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SGK
Fahreignung
Wann dürfen Herzpatienten noch, wieder oder nicht mehr hinters Steuerrad?
Eine Arbeitsgruppe aus Kardiologen und Rechtsmedizinern hat ihre gemeinsamen Schweizer Richtlinien für die Beurteilung der Fahreignung bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen am SGK/SSCS-Kongress vorgestellt. Sie erlauben in den meisten Fällen auch bei der Kombination verschiedener Erkrankungen und Symptome eine klare Einschätzung der Eignung zum Führen von Strassenfahrzeugen.
Die rechtlichen Anforderungen zum Lenken von Fahrzeugen im Strassenverkehr (für den schienengebundenen Verkehr, die Schifffahrt oder die Fliegerei gelten andere Bestimmungen) stützten sich auf das Strassenverkehrsgesetz (SVG), erläuterte Dr. Matthias Pfäffli, Facharzt Rechtsmedizin FMH, Verkehrsmediziner SGRM, Institut für Rechtsmedizin, Universität Bern. Neben dem Mindestalter, der bestandenen Fahrprüfung und dem Fehlen von Abhängigkeiten gegenüber Alkohol, Drogen und Medikamenten sowie von Persönlichkeitszügen, die zu Verkehrsdelikten prädisponieren, müssen auch medizinische Mindestanforderungen erfüllt sein. Diese werden in der Verkehrszulassungsverordnung (VZV) umschrieben, allerdings mit wenig präzisen Formulierungen wie «keine erhebliche Blutdruckanomalie». Daher bestand Bedarf für Leitlinien zur Fahreignung bei kardiovaskulären Erkrankungen, die von einer Arbeitsgruppe aus Schweizer Kardiologen und Rechtsmedizinern erarbeitet wurden und im Internet seit dem 20. Juni frei zugänglich sind (1). Gemäss SVG haben Ärzte das Recht, potenziell ungeeignete Fahrer den zuständigen Behörden zu melden, ohne das Arztgeheimnis zu verletzen. Sie sind dazu aber nicht verpflichtet. Hingegen besteht eine Pflicht, den Patienten oder die Patientin über die Nichteignung zum Fahren zu informieren. Diese sei integraler Teil der Patienteninformation über die Risiken der
KURZ & BÜNDIG
Ärzte haben das Recht, potenziell ungeeignete Fahrer den zuständigen Behörden zu melden, ohne das Arztgeheimnis zu verletzen, sind dazu aber nicht verpflichtet.
Richtschnur der Beurteilung muss die jederzeit sichere Teilnahme am Verkehr sein.
In einigen Situationen gibt die Arbeitsgruppe keine Empfehlung ab und schlägt eine «Einzelfallbeurteilung» mit fallspezifischer Entscheidung vor.
Krankheit (sog. Sicherungsaufklärung), betonte der Rechtsmediziner. Für Ärzte ist auch die gesetzliche Unterscheidung zwischen der ersten Gruppe (z.B. Motorräder und kleinere Fahrzeuge im privaten Gebrauch) und der zweiten Gruppe (z.B. berufsmässiger Lastwagen- und Personentransport) von Bedeutung, für die unterschiedliche gesundheitliche Anforderungen gelten.
Ein Patient, mehrere Krankheitsbilder
Die Guidelines seien in acht Tabellen aufgeteilt (Kasten), erklärte Dr. Marc Buser, Klinik für Kardiologie, Kantonsspital St. Gallen. Für die Beurteilung individueller Patienten müssen diese Tabellen kombiniert werden, beispielsweise wenn neben einer Koronarerkrankung auch eine Herzinsuffizienz besteht. Wie man dabei vorgeht, erläuterte Buser anhand einiger Fallbeispiele. Zum Beispiel zeigt ein Postangestellter mit koronarer Herzkrankheit (KHK) eine stark eingeschränkte Pumpfunktion (linksventrikuläre Ejektionsfraktion [LVEF], und ihm wurde vor zwei Jahren ein kardialer Defibrillator (ICD) implantiert. Obwohl er ein Lieferfahrzeug beruflich lenkt, gehört er zur ersten Gruppe, da er das Fahrzeug unter 3500 kg mit einem gewöhnlichen Fahrausweis B lenken darf. Aus der Tabelle «Herzinsuffizienz» der neuen Schweizer Richtlinie geht hervor, dass für die Schweregrade NYHA I–III die Fahreignung gegeben ist (für NYHA III, sofern stabil und kompensiert). Keine Fahreignung hätte ein Patient mit einer Herzinsuffizienz NYHA IV. Zusätzlich lässt sich der Tabelle «Koronare Herzkrankheit» entnehmen, dass für Patienten mit stabiler KHK eine Fahreignung besteht, wenn keine Ruhebeschwerden vorliegen. Die Tabelle «Fahren mit Devices» gibt die Auskunft, dass bei ICD in primärpräventiver Indikation eine Fahreignung ebenfalls gegeben ist (mit einer Wartefrist von 1 Woche nach Implantation). Anders ist die Situation bei ICD in der Sekundärprävention zu beurteilen. Hier ist die Fahreignung für Berufslenker der zweiten Gruppe nicht mehr gegeben. Lenker der ersten Gruppe erlangen nach einer Wartefrist von drei Monaten
18 CongressSelection Kardiologie | September 2019
SGK
Kasten: Einteilung der gemeinsamen Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie und der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin zur Fahreignung bei kardiovaskulären Erkrankungen Das Dokument besteht im Wesentlichen aus 8 Tabellen zu folgenden Krankheitsbildern oder klinischen Situationen: ● Synkope ● Herzinsuffizienz ● koronare Herzkrankheit ● Bradyarrhythmien ● supraventrikuläre und ventrikuläre Arrhythmien ● Fahren mit Devices ● andere kardiovaskuläre Erkrankungen (z.B. Hypertonie, Klappen-
erkrankungen, kongenitale Herzerkrankungen) Für die Beurteilung eines individuellen Patienten sind gegebenenfalls die Hinweise aus mehreren Tabellen zu kombinieren. Der Link im untenstehenden QR-Code führt direkt zu diesen Tabellen.
hingegen wieder ihre Fahreignung. Dasselbe gilt nach einem adäquaten Schock oder nach antitachykardem Pacing (ATP) einer Kammertachykardie mit erheblichen Symptomen (starker Schwindel, Präsynkope oder Synkope). Für Patienten mit ATP einer Kammertachykardie ohne Symptome besteht Fahreignung.
Einzelfallbeurteilung bei individuell schwierig zu beurteilenden Konstellationen
Liegen besondere Umstände vor, kann die Beurteilung auch anders erfolgen. Die Guideline verwendet in einigen Tabellen den Begriff «Einzelfallbeurteilung». Er bedeutet, dass die Arbeitsgruppe für die betreffende Situation keine allgemeine Empfehlung zur Fahreignung abgibt. In diesen Fällen muss die Entscheidung fallspezifisch unter Berücksichtigung der Ausprägung des Krankheitsbilds, des individuellen Funktionsniveaus und der Prognose erfolgen. Richtschnur muss eine jederzeit sichere Teilnahme am Verkehr sein. In Zweifelsfällen empfiehlt sich die Beiziehung eines Verkehrsmediziners. Buser nannte als Beispiel einen Patienten mit LVEF von 35 Prozent und multiplen ICD-Schocks, der zwei ICDSchocks mit Synkope und ohne Prodromi erlebt hatte und dies nicht spontan erwähnte. Die Arbeitsgruppe hat auch Anpassungen an internationale Guidelines vorgenommen. Das hat zum Beispiel zur Verkürzung der Wartefrist nach ICD-Implantation in der Sekundärprävention von sechs auf drei Monate geführt. Dasselbe erfolgte für die erste Gruppe bei der Wartefrist nach unklarer Synkope ohne Prodromi, die eine adäquate Schutzreaktion (Anhalten des Fahrzeugs) erlauben würden. Für Lenker der zweite Gruppe sind in dieser Situation die Anforderungen wesentlich höher. Sie besitzen keine Fahreignung, bis eine Diagnose gestellt und eine Therapie eingeleitet ist. Bei fehlender Diagnose beträgt die Wartefrist mindestens zwölf Monate. L
Halid Bas
Fahreignung und kardiovaskuläre Erkrankungen: gemeinsame Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie und der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin
https://www.rosenfluh.ch/qr/fahreignung-herzpatient
Quelle: «SSC track Driving ability in cardiac diseases», gemeinsamer Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK) und der Schweizerischen Gesellschaft für Herzchirurgie (SSCS), 19. bis 21. Juni 2019 in Interlaken.
Referenzen: 1. Buser M et al.: Fahreignung und kardiovaskuläre Erkrankungen:
gemeinsame Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie und der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin. Cardiovasc Med 2019; 22: w02023. Published 20 June 2019.
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