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ECCO-Highlights – Interview mit Gerhard Rogler
«Wir können etwas bewegen»
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Neues zu Ileozökalresektionen, der Entstehung von Darmfibrosen, Hochdosisversuchen mit Biologika und deren subkutaner Applikation oder der Charakterisierung des Darmmikrobioms – der diesjährige europäische Jahreskongress der Europäischen Crohn- und Colitis-Organisation (ECCO) in Wien wartete mit einer Menge spannender Ergebnisse auf. Wir sprachen mit dem Gastroenterologen Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich über die Highlights.
Gerhard Rogler
Herr Prof. Rogler, vorneweg: Am ECCO-Kongress waren immer wieder Leute mit Mundschutz zu sehen. Hat das Coronavirus dieses Treffen beeinflusst? Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler: Der Kongress war schon etwas durch das Coronavirus beeinträchtigt. So ist ein Grossteil der chinesischen Delegierten leider nicht gekommen. Gerade den Austausch mit den asiatischen Kollegen finde ich immer sehr wichtig. Ich hoffe, sie sind mit ihren guten Inputs im kommenden Jahr wieder dabei.
Eine guter Input kam auch aus den Niederlanden: Früher wollte man Operationen möglichst lange hinausschieben. Jetzt wurde in einer Studie gezeigt, dass eine frühe Ileozökalresektion bei gewissen Patienten doch eine gute Therapiestrategie sein könnte.
Nach der Operation benötigten die Hälfte bis zwei Drittel der Patienten über fünf Jahre keine Medikation oder zumindest kein Biologikum mehr.
Rogler: Es ist schon so, dass die Operation als Therapieversagen angesehen wird. In diesem Zusammenhang war die Präsentation der Langzeitdaten des LIR!C-Trials sehr interessant. Dabei wurden die Patienten nicht zwischen zwei Medikamenten und Plazebo randomisiert, sondern zwischen Operation, also ileozökaler Resektion, und AntiTNF. Nach der Operation benötigten die Hälfte bis zwei Drittel der Patienten über fünf Jahre keine Medikation oder zumindest kein Biologikum mehr. In der Anti-TNF-Gruppe mussten innerhalb dieser fünf Jahre trotzdem über 40 Prozent noch operiert werden. Wenn also bei der Hälfte über fünf Jahre keine Medikation mehr notwendig ist, sollte man
eine solche Option doch frühzeitig in Erwägung ziehen. Wenn sich die Patienten dafür eignen, also bei einem klassischen limitierten Crohn mit kurzem Befall im terminalen Ileum und nicht bei einem langstreckigen Dick- oder Dünndarmbefall und wenn Budesonid nicht funktioniert, kann man darüber nachdenken. Meine Tochter ist 21 Jahre alt. Wenn sie einen solchen limitierten Morbus Crohn hätte, würde ich ihr frühzeitig zu einer Ileozökalresektion raten. Sie hätten damit einfach eine gute Chance, langfristig ohne Medikamente zu sein.
Auch bei den Darmfibrosen sind Operationen häufig unumgänglich … Rogler: Der Hintergrund ist, dass unsere antientzündlichen Medikationen die Fibrose einfach nicht aufhalten. Es werden immer noch genauso viele Patienten wegen narbiger Engstellen und Fibrose operiert wie vor 20 Jahren, als es noch keine Biologika gab. Allerdings lernen wir immer mehr über die Entstehung dieser krankhaften Bindegewebsvermehrung. Gemäss den am ECCO vorgestellten Daten des amerikanischen RISC-Konsortiums finden sich schon früh bei Kindern in der Schleimhaut Anzeichen für Veränderungen bestimmter Fibrosemarker. Das bedeutet, dass die Entstehung der Fibrose unabhängig von der Entzündung im Darm ist. Tatsächlich entwickeln die Kinder narbige Engstellen, auch wenn die Inflammation komplett unter Kontrolle ist. Es wurden zudem die klinischen Endpunkte vorgestellt und diskutiert. Ich bin davon überzeugt, dass die ersten klinischen Substanzen hier bald kommen werden. Fibrose rückt immer stärker ins Bewusstsein – und das gefällt mir sehr gut. Die ECCO hat vor sieben Jahren mit einem Workshop diese Entwicklung angestossen, heute gibt es viele Arbeitsgruppen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Daran sieht man, dass man als wissenschaftliche Organisation tatsächlich etwas bewegen kann.
In den vergangenen Jahren standen Fisteln am ECCO immer wieder im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Gibt es da etwas Neues? Rogler: Zu den Fisteln gibt es eigentlich nur neue Ergebnisse zur Behandlung mit Alofisel® (Anm. d. Red.: ein The-
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rapeutikum, das Stammzellen aus Fettgewebe enthält). Danach sind die Real-World-Daten am Ende fast noch besser als die Studiendaten, die Ansprechraten sind hoch. Für die Betroffenen ist das sicher ein Benefit. Das Hauptproblem ist dabei für manche Patienten, die Kostengutsprache von den Kassen zu bekommen, zumindest in der Schweiz. Da Stomapatienten in der Zulassungsstudie für dieses Medikament aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen waren, legen sich die Kassen quer. Können Stomapatienten also nie mit diesem Medikament behandelt werden? Das wäre doch Irrsinn.
Wenn schon die Bereitstellung wirksamer Medikamente zum Problem wird, scheint die Realisierung einer individualisierten Therapie in weiter Ferne … Rogler: Auch aus einem anderen Grund ist das Versprechen der individualisierten Therapie, zumindest bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, nicht haltbar. Man dachte, durch das Sammeln und Analysieren möglichst vieler Daten würden sich Untergruppen herauskristallisieren, wodurch eine personalisierte Medizin möglich sei. Das funktioniert aber nicht, denn die Scores und Marker zeigen bislang nur eine Spezifität von 0,8. Und damit lässt sich keine vernünftige Vorhersage machen, das ist für die Klinik zu wenig. Dass man bei 20 Prozent der Betroffenen falsch liegt, geht einfach nicht. Mit solchen Wahrscheinlichkeiten kann ich keine individualisierte Therapie machen. Das ist genau das Gegenteil von individualisiert, das ist ein konzeptionelles Missverständnis.
Man muss auch nicht postoperativ jeden Patienten medikamentös behandeln. Sinnvoller ist es, zuerst zu schauen, ob es überhaupt wieder zu einem Rückfall kommt.
Wie lässt sich die Behandlung trotzdem optimieren? Rogler: Wir sollten uns eher darauf konzentrieren, das Therapieansprechen und den Therapieverlauf zu monitorisieren. Das bedeutet: Calprotectin messen, Ultraschall durchführen und die Behandlungen engmaschig kontrollieren respektive bei Bedarf umstellen. Das bringt viel mehr. Wenn zum Beispiel alle zwei Monate kontrolliert wird, kann auch mal eine Morbus-Crohn-Therapie beendet und dann beobachtet werden, ob die Erkrankung wiederkommt. Man muss auch nicht postoperativ jeden Patienten medikamentös behandeln. Sinnvoller ist es, zuerst zu schauen, ob es überhaupt wieder zu einem Rückfall kommt. Das ist aus meiner Sicht eine viel mehr individualisierte Therapie.
Aber in der Onkologie funktioniert das schon … Rogler: Bei Krebspatienten ist es etwas anderes. Da wird jeder Patient tumorgenetisch sequenziert, und ich kann schauen, welche Mutationen vorhanden sind. Damit können die Onkologen ableiten, welche Kinasehemmer
bei welchen Patienten wirken und sinnvoll eingesetzt werden.
Gibt es etwas Neues zu den Biologika? Rogler: Sehr interessant waren die Langzeitdaten der Hochdosisversuche mit Adalimumab. Zwar wurde der eigentliche Endpunkt nicht erreicht, das heisst, die Dosierung alle zwei Wochen war nicht schlechter als die wöchentliche Dosierung. Wenn alle Daten zusammengenommen werden, zeigt die wöchentliche Gabe jedoch mehr Remissionen als die zweiwöchentliche. Zudem gab es noch einen dritten Studienarm mit Patienten, die nach dem Serumspiegel des Medikaments behandelt wurden. Auch wenn es nicht statistisch gepowert war, erwies sich diese Methode als genauso gut wie die wöchentliche Gabe. Das belegt für mich eindeutig, dass es Sinn macht die Trough-levels zu messen. Es macht bei Adalimumab hinsichtlich des Therapieerfolgs aber auch Sinn, bestimmte Spiegel zu erreichen. Nicht bei jedem Patienten ist eine wöchentliche Gabe notwendig. Bei guten Spiegeln ist auch eine zweiwöchentliche Injektion ausreichend. Wir wissen ja, dass das Erreichen eines gewissen Serumlevels auch gewichtsabhängig ist. Gemäss einer neueren Studie spielt dabei das viszerale Fett eine besondere Rolle, da es die Anti-TNF-Medikamente stärker «zu verbrauchen» scheint.
Immer mehr rücken subkutane anstatt intravenöse Injektionen in den Fokus … Rogler: Ja, in Studien gab es da keine grossen Unterschiede. Das ist erfreulich, da man in Zukunft nun auch Vedolizumab und Infliximab subkutan geben kann, und auch bei den Biosimilars funktioniert der Switch von intravenös nach subkutan gut. Wir hoffen, dass das möglichst bald in der Schweiz zugelassen wird. Das wäre schon ein Vorteil. Wir haben inzwischen viele Patienten unter Vedolizumab, und die wären schon sehr froh, wenn sie es sich selbst subkutan spritzen könnten. In die Klinik zu gehen, um alle acht oder alle vier Wochen eine Injektion zu erhalten, ist für die meisten Betroffenen schon mühsam. Der regelmässige Weg ins Spital erinnert immer daran, dass sie eine solche Krankheit haben – auch wenn sie in Remission sind. Auf der anderen Seite sollte man das Risiko von allergischen Reaktionen bei Infliximab im Auge behalten. Wenn ich einen TNF-a-Hemmer intravenös gebe und nach den ersten Tropfen eine allergische Reaktion bemerke, stelle ich die Infusion ab und gebe Kortison. Dann haben wir das Ganze unter Kontrolle. Wird die ganze Dosis subkutan injiziert, ist alles drin. Bekommt dann der Patient eine allergische Reaktion, wird das sehr viel schwerer zu kontrollieren sein als bei einer intravenösen Verabreichung. Das zeigte sich zwar nicht in den aktuellen Studien, aber das ist schon zu beachten.
Es werden immer mehr Daten zur Sicherheit solcher Medikamente generiert ... Rogler: Ja, für Ustekinumab wurde bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa ein sehr gutes Sicherheitsprofil nochmal bestätigt. Allerdings zeigt das fünfjährige Psoriasis-Register, dass es doch zu infektiösen Komplikationen kommen kann. Derzeit werden die ECCO-Guidelines zu den opportunistischen Infektionen überarbeitet. Zum Glück ist das für uns in der Schweiz kaum relevant. Wir hatten bei unseren 2000 bis 3000 Patienten in den vergangenen fünf bis acht Jahren gerade mal drei
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Tuberkulosefälle. In Brasilien ist gemäss einer aktuellen Studie dieser Faktor 30-mal höher. Solche Register brauchen wir auch für andere Substanzen. Gemäss einer anderen interessanten Präsentation werden im Durchschnitt erst vier Jahre nach der Zulassung Komplikationen gemeldet. Das heisst, sowohl für Tofacitinib als auch für Ustekinumab brauchen wir bei IBD-Patienten wohl noch Zeit, um die Risiken richtig abschätzen zu können. Für Vedolizumab scheint es laut einer Analyse der Head-to-Head-Studie wenig Nebenwirkungen zu geben. Allerdings war auch hier ein nicht signifikantes Signal für Clostridium-difficile-Infektionen zu beobachten. Wir sehen generell derzeit eine Zunahme von Clostridium-Infektionen, das sollten wir im Auge behalten.
Indem wir das Metagenom der Bakterien immer besser verstehen, können wir viel gezielter eingreifen.
Apropos Bakterien: Die Charakterisierung des Mikrobioms im Darm wird immer besser … Rogler: Das stimmt. Man kommt zunehmend auf die Funktionsebene, aber eben noch nicht ganz. Wir wissen zumindest, welche funktionelle Ausstattung die Bakterien besitzen, und können von der Gensequenz indirekt auf die enzymatischen Funktionen der Bakterien schliessen. Es ist bisweilen sogar widersprüchlich, aber das wird die zukünftige Entwicklung sein, wenn wir die Methoden verbessert haben.
Wie beeinflusst die Ernährung das Darmmikrobiom? Rogler: Arie Levine hat in einer interessanten Arbeit gezeigt, dass enterale Ernährung die Dysbiose teilweise besser ausgleicht als eine medikamentöse Therapie. Allerdings wurde auch deutlich – und bezeichnenderweise weniger thematisiert –, dass bei nachfolgender normaler Ernährung die Relaps-Rate bei 80 Prozent liegt. Das Mikrobiom bessert sich zwar nachhaltig, und deshalb ist dieser Ansatz auch erfolgreich, aber man muss die enterale Ernährung dann fortführen. Und wer
will sich ein Leben lang mit einer flüssigen Spezialnahrung über Schläuche ernähren?
Welche neuen Entwicklungen stehen an? Rogler: Schön ist die Etablierung von United Registries for Clinical Assessment and Research, kurz UR-CARE. Das ist eine elektronische Plattform, mit der man die Wirksamkeit der Behandlungen und den Zustand der Patienten gut nachvollziehen kann. UR-CARE hat eine sehr gute Entwicklung genommen, sodass sie heute einen Teil der Versorgungsverbesserung darstellt. Leider notieren viele Kolleginnen und Kollegen immer noch auf Papier die Krankengeschichte ihrer Patienten. Wenn man bestimmte Dinge nachverfolgen will, also beispielsweise wie häufig die Schübe auftreten, wie der Calprotectin-Verlauf in den vergangenen drei Jahren war, ob es stimmt, dass immer an Weihnachten Schübe auftreten, sind elektronische Daten schon ein Riesenvorteil. Wir bieten es den Kollegen europaweit beinahe unentgeltlich an.
Sind auch neue Moleküle zur Behandlung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen in Aussicht? Rogler: Ja, es geht weiter. Wir haben Phase-I- und -II-Studien zu ganz neuen Molekülen. Eines davon hemmt beispielsweise bestimmte bakterielle Enzyme. Indem wir das Metagenom der Bakterien immer besser verstehen, können wir viel gezielter eingreifen. Das sind fast schon gezielte Antibiotika. Sie wirken aber nicht wie die klassischen Antibiotika, sondern die Moleküle greifen in die Zusammensetzung des Mikrobioms ein, das heisst, sie inhibieren ganz bestimmte Bakteriengruppen. Im Tiermodell funktioniert das schon ganz gut. Ich finde, das ist eine spannende Entwicklung. Ansonsten gibt es neue vielversprechende Daten zu S1P1Rezeptor-Agonisten. Allerdings liegen die Mucosal-HealingDaten dieser S1P1-Substanzen bisher auch nur bei 30 oder 40 Prozent. Insgesamt gibt es noch viel zu tun. Denn auch bei all den anderen modernen Medikamenten bewegen sich die Heilungsraten der Mukosa bei maximal 40 Prozent. Damit sind wir noch lange nicht da, wo wir eigentlich sein wollen.s
Das Interview führte Klaus Duffner
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