Transkript
RHEUMA TOP
Arthrosetherapie 2019
Behandlung nach den Phänotypen
Arthrosen haben verschiedene Ursachen und Erscheinungsformen. Auf die verschiedenen Phänotypen, zum Beispiel mikrokristallin, mechanisch, metabolisch, sei auch bei der Therapie Rücksicht zu nehmen, erklärte Prof. Thomas Hügle, CHUV, Service de rhumatologie, Lausanne, am Rheuma Top 2019.
Post-mortem-Untersuchungen mittels hochauflösender digitaler Kontaktradiografie konnten in arthrotisch veränderten Hüft- und Kniegelenken in über 90 Prozent eine Knorpelverkalkung nachweisen (1). Diese Veränderung korreliert mit dem Schweregrad der Arthrose, nicht aber mit dem Patientenalter, die Kalzifizierung ist somit keine Alterserscheinung. Die Verkalkungen sind nicht passive Ablagerungen, sondern Resultat aktiver, enzymatischer Prozesse in den Chondrozyten. Aufgrund genomweiter Expressionsanalysen an intaktem, anlässlich von Knieprothesen-Operationen gewonnenem Knorpel lassen sich zwei unterschiedliche Arthrosetypen unterscheiden (2). Gruppe A (mechanisch) repräsentiert den chondrogenen Phänotyp. Involviert sind Glukosaminoglykan-Synthese und Kollagen II. Hier sollte die Behandlung biomechanisch sein, allenfalls kombiniert mit Hyaluronsäure oder einem Glukosaminoglykan. Gruppe B (kalzifizierend) zeigt demgegenüber eine osteogene Genexpression, vermittelt durch Transkriptionsfaktoren für die Osteoblastendifferenzierung. Therapeutisch wären hier gegen Kalzifizierung und Verknöcherung gerichtete Wirkstoffe angezeigt, über die geforscht wird. Bei beiden Phänotypen gab es keine Hinweise auf eine Aktivierung einer entzündlichen Zytokinexpression. «Knorpel kann sich gar nicht entzünden, da er über keine Gefässe verfügt, und kann auch keinen Schmerz verursachen», kommentierte Hügle. Die kalzifizierenden Veränderungen der Knorpelzellen werden durch Rauchen begünstigt, analog zu Verkalkungen in der Aorta. Mehr als 50 Prozent der Patienten mit Kniegelenkarthrose zeigen in der quantitativen Magnetresonanzuntersuchung auch eine begleitende Synovitis (3), die ihrerseits Schmerzen verursacht und den Erfolg entzündungshemmender Injektionen erklärt.
Die vier Arthrosephänotypen
Eine an der Klinik und an den vermuteten Ursachen orientierte Unterscheidung kennt bei Arthrosen vier Phänotypen: • mikrokristalline Arthrose • mechanische Arthrose • «metabolische» Arthrose • «osteoporotische» Arthrose.
Bei der mikrokristallinen Arthrose kann eine gegen Interleukin 1 (IL-1) gerichtete Therapie sinnvoll sein, vor allem wenn Kortikosteroide kontraindiziert sind. Daneben sind Colchizin und Steroide wirksam, ferner wirkt auch Magnesium der Kristallablagerung entgegen. Die mechanische Arthrose wird oft begünstigt durch Achsenfehlstellung, Instabilität und Übergewicht. «Besonders beim Kniegelenk zählt jedes Kilo, auch wenn dies die Patienten nicht
gern hören», betonte Hügle. Bei mechanischer Arthrose (z.B. nach Kreuzbandriss) lassen sich zwei Phasen differenzieren. Zunächst kommt es zu einer Verdünnung der subchondralen Platte, dann zu einer Verdickung, und der Knorpelschaden entsteht erst danach. Für die Schmerzsymptomatik ist auch die Gelenkmobilität von Bedeutung. Das erklärt, warum Patienten nach deutlicher Gewichtsabnahme (z.B. auch nach bariatrischer Operation) stärkere Knieschmerzen haben können. Das gilt auch für jenen Anteil an Patienten mit konstitutioneller Hypermobilität, die eine tiefere Schmerzschwelle haben. Bei der körperlichen Untersuchung von Arthrosepatienten empfiehlt es sich daher, nach Hypermobilitätsymptomen zu suchen. Einiges spricht für metabolische Ursachen bei gewissen Arthroseformen. Adipositas führt zu Leptinfreisetzung und oxidativem Stress und begünstigt zusammen mit biomechanischen Faktoren eine systemische Entzündung, die sich auch in den besonders belasteten Knien in einer gesteigerten IL-6Freisetzung äussert. Bei Bewegung wird hingegen auch IL-10 als natürlicher Gegenspieler von IL-6 freigesetzt, was sich therapeutisch nutzen lässt. Im Tierversuch an Mäusen führt eine cholesterinreiche Ernährung zu erhöhtem intraartikulärem Cholesterin, zu Synovitis und Osteophytenbildung. Auch bei Fingerpolyarthrose sind metabolische Faktoren (neben der sehr wichtigen Genetik) mitbestimmend.
Arthrosemedikamente alt und neu
Zurzeit sind auch auf dem Gebiet der pharmakologischen
Arthrosebehandlung wieder Forschungen im Gang, die vielver-
sprechende Therapeutika für die Zukunft bringen könnten.
Diese dürften aber absehbar nicht bei allen Arthroseformen
gleich gute Ergebnisse bringen. Auch unter diesem Gesichts-
punkt sind die verschiedenen Arthrosephänotypen wichtig.
Die Studienlage zu Chondroitinsulfat erlaubt laut Hügle kein
abschliessendes Urteil. Hinsichtlich Schmerzlinderung gebe
es allenfalls Anhaltspunkte, die bei mechanischer Arthrose
für einen Einsatz als sinnvolle Ergänzung sprächen.
Weniger zurückhaltend beurteilte Hügle die Applikation von
Hyaluronsäure. Dieser Bestandteil von Makromolekülen
wirkt auf Entzündung, Zellmigration und Angiogenese.
Hyaluronsäureabbauprodukte sind proinflammatorisch, die
grossen Hyaluronsäuremoleküle hingegen wirken anti-
inflammatorisch (4).
L
Halid Bas
Quelle: Workshop «Arthrose-Therapie 2019», Rheuma Top 2019, 22. August 2019 in Pfäffikon SZ.
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Referenzen: 1. Hawellek T et al.: Articular cartilage calcification of the hip and
knee is highly prevalent, independent of age but associated with histological osteoarthritis: evidence for a systemic disorder. Osteoarthritis Cartilage 2016; 24(12): 2092–2099. 2. Soul J et al.: Stratification of knee osteoarthritis: two major patient subgroups identified by genome-wide expression analysis of articular cartilage. Ann Rheum Dis 2018; 77(3): 423. 3. Krasnokutsky S et al.: Quantitative magnetic resonance imaging evidence of synovial proliferation is associated with radiographic severity of knee osteoarthritis. Arthritis Rheum 2011; 63(10): 2983–2991. 4. Litwiniuk M et al.: Hyaluronic Acid in Inflammation and Tissue Regeneration. Wounds 2016; 28(3): 78–88.
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