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Nahrungsmittelallergien
Risikofaktoren für schwere Anaphylaxien
AIU
Foto: H.B.
Bei Nahrungsmittelallergien können verschiedene Kofaktoren sowohl die Auslösungsschwelle als auch den Schweregrad der Symptomatik beeinflussen. Das Spektrum der Kofaktoren reiche von nicht steroidalen Entzündungshemmern bis zu Cannabis, berichtete Prof. Barbara Ballmer-Weber aus St. Gallen am Allergy and Immunology Update in Grindelwald.
Als Risikofaktoren, die bei Nahrungsmittelal-
lergien eine lebensbedrohliche allergische Re-
aktion begünstigen können, kommen vor allem
einerseits allergenspezifische sowie andererseits
patientenspezifische Faktoren (Alkoholkonsum,
Medikamente, körperliche Belastung) in-
frage (1). Ein erster Hinweis, dass Acetylsalicyl-
säure (ASS) bei einer bestehenden Nahrungsmit-
telallergie eine lebensbedrohliche Anaphylaxie
PD Barbara Ballmer-Weber
hervorrufen kann, erschien in den Sechzigerjahren. In einer Beobachtungsstudie bei ambulan-
ten Patienten mit bestätigter Nahrungsmittelallergie erwiesen
sich körperliche Anstrengung (10%), Alkoholkonsum (5%)
und – viel seltener – nicht steroidale Entzündungshemmer
(NSAID, 0,6%) als Kofaktoren für ausgeprägte Symptome (2).
Anhand der Daten des europäischen Anaphylaxieregisters
wurde eine Erhöhung des Risikos für schwere anaphylakti-
sche Reaktionen wie Hypoxämie, Hypotonie, Kollaps, Be-
wusstseinsveränderung oder Inkontinenz untersucht (3). Als
wichtigste Kofaktoren erwiesen sich neben einem höheren
Patientenalter vor allem das Vorliegen einer Mastozytose
(Odds Ratio [OR]: 3,1), ferner körperliche Belastung (OR:
1,5), männliches Geschlecht (OR: 1,2) und psychische Belas-
tung (OR: 1,4). In der Regressionsanalyse waren zudem die
in zeitlicher Nähe zur Allergenexposition erfolgte Einnahme
von Betablockern (OR: 1,9) und ACE-Hemmern (OR: 1,28)
wichtige Faktoren, nicht jedoch diejenige von ASS. Es gibt je-
doch auch Zahlen, die ein anderes Bild vermitteln. So waren
in einer Beobachtungsstudie aus Spanien bei anaphylaktischen
Reaktionen auf Nahrungsmittel NSAID sehr häufig (58%) in-
volviert, vor körperlicher Belastung (52,7%) und Alkohol-
konsum (12,2%) (4).
Körperliche Belastung als Augmentationsfaktor
Als möglicher Pathomechanismus bei der Wechselwirkung zwischen Nahrungsmittelallergie und NSAID bietet sich eine Erhöhung der Schleimhautdurchlässigkeit in Magen, Duodenum und Dünndarm an, die eine gesteigerte Aufnahme von Allergenen bewirkt. Ausserdem gibt es Hinweise, dass NSAID eine IgE-vermittelte Aktivierung von Basophilen bewirken können, die zu einer Senkung der Degranulationsschwelle führt. Daneben werden aber auch noch genetische Faktoren diskutiert.
Für den Zusammenhang zwischen körperlicher Belastung und verstärkten allergischen Reaktionen bei Nahrungsmittelallergie ist die weizenabhängige, belastungsinduzierte Anaphylaxie (wheat dependent exercise-induced anaphylaxis, WDEIA) von Interesse. In einer Studie mit kontrollierter Gluten- und Laufbandbelastung bei Patienten mit dokumentierter oder vermuteter weizeninduzierter Allergie (WIA) oder WDEIA liess sich nachweisen, dass mehr als die Hälfte der WDEAI-Patienten auch ohne Belastung eine allergische Reaktion zeigte (5). Die körperliche Belastung in Kombination mit der Einnahme von Gluten bewirkte jedoch eine Senkung der Auslösungsschwelle einer anaphylaktischen Reaktion sowie eine Symptomverstärkung. Bei der WDEIA handele es sich somit um eine gewöhnliche Weizenallergie mit hoher Auslösungsschwelle, bei der die körperliche Belastung bloss ein Augmentationsfaktor sei, folgerte Ballmer-Weber.
Auch einmal an Hanf denken
Produkte der Hanfpflanze (Cannabis sativa) sind weitver-
breitet: in den wegen ihrer psychoaktiven Wirkstoffe konsu-
mierten Blütenknospen (Marijuana) oder Harzen (Haschisch),
aber auch in vielen Produkten aus Hanf sowie in den in der
Nahrungsmittelproduktion verwendeten ölhaltigen Hanfsa-
men. Anhand von Fallbeispielen erwähnte Ballmer-Weber die
Möglichkeit einer Sensibilisierung gegenüber Lipidtransfer-
protein (LTP), die durch direkten Hautkontakt mit Mari-
juana, möglicherweise aber auch durch passiven Kontakt mit
Marijuanarauch erfolgen kann. Diese Sensibilisierung kann
auch ein LTP-vermittelter Kofaktor bei der Verstärkung einer
Nahrungsmittelallergie (z.B. gegen Pfirsiche) sein. In einer
Studie bei 120 Patienten mit Cannabisallergie berichteten 21
Prozent von anaphylaktischen Reaktionen und 19 Prozent
von lokalisierten Hautsymptomen (6). 86 Prozent hatten IgE
auf Hanf, 72 Prozent IgE gegen LTP. Bei 45 Prozent traten
systemische Reaktionen auf pflanzliche Nahrungsmittel auf,
die bei 31 Prozent von Kofaktoren abhingen.
L
Halid Bas
Referenzen unter www.rosenfluh.ch
Quelle: «Risk factors for food allergy», 21st Course, Allergy and Immunology Update (AIU), 25. bis 27. Januar 2019 in Grindelwald.
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AIU
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tening allergic reactions to food? Allergy. 2016; 71(9): 1241–1255. 2. Versluis A et al.: Cofactors in allergic reactions to food: physical
exercise and alcohol are the most important. Immun Inflamm Dis. 2016; 4(4): 392–400. 3. Worm Mt al.: Factors increasing the risk for a severe reaction in anaphylaxis: An analysis of data from The European Anaphylaxis Registry. Allergy. 2018; 73(6): 1322–1330. 4. Cardona V et al.: Co-factor-enhanced food allergy. Allergy 2012; 67(10): 1316–1318. 5. Christensen MJ et al.: Clinical relevance of sensitization to hydrolyzed wheat protein in wheat-sensitized subjects. J Allergy Clin Immunol. 2018; 141(2): 802–805.e1. 6. Decuyper II et al.: Exploring the diagnosis and profile of cannabis allergy. J Allergy Clin Immunol Pract. 2019; 7(3): 983–989.e5.
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