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Primäre Immundefekterkrankungen
Wie die Autoimmunität behandeln?
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Im Rahmen von Immundefekten kommt es nicht nur zu einer Beeinträchtigung der Infektabwehr, sondern auch zu Störungen der Immuntoleranz mit Autoimmunphänomenen, die sich in unterschiedlicher Ausprägung an verschiedenen Organsystemen manifestieren. Die Therapie dieser Autoimmunität bleibe eine Herausforderung, erklärte Prof. Klaus Warnatz aus Freiburg im Breisgau am Allergy and Immunology Update in Grindelwald.
Prof. Klaus Warnatz
Das Immunsystem besitzt die Fähigkeit zur Erinnerung. Grundlegend ist dabei das Erkennen und Wiedererkennen von «fremd» und «eigen» durch Zellen des adaptiven Immunsystems wie T- und B-Zellen. Dies setzt eine sehr enge Kontrolle voraus, die über die ganze Lebensspanne der Zellen erhalten bleiben muss. Zudem ist klar geworden, dass die alleinige Fremd-EigenUnterscheidung nicht ausreicht, sondern dass durch die involvierten Immunmechanismen auch eine laufende Evaluation von als fremd erkannten Gefahrensignalen erfolgen muss.
Autoimmunität bei Immundefekten häufig
Prototypische, seltene monogenetische Ursachen für einen Toleranzverlust mit Autoimmunität sind: • die Autoimmun Polyendokrinopathie-Candidiasis-ekto-
dermale Dystrophie (APECED), eine selektive Störung der T-Zellimmunität • das IPEX-Syndrom (Immundysregulation-Polyendokrinopathie-Enteropathie-X-chromosomal), ein Fehlen der regulatorischen T-Zellen, das zu einer Vielzahl von gleichzeitig auftretenden Autoimmunerkrankungen führt • das Autoimmune-lymphoproliferative Syndrom (ALPS) • die Interferonopathien, bei denen auf genetischer Grundlage gesteigerte Interferonantworten erfolgen, die vom Immunsystem fehlinterpretiert werden und zu Autoimmunphänomenen führen.
In einer retrospektiven Untersuchung bei 2183 konsekutiven Patienten mit primärem Immundefekt (PID) wurden bei gut einem Viertel autoimmune und inflammatorische Erscheinungen gefunden (1). Autoimmunzytopenien waren am häufigsten (31,4%), vor gastorintestinalen Störungen (24,4%), Hautphänomenen (14,1%) und rheumatologischen Störungen (12,8%). Autoimmune Zytopenien waren 120-mal häufiger als in der Allgemeinbevölkerung, das Risiko für entzündliche Darmerkrankungen bei Kindern war 80-mal und dasjenige für andere Autoimmunmanifestationen 10-mal höher. In der Studie waren alle Typen von PID mit vermehrten autoimmunen und entzündlichen Komplikationen asso-
ziiert, am ausgeprägtesten jedoch mit T-Zell-PID und dem variablen Immundefektsyndrom (common variable immunodeficieny, CVID). Diese Zahlen zeigen, dass rund ein Drittel der Patienten an einem Versagen der Fremd-Eigen-Unterscheidung leidet, die zu manifesten Autoimmun- und Entzündungsphänomenen führt. Es handle sich somit um ein häufiges Problem, das bei Kindern und Erwachsenen mit hoher Morbidität und Mortalität einhergehe, betonte Warnatz.
Bei Zytopenien immer auch an CVID denken
Gemäss einer grossen europäischen Kohorte bestimmen bei CVID-Patienten vier Manifestationen die Klinik vor allen anderen (2): • Pneumonie (32%) • Autoimmunität (29%) • Splenomegalie (26%) • Bronchiektasen (23%)
Unter den Patienten mit Autoimmunerscheinungen waren Thrombozytopenien (59%) und hämolytische Anämien (23%) die häufigsten Manifestationen. Bisher ist nicht klar, warum Blutzellen bei Immundefektsyndromen so oft Ziel von Autoimunprozessen werden. Patienten mit Immundefekten zeigen gewöhnlich klinische Auswirkungen an verschiedenen Lokalisationen (z.B. Autoimmunzytopenie, chronische Enteropathie, Lymphoproliferation, Bronchiektasen, ferner besteht zwischen Autoimmunund Entzündungsmanifestationen auch eine bedeutsame Überlappung. Patienten, die nur an gehäuften Infektionen leiden, haben demgegenüber eine bessere Prognose mit längerem Überleben. Bei Kindern mit Autoimmunzytopenie ist immer an einen zugrunde liegenden Immundefekt zu denken, denn diese ist oft frühestes Krankheitszeichen. Auch wenn es paradox klingen mag: Die Autoimmunzytopenie bei Immundefekt wird durch Antikörper vermittelt, auch wenn deren Produktion sonst gestört ist. Bei der autoimmunen Enteropathie findet sich vor allem eine CD8-T-Zellinfiltration der Schleimhaut, hervorgerufen durch lokale proinflammatorische TH1-Zytokine. Bei der interstitiellen Lungenerkrankung als Autoimmunität bei CVID sind die Pathomechanis-
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men heterogen und überwiegend durch T- und B-Zellen vermittelt. Für die Immundysregulation kommen verschiedene pathogenetische Konzepte in Betracht: • gestörte T-Zell-Selektion (z.B. genetisch bedingter Mangel
an RAG [recombinase activating gene] oder DiGeorgeSyndrom) • gestörte T-Zell-Aktivierung • veränderte Homöostase der regulatorischen T-Zellen • gesteigerte Gefahrensignale (z.B. Mangel an B-Zellen oder Antikörpern mit gesteigerter Immunantwort auf Mikrobiom und Lipide im Darm).
Therapeutische Konsequenzen
«Wir sollten bei der Behandlung der Autoimmunität bei Immundefekt spezifischer sein», erklärte Warnatz, «denn wir haben das Dilemma, dass der Patient schon einen Immunmangel hat und wir ihn mit Chemotherapie behandeln.» Bei Autoimmun-Zytopenie besteht gemäss derzeitigen Empfehlungen die Erstlinientherapie bei Kindern und Erwachsenen aus Kortikosteroiden (3). Dies führt in der Regel zur Remission. Bei Patienten in kritischem Zustand, mit Blutungen oder absolut tiefer Thrombozytenzahl, führt zusätzlich die Verabreichung von hoch dosiertem Immunglobulin zu einer rascheren Besserung. Für die Zweitlinientherapie ist eine gute Wirksamkeit von Rituximab mit einem anfänglichen Ansprechen bei 50 bis 60 Prozent dokumentiert (4). Zudem zeigt die Kombination von Dexamethason und Rituximab im Vergleich zur Dexamethason-Monotherapie ein besseres Langzeitansprechen (58% vs. 37%) (5). Als Alternative kommt bei schwerer immun-thrombozytopenischer Purpura Mycophenolatmofetil in Betracht, als ergänzende Behandlung sind Thrombopoetin-Rezeptoragonisten zu erwägen. Auch bei Immunzytopenien in Rahmen eines CVID ist die gute Wirksamkeit von Rituximab belegt (6). In der Studie erzielten 17 von 20 Patienten eine vollständige Remission, 6 von 7 Rezidiven sprachen auf erneute Rituximabbehandlung an. Bei CVID-Patienten in Remission kann der Behandlungserfolg mit intravenöser, aber auch mit subkutaner Verabreichung von Immunglobulinen aufrechterhalten werden (7). Patienten mit Enteropathie stellen oft ein schwerwiegendes therapeutisches Problem dar. Bei der Therapie mit Glukokortikoiden ist die topische Verabreichung zu bevorzugen, mit Budesonid nach dem Mayo-Schema bei Dünndarmbefall und Budesonid-Depottabletten bei Kolonerkrankung. In schweren klinischen Situationen muss auf vollständige parenterale Ernährung umgestellt werden. Einige Patienten mit genetisch determiniertem Immundefekt (z.B. IPEX, X-linked Agamma-
globulinämie [XIAP], chronisch granulomatöser Erkran-
kung [CGD]) kommen für eine hämatopoetische Stammzell-
transplantation in Betracht.
Die Datenlage zu Zweitlinientherapien bei Immunenteropa-
thien ist dürftig. Einerseits sind gegen T-Zellen gerichtete An-
sätze wie Azathioprin, mTOR-Inhibitoren, Ciclosporin oder
Vedolizumab versucht worden, andererseits gegen Zytokine
gerichtete wie Tumornekrosefaktor-(TNF-)Hemmung, Uste-
kinumab oder JAK-Inhibitoren. Auch zur Behandlung von
interstitiellen Lungenerkrankungen bleiben viele Fragen
offen. Gemäss einem Konsensus der British Lung Foundation
könnte bei granulomatös-lymphozytärer interstitieller Lun-
gererkrankung bei CVID eine gegen T-Zellen und B-Zellen
(Rituximab) gerichtete Kombinationstherapie in Betracht
kommen (8). Wie Warnatz in der Diskussion präzisierte, soll-
ten alle erwachsenen CVID-Patienten ein Lungencomputer-
tomogramm erhalten, und bei normaler Lungenfunktion
sollte dies nach 5 bis 10 Jahren wiederholt werden, bei gestör-
ter Lungenfunktion schon nach 2 bis 3 Jahren.
L
Halid Bas
Referenzen: 1. Fischer A et al.: Autoimmune and inflammatory manifestations
occur frequently in patients with primary immunodeficiencies. J Allergy Clin Immunol. 2017; 140(5): 1388–1393.e8. 2. Gathmann B et al.: Clinical picture and treatment of 2212 patients with common variable immunodeficiency. J Allergy Clin Immunol. 2014; 134(1): 116–126. 3. Neunert CE et al.: Management of newly diagnosed immune thrombocytopenia: can we change outcomes? Blood Adv. 2017; 1(24): 2295–2301. 4. Patel VL et al.: Outcomes 5 years after response to rituximab therapy in children and adults with immune thrombocytopenia. Blood. 2012; 119(25): 5989–5995. 5. Gudbrandsdottir S et al.: Rituximab and dexamethasone vs dexamethasone monotherapy in newly diagnosed patients with primary immune thrombocytopenia. Blood. 2013; 121(11): 1976–1981. 6. Gobert D et al.: Efficacy and safety of rituximab in common variable immunodeficiency-associated immune cytopenias: a retrospective multicentre study on 33 patients. Br J Haematol. 2011; 155(4): 498–508. 7. Scheuerlein P et al.: Is it safe to switch from intravenous immunoglobulin to subcutaneous immunoglobulin in patients with common variable immunodeficiency and autoimmune thrombocytopenia? Front Immunol. 2018; 9: 1656. 8. Hurst JR et al.: British Lung Foundation/United Kingdom Primary Immunodeficiency Network consensus statement on the definition, diagnosis, and management of granulomatous-lymphocytic interstitial lung disease in common variable immunodeficiency disorders. J Allergy Clin Immunol Pract. 2017; 5(4): 938– 945.
Quelle: «Autoimmunity in primary immunodeficiency disease», 21st Course, All-
ergy and Immunology Update (AIU), 25. bis 27. Januar 2019 in Grindelwald.
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