Transkript
ADA
Neue Insuline
Ultraschnell und ultralangsam
Insuline stehen als kurz wirksame Sofortintervention und als lang wirksame Basalinsuline zur Verfügung. Bei beiden Formen geht die Entwicklung in Richtung Steigerung der vorhandenen Eigenschaften: einerseits zur noch schnelleren Reaktion auf den Glukosespiegel, andererseits zur Verlängerung der Wirkung bis zu einer Woche. Am ADA-Kongress wurden ein ultrakurz wirksames Insulin und ein ultralang wirksames Basalinsulin vorgestellt.
Um Glukosespitzen noch besser abfangen beziehungsweise die physiologische Insulinsekretion nachahmen zu können, wurde ein ultraschnell wirksames Insulin lispro (URLi) entwickelt, dessen Wirkung und Sicherheit in der PRONTO-T1D-Studie untersucht wurde. Mit dem Hilfsstoff Treprostonil ist die Absorption von Insulin lispro durch Vasodilatation ohne eigene systemische Effekte verbessert, und der Hilfsstoff Zitrat beschleunigt die Absorption durch Verbesserung der vaskulären Permeabilität. Diese Zusätze bewirken eine um 5 Minuten schnellere Messbarkeit im Serum, verglichen mit kurz wirksamem Insulin lispro (Humalog®), und eine 8-fach höhere Verfügbarkeit des Insulins in den ersten 15 Minuten. 3 Stunden nach der Injektion befinden sich dafür 43 Prozent weniger «spätes» Insulin im Serum. URLi wurde doppelblind randomisiert bei 1222 Patienten mit Typ-1-Diabetes während 52 Wochen versus Insulin lispro (Humalog®) untersucht. Als primärer Endpunkt war die Nichtunterlegenheit zum kurz wirksamen Insulin lispro in Bezug auf die Veränderung des HbA1c-Werts nach 26 Wochen definiert, als zweite Endpunkte die Überlegenheit in Bezug auf den postprandialen Glukosespiegel nach 1 und 2 Stunden und die Veränderung des HbA1c-Werts nach 26 Wochen. Weitere Endpunkte betrafen die Veränderung des HbA1c-Werts nach 52 Wochen und die Hypoglykämierate nach 26 und 52 Wochen. Nach 26 Wochen zeigte sich, dass URLi hinsichtlich der Veränderung des HbA1c-Werts dem kurz wirksamen Insulin lispro nicht unterlegen war und die postprandialen Glukosespiegel nach einer Testmahlzeit signifikant tiefer senkte, was eine Überlegenheit belegte. Im Zeitverlauf von 26 und 52 Wochen war die Senkung des HbA1c-Werts beim ultrakurz wie auch beim kurz wirksamen
Insulin lispro vergleichbar. Die Glukosespiegel 1 und 2 Stunden nach der Mahlzeit waren unter URLi signifikant tiefer. Bei der Hypoglykämierate war während der ganzen Studiendauer von 52 Wochen kein signifikanter Unterschied feststellbar, weder bei nächtlichen noch bei schweren Hypoglykämien. Unterzuckerungen nach mehr als 4 Stunden postprandial waren unter URLi signifikant verringert. Eine nennenswerte Antikörperentwicklung wurde nicht beobachtet. Bei etwas mehr lokalen Reaktionen auf die Injektion (3,3%) unter URLi war die Nebenwirkungsrate ähnlich.
Basalinsuline immer länger wirksam
Bei den Basalinsulinen ist es umgekehrt. Bei ihnen ist eine möglichst lang anhaltende Wirkung gefragt. Bereits heute ist es möglich, mit einmal täglich zu applizierenden analogen Basalinsulinen eine Grundversorgung an Insulin für Patienten mit Insulinmangel zu erreichen. Besteht noch eine endogene Insulinreserve wie bei Typ-2-Diabetikern, die mit einer Insulintherapie beginnen, eignen sich Insulin glargin U100 und Insulin detemir, um den über den Tagesverlauf schwankenden Insulinbedarf zu decken. Insulin glargin U300 und Insulin degludec stellten ein flaches Insulinprofil über 24 Stunden sicher, sodass der Injektionszeitpunkt um ein paar Stunden variieren könne, erklärte Prof. Philipp Home, Newcastle University (UK), am ADA-Kongress. Damit ist die Variabilität des Glukosespiegels innerhalb eines Tages gelöst, doch jene von Tag zu Tag noch nicht. Wünschenswert wären deshalb Basalinsuline, die nur einmal pro Woche appliziert werden müssten, auch um die Hemmschwelle für eine subkutane Therapieform zu senken, was vielen Patienten entgegenkommen würde. Die Entwicklung für ein wöchentlich zu spritzendes Insulin ist in vollem Gang. Mechanismen, die eine Wirkungsverlängerung ermöglichen, sind bereits bei den 24-Stunden-Insulinanaloga angewendet worden. Für die 7-Tage-Dauer sind verschiedene Strategien in Entwicklung: die C20-Acylierung mit reversibler Albuminbindung, die Pegylierung, die zu einer grössenabhängigen Absorptionsgeschwindigkeit führt, und die Fc-Fusion mit einem IgG-Fragment, das lymphatisch absorbiert wird. Letztere Strategie wurde bereits bei Fc-Fusionsproteinen wie Etanercept, Dulaglutide und Insulinen angewendet.
Dr. Juliana Bue-Valleskey (links), Prof. Philipp Home (rechts)
Gibt es Evidenz?
Wöchentliches Basalinsulin-Fc (BIF) wurde in einer klinischen Phase-I-Studie getestet und zeigte eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung und eine lang wirksame Nüchternglukose-
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senkung bis zu 10 Tage nach einer einzelnen Verabreichung. Die Blutzuckerkontrolle ist ähnlich wie mit Basalinsulinen, und es treten auch nach mehreren Dosierungswochen keine schweren Hypoglykämien auf. Alle Unterzuckerungen konnten mit oraler Kohlenhydrataufnahme aufgelöst werden. Die Antikörperbildungsrate sei sehr tief gewesen, so Prof. Hans de Vries, Amsterdam University Medical Center UMC, Amsterdam (NL). BIF wird in einem grossen Studienprogramm
Prof. Stefano del Prato (links), Prof. Hans de Vries (rechts)
versus Insulin glargin und Insulin degludec bei Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes getestet. Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung von Insulin icodec, einem Insulin, das durch den Ersatz von 3 Aminosäuren und die Anbindung an die C20-Icosan-Fettsäure eine hö-
here Stabilität erhält und eine reversible Bindung mit Albumin
eingehen kann. In doppelblind randomisierten Kohortenstu-
dien zur Dosisfindung wurde jeweils 5 Wochen versus Insulin
degludec getestet, und es ist ein grosses Studienprogramm
versus Insulin glargin und Insulin degludec geplant.
Eine Phase-II-Studie, die am ADA-Kongress präsentiert
wurde, verglich die wöchentliche Injektion von Insulin ico-
dec mit der täglichen Injektion von Insulin glargin U100
und zeigte nach 26 Wochen, dass Insulin icodec den HbA1cWert gleich gut senkt und das durchschnittliche tägliche
Glukoseprofil stärker reduziert. Zu Studienende war der
Insulinbedarf in der Glargingruppe leicht gestiegen. Beim
Gewichtsanstieg zeigte sich kein signifikanter Unterschied.
Bis auf mehr injektionsbedingte lokale Reaktionen gab es
keine signifikanten Unterschiede bei den Nebenwirkungen,
ebenso wenig beim Gewicht (1,5 vs. 1,6 kg). Die Rate an
schweren und klinisch relevanten Hypoglykämien war in
beiden Gruppen tief.
Fragen zu Insulinresistenz, Krebs, Dosisanpassung bei Hypo-
glykämie, bei Krankheitstagen oder während intensiver
körperlicher Leistung seien bislang ungeklärt und müssten
für eine wöchentliche Insulinstrategie dringend beantwortet
werden, kommentierte Prof. Stefano del Prato von der Uni-
versität Pisa (I) die verfügbaren Daten.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Insulin Therapies», Jahreskongress der American Diabetes Association, 12. bis 16. Juni, virtuell
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