Transkript
Spondyloarthritis
Behandlungsziele erfordern eine individuelle Definition
SGR
In der Pathogenese der axialen Spondyloarthritis (SpA) spielen Mikrotraumata im Bereich der Enthese eine auslösende Rolle, wie Tiermodelle und Beobachtungen beim Menschen nahelegen. Am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie (SGR) waren die theoretischen Grundlagen ebenso Thema wie die praktische Ausgestaltung der Überwachung des Krankheits- und Therapieverlaufs bei SpA.
Im Verlauf der SpA sind Knochenneubildungen im Rahmen der chronischen Entzündung charakteristisch. Für das Verständnis der Knochenneubildung sei die Enthese von Interesse, erklärte Prof. Rik Lories, Skeletal Biology and Engineering Research Center, Leuven (Belgien). Die Enthese, also die Übergangszone zwischen Sehne und Knochen im Bereich des Sehnenansatzes, enthält unkonventionelle T-Zellen, die eher angeborenen lymphoiden Zellen (innate lymphoid cells, ILC) ähneln.
Enthesitis als Schlüsselprozess
Für den Entzündungsprozess im Bereich der Enthesen sind biomechanischer Stress mit Mikroschäden, die genetische Disposition (HLA-B27) sowie Veränderungen der Darmmikroflora verantwortlich. Sie regen über Interleukin (IL) 23 die lokalen T-Zellen zur Ausschüttung von IL-17 und IL-22 an. Folgen sind Knochenverlust, Knochenproliferation und chronische Entzündung im Bereich der Wirbelsäule. Die chronische Entzündung kann auch bei SpA durch Tumor-Nekrose-Faktor-(TNF-)Hemmer therapeutisch beeinflusst werden. Die verschiedenen Schritte der Veränderungen auf Gewebeebene seien in vielfachen Tiermodellen untersucht worden, die sich freilich nicht direkt auf die Prozesse beim Menschen übertragen liessen, wie Lories einräumte. Klinische Erfahrungen an verschiedenen Patientenpopulationen sowohl in Kanada (1) als auch in der Schweiz (2) haben übereinstimmend gezeigt, dass die möglichst frühzeitige Therapie mit TNF-Hemmern die Knochenneubildung bei SpA mit ihren langfristig verheerenden Folgen für die Wirbelsäulenfunktion deutlich hemmt, wenn es gelingt die Krankheitsaktivität zu senken. Ein Therapieansatz mit einem anderen Wirkungsmechanismus ist die Hemmung der Wirkung von IL-17A mit dem rekombinanten Antikörper Secukinumab (Cosentyx®). So liessen sich in der MEASURE-1-Studie bei 80 Prozent der Patienten mit ankylosierender Spondylitis (AS) über vier Jahre niedrige strukturelle Progressionsraten und eine gute Symptomkontrolle bei guter Verträglichkeit nachweisen (3). Zusammenfassend erläuterte Lories das aktuelle pathogenetische Konzept bei SpA wie folgt: Die Krankheitsauslösung erfolgt als Enthesitis infolge von biomechanischem Stress und
unter Einfluss von Genetik, Darmentzündung und anderen Infektionen (4). Dabei werden TNF und IL-23 freigesetzt, die eine Arthritis und Osteitis auslösen. Zu dieser Krankheitsamplifikation in den Gelenken und den angrenzenden Knochen trägt auch IL-17 bei. Die so entstehenden strukturellen Schäden verstärken und unterhalten wiederum die Enthesitis.
Lebensqualität als wichtigstes Therapieziel
Bei der axialen SpA werde zunächst eine nicht radiologische Form unterschieden, gekennzeichnet durch Entzündungszeichen in den Iliosakralgelenken im MRI und Rückenschmerzen von entzündlichem Charakter, erinnerte Prof. Adrian Ciurea, Klinik für Rheumatologie, Universitätsspital Zürich. Im weiteren Verlauf wird die Erkrankung bei einigen Patienten zu einer radiologischen SpA, also einer ankylosierenden Spondylitis (AS) mit Syndesmophyten und Verknöcherungen im Ilioskaralgelenk, fortschreiten. «Wichtigstes Therapieziel ist die langfristige Maximierung der Lebensqualität», betonte Ciurea, «und dies erreichen wir, indem wir die Symptome behandeln, aber auch indem wir die Funktion und Beweglichkeit sowie die soziale Integration erhalten.» Die Lebensqualität wird beeinflusst durch die Krankheitsaktivität (bestimmt anhand von BASDAI bzw. ASDAS [Kasten nächste Seite]) und durch die körperliche Funktion (gemessen mit dem BASFI). Die körperliche Funktion wird beeinflusst durch die Wirbelsäulenbeweglichkeit (gemessen mit dem BASMI). Die Wirbelsäulenbeweglichkeit wird einerseits durch die spinale Entzündung (erfasst im MRI), andererseits durch bereits bestehende strukturelle Schäden (bestimmt mit dem mSASSS) beeinflusst (5, 6). Für die Durchführung und die Überwachung der Behandlung sind all diese Parameter von Bedeutung. Für das Ansprechen auf ein Biologikum gibt es positive Prädiktoren. Dazu gehören männliches Geschlecht, erhöhtes Creaktives Protein (CRP), HLA-B27-Positivität, normales Körpergewicht sowie gute Funktion (tiefer BASFI), kurze Krankheitsdauer, Nichtraucherstatus und Fehlen von Enthesitis. Patienten mit der nicht radiologischen Form der axialen SpA sprechen auf Biologika (z.B. Adalimumab [7]) schlechter an, wenn gleichzeitig auch das CRP und das MRI negativ sind.
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SGR
Validierte Scores zur Beurteilung des Verlaufs bei axialer Spondyloarthritis
• Krankheitsaktivität BASDAI (Bath Ankylosing Spondylitis Disease Activity Index): Patientenbefragungsbogen mit 6 Fragen ASDAS (Ankylosing Spondylitis Disease Activity Score): klinische Angaben und Labordaten (C-reaktives Protein, CRP)
• Körperliche Funktion BASFI (Bath Ankylosing Spondylitis Functional Index): Patientenbefragungsbogen mit 10 Fragen
• Wirbelsäulenbeweglichkeit BASMI (Bath Ankylosing Spondylitis Metrology Index): 5 Messwerte für Wirbelsäulen-Beweglichkeitseinschränkungen
• Strukturelle Wirbelsäulenschädigung mSASSS (Modified Stoke Ankylosing Spondylitis Spinal Score): Messwerte für die Vorderkanten der Wirbelkörper anhand der lateralen Röntgenaufnahmen von Hals- und Lendenwirbelsäule
Remission oder tiefe Krankheitsaktivität?
Die verschiedenen zur Beurteilung des Verlaufs im Rahmen des Swiss Clinical Quality Managements (SCQM) beigezogenen Scores entwickeln sich im Allgemeinen gleichsinnig, aber nicht immer. So könne bei guter Funktion und Beweglichkeit und tiefem BASDAI der ASDAS durchaus erhöht bleiben, wie Ciurea anhand einer Fallvorstellung erläuterte. Das beruht dann auf einem konstant weiterhin erhöhten CRP als Zeichen einer nicht ausreichend unterdrückten Krankheitsaktivität unter einem biologischen DMARD. Biologika hemmen die radiologische Progression bei SA. Das trifft aber nur zu, wenn die Krankheitsaktivität ausreichend tief (ASDAS < 1,3) bleibt, denn bei höheren ASDAS-Werten kommt es doch zur Progression, wie eine Auswertung der SCQM-Datenbank gezeigt hat (2).
KURZ & BÜNDIG
Für den Entzündungsprozess bei axialer SpA sind biomechanischer Stress mit Mikroschäden, die genetische Disposition sowie Veränderungen der Darmmikroflora verantwortlich, die zur Ausschüttung von Interleukinen und Tumor-NekroseFaktor anregen.
Die Definition der Behandlungsziele bei axialer SpA ist von der individuellen Konstellation und von Kontextfaktoren abhängig.
Oberstes Therapieziel ist die langfristige Maximierung der Lebensqualität.
Im Rahmen einer Treat-to-Target-Strategie muss die Pharmakotherapie (nicht steroidale Entzündungshemmer, TNFHemmer, IL-17A-Inhibitor) regelmässig überwacht und angepasst werden.
In einer solchen Situation ist der Wechsel zu einem anderen Biologikum sinnvoll. Das entspricht dem Konzept des «treat to target», wobei als Ziel entweder eine Remission oder eine tiefe Krankheitsaktivität gewählt werden können. Das Behandlungsergebnis muss mit den validierten Verlaufsscores regelmässig überprüft und die Therapie muss entsprechend angepasst werden. «Ein ASDAS < 1,3 kann nur bei einem bestimmten Teil unserer Patienten mit axialer SpA das Ziel sein, denn das hängt von den Prädiktoren für das Ansprechen ab», betonte Ciurea, «nur ein geringer Anteil der Patienten erreicht einen ASDAS < 1,3, und zudem zeigen die meisten SpA-Patienten gar keine radiologische Progression – ein so tiefer ASDAS lohnt sich in diesen Fällen nicht.» In den Daten der Schweizer Kohorte erreichten bei der radiologischen Form der AS 18 Prozent der Frauen und 26 Prozent der Männer einen ASDAS < 1,3 (Unterschied nicht signifikant). Bei der nicht radiologischen Form traf dies für 8 Prozent der Frauen und 29 Prozent der Männer zu (p = 0,01) (8). Prädiktoren für eine radiologische Progression sind männliches Geschlecht, erhöhtes CRP, Nachweis von Syndesmophyten schon zu Beginn sowie wahrscheinlich auch Rauchen. Aus der Schweizer Kohorte ist auch ersichtlich, dass nur sehr wenige Frauen im Verlauf Syndesmophyten bilden. Ausserdem ist dokumentiert, dass es irgendwann im Verlauf, auch noch nach dreissig Jahren, zu aktiveren Krankheitsschüben mit Syndesmophytenbildung kommen kann.
Individuell definierte Behandlungsziele
Zur Treat-to-Target-Strategie gehört auch die Selbstbehand-
lung mit nicht steroidalen Entzündungshemmern, deren Ein-
satz zu einem messbaren Rückgang der Beschwerden
(bestimmt anhand des BASDAI) führt, obwohl bei einem
Wirkungsverlust des Biologikums die Krankheitsaktivität
(gemessen am ASDAS) wieder ansteigt. Auch beim Wechsel
von einem Originalbiologikum zu einem Biosimilar kann der
BASDAI eine unerwartete Veränderung zeigen, zum Beispiel
auch einmal einen Anstieg als Zeichen für einen vorüberge-
henden Nozeboeffekt. Zur umfassenden Behandlung gehört
auch eine Ernährungsberatung bei ausgeprägter Adipositas
und eine Betreuung beim Versuch zum Rauchverzicht. Beides
hat jedoch nur Aussicht auf Erfolg, wenn eine kontinuierliche
Prozessbegleitung von Fachpersonen gewährleistet ist.
Die Kontrolle der Symptome ist sehr wichtig, aber nicht das
einzige Ziel. Beweglichkeit, Funktion und Lebensqualität
sind ebenso wichtig. «Die Definition der Behandlungsziele ist
von der individuellen Konstellation und von Kontextfakto-
ren abhängig», schloss Ciurea.
L
Halid Bas
Quelle: «Spondyloarthritis-Konzepte im Wandel», Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie, 5. und 6. September 2019 in Interlaken.
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Referenzen: 1. Haroon N et al.: The impact of tumor necrosis factor α inhibitors
on radiographic progression in ankylosing spondylitis. Arthritis Rheum 2013; 65(10): 2645–2654. 2. Molnar C et al.: TNF blockers inhibit spinal radiographic progression in ankylosing spondylitis by reducing disease activity: results from the Swiss Clinical Quality Management cohort. AnnRheum Dis 2018; 77(1): 63–69. 3. Braun J et al.: Secukinumab shows sustained efficacy and low structural progression in ankylosing spondylitis: 4-year results from the MEASURE 1 study. Rheumatology (Oxford) 2019; 58(5): 859–868. doi: 10.1093/rheumatology/key375. 4. Van Mechelen M et al.: Microtrauma: no longer to be ignored in spondyloarthritis? Curr Opin Rheumatol 2016; 28(2): 176–180. 5. Machado P et al.: Both structural damage and inflammation of the spine contribute to impairment of spinal mobility in patients with ankylosing spondylitis. Ann Rheum Dis 2010; 69(8): 1465– 1470. 6. Machado P et al.: A stratified model for health outcomes in ankylosing spondylitis. Ann Rheum Dis 2011; 70(10): 1758–1764. 7. Sieper J et al.: Efficacy and safety of adalimumab in patients with non-radiographic axial spondyloarthritis: results of a randomised placebo-controlled trial (ABILITY-1). Ann Rheum Dis 2013; 72(6): 815–822. 8. Hebeisen M et al.: Response to Tumor Necrosis Factor Inhibition in Male and Female Patients with Ankylosing Spondylitis: Data from a Swiss Cohort. J Rheumatol 2018; 45(4): 506–512.
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