Transkript
ECCO
Individualisierte CED-Therapie
Lymphomrisiko durch Thiopurine?
Foto: KD
In bestimmten Patientengruppen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen können Thiopurine das Risiko für ein Lymphom erhöhen. Auch bei Patienten mit überstandener Tumorerkrankung ist Vorsicht geboten. Prof. Laurent Beaugerie aus Paris (F) beschäftigt sich schon lang mit dieser Thematik. An der Jahrestagung der Europäischen Crohn- und Colitis-Organisation (ECCO) in Wien gab er einen Überblick.
Die Anwendung von Immunsuppressiva aus der
Wirkstoffgruppe der Thiopurine hat sich bei re-
fraktären oder chronisch aktiven Erkrankungs-
formen wie Morbus Crohn (MC) und Colitis
ulcerosa (CU) bewährt. Am häufigsten werden
Azathioprin (AZA; Imurek® und Generika) und
6-Mercaptopurin (6-MP; Puri-Nethol®) sowie
gelegentlich 6-Thioguanin (6-TG; Lanvis®) ein-
gesetzt. Allerdings ist schon seit Längerem be-
Laurent Beaugerie
kannt, dass die Behandlung mit Thiopurinen bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
(inflammatory bowel diseases, IBD) zur Induktion von Lym-
phomen führen kann (1). Aber wer ist zu welchem Zeitpunkt
besonders gefährdet?
Über 65-Jährige und EBV-Negative mit höherem Risiko
In einer französischen Studie mit knapp 20 000 Patienten mit
MC oder CU zeigte sich, dass diejenigen, die mit Thiopurinen
behandelt worden waren, ein signifikant höheres Risiko tru-
gen, Hodgkin-Lymphome oder Non-Hodgkin-Lymphome zu
entwickeln, als solche, die nie mit diesen Immunsuppressiva
KURZ & BÜNDIG
� Das Risiko für thiopurininduzierte Lymphome kann durch den Verzicht auf Thiopurine bei EBV-seronegativen Patienten und bei älteren Männern niedrig gehalten werden.
� Die karzinogene Rolle von TNF-Inhibitoren wird hinsichtlich der Lymphome immer noch kontrovers diskutiert. Für alle anderen Immunsuppressiva existieren keine robusten Daten.
� Bei Patienten mit vergangenen Krebserkrankungen besteht ein substanzielles Risiko für einen Rückfall. Deshalb sollte eine 2- bis 5-jährige Pause hinsichtlich des Einsatzes von immunsuppressiv wirkenden Substanzen angestrebt werden, ausser bei Patienten, deren aktive schwere IBD-Erkrankungen keine Alternativen zulassen.
Kontakt hatten (0,90 pro 1000 Patientenjahre [PJ] vs. 0,26/1000 PJ; p = 0,0054; HR: 5,28). Dabei war die Inzidenz klar altersabhängig: Über 65-Jährige waren deutlich häufiger betroffen als unter 50-Jährige. In anderen Untersuchungen hatten über 65-jährge Patienten mit einer längerfristigen Thiopurintherapie ein Risiko für Harnwegskarzinome von 9,64/1000 PJ und ein Lymphomrisiko von ebenfalls 9,64/1000 PJ (Unbehandelte: 1,53 resp. 3,07/1000 PJ) (1–3). «Deshalb versuche ich bei Patienten über 65 Jahre, den Einsatz von Thiopurinen zu vermeiden», erklärte Beaugerie am ECCO-Kongress. Auch Epstein-Barr-Virus-(EBV-)Negativität ist, besonders bei jungen Männern unter Thiopurintherapie, mit einem deutlich höheren Lymphomrisiko verbunden. Während Patienten über 30 Jahre zumeist seropositiv auf EBV reagieren, hatten 20 bis 30 Prozent der jüngeren Menschen noch keinen Kontakt mit diesem Virus (4). Solche EBV-negativen Personen besitzen ein höheres Risiko sowohl für einen schwereren Verlauf einer Erstinfektion unter Thiopurinen als auch für die Entwicklung von Lymphomen. Tatsächlich liege laut Beaugerie das Risiko für einen fatalen Verlauf bei 10-jähriger Thiopurinexposition für EBV-negative Patienten bei immerhin 3 Prozent. Entsprechend wird wegen des Mononukleose-Lymphom-Risikos im diesbezüglichen ECCO-Statement empfohlen, auf den Einsatz von Thiopurinen bei jungen männlichen EBV-seronegativen IBD-Patienten zu verzichten und nach therapeutischen Alternativen zu suchen. Das Risiko für das seltene hepatomegalische Karzinom wird hingegen durch eine Kombination aus Thiopurinen und TNF-a-Inhibitoren erhöht (5).
Auch die Haut im Auge behalten
Allgemein zeigen IBD-Patienten Signale für ein erhöhtes, bislang nicht verstandenes Risiko für nicht melanozytäre Hautkrebsformen. Thiopurine steigerten dieses Risiko auf das Doppelte bis Dreifache, so der französische Spezialist. Bei Anti-TNF-Therapien scheine das Non-Melanoma-Krebsrisiko nur leicht anzusteigen (6). Die beste Protektion seien ein adäquater Sonnenschutz und, ab dem Zeitpunkt der IBD-Erstdiagnose, eine regelmässige dermatologische Untersuchung. Auch das mit HPV in Verbindung stehende Zervixkarzinom wird möglicherweise, aber nicht sicher, über Thiopurine leicht getriggert (7).
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ECCO
Zurückhaltung nach überstandener Krebserkrankung
Kann eine immunsuppressive Therapie einen Rückfall bei ehemaligen Tumorpatienten induzieren? Für die Beantwortung dieser Frage wurden in einer Metaanalyse die Daten von 11 700 Patienten mit vergangener Krebserkrankung analysiert (8). Ergebnis: Die Rückfallraten von Patienten unter AntiTNF-Therapie, immunmodulierender Therapie und immunsuppressionsfreier Therapie zeigten kaum Unterschiede. Lediglich bei kombinierten Immuntherapien konnte eine numerische, aber nicht signifikante Zunahme von wieder aufflackernden Tumorerkrankungen beobachtet werden. Allerdings gebe es gute Gründe, in dieser Frage vorsichtig zu sein, so Beaugerie. Erstens gebe es in der klinischen Praxis einen erheblichen Bias. Zweitens sei in einer 5-Jahres-Studie aus den 70er-Jahren eine sehr hohe Rekurrenzrate bei transplantierten Patienten unter Thiopurintherapie beschrieben worden. Der dritte Grund sei der wichtigste: Bei nahezu jedem Tumorpatienten existierten residuale Krebszellen im Körper. Gerade Checkpoint-Inhibitoren würden das Risiko für ein Wiedererstarken dieser Tumorzellen dramatisch senken. Umgekehrt könne postuliert werden, dass immunsuppressive Substanzen das Rückfallrisiko wieder erhöhten. Die ECCO-Empfehlungen sind, aufbauend auf den Daten von transplantierten Patienten, entsprechend vorsichtig: Bei Tumorpatienten sollte zur Vermeidung einer neoplastischen Rekurrenz innerhalb der ersten 2 Jahre nach Beendigung der Krebstherapie auf eine immunsuppressive Therapie verzichtet werden. Diese Verzö-
gerung kann bei Krebsformen mit hohem Rückfallrisiko bis
auf 5 Jahre ausgedehnt werden (6). In einer demnächst erschei-
nenden Publikation von Beaugerie wird mit einem Algorith-
mus ausführlich auf diese Thematik eingegangen.
s
Klaus Duffner
Referenzen: 1. Beaugerie L et al.: Lymphoproliferative disorders in patients receiving thio-
purines for inflammatory bowel disease: a prospective observational cohort study. Lancet 2009; 374(9701): 1617–1625. 2. Dulai PS et al.: Systematic review: Monotherapy with antitumour necrosis factor α agents versus combination therapy with an immunosuppressive for IBD. Gut 2014; 63(12): 1843–1853. 3. Bourrier A et al.: Excess risk of urinary tract cancers in patients receiving thiopurines for inflammatory bowel disease: a prospective observational cohort study. Aliment Pharmacol Ther 2016; 43(2): 252–261. 4. Beaugerie L: Lymphoma: The Bête Noire of the Long-term Use of Thiopurines in Adult and Elderly Patients With Inflammatory Bowel Disease. 2013; 145(5): 927–930. 5. Kotlyar DS et al.: A systematic review of factors that contribute to hepatosplenic T-cell lymphoma in patients with inflammatory bowel disease. Clin Gastroenterol Hepatol 2011; 9(1): 36–41. 6. Annese V et al.: European Evidence-based Consensus: Inflammatory Bowel Disease and Malignancies. J Crohn colitis 2015; 9: 945–965. 7. Duguee PA et al.: Risk of cervical cancer in women with autoimmune diseases, in relation with their use of immunosuppressants and screening: Population-based cohort study. Int J Cancer 2015; 136: E711–E719. 8. Shelton E et al: Cancer Recurrence Following Immune-Suppressive Therapies in Patients With Immune-Mediated Diseases: A Systematic Review and Meta-analysis. Gastroenterology 2016; 151(1): 97–109.
Quelle: Scientific Session 3, L. Beaugerie (Paris): «Reducing neoplastic complications
of therapy» bei der Jahrestagung der Europäischen Crohn- und Colitis-Organisation
(ECCO) am 13. Februar 2020 in Wien.
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