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ERS
Interstitielle Lungenerkrankungen
Neue Konzepte und neue Therapiestudien
In der Therapie der interstitiellen Lungenerkrankungen könnte sich ein pragmatischer Zugang durchsetzen. Vor einigen Jahren wurde eine Klassifikation vorgeschlagen, die sich primär an der Progression der Erkrankung orientiert. Nach diesem Prinzip geplante Therapiestudien zeigen erste Erfolge.
Die interstitiellen Lungenerkrankungen (ILD) stellen ein weites Feld zum Teil sehr seltener Erkrankungen dar, die sowohl primär (idiopathisch) als auch sekundär beispielsweise assoziiert mit rheumatischen Erkrankungen auftreten können. Die verschiedenen, in den letzten Jahrzehnten beschriebenen Entitäten unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Histopathologie und ihrer Prognose. Und sie sind teilweise schwer voneinander abgrenzbar. Man könne, so Prof. Athol Wells aus London (GB), je nach verwendeten Definitionen auf über 1000 Entitäten kommen. Legt man über diese unüberschaubare Vielfalt ein grobes Raster, so ergeben sich immer noch rund 50 verschiedene Diagnosen. Auch diese Zahl stellt noch ein erhebliches Problem für das klinische Management und die Medikamentenentwicklung dar. Allerdings werden aktuell Ansätze verfolgt, die die ILD sozusagen phänomenologisch nach ihrer beobachteten Prognose klassifizieren. Bei manchen Patienten mit ILD äussert sich die Krankheit nämlich in einem progressiven, fibrosierenden Phänotyp mit Abfall der Lungenfunktion, Verschlechterung der Atemwegssymptomatik und früher Mortalität. Eine Expertengruppe unter der Leitung von Wells hat daher eine Klassifikation nach Prognose («disease behaviour») vorgeschlagen. Diese teilt die ILD in folgende Kategorien (1): • reversibel und selbstlimitierend • reversibel mit Risiko der Progression • stabil mit residueller Erkrankung • progredient und irreversibel mit Chance auf Stabilisierung • progredient und irreversibel trotz Therapie. Erkrankungen, die in die ungünstigste dieser Kategorien fallen, entsprechen in ihrem klinischen Verlauf der prognostisch sehr ungünstigen idiopathischen Lungenfibrose (IPF). Typisch für die IPF ist das Muster einer «usual interstitial pneumonia» (UIP) in der hochauflösenden Dünnschicht-CT (HRCT) mit dem charakteristischen Honigwabenmuster (honeycombing), das unwiederbringlich untergegangenem und fibrosiertem Lungengewebe entspricht. Für diese Erkrankungen wurde der Begriff des progredienten, fibrotischen Phänotyps (progressive, fibrotic phenotype) geprägt. Dieser resultiert letztlich aus der Beobachtung, dass nicht alles, was sich wie eine IPF verhält, auch eine IPF sein muss (1).
Der Phänotyp entscheidet über die Prognose
Obwohl es gegenwärtig (abgesehen von etwaigen Therapien einer zugrunde liegenden Erkrankung wie beispielsweise rheumatoide Arthritis) keine zugelassenen Therapien für diese progredienten fibrosierenden Krankheitsverläufe gebe, sei ihre Identifikation im klinischen Alltag wichtig – und keineswegs einfach, wie Wells betonte. Das Honigwabenmuster in der HRCT ist in jedem Fall ein zuverlässiger Prädiktor für einen ungünstigen Verlauf (2). Allerdings sei es keine Voraussetzung für eine schlechte Prognose, wie Wells anhand einer Reihe von Kohortenstudien erläuterte, die zeigten, dass die Beobachtung der Progression über die Zeit gegenwärtig die einzige Möglichkeit sei, progrediente Patienten zu identifizieren. Wells unterstrich dabei, dass es für zahlreiche ILD bzw. deren Grundkrankheiten zugelassene Therapien gebe und daher die Progression unter bestmöglicher Therapie die Voraussetzung für den Verdacht auf einen progredient fibrosierenden Phänotyp sei. In den genannten Kohorten zeigten Patienten mit ungünstigem Verlauf von Anfang an Progression. Konnte hingegen in den ersten Monaten nach Diagnose keine Progression festgestellt werden, so war dies auch mit einer günstigen langfristigen Prognose assoziiert. In einer dieser Kohorten wurden Patienten mit IPF oder idiopathischer nicht spezifischer interstitieller Pneumonie (NSIP) gemeinsam beobachtet, wobei sich zeigte, dass die Progression im ersten Jahr ein aussagekräftiger Prädiktor der weiteren Progression war und sich eine progrediente NSIP ebenso schnell verschlechterte wie eine ungünstig verlaufende IPF (3). Dieses Ergebnis wurde in der Folge in mehreren Kohorten mit unterschiedlichen Diagnosen bestätigt. Bei rasch progredientem Verlauf verschwindet die Unterscheidung zwischen IPF und NSIP (4). Die Präsentation mit progredienter Verlaufsform ist in jedem Fall ein Prädiktor von Mortalität (5). Ähnliche Ergebnisse wurden für die exogen allergische Alveolitis (Hypersensitivitätspneumonitis) (6) sowie die mit rheumatoider Arthritis assoziierte ILD gefunden (7). Laut aktuellen Studiendaten dürften zwischen 18 und 32 Prozent der Patienten mit NonIPF-ILD einen progredienten, fibrotischen Phänotyp entwickeln (8).
20 CongressSelection Allergologie/Pneumologie | Dezember 2019
ERS
Zugelassene Therapien für den progredient fibrosierenden Phänotyp der ILD gibt es aktuell nur, wenn die Kriterien für die Diagnose einer IPF erfüllt sind, was beispielsweise das Vorhandensein einer Grundkrankheit ausschliesst. Bei der IPF sind seit einigen Jahren das Antifibrotikum Pirfenidon und der Tyrosinkinaseinhibitor Nintedanib zugelassen. Mögliche Therapien in Studien zu untersuchen, ist angesichts der Vielzahl der Erkrankungen auch schwierig. Als Ausweg bietet sich ein pragmatischer Zugang zu den Erkrankungen, der sich primär an der Verlaufsform orientiert. Diese Strategie wird, einem mittlerweile 50 Jahre alten Vorschlag zur Nosologie folgend, als «lumping» (wörtlich übersetzt «verklumpen») bezeichnet (9).
In Studien: Antifibrotische Therapie bei diversen progredienten ILD
Das Konzept des Lumping wird bereits in der Praxis eingesetzt. Aktuelle Studien sowohl mit Pirfenidon als auch mit Nintedanib wurden so geplant, dass Patienten mit zahlreichen unterschiedlichen Formen prognostisch ungünstiger ILD eingeschlossen werden konnten. Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung für Nintedanib, das in der Phase-III-Studie INBUILD® in einer Population von Patienten mit unterschiedlichen, aber progredient verlaufenden ILD untersucht wurde. Nur ein Teil der Studienpopulation wies in der HRCT ein UIP-Muster auf, Patienten mit IPF waren aus der Studie ausgeschlossen. Die Studienpatienten litten unter exogen allergischer Alveolitis (EAA), idiopathischer nicht spezifischer interstitieller Pneumonie (iNSIP), unklassifizierbarer idiopathischer interstitieller Pneumonie (IIP), mit rheumatoider Arthritis assoziierter ILD (RA-ILD), mit systemischer Sklerose assoziierter ILD (SSc-ILD), expositionsabhängiger ILD, gemischter Bindegewebserkrankungs-ILD (mCTD), Sarkoidose sowie unter anderen fibrosierenden ILD. Der primäre Endpunkt wurde erreicht. Nintedanib reduzierte die jährliche Rate des FVC-Abfalls über 52 Wochen signifikant um 57 Prozent, mit einer Differenz von 107 ml pro Jahr. Nintedanib verlängerte auch die Zeit bis zur ersten Exazerbation. Das Nebenwirkungsprofil entsprach den Erfahrungen in der Indikation IPF. Die Studie wurde zeitgleich mit der Präsentation auf dem ERS-Kongress im «New England Journal of Medicine» online veröffentlicht (10). Im Gegensatz zu Nintedanib befindet sich Pirfenidon noch in Phase-II-Studien. Erste Ergebnisse wurden im Rahmen des ERS-Kongresses in Madrid präsentiert, wobei die Autoren von zum Teil erheblichen methodischen Problemen berichten. So musste die Phase-IIb-Studie RELIEF wegen langsamer Rekrutierung frühzeitig abgebrochen werden. Ergebnisse konnten daher nur über den Umweg der Datenimputation generiert werden. Diese wecken allerdings Hoffnung, denn Pirfenidon erwies sich als wirksam im Hinblick auf die Veränderung der forcierten Vitalkapazität über 48 Wochen. Unter Pirfenidon wurden darüber hinaus geringere Verschlechterung der 6-Minuten-Gehstrecke, der Diffusionskapazität und der totalen Lungenkapazität beobachtet (11). Mit erheblichen methodischen Problemen ganz anderer Art hatten die Autoren einer weiteren Phase-II-Studie mit Pirfenidon in einem Kollektiv von Patienten mit nicht klassifizierbarer, progressiver, fibrosierender Lungenerkrankung
zu kämpfen. Ihr primärer Endpunkt – die Veränderung der
Vitalkapazität in der Heimmessung – erwies sich im Studien-
verlauf als nicht praktikabel, da zahlreiche Patienten mit der
Messung offenbar überfordert waren und nicht plausible
Ergebnisse ablieferten. Die Auswertung der relativ geringen
Zahl im Zentrum durchgeführter Messungen deutet jeden-
falls in Richtung Wirksamkeit. Unter Pirfenidon war der Ab-
fall der FVC über 24 Wochen reduziert (Differenz gegenüber
Plazebo 95,3 ml [95%-KI: 35,9–154,6], p = 0,002). Auch das
Risiko einer Verschlechterung der FVC um 5 oder 10 Prozent
war in der Pirfenidongruppe signifikant geringer. Die Studie
wurde im «Lancet» publiziert (12).
s
Reno Barth
Quellen: Wissenschaftliche Sitzungen «ALERT: Abstracts Leading to Evolution
in Respiratory Medicine Trials: Interstitial lung diseases and pulmonary hyper-
tension» und «Lumping and splitting of fibrotic interstitial lung diseases» beim
29. Jahreskongress der European Respiratory Society (ERS), 28. September bis
2. Oktober 2019 in Madrid.
Referenzen: 1. Wells AU et al.: What,s in a name? That which we call IPF, by
any other name would act the same. Eur Respir J 2018; 51(5); pii: 1800692. 2. Adegunsoye A et al.: Computed Tomography Honeycombing Identifies a Progressive Fibrotic Phenotype with Increased Mortality across Diverse Interstitial Lung Diseases. Ann Am Thorac Soc 2019; 16(5): 580–588. 3. Latsi PI et al.: Fibrotic idiopathic interstitial pneumonia: the prognostic value of longitudinal functional trends. Am J Respir Crit Care Med 2003; 168(5): 531–537. 4. Jegal Y et al.: Physiology is a stronger predictor of survival than pathology in fibrotic interstitial pneumonia. Am J Respir Crit Care Med 2005; 171(6): 639–644. 5. Yamakawa H et al.: Prognostic factors and disease behaviour of pathologically proven fibrotic non-specific interstitial pneumonia. Respirology 2018; 23(11): 1032–1040. 6. Gimenez A et al.: Change in FVC and survival in chronic fibrotic hypersensitivity pneumonitis. Thorax 2018; 73(4): 391–392. 7. Solomon JJ et al.: Predictors of mortality in rheumatoid arthritis-associated interstitial lung disease. Eur Respir J 2016; 47(2): 588–596. 8. Wijsenbeek M et al.: Progressive fibrosing interstitial lung diseases: current practice in diagnosis and management. Curr Med Res Opin 2019; 35(11): 2015–2024. 9. McKusick VA.: On lumpers and splitters, or the nosology of genetic disease. Perspect Biol Med 1969; 12(2): 298–312. 10. Flaherty KR et al.: Nintedanib in Progressive Fibrosing Interstitial Lung Diseases. New Engl J Med 2019, online first, doi: 10.1056/ NEJMoa1908681. 11. Guenther A et al.: Exploring Efficacy and Safety of oral Pirfenidone for progressive, non-IPF Lung Fibrosis (RELIEF). ERS 2019; Late Breaking Abstract RCT1879. 12. Maher TM et al.: Pirfenidone in patients with unclassifiable progressive fibrosing interstitial lung disease: a double-blind, randomised, placebo-controlled, phase 2 trial. The Lancet 2019, online first, doi: https://doi.org/10.1016/S2213-2600(19)30341-8.
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