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GINA-Empfehlungen im Wandel
Kein Platz mehr für SABA-Monotherapie?
In den vergangenen Jahren verdichtete sich zunehmend die Evidenz, dass der häufige Gebrauch von kurz wirksamen Betamimetika (SABA) bei Asthmapatienten das Exazerbationsrisiko und sogar die Mortalität erhöht. Vor diesem Hintergrund empfiehlt GINA nun die Kombination eines inhalativen Kortikosteroids mit Formoterol als Bedarfsmedikation bereits bei Asthma der Stufe 1.
In den Therapieempfehlungen für Asthma bronchiale seien in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Richtungswechsel vollzogen worden, so Prof. Helen Reddel aus Sidney (Australien). So bestand ab 1989 die Empfehlung, leichtes und moderates Asthma vorwiegend mit Bronchodilatatoren zu behandeln. In den folgenden Jahren nahm jedoch das Unbehagen beim Einsatz kurz wirksamer Beta-Agonisten (SABA: short acting beta agonist) zu, und die inhalativen Kortikosteroide (ICS) erhielten auch beim leichten Asthma einen höheren Stellenwert. In den GINA-Empfehlungen von 2014 wurde festgehalten, dass eine SABA-Monotherapie nur bei Patienten indiziert ist, die diesen Reliever weniger als zweimal im Monat verwenden und die keine Risikofaktoren für Exazerbationen haben. Dies war allerdings nicht immer einfach, den Patienten begreiflich zu machen. Reddel: «Wenn man den Patienten etwas gibt, das ihre Beschwerden schnell bessert und keine wahrnehmbaren Nebenwirkungen verursacht, dann ist das natürlich sehr attraktiv, und eine Dauertherapie wird schwer erklärbar.» Folglich wurde in der GINA-Leitlinie 2019 eine konsequente Wende vollzogen. Eine SABA-Monotherapie wird nun für Erwachsene und Jugendliche nicht mehr empfohlen. Für Kinder kann mangels Evidenz keine entsprechende Empfehlung gegeben werden (1). Reddel: «Hintergrund dieser Empfehlungen waren Sicherheitsbedenken. Wir geben auch Empfehlungen für Alternativen zum SABA-Gebrauch.»
Symptomkontrolle und Reduktion von Exazerbationen
Die Änderung in den GINA-Empfehlungen müsse vor dem Hintergrund der vielfältigen Ziele der Asthmatherapie gesehen werden. Diese beziehen sich einerseits auf Symptomkontrolle (inklusive Verbesserung der Leistungsfähigkeit und des Schlafes), andererseits aber auch auf die Reduktion des Risikos von Exazerbationen, des Verlustes an Lungenfunktion und schliesslich auch auf die Prävention von Todesfällen durch Asthma. Reddel betonte jedoch, dass diese Ziele untrennbar mit einander verbunden seien, zumal mangelnde Symptomkontrolle mit einem deutlich erhöhten Exazerbationsrisiko assoziiert sei. Leider könne man sich nicht dar-
auf verlassen. Reddel: «Patienten mit geringer Symptomatik können schwere Exazerbationen durchmachen und sogar daran sterben.» Studiendaten zeigen, dass 15 bis 20 Prozent der Patienten, die an Asthma versterben, zuvor lediglich einmal in der Woche oder überhaupt nur unter Belastung unter Symptomen litten (2). Verantwortlich dafür könnten unterschiedliche Auslöser wie zum Beispiel virale Infektionen sein. Die langfristigen unerwünschten Wirkungen der SABA erhöhen das Risiko. Denn diese führen innerhalb von ein bis zwei Wochen dazu, dass Beta-Rezeptoren herunterreguliert werden und damit die Bronchodilatation schwieriger wird. Zudem wird die allergische Immunantwort verstärkt, und die eosinophile Entzündung der Atemwege nimmt zu (3, 4). Das führe letztlich dazu, so Reddel, dass die Patienten mehr SABA-Dosen inhalierten. Und das ist ungünstig, denn ab drei Kanistern pro Jahr verdoppelt sich das Risiko einer Notaufnahme im Krankenhaus (5), und ab zwölf Kanistern pro Jahr steigt das Mortalitätsrisiko (6). Dementsprechend liegt der Schwerpunkt der GINA-Empfehlungen auf den inhalativen Kortikosteroiden, die aufgrund ihrer seit Jahrzehnten dokumentierten Vorteile ab Stufe 2 zur täglichen Inhalation empfohlen werden. Auch bei leichtem Asthma bewirken niedrig dosierte ICS eine Reduktion des Exazerbationsrisikos um rund die Hälfte (7). Das trifft auch auf Patienten zu, die lediglich einmal in der Woche oder noch seltener Symptome erleben (8) – und damit bis vor Kurzem Kandidaten für eine SABA-Monotherapie gewesen wären. Reddel betonte, dass ICS ungeachtet dieser Daten zu wenig verschrieben würden und patientenseitig die Compliance suboptimal sei. Angesichts der guten Erfolge mit der MART-Therapie (Maintenance and Reliever) auf den GINA-Stufen 3 bis 5 stellte man sich bei der Erstellung der aktuellen GINA-Empfehlung die Frage, ob sich dieses Konzept ohne Risiko der Übertherapie auch auf leichtes Asthma übertragen lasse. Besonderes Interesse kommt dabei der Kombination von ICS und Formoterol als Bedarfsmedikation zu. Diese führte bei Patienten mit leichtem Asthma im Vergleich zum Einsatz von SABA als Bedarfsmedikation zu einer Reduktion des Exazer-
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bationsrisikos um 84 Prozent und war im Vergleich zu einer Dauertherapie mit ICS plus SABA als Bedarfsmedikation nicht unterlegen (9). Dabei war die eingesetzte Steroiddosis im Budesonid/Formoterol-Arm niedriger. Daher wird ICS/ Formoterol nun auf GINA Stufe 2 als Alternative zur Dauertherapie mit ICS empfohlen.
ICS/Formoterol nun auch für leichtes Asthma empfohlen
Die Kombination ICS/Formoterol wird nun auch auf GINA Stufe 1 empfohlen, obwohl die direkte Evidenz fehlt und von den Stufe-2-Daten rückgeschlossen werden musste. Eine Dauertherapie scheide bei seltenen Symptomen aufgrund erwartbarer Adhärenzprobleme aus, so Reddel. Ein weiteres Problem stellte die Zulassungssituation dar, da die Fixkombinationen von ICS mit Formoterol zum Zeitpunkt der Empfehlung für GINA Stufe 1 nicht indiziert waren und in vielen Ländern nach wie vor nicht zugelassen sind. Reddel betonte auch, dass sich alle verfügbare Evidenz auf Budesonid/Formoterol beziehe und daraus auf andere ICS in Kombination mit Formoterol geschlossen worden sei. Mehrere aktuelle Arbeiten bestätigen den Nutzen dieser Entwicklung in den GINA-Empfehlungen. Die Studie Novel START verglich Budesonid/Formoterol als Bedarfsmedikation mit einer ICS-Dauertherapie sowie mit einer reinen Reliever-Therapie und fand hinsichtlich der Exazerbationsrate keine signifikanten Unterschiede zwischen Budesonid/ Formoterol als Bedarfsmedikation und ICS-Dauertherapie sowie mit Budesonid/Formoterol im Vergleich zur Reliever-Gruppe eine Reduktion der Exazerbationen um rund die Hälfte (10). Hinsichtlich der Prävention schwerer Exazerbationen war Budesonid/Formoterol auch im Vergleich zur ICS-Dauertherapie überlegen. Diese Überlegenheit bei den Reduktionen schwerer Exazerbationen wurde in der PRACTICAL-Studie bestätigt (11).
Neue Daten zum Risiko durch SABA-Übergebrauch
Im Rahmen des ERS-Kongresses 2019 wurden auch mehrere Arbeiten präsentiert, welche die Gefährlichkeit des RelieverÜbergebrauchs demonstrieren. So wurde in der schwedischen HERA-Kohorte ein Anstieg der Gesamtsterblichkeit mit zunehmendem SABA-Gebrauch gefunden. In der Kohorte wurden Daten von 365 324 Personen im Alter von 12 bis 45 Jahren, die innerhalb eines der Jahre von 2006 bis 2014 zumindest zwei Packungen eines Medikaments für eine obstruktive Lungenerkrankung erworben hatten, ausgewertet. Als SABA-Übergebrauch wurde ein Gebrauch von mehr als zwei SABA-Packungen (definiert als 150 Dosen) innerhalb eines Jahres definiert. Die Auswertung fand bei 30 Prozent der Asthmapatienten einen SABA-Übergerbrauch mit teilweise bis zu mehr als elf Kanistern pro Jahr. Dieser SABA-Übergebrauch war signifikant mit erhöhter Mortalität assoziiert. Schon ein Übergebrauch von drei bis fünf SABA-Kanistern pro Jahr erhöhte das Mortalitätsrisiko um mehr als ein Viertel (HR: 1,26; 95%-KI: 1,14–1,39). In der Gruppe mit dem höchsten SABA-Gebrauch war das Risiko mehr als verdoppelt (HR: 2,35; 95%-KI: 2,02–2,72) (12). Die Daten der HERA-Kohorte zeigten auch, dass fast 30 Prozent der Patienten, die häufig SABA einsetzten, überhaupt
keine inhalativen Kortikosteroide erhielten und weitere 39
Prozent lediglich niedrig dosierte ICS inhalierten (13).
Weiter wurde in der HERA-Kohorte die Assoziation zwi-
schen SABA-Gebrauch und Exazerbationen, definiert durch
entsprechende Krankenhausaufnahmen oder Verschreibun-
gen oraler Steroide untersucht. Die Auswertung ergab, dass
26 Prozent der Patienten überhaupt keine ICS verwendeten.
Rund 30 Prozent inhalierten ICS in niedrigen, die übrigen
45 Prozent in hohen Dosierungen. Dennoch benötigten
30 Prozent der Patienten unabhängig vom ICS-Gebrauch
SABA. Bei SABA-Anwendern war das Exazerbationsrisiko
signifikant um rund 50 Prozent höher als bei Patienten,
die ohne SABA auskamen (OR: 1,53; 95%-KI: 1,49–1,56;
p < 0,001) (14). s Reno Barth Quelle: Vortrag «New recommendations and priorities for asthma management» im Rahmen der Guideline Session sowie von Oral Presentations beim 29. Jahres- kongress der European Respiratory Society (ERS), 28. September bis 2. Oktober 2019 in Madrid. Referenzen: 1. Reddel HK et al.: GINA 2019: a fundamental change in asthma management: Treatment of asthma with short-acting bronchodilators alone is no longer recommended for adults and adolescents. Eur Respir J 2019; 53(6). pii: 1901046. 2. Dusser D et al.: Mild asthma: an expert review on epidemiology, clinical characteristics and treatment recommendations. Allergy 2007; 62(6): 591–604. 3. Hancox RJ et al.: Bronchodilator tolerance and rebound bronchoconstriction during regular inhaled beta-agonist treatment. Respir Med 2000; 94(8): 767–771. 4. Aldridge RE et al.: Effects of terbutaline and budesonide on sputum cells and bronchial hyperresponsiveness in asthma. Am J Respir Crit Care Med 2000; 161(5): 1459–1464. 5. Stanford RH et al.: Short-acting β-agonist use and its ability to predict future asthma-related outcomes. Ann Allergy Asthma Immunol 2012; 109(6): 403–407. 6. Suissa S et al.: A cohort analysis of excess mortality in asthma and the use of inhaled beta-agonists. Am J Respir Crit Care Med 1994; 149(3 Pt 1): 604–610. 7. Pauwels RA et al.: Early intervention with budesonide in mild persistent asthma: a randomised, double-blind trial. Lancet 2003; 361(9363): 1071–1076. 8. Reddel HK et al.: Should recommendations about starting inhaled corticosteroid treatment for mild asthma be based on symptom frequency: a post-hoc efficacy analysis of the START study. Lancet 2017; 389(10065): 157–166. 9. O,Byrne PM et al.: Inhaled Combined Budesonide-Formoterol as Needed in Mild Asthma. N Engl J Med 2018; 378(20): 1865–1876. 10. Beasley R et al.: Controlled Trial of Budesonide-Formoterol as Needed for Mild Asthma. N Engl J Med 2019; 380(21): 2020–2030. 11. Hardy J et al.: Budesonide-formoterol reliever therapy versus maintenance budesonide plus terbutaline reliever therapy in adults with mild to moderate asthma (PRACTICAL): a 52-week, open-label, multicentre, superiority, randomised controlled trial. Lancet 2019; 394(10202): 919–928. 12. Janson C et al.: SABA overuse and risk of mortality in a nationwide Swedish asthma cohort (HERA). ERS 2019, Abstract 5508. 13. Ekstrom M et al.: Are SABA-reliant asthma patients receiving adequate ICS therapy? A nationwide cohort study in Sweden (HERA). ERS 2019, Abstract 1989. 14. Janson C et al.: Use of short-acting beta-2 agonists (SABA) and exacerbations in a nationwide Swedish asthma cohort (HERA). ERS 2019, Abstract 1590. 10 CongressSelection Allergologie/Pneumologie | Dezember 2019