Transkript
ESC
Kurzmeldungen
Weniger ischämische Ereignisse mit dualer Plättchenhemmung
Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) und Typ-2-
Diabetes mellitus haben ein sehr hohes Risiko für kardiovas-
kuläre Ereignisse wie Myokardinfarkt und Hirnschlag. In der
THEMIS-Studie wurde die Fragestellung untersucht, ob bei
diesen Patienten eine duale Plättchenhemmung mit Ticagre-
lor das Risiko für Ereignisse stärker reduziert. Dazu erhielten
19 220 Patienten während median 40 Monaten Ticagrelor
60 mg zweimal täglich plus Acetylsalicylsäure (ASS) 75–
150 mg täglich versus ASS (Plazebo) allein. Es zeigte sich,
dass die Zweierkombination das Risiko für den kombinier-
ten Endpunkt bestehend aus kardiovaskulärem Tod, nicht
tödlichem Hirnschlag oder nicht tödlichem Hirnschlag ge-
genüber Plazebo mit Ereignisraten von 7,7 versus 8,5 Prozent
um 10 Prozent reduzierte (Hazard Ratio [HR]: 0,9; p = 0,038).
Der Vorteil dieser Reduktion wird jedoch durch die vermehrt
auftretenden Blutungsereignisse unter der Kombination wie-
der zunichte gemacht (2,2 vs. 1,0%; HR: 2,32; p < 0,001) (1). Die 11 154 Patienten in der vordefinierten Subgruppe mit einer perkutanen Koronarintervention (PCI) in der Vorge- schichte profitierten dagegen mehr von der Kombination, wie die Substudie THEMIS-PCI zeigte. Darin reduzierte die Kom- bination die Ereignisrate um 15 Prozent (7,3 vs. 8,6%; HR: 0,85; p = 0,03). Die Rate für den klinischen Nettonutzen war bei PCI-Patienten signifikant besser, bei Patienten ohne PCI war das Nutzen-Risiko-Verhältnis dagegen nicht positiv (2). Eine verlängerte duale Plättchenhemmung bringe demnach für Patienten mit Typ-2-Diabetes und stabiler KHK nach PCI einen Nutzen. Dabei sollten Patienten mit niedrigem Blu- tungsrisiko berücksichtigt werden oder jene, die diese Art von Behandlung bereits ohne Blutungsereignis toleriert haben, so der Studienleiter Prof. Deepak Bhatt, Boston (USA). vh fert wurden, innerhalb von fünf Stunden randomisiert entwe- der die nach den ESC-Guidelines definierte Standardbehand- lung oder eine kombinierte intensive Therapie mit den überall verfügbaren und kostengünstigen Vasodilatatoren Nitrogly- zerin transdermal und sublingual sowie dem oralen Hydrala- zin. Der intensiven Vasodilatation folgte eine individualisierte aggressive Auftitrierung mit ACE-Hemmern höher als die Standarddosis oder Angiotensin-II-Rezeptorblockern. Alle anderen Therapien inklusive Schleifendiuretika, Betablocker, Aldosteronantagonisten und kardialer Devices wurden ge- mäss ESC-Guidelines beziehungsweise nach Ermessen des behandelnden Arztes verabreicht. Der primäre Endpunkt war die Kombination aus Mortalität oder herzinsuffizienzbe- dingter Rehospitalisation im Zeitraum von sechs Monaten. Als sekundärer Endpunkt interessierte die quantitativ er- fasste Dyspnoe an den Tagen 2 und 6. Die Resultate zeigten bei der Dyspnoe in beiden Studienar- men eine Verbesserung, jedoch ohne signifikanten Unter- schied zwischen den beiden Massnahmen. Bezüglich des primären Endpunktes zeigte sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied (30,6 vs. 27,8%, Hazard Ratio [HR]: 1,97; 95%-KI: 0,83–1,39; p = 0,589). Gemäss Sub- gruppenanalyse könnte sich die intensivierte Vasodilatation bei Frauen sogar schädlich auswirken. Diese Studie liefere damit wichtige und neutrale Erkenntnisse zur Behandlung von Patienten mit akuter Herzinsuffizienz und zeige, dass solche Therapiestrategien keinen Einfluss auf die langfristige Prognose hätten, so Müllers Fazit. vh Quelle: «Hotline 3», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August bis 4. September 2019 in Paris. LLL Quelle: «Hotline 1», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August bis 4. September 2019 in Paris. Referenzen: 1. Steg PG et al.: Ticagrelor in patients with stable coronary disease and diabetes. N Engl J Med 2019; 381: 1309–1320. 2. Bhatt DL et al.: Ticagrelor in patients with diabetes and stable coro- nary artery disease with a history of previous percutaneous coronary intervention (THEMIS-PCI): a phase 3, placebo-controlled, randomised trial. Lancet 2019 Sep 28; Epub ahead of print. LLL GALACTIC-Studie: intensivierte Vasodilatation bei akuter Herzinsuffizienz Prof. Christian Müller vom Universitätsspital Basel präsentierte am ESC-Kongress die GALACTIC-Studie. Deren Hintergrund waren die anhaltend hohe Morbidität und Mortalität bei der akuten Herzinsuffizienz und die Frage, ob eine frühzeitige intensive Dilatation die Halbjahresprognose dieser Patienten verbessern würde, wie dies kleinere Studien angedeutet hatten. Zur Klärung dieser Frage erhielten 781 Patienten, die mit einer akuten Herzinsuffizienz auf der Notfallstation eingelie- NZOTACS: kein genereller Nutzen von Sauerstoff im Akutfall Die zweite Studie, die eine alte und kontroverse Frage bei Akutpatienten beleuchtet, war der New Zealand Oxygen in Acute Coronary Syndromes Trial (NZOTACS). Der Nutzen einer routinemässigen Sauerstoffverabreichung bei Patienten mit Verdacht auf Myokardinfarkt oder mit bestätigtem Myokardinfarkt bei ausreichender Sauerstoffsättigung wird durch diese Daten erneut infrage gestellt. Das Ziel der Studie war es, Nutzen oder Risiko einer Sauerstofftherapie bei hypoxämen und nicht hypoxämen Patienten mit Verdacht auf oder bestätigtem Myokardinfarkt zu untersuchen. Dazu erhielten 40 000 Patienten randomisiert ein «high oxygen protocol» mit Sauerstoffgabe, unabhängig von der bestehenden Sauerstoffsättigung, und ein «low oxygen protocol» mit einer Empfehlung für eine Sauerstoffgabe bei Patienten mit einer Sättigung unter 90 Prozent, diese auf 94 Prozent aufzusättigen. Die als primärer Endpunkt definierte 30-Tages-Mortalität war in der hohen und der niedrigen Sauerstoffgruppe etwa gleich hoch (3,1 vs. 3,0%). 32 CongressSelection Diabetologie | Kardiologie | Dezember 2019 ESC Dieses Resultat legt nahe, dass eine Sauerstoffgabe weder nützlich noch schädlich ist, so der Studienleiter Prof. Ralph Stewart, Green Lane Cardiovascular Service, Auckland City Hospital (NZ). Die meisten Patienten hatten eine normale Sauerstoffsätti- gung zwischen 85 und 90 Prozent. Nur ein kleiner Teil wies tiefere Werte auf. Bei ihnen war das Mortalitätsrisiko um das Vier- bis Fünffache erhöht. Mit einer Sauerstoffgabe konnte dieses etwa um 1 Prozent vermindert werden. Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt und normaler Sauer- stoffsättigung profitieren also nicht von einer Sauerstoffgabe, so Stewart. Ist der Wert jedoch zu tief, könnte es nützlich sein, diesen zu normalisieren. vh Quelle: «Hotline 2», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August bis 4. September 2019 in Paris. gen trotz relativ hoher Dosierungen in den verblindeten Stu- dien. Bei den 2879 HFrEF-Patienten mit Vorhofflimmern erreich- ten Betablocker auf keiner eGFR-Stufe eine Mortalitätsre- duktion, schadeten aber auch nicht. Damit wirken Betablocker bei HFrEF-Patienten im Sinus- rhythmus bei einer eGFR von 40 genauso gut wie bei einer eGFR von 90. Deshalb sollten diese Patienten von einer Beta- blockertherapie nicht ausgeschlossen werden, so das Fazit des Studienleiters. Bei einer eGFR < 30 lasse sich mit diesen Daten dagegen keine Aussage treffen. vh Quelle: «Hot Line – Late Breaking Clinical Trials 4», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August bis 4. September 2019 in Paris. LLL LLL Herzinsuffizienz: Betablocker auch bei Nierenerkrankung wirksam Betablocker bleiben bei Herzinsuffizienzpatienten auch dann noch effizient in der Mortalitätsreduktion, wenn eine mittelschwere Nierenerkrankung besteht. Das zeigte eine am ESCKongress präsentierte Studie. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa die Hälfte der Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) auch an einer Nierenerkrankung leiden. Bislang sei nie ganz klar gewesen, wie sich Herzinsuffizienztherapien bei eingeschränkter Nierenfunktion verhalten, und trotz Fehlens einer klaren Kontraindikation sei eine Zurückhaltung bei der Aufdosierung von diesen lebensrettenden Therapien verbreitet, so der Studienleiter Dr. Dirk Kotecha, University of Birmingham (UK), zur Ausgangslage. Unter diesem Aspekt wurden Daten von zehn doppelblind randomisierten Studien (n = 16 740) ausgewertet, die zwei klinische Fragen beantworten sollten: 1. Reduzieren Betablocker die Mortalität bei moderater bis mittelschwerer Nierendysfunktion? 2. Führt die Betablockertherapie zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion oder zu vermehrten Nebenwirkungen, die den klinischen Nutzen vermindern? Als primärer Endpunkt der Analyse war die Gesamtsterblichkeit definiert. Die Wirksamkeit der Betablocker bei HFrEF-Patienten (EF < 50%) wurde in Abhängigkeit der Ausgangswerte der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) beurteilt, die Resultate nach Herzrhythmus stratifiziert beziehungsweise nach Sinusrhythmus und Vorhofflimmern, da die Auswirkung der Betablocker unterschiedlich ist. Nach einem medianen Follow-up von 1,3 Jahren zeigte sich Folgendes: Die Nierendysfunktion erhöhte die Mortalität in unabhängiger Weise. Bei HFrEF-Patienten mit schwerer Nierendysfunktion war häufiger die Progression der Herzinsuffizienz für das Versterben verantwortlich. Bei den 13 861 HFrEF-Patienten im Sinusrhythmus reduzierten Betablocker die Mortalität signifikant, auch bei jenen mit moderater bis mittelschwerer Nierenfunktionseinschränkung (eGFR 45– 49 und 30–44 ml/min/1,73 m2). Betablocker führten bei diesen Patienten im Vergleich zu Plazebo weder zu einer Verschlechterung der eGFR noch zu vermehrten Nebenwirkun- Sinkende Adhärenz nach Bypassoperation besorgniserregend Ein Bypass infolge einer komplexen koronaren Herzkrankheit wird von den Betroffenen oft als Heilung angesehen, der progressive Charakter der Erkrankung dabei ausgeblendet. Diese Haltung widerspiegle sich in der nach der Bypassoperation anfänglich guten Medikationsadhärenz in der Sekundärprävention, wie die SWEDEHEART-Studie gezeigt hat, sagte Studienleiter Dr. Erik Bjoerklund von der Sahlgrenska Academie, Gothenburg (S). In der Studie wurden Daten von 28 812 Bypasspatienten aus dem seit 1992 bestehenden schwedischen Herzchirurgieregister ausgewertet. Dabei interessierten die Einnahmedisziplin von Statinen, Betablockern, Hemmern des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) sowie Plättchenhemmern ab dem Zeitpunkt von sechs Monaten nach der Operation bis acht Jahre später sowie die Assoziation zur Mortalität. Es zeigte sich, dass die Einnahme aller genannten Medikationen im Zeitverlauf kontinuierlich abnahm: Sechs Monate nach der Operation nahmen 94 Prozent der Patienten Statine ein, acht Jahre später waren es noch 77 Prozent. In ähnlicher Weise sanken auch die Einnahmezahlen bei Betablockern von 91 auf 76 Prozent, bei RAAS-Hemmern von 73 auf 66 Prozent und bei Plättchenhemmern von 93 auf 80 Prozent. Dabei würde eine konsequente Einnahme in jedem Alter Leben retten. Denn wie die Studie weiter gezeigt hat, sinkt das Mortalitätsrisiko bei konsequenter Einnahme von Statinen um 44 Prozent (Hazard Ratio [HR]: 0,56; p < 0,001), von RAAS-Hemmern um 22 Prozent (HR: 0,78; p < 0,001) und von Plättchenhemmern um 26 Prozent (HR: 0,74; p < 0,001). Bei Betablockern war das nicht der Fall (HR: 0,97; p = nicht signifikant). Auch die Zeitdauer der Einnahme spielt eine Rolle: Jedes zusätzliche Einnahmejahr senkt das relative Mortalitätsrisiko um 10 Prozent bei Statinen, um 7 Prozent bei Plättchenhemmern und um 2 Prozent bei RAAS-Hemmern. Das zeige, dass die fortwährende Einnahme der sekundärpräventiven Medikation für das Langzeitüberleben wichtig ist, so das Fazit des Studienleiters. vh Quelle: «Hot Line – Late Breaking Clinical Trials 5», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August bis 4. September 2019 in Paris. LLL CongressSelection Diabetologie | Kardiologie | Dezember 2019 33 ESC Adipositas als grösster Treiber für Typ-2-Diabetes Das Risiko, eine Typ-2-Diabetes-Erkrankung zu entwickeln, ist bei Adipösen (BMI > 30 kg/m2) knapp sechsmal höher als
bei Schlanken. Das zeigte eine Datenauswertung der däni-
schen Prospective Diet, Cancer and Health Cohort Study mit
9556 durchschnittlich 56-jährigen Teilnehmern. Nach etwa
15 Jahren war etwa die Hälfte der Teilnehmer an Typ-2-Dia-
betes erkrankt. Die dänischen Wissenschaftler fanden he-
raus, dass ein ungesunder Lebensstil (Rauchen, Alkohol, kein
Sport, ungesundes Essen) und Adipositas ein grösseres Risiko
für die Diabetesentwicklung darstellen als ein hohes geneti-
sches Risiko, definiert als Höhe des genetischen Risiko-
Scores mit 193 mit Diabetes assoziierten Genvarianten. Adi-
positas verglichen mit Normalgewicht erhöhte das Diabetes-
risiko um das 5,8-Fache, eine hohe versus eine niedrige
genetische Prädisposition steigerte es um den Faktor 2 und
ein ungesunder Lebensstil verglichen mit einem gesunden um
20 Prozent.
Das unterstreiche einmal mehr die hohe Bedeutung des Ge-
wichtsmanagements in der Diabetesprävention, so das Fazit
der Autoren.
vh
Quelle: Jakupovic H et al.: Obesity and unfavourable lifestyle increase type 2 diabetes-risk independent of genetic predisposition. Abstract 376, präsentiert am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2019, 16. bis 20. September in Barcelona.
LLL
Fällt die weltweite Diabetesinzidenz?
Gemäss der International Diabetes Federation (IDF) leben
derzeit etwa 425 Millionen Personen mit der Typ-2-Diabetes-
Erkrankung, und die Prognose für 2045 liegt bei einem An-
stieg auf 600 Millionen. Doch das düstere Bild wird durch die
sinkende Zahl der Neuerkrankungen erhellt, wie ein syste-
matischer Review von australischen Forschern andeutet.
Darin wurden die Jahresinzidenzen von fünf Zeitperioden
von den 1970er-Jahren bis zu den 2010er-Jahren aufwärts
verglichen. Dabei zeigte sich, dass die Inzidenz seit dem Jahr
1970 von 0,53 auf 1 Prozent (10 neue Fälle pro 1000 Perso-
nen pro Jahr) im Jahr 2010 anstieg. Dabei verdoppelte sie
sich bei den 35- bis 44-Jährigen verglichen mit den < 35-Jäh- rigen, bei den 45- bis 54-Jährigen verdreifachte sie sich und bei den Personen über 55 Jahren vervierfachte sie sich sogar. Während die Neuerkrankungsrate in Studien, die in den 1990er-Jahren begonnen wurden, noch tiefer war als in jenen mit Beginn zwischen 2000 und 2009, ist bei den Studien mit Beginn im Jahr 2010 und später eine Abflachung bis tenden- zielles Sinken (5%) der Kurve auszumachen. Das könnte heissen, dass sich die Inzidenz zu stabilisieren be- ginne, vorausgesetzt, der Trend setze sich fort, und dass sich die Präventionsbemuḧ ungen allmählich auszuzahlen begin- nen, so die vorsichtig optimistische Schlussfolgerung der Autoren. vh Quelle: Magliano DJ et al.: Diabetes incidence over time: a systematic review. Abstract 315, präsentiert am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2019, 16. bis 20. September in Barcelona. LLL Tiefer Blick in die Augen verrät Diabetes Eine nicht invasive Messung der Autofluoreszenz der Augen- linse liefert Hinweise zu einer Typ-2-Diabetes-Erkrankung wie auch zu einer Insulinresistenz beziehungsweise Prädiabe- teserkrankung. Das zeigte eine kleine Pilotstudie aus Gross- britannien. Mit einem neuentwickelten Biomikroskop lassen sich «ad- vanced glycation endproducts» (AGE) mit einem simplen Scan entdecken. AGE sind Reaktionsprodukte der Glykie- rung und spielen bei manchen Erkrankungen eine Rolle, so auch bei der Retinopathie und Neuropathie. In der Studie zeigte sich eine signifikant erhöhte AGE-Konzentration bei Typ-2-Diabetikern (n = 20) und Prädiabetes (n = 20), vergli- chen mit gesunden Personen (n = 20). Die AGE-Konzentra- tionen korrelierten mit dem Blutzuckerspiegel. Die Linsenautofluoreszenz könnte in der Langzeitdiabetes- kontrolle ein guter Marker für sich anbahnende Komplika- tionen sein, aber auch ein nicht invasives Screeninginstru- ment für undiagnostizierte Typ-2-Diabetes-Erkrankungen, so das Fazit der Autoren. Weitere Studien müssen jetzt diese vielversprechenden Resultate bestätigen. vh Quelle: Tavakoli M et al.: Non-invasive measurements of AGEs products in the Crystalline lens of the eye can distinguish subjects with prediabetes and type 2 diabetes. Abstract 972, präsentiert am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2019, 16. bis 20. September in Barcelona. LLL Erhöht IVF die Diabetesgefahr? Durch künstliche Befruchtung (IVF) entstandene Schwanger- schaften stehen im Zusammenhang mit mehr perinatalen Komplikationen wie Präeklampsie, plazentare Anomalien, Kaiserschnitten, Frühgeburten und niedrigem Geburtsgewicht verglichen mit natürlicher Empfängnis. Inwiefern IVF auch das Risiko für Gestationsdiabetes erhöht, analysierte ein syste- matischer Review mit Metaanalyse bei durch IVF induzierte Einlingsschwangerschaften. In den 38 Studien mit gesamthaft knapp 2 Millionen Frauen traten 163 302 Fälle von Gesta- tionsdiabetes auf. Dabei zeigte sich für Frauen mit einer IVF- Einlingsschwangerschaft ein um 53 Prozent höheres Risiko für einen Gestationsdiabetes im Vergleich zu Frauen, die auf natür- lichem Weg schwanger geworden waren. Der exakte Mecha- nismus ist unklar. Ob das Risiko aufgrund der IVF vorgelager- ten Therapie steigt oder eine Folge der Unfruchtbarkeit ist, die die Paare zu einer IVF veranlasst, liege noch völlig im Dunkeln, so die griechische Reviewautorin. vh Quelle: Anagnostis P et al.: Higher risk of gestational diabetes in singleton pregnancies achieved by assisted reproduction techniques compared with spontaneous conceptions: a meta-analysis. Abstract 921, präsentiert am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2019, 16. bis 20. September in Barcelona LLL Diabetesrisiko je nach Beruf unterschiedlich Gemäss den Daten einer schwedischen Registerstudie mit über 4,5 Millionen Erwerbstätigen entwickelten 201 717 Personen zwischen 2006 und 2015 neu Typ-2-Diabetes. Die Gesamtprävalenz unter den Erwerbstätigen betrug im Jahr 2013 4,2 Prozent. Auffallende Unterschiede zeigten sich zwi- 34 CongressSelection Diabetologie | Kardiologie | Dezember 2019 ESC schen den Berufsgruppen: Männliche Arbeiter in der Fertigung und Chauffeure wiesen eine Prävalenz von 7,8 Prozent beziehungsweise 8,8 Prozent auf, Informatiker dagegen nur 2,5 Prozent. Bei den Frauen war die höchste Prävalenz bei Fertigungsarbeiterinnen (6,4%), Küchenhilfen (5,5%) und Putzfrauen (5,1%) zu finden, die tiefsten bei Managerinnen (1,2%). Die Inzidenz lag bei Männern in der Fertigung, bei Chauffeuren Fabrik- und Landarbeitern, Pflegern und Laden- und Logistikangestellten zwischen 8 und 10 Prozent, während sie unter Universitätsdozenten, Architekten und Ingenieuren mit 3 bis 4 Prozent am tiefsten lag. Bei Frauen war die jährliche Neuerkrankungsrate bei Arbeiterinnen in der Fertigung (7,2%), Putzpersonal (6,2), Küchenhilfen (5,65), Köchinnen, Serviererinnen und Haushälterinnen (5%) sowie Pflegerinnen (5%) am höchsten, bei Physiotherapeutinnen und Zahnhygienikerinnen, Autorinnen und Künstlerinnen dagegen mit einer Rate um 2,2 Prozent am tiefsten. In den «Hochrisikoberufen» gab es zudem viel mehr Personen mit Übergewicht, weniger Bewegung und Raucher als in den «Tiefrisikoberufen», was als mögliche Erklärung für dieses Phänomen dienen könnte, so die Studienautoren. vh Quelle: Carlsson S et al.: Occupation and incidence of type 2 diabetes: evidence from all Swedish employees 2006–2015. Abstract 378, präsentiert am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2019, 16. bis 20. September in Barcelona. LLL Komorbiditäten zwischen den Geschlechtern unterschiedlich Patienten mit Typ-2-Diabetes leiden bekanntermassen häufig an Begleiterkrankungen wie Herzinsuffizienz, Hypertonie, Arrhythmien, Osteoporose, Nierenfunktionsstörungen sowie Angsterkrankungen und Depression. Inwieweit sich das Auf- treten solcher Komorbiditäten, inklusive Prädiabetes, defi- niert als Nüchternglukosewert von 5,5 bis 6,9 mmol/l (100–125 mg/dl), bei den Geschlechtern unterscheidet, unter- suchte eine bevölkerungsbasierte Beobachtungsstudie mit über 11 000 Teilnehmern zwischen 6 und 80 Jahren. Dabei zeigte sich, dass die Prävalenzen von Prädiabetes und Diabetes unter Frauen und Männern unterschiedlich war (17,1 vs. 23,6% bzw. 3,7 vs. 7,3%). Erstaunlich war gemäss den Autoren aber auch die Altersverteilung: Bei 6- bis 10-jäh- rigen Kindern fand sich bereits eine Prädiabetesprävalenz von 4,6 Prozent (Knaben 4,4%, Mädchen 4,8%), während diese im Alter von über 70 Jahren bei 40,4 Prozent bei Män- nern beziehungsweise bei 42,3 Prozent bei Frauen lag. Ausserdem waren Myokardinfarkt, Atherosklerose, milde Angstzustände und eine verlangsamte kognitive Funktion bei männlichen Typ-2-Diabetikern verbreiteter als bei Frauen, dafür hatten Frauen mehr Arrhythmien und vermehrt Anzei- chen einer systemischen Inflammation. Prädiabetische Frauen hatten im Vergleich zu Männern eine höhere Osteoporose- und Depressionsprävalenz. vh Quelle: Ofenheimer A et al.: Differences in prediabetes and diabetes associated comorbidities between men and women. Abstract 295, präsentiert am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2019, 16. bis 20. September in Barcelona. LLL Plättchenhemmung beim akuten Koronarsyndrom Gemäss ESC-Guidelines sind bei einem akuten Koronarsyn- drom (ACS) zur Plättchenhemmung die P2Y12-Hemmer Ticagrelor und Prasugrel jeweils zusätzlich zur Acetylsalicyl- säure (ASS) für 1 Jahr empfohlen. Welche Therapie jedoch mehr Nutzen bringt, war bislang nicht bekannt. Die am ESC-Kongress präsentierte ISAR-REACT-5-Studie untersuchte das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (Kom- bination aus Tod, Myokardinfarkt und Hirnschlag) beider P2Y12-Hemmer bei 4018 ACS-Patienten mit und ohne ST-Strecken-Hebung (STEMI 41%, NSTEMI 46%, instabile Angina pectoris 13%) und geplanter invasiver Behandlung. Zur grossen Überraschung der Studienleiterin Prof. Stefanie Schüpke, Deutsches Herzzentrum München (D), lag dieses nach 12 Monaten in der Prasugrelgruppe signifikant tiefer als unter Ticagrelor (6,9 vs. 9,3%). Auch bei Betrachtung der einzelnen Komponenten blieb das Risiko unter Prasugrel tie- fer als unter Ticagrelor (Tod: 3,7 vs. 4,5%; Myokardinfarkt 3,0 vs. 4,8%; Hirnschlag 1,0 vs. 1,1%). Trotz der stärkeren Wirkung war das Blutungsrisiko unter Prasugrel nicht höher (4,8 vs. 5,4%; Unterschied nicht signifikant). Gemäss der Studienleiterin unterstützen diese Resultate den Einsatz von Prasugrel – ohne Vorbehandlung bei NSTE-ACS – als Erst- linientherapie bei ACS-Patienten. Ob das eine Änderung der Guidelines zu Folge hat, bleibt abzuwarten. Die Studie wurde zeitgleich mit der Präsentation am Kongress im New England Journal of Medicine publiziert. vh Quelle: «Hotline 2», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August bis 4. September 2019 in Paris. Referenz: 1. Schüpke S et al.: Ticagrelor or prasugrel in patients with acute coro- nary syndromes, N Engl J Med 2019 Sept 1; doi: 10.1056/NEJMoa 1908973. LLL Grippeimpfung schützt vor kardiovaskulärem Tod In den letzten zwanzig Jahren haben zahlreiche Studien gezeigt, dass eine Influenzaerkrankung das Risiko für akuten Herzinfarkt und Hirnschlag erhöht. Das Gleiche gilt auch für die Hypertonie. Vor diesem Hintergrund haben Forscher des dänischen Gentofte Hospitals und der Universität Kopenhagen in einer retrospektiven Kohortenstudie untersucht, ob sich die kardiovaskuläre Mortalitätsrate bei hypertensiven Patienten vermindert, wenn sie gegen Grippe geimpft sind. Von 608 452 hypertensiven Patienten während neun aufeinanderfolgenden Grippesaisons waren 286 829 mindestens einmal geimpft. Die Impfabdeckung lag zwischen 26 und 36 Prozent. Während median fünf Grippesaisons ereigneten sich 21 571 Todesfälle (3,5%), davon 12 270 (2,0%) kardiovaskulärer Ursache und 3846 (0,6%) infolge akuten Herzinfarkts oder Hirnschlags. Verglichen mit den Nichtgeimpften lag bei den Geimpften während der Grippesaison das Gesamtmortalitätsrisiko um 18 Prozent tiefer, das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko um 16 Prozent tiefer, und das Risiko, an einem akuten Herzinfarkt oder Hirnschlag zu sterben, war um 10 Prozent vermindert. Mit einer einfachen und kostengünstigen CongressSelection Diabetologie | Kardiologie | Dezember 2019 35 ESC Massnahme wie der Grippeimpfung liesse sich das Mortalitätsrisiko von Patienten mit Hypertonie demnach senken. Eine Anhebung der Impfabdeckung bei diesen Patienten wäre daher sinnvoll, folgern die Forscher aus ihren Ergebnissen. vh Quelle: «Risk Factors and Prevention», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August bis 4. September 2019 in Paris. LLL POPular AGE: Plättchenhemmung bei über 70-jährigen Patienten Bei Patienten mit NSTE-ACS empfehlen die ESC-Guidelines zur Plättchenhemmung die P2Y12-Hemmer Ticagrelor und Prasugrel sowie Clopidogrel, wenn der Einsatz der ersten beiden Medikamente nicht möglich ist. Inwieweit diese Reihenfolge auch für Patienten über 70 Jahre sinnvoll ist, untersuchte die POPular AGE-Studie. An der als Late-break-Studie präsentierten randomisierten Multizenterstudie aus Holland nahmen 1003 mit NSTE-ACS hospitalisierte Patienten über 70 Jahre teil. Diese erhielten innerhalb von 72 Stunden randomisiert entweder Clopido- grel oder einen der beiden anderen P2Y12-Hemmer Ticagrelor und Prasugrel während 12 Monaten. Als primäre End- punkte waren die Rate schwerer und leichter Blutungen definiert sowie der klinische Nettonutzen, bestehend aus Gesamtsterblichkeit, Herzinfarkt, Hirnschlag und Blu- tungsrate. Die Resultate zeigten, dass für ältere Patienten die Uhren an- ders ticken: Unter Clopidogrel war die Blutungsrate signifi- kant um 26 Prozent tiefer als unter den anderen beiden Plätt- chenhemmern (17,6 vs. 23,1%; HR: 0,74; 95%-KI: 0,56– 0,97; p = 0,03). Der Anteil an schweren Blutungen war unter Clopidogrel ebenfalls signifikant tiefer. Bezüglich des klini- schen Nettonutzens war die Ereignisrate unter Prasugrel mit 27,3 Prozent tiefer als unter Ticagrelor/Prasugrel mit 30,7 Prozent, woraus eine Reduktion des absoluten Risikos um 3,4 Prozent resultiert (p = 0,06). In der momentanen Auswer- tung verpasst Clopidogrel ganz knapp die Signifikanz- schwelle für Nichtunterlegenheit, was sich aber gemäss Stu- dienleiterin Dr. Marieke Gimbel, St. Antonius Hospital Nieu- wegein (NL), bei der endgültigen Auswertung der letzten Patienten vermutlich noch ändern wird. Dazu müsse die Pu- blikation der Studie abgewartet werden. Die als sekundäre Endpunkte definierte Ereignisrate von Tod, Herzinfarkt und Hirnschlag unterschied sich in beiden Studienarmen nicht. Das heisst, dass unter Clopdiogrel nicht mehr ischämische Ereignisse auftreten als unter den anderen beiden P2Y12-Hemmern. Verglichen mit Ticagrelor/Prasugrel führte Clopidogrel bei dieser Altersgruppe zu signifikant weniger Blutungsereignis- sen bei ähnlich starker Verminderung von thrombotischen Ereignissen. Deshalb sollte bei über 70-jährigen NSTE-ACS- Patienten Clopidogrel bevorzugt werden, so das Fazit der Studienleiterin. vh Quelle: «Late Breaking Science 1», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) 2019, 31. August bis 4. September 2019 in Paris. Foto: vh 36 CongressSelection Diabetologie | Kardiologie | Dezember 2019