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EASD
EASD-Kongress 2019 in Barcelona
Die Zeit ist reif für Veränderungen
EASD 2019
Foto: zVg
Am Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) gab es für die 14 500 Teilnehmer 163 Vorträge und über 1200 Abstracts. Welche von diesen Neuigkeiten Auswirkungen auf die klinische Praxis in der Diabetestherapie haben werden, erklärt Prof. Roger Lehmann, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und klinische Ernährung im Universitätsspital Zürich, im Interview.
Am diesjährigen EASD-Kongress wurden viele
Studien präsentiert. Welche davon ist beson-
ders wichtig?
Prof. Roger Lehmann: Als Highlight muss man
zweifellos die DAPA-HF-Studie bezeichnen.
Diese zeigte, dass der SGLT2-Hemmer Dapagli-
flozin, zusätzlich zur Standardtherapie gegeben,
bei Herzinsuffizienzpatienten mit und auch ohne
Typ-2-Diabetes die Mortalität und die Hospitali-
Prof. Roger Lehmann
sationen reduziert und die Lebensqualität verbessert. Es scheint, dass die Medikamentenklasse
der SGLT2-Hemmer punkto Herz- und Nierenschutz auch für
Patienten ohne Typ-2-Diabetes immer wichtiger wird.
Sollen nun alle Typ-2-Diabetiker auf Herzinsuffizienz gescreent werden? Lehmann: Das halte ich für wenig zielführend. Man würde nur die bereits Symptomatischen erfassen. Man muss auch klar sehen, dass diese tollen Resultate bei Patienten mit einer Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion zustande kamen. Drei Viertel der Typ-2-Diabetiker mit Herzinsuffizienz haben aber eine Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion. Bei dieser Art von Herzinsuffizienz gibt es noch keine Therapie. Deshalb ist es viel gescheiter, von Anfang an eine Prävention mit einem SGLT2-Hemmer zu betreiben. Denn es gab am Kongress noch eine weitere, sehr interessante grosse Registerstudie mit einer Million Typ-2-Diabetikern aus Ländern wie Schweden, Finnland, Deutschland und Japan, die zu Beginn der Beobachtungsperiode noch keine kardiovaskuläre Erkrankung aufwiesen. Die Fragestellung lautete, welches Ereignis als Erstes eintreten würde: eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, ein Myokardinfarkt, eine Herzinsuffizienz oder ein Hirnschlag. Überraschenderweise lagen Herzinsuffizienz und chronische Nierenerkrankung mit Abstand an erster Stelle, das heisst, bei 60 Prozent der Teilnehmer trat die Herzinsuffizienz als Erstes auf, und das in allen Ländern vergleichbar.
Was heisst das für die Diabetestherapie?
Lehmann: Eine zweite Erkenntnis ist, dass DPP-4-Hemmer kardiovaskulär und renal neutral sind. Das heisst, sie senken
nur den Blutzucker und schützen weder Herz noch Niere. Das hat nun auch die am Kongress präsentierte CAROLINAStudie wieder gezeigt. Man sollte DPP-4-Hemmer deshalb durch Medikamentenklassen ersetzen, die diesbezüglich einen grösseren Nutzen bieten, wie zum Beispiel die SGLT2Hemmer und GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Ein gutes Vorgehen wäre, die Typ-2-Diabetestherapie mit einer der beiden Klassen zu beginnen und bei ungenügender Blutzuckersenkung beide miteinander zu kombinieren. Metformin käme dagegen erst in dritter Linie dazu. DPP-4-Hemmer haben aus dieser Perspektive eine etwas ungerechtfertigte Stellung. Sie sollten nur noch eingesetzt werden, wenn eine Therapie mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten nicht möglich ist. Sulfonylharnstoffe und Pioglitazon spielen in einer guten Therapiestrategie keine Rolle mehr.
Soll Metformin in die Reservelinie? Lehmann: Metformin hat unbestrittene Vorteile: Es hat einen guten und einzigartigen Wirkmechanismus und ist preisgünstig. Deshalb wird es uns sicher noch lange erhalten bleiben. Doch stellt sich die Frage, ob man es immer in der vollen Dosis geben muss. Denn mit einer tieferen Dosis, zum Beispiel 1 Gramm, dafür in Kombination mit einem SGLT2Hemmer oder einem GLP-1-Rezeptor-Agonisten oder beiden, lässt sich auch ein gutes Resultat erzielen. Damit hätte man unterschiedliche Effekte auf die kardiovaskulären Erkrankungen. Das wird in Zukunft eine grosse Rolle spielen.
Momentan ist noch der Einstieg mit Metformin als Monotherapie empfohlen. Wohin führt der Weg? Lehmann: Je früher eine Kombinationstherapie begonnen wird, desto besser. Das zeigte die VERIFY-Studie. Sie verglich den Langzeiteffekt auf den Blutzucker einer frühen Kombinationstherapie aus DPP-4-Hemmer plus Metformin mit einer später einsetzenden Kombinationstherapie. Mit der frühen Kombination wurde ein Insulinzusatz innerhalb der fünfjährigen Studiendauer seltener nötig als bei der erst später angefangenen Kombinationstherapie. Das gilt aber für alle Blutzuckersenker gleichermassen. Mit einer frühzeitigen Kombination verschiedener Wirkmechanismen lässt sich der Blutzuckeranstieg länger bremsen.
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Was heisst «frühzeitig»? Lehmann: Das heisst, dass Metformin beispielsweise im ersten Monat auftitriert und dann mit einer weiteren Substanzklasse wie SGLT2-Hemmern kombiniert wird. Reicht das nicht aus, kommt ein GLP-1-Rezeptor-Agonist, einmal wöchentlich gespritzt, dazu. Wird dieser nicht vertragen, kommt alternativ ein DPP-4-Hemmer zum Einsatz.
Sulfonylharnstoffe standen lange im Verdacht, herzschädlich zu sein. Eine am Kongress präsentierte Studie trat nun den Gegenbeweis an. Sind sie nun kardiovaskulär rehabilitiert? Lehmann: Die CAROLINA-Studie testete die Wirkung und die kardiovaskuläre Sicherheit des Sulfonylharnstoffs Glimepirid in Kombination mit dem kardiovaskulär neutralen
«Es ist viel gescheiter, von Anfang an eine Prävention mit einem SGLT2-Hemmer zu betreiben.»
Sind das Klasseneffekte? Lehmann: SGLT2-Hemmer können vermutlich bis zu einer eGFR von 30 eingesetzt werden. Mit Sicherheit lässt sich das aber erst sagen, wenn die VERTIS-Endpunktstudie mit Ertugliflozin im nächsten Jahr auch publiziert ist. Man kann aber von Klasseneffekten reden, denn die kardiovaskulären und die renalen Effekte sind über die ganze Klasse konsistent, auch wenn die eingeschlossenen Patienten in den jeweiligen Studien im Risikoprofil unterschiedlich waren.
Gilt das auch für GLP-1-Rezeptor-Agonisten? Lehmann: Nein. Die kurz wirksamen GLP-1-Rezeptor-Agonisten sind weder kardio- noch renoprotektiv. Die lang wirksamen Dulaglutide, Liraglutide und Semaglutide dagegen schon, und das auch konsistent. Mit der einmal wöchentlichen subkutanen Applikation mit den Fertigpens sind sie überdies sehr einfach zu handhaben. In der HbA1c-Senkung unterscheiden sie sich nur leicht, bei der Gewichtssenkung sind die Unterschiede dagegen gross. Da ist Semaglutide am stärksten, was vermutlich mit der geringeren Molekülgrösse und der besseren Penetration ins Gehirn zu tun hat.
Linagliptin versus Linagliptin allein bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen oder Risikofaktoren. Beide Studienarme unterschieden sich nicht in der kardiovaskulären Sicherheit nach 6 Studienjahren. Man kann das Resultat auch anders sehen: Wenn ein guter DPP-4-Hemmer kardiovaskulär keinen besseren Effekt erzielt als ein lang wirksamer Sulfonylharnstoff, spricht das nicht unbedingt für den DPP4-Hemmer. Man muss aber auch klar sehen, dass Sulfonylharnstoffe zu mehr Hypoglykämien und zu einer Gewichtszunahme führen. Das wollen die Patienten heute nicht mehr. Aus meiner Sicht gibt es nur noch in Ausnahmesituationen einen Grund für den Einsatz von Sulfonylharnstoffen. In der Schweiz wird aus dieser Substanzklasse vorwiegend Gliclazid verschrieben, da es keine lange Halbwertszeit hat und keine Metaboliten aufweist.
Wie bewerten Sie die CREDENCE-Studie? Lehmann: Das ist nach meiner Einschätzung eine ganz wichtige Studie mit Canagliflozin. Nach dem eher unglücklichen Design und Ausgang der CANVAS-Studie ist diese Studie viel besser aufgegleist. Man hat Hochrisikopatienten mit einer Makroalbuminurie und einer tiefen eGFR* bis 30 ml/min/1,73 m2 eingeschlossen. Das ist insofern wichtig,
«Je früher eine Kombinationstherapie begonnen wird, desto besser.»
als dass in der EMPA-REG-Studie mit Empagliflozin auch schon Patienten mit einer eGFR bis zu 30 behandelt wurden. Die CREDENCE-Studie hat einen wesentlichen Effekt sowohl auf die renalen als auch auf die kardiovaskulären Endpunkte gezeigt. Zudem gab es weder mehr Amputationen noch mehr Osteoporosefälle als in der Plazebogruppe. Diese Studie ist eine Art Rehabilitation für den zuvor etwas angeschlagenen Ruf von Canagliflozin.
Bald wird auch ein oraler GLP-1-Rezeptor-Agonist zur Verfügung stehen. Ist die Zukunft oral? Lehmann: Mit der SNAC**-Technologie ist es gelungen, die Bioverfügbarkeit von Semaglutide so zu verbessern, dass mit einer oralen Einnahme der Blutzucker und das Gewicht genauso gut gesenkt werden wie mit der subkutanen Version. Die Nebenwirkungen sind dabei gleich, trotz grösserer Substanzmenge, die für die gleiche Wirkung eingenommen werden muss. Die orale Formulierung muss jedoch nüchtern und eine halbe Stunde vor der ersten Mahlzeit eingenommen werden, um die Resorption nicht zu beeinflussen. Wenn alle Preishindernisse bereinigt sind, werden wohl die Patienten entscheiden, welcher Applikationsweg ihnen lieber ist: der einmal wöchentlich subkutane oder der einmal täglich orale. Bei der Therapie mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten ist es generell wichtig, den Patienten darauf vorzubereiten, dass Wirkungen und Nebenwirkungen voneinander abhängen. Je stärker die Wirkung, desto stärker auch die transiente Appetithemmung und Übelkeit. Bei SGLT2-Hemmern muss man auf Genitalinfekte hinweisen, bei DPP-4 braucht es dagegen keine Erklärungen.
Welche Neuigkeiten gibt es bei den Insulinen? Lehmann: Am Kongress wurde die CONCLUDE-Studie vorgestellt, die zwei Basalinsuline der zweiten Generation miteinander vergleicht: Insulin glargin 300 versus Insulin degludec 200. Die Daten sind eigentlich überzeugend, obwohl der primäre Endpunkt von schweren und symptomatischen Hypoglykämien nicht erreicht wurde. Dieser Endpunkt war aus meiner Sicht etwas unglücklich gewählt, denn bei Basalinsulinen interessiert mich als Erstes die Reduktion der nächtlichen Hypoglykämien, und diese waren unter Insulin degludec im sekundären Endpunkt seltener. Weil es aber im primären Endpunkt zu keinem Unterschied kam, muss man schlussfolgern, dass die Anwendung von lang wirksamen
* eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate ** SNAC: Sodium-N-Aminocaprylat (Transportprotein)
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Basalinsulinen generell von Vorteil ist und beide Studienmedikationen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufweisen. Bei einer Diabetestherapie, in der Metformin, SGLT2-Hemmer und GLP-1-Rezeptor-Agonisten nicht mehr ausreichen, ist der nächste Schritt die Hinzunahme eines Basalinsulins. Bei den Patienten beliebt ist die Kombination aus Liraglutide und Insulin degludec, weil es weder zu Hypoglykämien noch zu Gewichtserhöhungen kommt.
Am Kongress wurde mit Imeglimin ein Vertreter einer gänzlich neuen Substanzklasse vorgestellt. Was darf man davon erwarten? Lehmann: Das ist ein sehr interessanter Wirkmechanismus, der auf die Atmungskette in den Mitochondrien zielt. Imeglimin hemmt, abhängig vom Glukosespiegel, die hepatische Glukoneogenese, erhöht die Glukoseaufnahme bei Muskelaktivität und steigert die Insulinsekretion. Das wäre eine ideale orale Ergänzung zu den momentan verfügbaren Antidiabetika. Die Resultate der Phase-2- und -3-Studien in Japan sind in Bezug auf die Senkung des HbA1c, der Nüchternglukose und der guten Verträglichkeit bis jetzt vielversprechend. In Europa und den USA sind ebenfalls Studien geplant. Man darf gespannt sein!
Was ist Ihr Fazit vom Kongress?
Lehmann: Ich glaube, dass aus klinischer Sicht die Zeit nun
langsam reif ist, Metformin als Erstlinienmedikament abzu-
lösen. An dessen Stelle sollten SGLT2-Hemmer und GLP-1-
Rezeptor-Agonisten und vor allem die Kombination der bei-
den treten. DPP-4-Hemmer haben, ausser dass sie den Blut-
zucker senken und keine Nebenwirkungen haben, keinen
zusätzlichen Effekt auf Nieren und Herz und sind deshalb
ebenfalls hintanzustellen. In den neuen Empfehlungen der
Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabe-
tologie, die voraussichtlich bis Ende Jahr erscheinen werden,
werden die neuen Facts berücksichtigt sein. Abgestimmt da-
rauf, wird es eine App geben, auf der man durch die Eingabe
von ein paar wenigen Patientenparametern eine empfeh-
lungskonforme Auswahl von möglichen Kombinationen er-
hält. Dies auch nach verschiedenen Kriterien wie Preis und
Resultaten in Endpunktstudien. Die App wird regelmässig
upgedatet werden, sodass immer der neueste Stand der The-
rapiempfehlungen abrufbar ist.
L
Das Interview führte Valérie Herzog.
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