe Kombination von GLP-1-RA oder SGLT2-Hemmern mit Metformin bei allen Typ-2-Diabetikern (15).
Antiatherosklerotische Wirkung der GLP-1-RA
Eine Metaanalyse über alle bisherigen (n = 7) kardiovaskulären Outcome-Studien mit GLP-1-RA versus Plazebo zeigt eine durchschnittliche Risikoreduktion für 3-Punkt-MACE von 16 Prozent (16). Ohne die beiden negativen Studien mit Exenatide und Lixisenatide sei die Reduktion noch grösser, erläuterte Prof. Sanjay Rajagopalan, University Hospital Case Western Reserve School of Medicine, Cleveland, Ohio (USA). Wie die Kardioprotektion zustande kommt, ist nicht gänzlich geklärt. Die Effekte von GLP-1-RA sind komplex, die
kardioprotektiven Effekte können nicht allein über die Blut-
zuckerkontrolle, Blutdruck- und Gewichtssenkung erklärt
werden. Ein Gewichtsverlust von ≥ 5 Prozent (16) sowie die
Senkung des systolischen Blutdrucks von 3 bis 5 mmHg (11)
sind zwar risikomindernd für kardiovaskuläre Ereignisse.
Die Senkung des systolischen Blutdrucks von 4 mmHg führt
zu einer 8-prozentigen Reduktion von MACE (17). Aber der
kardioprotektive Effekt kommt auch über eine antiathero-
sklerotische Wirkung der GLP-1-RA zustande. Eigene Unter-
suchungen des Referenten zeigten eine stabilisierende Wir-
kung auf atherosklerotische Plaques, wie er berichtet. Zudem
bewirken pleiotrope Effekte eine Reduktion des Entzün-
dungsmarkers CRP und des prothrombotischen Faktors
PAI-1 (16).
s
Valérie Herzog
Quelle: «GLP-1-Receptor Agonists and cardiovascular outcomes – the evidence»,
Jahreskongress der American Diabetes Association, 12. bis 16. Juni, virtuell
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5. Marso SP et al.: Liraglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 311–322.
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