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Orofazialer Morbus Crohn
Häufiges Leiden, häufig verkannt
ECCO
Foto: KD
Zwar ist der Zusammenhang zwischen oralen Läsionen und Morbus Crohn schon lange bekannt, trotzdem kommt es immer wieder zu diagnostischen Verzögerungen. Bei der Jahrestagung der Europäischen Crohn- und Colitis-Organisation (ECCO) in Wien wurde auf die wichtigsten Charakteristika solcher schmerzhaften Erkrankungen aufmerksam gemacht.
Obwohl orale Manifestationen bei Morbus
Crohn (MC) mit einem hohen Leidensdruck
verbunden sein können, werden sie relativ
wenig beachtet. Dabei ist die Prävalenz hoch:
Je nach untersuchter Patientengruppe zeigen
5 bis 50 Prozent der MC-Betroffenen orale Lä-
sionen, bei 5 bis 10 Prozent gehen solche Läsio-
nen der intestinalen Symptomatik bisweilen
um Jahre voraus (1). Dabei sind Kinder deut-
lich häufiger betroffen als Erwachsene, beson-
Shaji Sebastian
ders dann, wenn der obere Gastrointestinal-
trakt oder der Perianalbereich involviert sind und wenn ak-
tive Krankheitsschübe vorliegen (2).
Typisches Symptom: geschwollene Lippen
Zu den hochspezifischen oralen Läsionen gehört der akute
orofaziale MC. Kennzeichen ist zumeist eine Involvierung
der Lippen mit Ödemen und einer sehr schmerzhaften
Cheilitis angularis, die das Öffnen des Mundes enorm er-
schwert. Im chronischen Stadium besässen solche tiefen
Ulzera in den Mundwinkeln der Lippen eine bemerkens-
werte Ähnlichkeit zu endoskopischen intestinalen Läsio-
nen, erklärte Shaji Sebastian aus Hull (GB) am ECCO-Kon-
gress in Wien. Auch die zunächst wiederholt auftretende
Cheilitis granulomatosa steht in engem Zusammenhang
mit MC, vor allem bei Kindern. Sie zeichnet sich durch
stark geschwollene Lippen aus, was bei sich wiederholen-
den Episoden zu permanenten Ödemen führt. Die Basis für
diese Erkrankung ist eine granulomatöse Entzündung.
Auch die orofaziale Granulomatose (OFG) ist mit Verdi-
ckungen des Weichgewebes der Oral- und Maxillofazialre-
gion verbunden. Die Betroffenen leiden häufig unter
Schmerzen, haben Schwierigkeiten beim Essen und stehen
psychosozial unter enormem Druck (3). «Diese Lippen-
schwellungen in Verbindung mit starken Schmerzen sind
der Hauptgrund für die eingeschränkte Lebensqualität der
Kinder», so Sebastian. Zwar haben orofaziale Granuloma-
tosen und orofazialer MC einige Gemeinsamkeiten wie
Lippenbeteiligung, orale Ulzera oder Schwellungen. Trotz-
dem existieren klare Unterschiede hinsichtlich der gastro-
intestinalen Erkrankung (häufig bei oralem MC, weniger
häufig bei OFG), der Nahrungsmittelallergien (ausgepräg-
ter bei OFG, schwach oder nicht existent bei oralem MC)
sowie bei mehreren histomorphologischen Parametern (2).
In einem über 30 Jahre dauernden Follow-up wurden 207
Patienten mit OFG begleitet, aber nur 22 Prozent litten
unter MC (4). In einer anderen Studie konnte zudem gezeigt werden, dass bei OFG-Patienten die Schwere der oralen Entzündungen mit der Schwere der Darmentzündung assoziiert ist (5). Auch wurde festgestellt, dass 40 Prozent der Kinder mit OFG (mittleres Alter 11 Jahre) irgendwann einen MC entwickelten (6). Schliesslich ist auch die seltene Pyostomatitis vegetans in 75 Prozent der Fälle eng mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen assoziiert. Charakteristisch sind viele kleine, cremefarbene Flecken oder Pünktchen, die mehr oder weniger locker verstreut vorkommen. Diese gelblichen, stecknadelkopfgrossen, mit Eiter gefüllten Pusteln rupturieren rasch und hinterlassen Erosionen oder lineare, geschlängelte «Schneckenspurerosionen». Als hoch verdächtig im Zusammenhang mit MC gelten zudem Gingivahypertrophien mit Läsionen, pflastersteinartige Läsionen an der Wangenschleimhaut sowie tiefe lineare Ulzera in der bukkalen respektive der labialen Mukosa. Auch schmerzhafte Lippenschwellungen mit mittig vertikalen Fissuren sind häufig mit MC assoziiert.
Kombinationstherapien und zimtfreie Diät
«Ob nun orofazialer MC oder OFG, der erste Schritt zur Behandlung von oralen Läsionen bei MC ist die Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung», erklärte der britische Gastroenterologe. Allerdings benötigen orale Läsionen zusätzliche Massnahmen. Dazu gehören bei orofazialem MC topische Therapien mit Mundwaschungen und lokale Applikationen von topischen Steroiden (Hydrokortison 1%) und topischem Tacrolimus. In refraktären Fällen sind intraläsionale Injektionen von Triamcinolon (0,1%) zu empfehlen. So zeigte sich nach einer solchen Kortikoidbehandlung in einer Studie mit 22 Patienten eine signifikante Verbesserung (7). Bei 14 Teilnehmern (64%) kam es innerhalb der Studienzeit zu keinem Rückfall. Auch durch die systemische Behandlung mit einer Kombination aus Infliximab und Azathioprin konnte ein 50-prozentiges Ansprechen erreicht werden (8). Schliesslich zeigte die Behandlung mit TNF-Inhibitoren (Infliximab, Adalimumab) in Kombination mit topischen Medikamenten in einer Studie mit 14 OFG-Patienten eine gute Wirksamkeit (9). So liess sich kurzzeitig bei 71 Prozent, über ein Jahr bei 57 Prozent und über zwei Jahre bei 33 Prozent ein Ansprechen feststellen (9).
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Auch die Ernährung spielt bei oralen Läsionen eine wich-
tige Rolle. Beispielsweise verstärkt der Kontakt mit Zimt
die OFG. Gemäss einer Studie, bei der MC-Patienten auf
Zimt und Benzoesäure verzichteten, konnten mit einer sol-
chen Diät 54 bis 78 Prozent der Teilnehmer orale Läsionen
reduzieren (10).
s
Klaus Duffner
Referenzen: 1. Rowland M et al.: Looking in the mouth for Crohn’s disease.
Inflamm Bowel Dis 2010; 16(2): 332–337. 2. Zbar AP et al: Oral Crohn’s disease: is it a separable disease from
orofacial granulomatosis? A review. J Crohns Colitis 2012; 6(2): 135–142. 3. Ni Riordain R et al.: Impact of chronic oral mucosal disease on daily life: preliminary observations from a qualitative study. Oral Dis 2011; 17(3): 265–269. 4. Campbell H et al.: Distinguishing orofacial granulomatosis from Crohn’s disease: two separate disease entities? Inflamm Bowel Dis 2011; 17(10): 2109–2115 5. Sanderson J et al.: Oro-facial granulomatosis: Crohn’s disease or a new inflammatory bowel disease? Inflamm Bowel Dis 2005; 11 (9): 840–846. 6. Lazzerini M et al.: Association between orofacial granulomatosis and Crohn’s disease in children: Systematic review. World J Gastroenterol 2014; 20(23): 7497–7504. 7. Fedele S et al.: Long-term effectiveness of intralesional triamcinolone acetonide therapy in orofacial granulomatosis: an observational cohort study. Br J Dermatol 2014; 70(4): 794–801. 8. Cardose H et al.: Successful infliximab therapy for oral Crohn’s disease. Inflamm Bowel Dis 2006; 12: 337–338. 9. Elliot TJ et al.: Experience with anti-TNF-α therapy for orofacial granulomatosis. Oral Pathol Med 2011; 40 (1): 14–19. 10. White A et al.: Improvement in orofacial granulomatosis on a cinnamon- and benzoatefree diet. Inflamm Bowel Dis 2006; 12: 508–514.
KURZ & BÜNDIG
� Es besteht eine Verbindung zwischen IBD (inflammatory bowel disease) und oralen Läsionen.
� Bei Morbus Crohn (MC) existieren spezifische und nicht spezifische orale Läsionen.
� Es besteht eine Assoziation zwischen orofazialer Granulomatose und MC.
� Für die Behandlung orofazialer Läsionen sind eine Kombination aus topischer und systemischer Therapie sowie Diätempfehlungen sinnvoll.
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