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Luftverschmutzung aus Sicht der Pneumologie
Und sie sterben doch! Schlechte Luft als Gesundheitskiller
Schadstoffbelastete Luft schadet der Gesundheit – daran sollte es heute aus wissenschaftlicher Sicht keine Zweifel mehr geben. Diesem emotional so belasteten Thema wurde auf dem Jahreskongress der European Respiratory Society eine ganze Session mit dem Titel «Stirbt Ihr Patient an Luftverschmutzung?» gewidmet. Einen Überblick über die wissenschaftlichen Fakten gab Prof. Barbara Hoffmann aus Düsseldorf (D).
Eigentlich hätte der Schweizer Präventivmediziner und WHO-Experte für Luftverschmutzung, Prof. Nino Künzli aus Basel, diesen Vortrag halten sollen. Doch dieser zeigte, dass er seine Fachexpertise nicht nur akademisch beherrscht, sondern auch in der Praxis umsetzt – und entschied sich, den CO2-Ausstoss, den er mit seinem Flug nach Madrid und zurück für diesen einen Vortrag verursacht hätte, dieser Welt zu ersparen. Als eine wahrlich würdige Vertreterin erwies sich die deutsche Umweltmedizinerin Barbara Hoffmann, die mit sehr klaren Positionen den einleitenden Vortrag des Symposiums übernahm: Zu Beginn des Jahres 2019 kam es mitten in Europa zu einem akuten Ausbruch einer «Krankheit», die sich «Wissenschaftsleugnung» nannte und sich zunächst schnell in Teilen der medizinischen Community ausbreitete. Die weitere Ausbreitung auf die Allgemeinbevölkerung erfolgte über einen Vektor, der als Mainstream und Social Media auch für andere krankhafte Zustände der Gesellschaft verantwortlich ist. Das Hauptsymptom der Krankheit, die als «The German Outbreak» in die Annalen der Medizin eingehen dürfte, war die Infragestellung der Evidenz aus 40 Jahren Forschung zu den Einflüssen von Umweltverschmutzung. Eine solche Endemie der Wissenschaftsleugnung sei dabei nicht wirklich neu, betonte Hoffmann. Ähnliche Ausbrüche gab es bereits im letzten Jahrhundert zu anderen Themen – wie Rauchen und Passivrauchen. Bei diesen Themen hatte es seinerzeit ein paar Dekaden gedauert, um die Mehrheit der Bevölkerung – einschliesslich der Ärzte – zu überzeugen, dass Rauchen und Passivrauchen in der Tat gesundheitsschädlich sind. Die Wissenschaftsleugnung auf dem Gebiet der menschengemachten Klimaveränderung ziehe sich nun auch schon seit den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts hin, erinnerte Hoffmann. Für den aktuellen Ausbruch zeichnen einige deutsche Ärzte verantwortlich, die z.B. mit den folgenden Thesen aufwarteten: • «Stickstoffdioxid (NO2) und Feinstaub sind in den heu-
tigen Konzentrationen in Europa harmlos; toxikologisch lassen sich Effekte erst in viel höheren Konzentrationen nachweisen.»
• «Epidemiologie zeigt nur eine Korrelation, aber keinen Kausalzusammenhang.»
• «Einige grosse Studien zeigen keine Effekte.» Das wird als «Beweis» für einen fehlenden Effekt ausgeführt.
• «Die unterschiedlichen gesetzlichen Grenzwerte beweisen das Fehlen von evidenzbasierten Grenzwerten.»
• «Ich habe noch nie einen Patienten an Luftverschmutzung sterben gesehen.» (Originalwortlaut aus einer Stellungnahme von Prof. Dieter Köhler, Schmallenberg: «Lungenärzte sehen in ihren Praxen und Kliniken diese Todesfälle an COPD und Lungenkrebs täglich; jedoch Tote durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie.»)
Was ist Luftverschmutzung?
Luftverschmutzung ist eine Mischung von Partikeln und Gasen. Von den Gasen sind es vor allem NO2 und Ozon, die Anlass zur Sorge bereiten. Die Partikel in der verschmutzten Luft haben unterschiedliche Quellen, Bestandteile und physikochemische Eigenschaften. Wenn verschmutzte Luft eingeatmet wird, gelangen die unterschiedlichen Bestandteile in die unteren Atemwege und führen dort zunächst zu Lokalreaktionen wie Entzündung, oxidativen Stress und karzinogene Effekte. Durch die lokalen Reaktionen kann es zur Entwicklung beziehungsweise Verschlechterung von Asthma, COPD und Lungenkrebs kommen. Doch die Schädigung findet nicht nur lokal statt – über den Körperkreislauf können auch andere Organsysteme beeinflusst werden. So sind heute auch systemische Effekte von verschmutzter Luft in Form von endothelialer Dysfunktion, Insulinresistenz und Diabetes sowie indirekte Organeffekte beschrieben worden. Über die Aktivierung von Reflexbahnen wird zudem auch das autonome Nervensystem aktiviert, was sich in einem Bluthochdruck sowie in kardialen Arrhythmien äussern kann. Darüber hinaus können diejenigen Partikel, die in den systemischen Kreislauf gelangen – wie ultrafeine Partikel, Metalle und Toxine –, sich im Körper verteilen und zu direkten Organschädigungen führen. Die allererste grosse und bekannte Studie zum Thema Umweltverschmutzung war eine Untersuchung der täglichen Todesraten während des grossen Smogs von London im
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Pathologien, die mit Luftverschmutzung assoziiert sind
Atemwegserkrankungen – Morbidität und Mortalität Lungenkrebs Pneumonie Symptome an oberen und unteren Atemwegen Atemwegsentzündung Abnahme von Lungenfunktion und Lungenwachstum
Insulinresistenz Typ-2-Diabetes Typ-1-Diabetes Knochenmetabolismus
Bluthochdruck Endotheliale Dysfunktion Gesteigerte Blutgerinnung Systemische Inflammation Tiefe Beinvenenthrombose
Quelle: ERS/ATS policy statement 2017 (6)
Schlaganfall Einschränkungen bei neurologischer Entwicklung und mentaler Gesundheit Neurodegenerative Erkrankungen
Kardiovaskuläre Erkrankungen – Morbidität und Mortalität Myokardinfarkt Arrhythmie Kongestive Herzinsuffizienz Änderungen der Herzfrequenzvariabilität ST-Senkung
Hautalterung
Frühgeburt Niedriges Geburtsgewicht Vermindertes Fetalwachstum Intrauterine Wachstumsverzögerung Verminderte Spermienqualität Präeklampsie
Dezember 1952. Damals stieg aufgrund einer Inversionswetterlage die Konzentration von Luftschadstoffen auf ein Vielfaches der üblichen Werte. In der gleichen Zeit hatten sich die Todesraten mehr als verdoppelt; anschliessend normalisierten sie sich erst verzögert wieder. Damals gingen allerdings viele Experten davon aus, dass es sich bei den beobachteten Todesfällen um schwer kranke und stark geschwächte Menschen handeln würde, die ansonsten ohnehin in den nächsten Tagen verstorben wären. Doch dies hatte sich nicht bestätigt – vielmehr wurde auch in den darauf folgenden Studien immer deutlicher, dass die erhöhten Todesraten während solcher Phasen gesteigerter Luftverschmutzung auch Menschen betrafen, die sich nicht in den letzten Tagen ihres Lebens befanden und ansonsten noch viele Monate oder Jahre überlebt hätten. So kann heute bezüglich der Feinstaubkonzentration als Faustregel festgestellt werden: Ein Anstieg der PM10-Feinstaubkonzentration um 10 µg pro Kubikmeter Luft erhöht die tägliche Mortalität um 0,4 bis 1 Prozent. Doch neben solchen kurzfristigen Auswirkungen auf die Mortalität lassen sich auch langfristige Effekte beobachten. Als Beispiel nannte Hoffmann eine Langzeitstudie aus Kanada, in der die Assoziation zwischen der durchschnittlichen Feinstaubkonzentration am Wohnort und der Mortalität untersucht wurde. Das Ergebnis: Selbst bei den sehr geringen Feinstaubkonzentrationen, wie sie in Kanada gemessen werden, liess sich eine nahezu lineare Korrelation zwischen der Feinstaubkonzentration (PM25) und der kardiovaskulären Mortalitätsrate nachweisen (1).
Mortalität ist nur die Spitze des Eisbergs
Allerdings werde die alleinige Betrachtung der Mortalität den tatsächlichen Auswirkungen auf die Gesundheit nicht gerecht, betonte Hoffmann: «An einer Exposition zu sterben, das ist nur die Spitze eines Eisbergs.» Denn es gibt viele weitere gesundheitliche Auswirkungen der Luftverschmutzung (Abbildung). Als wichtigen Aspekt beschrieb die Düsseldorfer Expertin die Auswirkungen auf die Atemwege, wie sie beispielsweise in einer britischen Studie dargestellt wurden (2): Darin wurden Patienten mit einem leichten, gut kontrollierten Asthma randomisiert entweder 2 Stunden in die viel befahrene Oxford Street oder für die gleiche Zeit in den nahe gelegenen Hyde Park geschickt. Bereits in dieser relativ kurzen Expositionszeit liess sich nach dem Spaziergang in der Oxford Street eine Reduktion der Lungenfunktion um 6,1 Prozent in der Einsekundenkapazität (FEV1) beziehungsweise um 5,4 Prozent in der forcierten Vitalkapazität (FVC) gegenüber dem Ausgangswert nachweisen, während die entsprechenden Reduktionen nach dem Spaziergang im Hyde Park signifikant niedriger ausfielen. «Das hört sich bei einem gesunden Menschen nicht nach allzu viel an – und auch diese leichten Asthmatiker haben nicht viel gemerkt. Aber stellen Sie sich vor, was das bei Menschen mit einem schweren oder einem nicht gut kontrollierten Asthma ausmacht – hier kommt man in einen Bereich mit möglichen direkten klinischen Konsequenzen», warnte Hoffmann.
Langzeitauswirkungen der Luftverschmutzung
Zu den langfristigen Auswirkungen der Luftverschmutzung
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gehört auch der Einfluss auf die Lungenentwicklung bei Kindern – und das gilt offenbar nicht nur für die früheste Kindheit: In einer kalifornischen Untersuchung mit Kindern und Jugendlichen, die im Alter von 10 Jahren rekrutiert und bis zu einem Alter von 18 Jahren untersucht wurden, wurde gezeigt: Je höher die Luftverschmutzung, desto geringer fällt die durchschnittliche Zunahme des FEV1 mit dem Alter aus (3). «Das ist sehr wichtig, denn das bedeutet, dass Kinder, die in diesen verschmutzten Gegenden leben, niemals ihre optimale Lungenfunktion erreichen werden», meinte die Expertin warnend. Wenn dann ab einem Alter von über 25 Jahren die altersmässige Abnahme der Lungenfunktion einsetzt, erreichen diese Menschen früher im Leben einen Bereich, der mit Einschränkungen verbunden ist. Die Langzeitauswirkungen der Luftverschmutzung bei Erwachsenen wurden in der Schweizer Studie SAPALDIA untersucht: Auch hier bestätigte sich der lineare Zusammenhang: Je höher die Schadstoffexposition am Wohnort, desto ausgeprägter war der Abfall der Lungenfunktion (4). Sowohl Dieselabgase als auch Feinstaub weisen zudem kanzerogene Effekte auf, wie ebenfalls in verschiedenen Kohortenstudien deutlich wurde. Als Beispiel präsentierte Hoffmann die Studie ESCAPE, die Daten aus verschiedenen europäischen Kohorten auswertete. In der Gesamtauswertung wurde eine signifikante Risikoerhöhung für Lungenkrebs in Assoziation mit einer höheren PM10-Exposition am Wohnort ermittelt (5). In einem gemeinsamen Statement der European Respiratory Society (ERS) und der American Thoracic Society (ATS) wurden die vielen nachgewiesenen schädlichen Gesundheitseffekte, die auf die verschiedenen Organsysteme des Menschen nachgewiesen wurden, zusammengetragen (6). Die Liste macht deutlich, dass es weitaus mehr als nur die Lungen sind – so lassen sich auch Einflüsse auf das kardiovaskuläre System, das Nervensystem, den Hormonhaushalt sowie auf Spermaqualität, Schwangerschaft und fetales Wachstum nachweisen (siehe Abbildung).
Eine Kausalität infolge kurzfristiger Exposition lässt sich
allerdings sehr wohl nachweisen – beispielsweise mit expe-
rimentellen Zellstudien, mit Expositionsversuchen an Tieren
oder auch an Menschen in Expositionskammern. Und da
gibt es in der Tat Studien, die Kausalitäten nachweisen konn-
ten. Beispielsweise entwickeln Versuchstiere vermehrt eine
Atherosklerose, wenn sie für 6 Monate in schadstoffbelaste-
ter Luft gehalten werden. Die Ergebnisse solcher Versuche,
die eine Kausalität zeigen, passen also gut zu denen in den
epidemiologischen Studien.
Eine weitere Möglichkeit, die Kausalität zu belegen, sind
nach den Worten von Hoffmann «natürliche Experimente»
– was sie damit meinte, verdeutlichte sie mit einer US-Studie,
bei der die Daten von über 100 000 Kindern von Militäran-
gehörigen nach Stationierungen in verschiedenen Militär-
basen mit unterschiedlicher Luftqualität für jeweils längere
Zeiträume erfasst wurden. Da jedes Jahr etwa ein Drittel
der Familien aufgrund einer Versetzung umgesiedelt wird,
bestand hier die Möglichkeit, den Einfluss solcher Umsied-
lungen auf die Lungenfunktion der Kinder zu untersuchen.
Es zeigte sich, dass ein Anstieg des jährlichen Ozonwertes um
10 ppb am neuen Wohnort das Risiko für eine Hospitali-
sierung wegen Atemwegserkrankungen um 0,35 Prozent-
punkte erhöhte (von 1,2% auf 1,55%) (7). Wenn auch die
Intention der Exposition eine andere gewesen sei, so komme
diese Untersuchung einer randomisierten Versuchsanord-
nung sehr nahe, betonte Hoffmann.
Nimmt man all diese Erkenntnisse und verschiedenen Stu-
dien zusammen, dann wird deutlich, dass zwischen Luft-
verschmutzung und den beobachteten Effekten auf die Ge-
sundheit sehr wohl ein kausaler Zusammenhang besteht. Zu
diesem Ergebnis kommen verschiedene Reviews und Exper-
tenstatements (Beispiel siehe Literaturtipp). Auf die anfangs
gestellte Frage, ob Patienten an Luftverschmutzung sterben,
gibt es daher für Hoffmann nur eine Antwort: «Die einfache
Antwort lautet: Ja!»
s
Koinzidenz oder Kausalität?
Eine wichtige Frage ist die nach der Kausalität. Hier setzte nämlich die Leugnungskampagne vor einem Jahr an. Es wurde postuliert, dass es sich bei den festgestellten Assoziationen nur um «Korrelation» handeln würde, ohne dass ein Kausalzusammenhang belegbar sei. Und in der Tat zeigen die grossen epidemiologischen Studien Korrelationen – zum Beispiel eine höhere kardiovaskuläre Krankheitsinzidenz in Gebieten mit höherer Luftverschmutzung. Das klassische Vorgehen, um auch die Kausalität zu belegen, wären randomisierte, kontrollierte Studien, die jedoch in diesem Zusammenhang nicht durchführbar sind. Daher bedürfe es hier anderer Wege, um die Kausalität nachzuweisen, betonte Hoffmann.
Literaturtipp:
Atmen: Luftschadstoffe und Gesundheit
In diesem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP) wird der aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand zur Schadstoffbelastung und zu deren gesundheitlichen Auswirkungen aus 451 wissenschaftlichen Quellen auf 100 Seiten zusammengefasst:
https://www.rosenfluh.ch/qr/positionspapier-schadstoffe
Adela Žatecky
Quelle: Hot Topic «Is Your patient dying from air pollution?» beim 29. Jahres-
kongress der European Respiratory Society (ERS) am 1. Oktober 2019 in Madrid.
Referenzen: 1. Crouse DL et al.: Risk of nonaccidental and cardiovascular mor-
tality in relation to long-term exposure to low concentrations of fine particulate matter: a Canadian national-level cohort study. Environ Health Perspect 2012; 120(5): 708–714. 2. McCreanor J et al.: Respiratory Effects of Exposure to Diesel Traffic in Persons with Asthma. N Engl J Med 2007; 357: 2348–2358. 3. Gauderman WJ et al.: The effect of air pollution on lung development from 10 to 18 years of age. N Engl J Med 2005; 352(12): 1057–1067. 4. https://www.swisstph.ch/en/topics/non-communicablediseases/human-biomonitoring/sapaldia/ 5. ESCAPE 6. Thurston GD et al.: A joint ERS/ATS policy statement: what constitutes an adverse health effect of air pollution? An analytical framework. Eur Respir J 2017; 49: 1600419. 7. Lleras-Muney A: The Needs of the Army: Using Compulsory Relocation in the Military to Estimate the Effect of Air Pollutants on Children’s Health. Journal of Human Resources 2010; 45(3): 549–590.
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