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IBD und Krebs
Entzündung im Kindesalter und Medikamente erhöhen das Malignomrisiko
Foto: KD
Kinder mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (inflammatory bowel diseases, IBD) besitzen schon als Jugendliche, vor allem jedoch im späteren Erwachsenenalter ein höheres Risiko, an Krebs zu erkranken. Dabei scheinen Kombinationstherapien mit Thiopurinen ein besonderes Risiko darzustellen.
Ari Levine
«Schon die Diagnose Morbus Crohn ist ein Schock für die Eltern eines Kindes. Sobald jedoch im Gespräch das Wort Krebs fällt, zieht eine dunkle Wolke über die Beteiligten», erklärte am ECCO-Kongress in Kopenhagen Dr. med. Ari Levine vom Edith Wolfson Medical Center in Jerusalem. Von diesem Moment an werde kaum noch zugehört und etwas aufgenommen, alles drehe sich nur noch um den Krebs.
Lebertumoren am häufigsten
Karzinome bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen können auf Anti-IBD-Medikamente, aber
Neue Standardernährung für Kinder mit Morbus Crohn
Bisher war die Exclusive enteral nutrition (EEN) die Standardernährung
für Kinder mit mildem bis moderatem Morbus Crohn (MC), wenn eine
Remission induziert werden sollte. Sie wird über 6 bis 8 Wochen in flüs-
siger Form ohne andere Nahrung gegeben. Nun hat das Team um Arie
Levine vom Wolfson Medical Center in Israel eine Studie präsentiert, in
der diese Standardnahrung mit der neuen Crohn’s disease exclusion diet
(CDED) verglichen wurde. Die CDED ist eine Diät, die eigens entwickelt
wurde, um Nahrungskomponenten zu vermeiden, von denen angenom-
men wird, dass sie einen negativen Einfluss auf das Mikrobiom des
Darms und die intestinale Barriere haben. In der 12-wöchigen randomi-
sierten Untersuchung mit 74 Kindern mit mildem bis moderatem MC
zeigten sich in beiden Gruppen hohe Raten kortikoidfreier Remission
und eine signifikante Verminderung der Entzündungen (Reduktion CRP
von 24 auf 5 g/l). Während CDED von 97,5 Prozent der Kinder vertragen
wurde, waren es bei EEN nur 73,7 Prozent (p = 0,003). Die nachhaltige
kortikoidfreie Remission betrug in der CDED-Gruppe nach 12 Wochen
70 Prozent und in der Vergleichsgruppe 41,2 Prozent (p = 0,01). Die Er-
gebnisse zeigten, dass die Ernährung auf die Entzündungen bei Patien-
ten mit Morbus Crohn Einfluss nehme, so Levine. Aufgrund dieser Daten
empfahl er CDED als First-Line-Therapie für Kinder mit mildem bis
moderatem Morbus Crohn.
KD L
Quelle: ECCO 2019; OP05.
auch auf die Entzündung selbst zurückzuführen sein. So gelten entzündliche Darmerkrankungen sowohl für Kinder als auch für Erwachsene als unabhängiger Risikofaktor für die Tumorentwicklung. Während bei Erwachsenen das höhere Lebensalter, eine lange Erkrankungsdauer, Rauchen oder bestimmte familiäre Anlagen für die potenzielle Tumorentwicklung eine wichtige Rolle spielen, gelten solche Risikofaktoren für Kinder gar nicht oder nur in sehr geringem Umfang. «Das bedeutet, dass bei Kindern häufig Medikamente für die Krebsentstehung verantwortlich sind», so Levine. Vor allem Thiopurine und TNF-Hemmer seien möglicherweise mit einem moderaten Risiko assoziiert. Auf der anderen Seite besässen manche Medikamente wahrscheinlich tumorpräventive Eigenschaften. In einer neueren Analyse der schwedischen Registerdaten von Colitis-ulcerosa-Patienten, deren Erkrankung zwischen den Jahren 1964 und 2001 begann, wollte man dem möglichen Zusammenhang zwischen früher IBD-Erkrankung und Krebsentstehung nachspüren. Tatsächlich fanden die Forscher, dass das Krebsrisiko bei Colitis-ulcerosa-Patienten, die bereits vor dem 18. Lebensjahr unter der Krankheit litten, im Vergleich zur gleichaltrigen Normalbevölkerung mit zunehmender Lebensalter signifikant ansteigt (1). So waren rund doppelt so viele Erwachsene (medianes Alter: 27 Jahre) an Krebs erkrankt, deren IBD schon in ihren Kindheits- oder Jugendjahren ausgebrochen war (3,3/1000 Personenjahre vs. 1,5/1000 Personenjahre, Hazard Ratio [HR]: 2,2). Dabei wurde für Colitis ulcerosa gegenüber Morbus Crohn ein höheres Risiko festgestellt (HR: 2,6 vs. 1,7). Vor allem die mit der IBD-Entzündung assoziiert geltenden Tumoren von Leber, Kolon/ Rektum und Dünndarm zeigten die höchsten Inzidenzen, gefolgt von den medikamentenassoziierten wie nicht melanozytärer Hautkrebs, Lymphom und Melanom. Zwar ist das Risiko für IBD-Patienten gering, noch vor dem 18. Lebensjahr an Krebs zu erkranken, trotzdem zeigten die Daten, dass im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung auch hier ein höheres Risiko besteht. Eine noch unveröffentlichte dänische Studie, so Levine, komme zu sehr ähnlichen Ergebnissen: Vor allem Tumoren von Leber, Kolon/Rektum und Dünndarm bzw. des oberen Verdauungstrakts seien in Dänemark unter Morbus-Crohn- und Colitis-ulcerosaPatienten die mit Abstand häufigsten Krebsformen.
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Kombinationen mit höherem Risiko
Zur Frage, ob und welche Medikamente bei IBD-Patienten für die Entwicklung von Tumoren verantwortlich sind, existieren sehr unterschiedliche Daten. Die vielleicht wichtigste Untersuchung dazu sei die CESAME-Studie, nach der der Einsatz von Thiopurinen mit einem erhöhten Risiko für Lymphome verbunden sei (2), erklärte Levine. Interessanterweise reduziert sich das Erkrankungsrisiko mit dem Absetzen dieser Substanz auf etwa das gleiche Niveau wie bei thiopurinnaiven Patienten. Besitzen über 65-jährige IBD-Patienten, die mit dem Medikament behandelt werden, ein um den Faktor 5,4 erhöhtes Risiko, sinkt dieses bei den Abbrechern auf 1,9 (zum Vergleich: thiopurinnaive Patienten 1,7). In einer neueren französischen Datenanalyse lag die HR für die Entwicklung eines Lymphoms bei Thiopurin-Monotherapie bei 2,6 und bei Anti-TNF-Therapie bei 2,4. Wurden beide Medikamente jedoch kombiniert, erwies sich das Risiko mit 6,1 als deutlich ausgeprägter (3). Auch in einer pädiatrischen Studie erhöhten Thiopurine und die Kombination aus Thiopurinen und Anti-TNF-Therapie das Lymphomrisiko, nicht jedoch eine Anti-TNF-Monotherapie (4). Trotzdem seien aufgrund von Schwächen im Studiendesign Anti-TNF-induzierte Malignitäten nicht auszuschliessen, und man dürfe dieses Risiko nicht leugnen, so Levine. In einer umfangreichen niederländischen Studie konnte überdies eine deutliche Korrelation zwischen Epstein-Barr-
Virus-(EBV-)positivem Lymphom und der Therapie mit Azathioprin/6-Mercaptopurin (AZA/6-MP) festgestellt werden (5). Denn 92 Prozent (11/12) der Patienten mit einem EBV-positiven Lymphom waren zuvor mit AZA/6-MP behandelt worden, aber nur 19 Prozent (4/21) mit EBV-negativem Lymphom.
Risikoreduktion ist möglich
«Die wichtigste Erkenntnis aus solchen Studien ist, dass wir als Ärzte mit bestimmten Massnahmen das Krebsrisiko unserer Patienten reduzieren können», erklärte Levine. Dabei dachte er an sechs Punkte: L Kombinationstherapien (v.a. mit Thiopurin) vermeiden L Entzündungen zurückdrängen L EBV-Status überprüfen L Thiopurine nicht einsetzen L Methotrexat als Alternative L ggf. Biologika ohne Lymphomrisiko verwenden
Klaus Duffner
Literatur unter www.rosenfluh.ch
Quelle: 14. Kongress der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO), Vortrag Arie Levine «Cancer risk in children with IBD, an under-recognised issue» am 9. März 2019 in Kopenhagen.
Kürzere Krebsvorsorgeintervalle lohnen sich
Werden die Abstände zwischen Vorsorgekoloskopien bei IBD-Patienten nicht zu lange, können frühe Darmtumorstadien früher erkannt werden. Dies wurde in einer am ECCO in Kopenhagen vorgestellten retrospektiven kanadischen Studie deutlich.
Patienten mit Colitis ulcerosa (CU) und Morbus Crohn (MC) besitzen ein höheres Risiko für Kolorektalkarzinome (CRC) als die Allgemeinbevölkerung. Zwar werden Vorsorgekoloskopien zur Detektion von Dysplasien empfohlen, über den idealen zeitlichen Rahmen solcher Untersuchungsintervalle herrscht jedoch noch keine Einigkeit. In einer kanadischen Untersuchung wollte man evaluieren, welche Assoziation zwischen den Abständen von Vorsorgekoloskopien und der Inzidenz verschiedener Kolorektalkarzinomstadien bestehen.
Mehr frühe CA-Stadien detektiert
Für die Studie wurden die Daten mehrerer kanadischer Patientenregister ab dem Jahr 1994 retrospektiv ausgewertet. Als primärer Endpunkt dienten die CRC-Stadien zum Zeitpunkt der Krebsdiagnose, und zwar von Patienten, die überhaupt keine Vorsorgeuntersuchung gemacht hatten, deren Screening weniger als drei Jahre zurücklag und deren Screening länger als drei Jahre zurücklag. Zudem wurden gemäss CRC-Scores die Stadien mit geringem und hohem Risiko unterschieden. Von 264 der insgesamt 631 CU-Patienten mit Kolorektalkarzinom waren Informationen zum Staging der Tumoren verfügbar. Dabei zeigte sich, dass frühe CA-Stadien bei Patienten
mit Untersuchungsintervallen von unter drei Jahren bei
58,6 Prozent, von über drei Jahren bei 44 Prozent und ohne
Vorsorgeuntersuchung bei nur 18,5 Prozent detektiert wer-
den konnten (p < 0,001). Entsprechend unterschiedlich ent- wickelten sich auch die Mortalitätsraten: 15 Jahre nach Be- ginn möglicher Vorsorgekoloskopien lebten noch 75,1 Pro- zent der Betroffenen mit kürzeren Untersuchungsintervallen, 70,1 Prozent mit längeren Intervallen, aber nur 57,8 Prozent der kompletten «Vorsorgemuffel» (p = 0,004). «Bei Patienten mit Colitis ulcerosa und Kolorektalkarzinom mit Screeningintervallen von weniger als drei Jahren konnten wir mehr frühe Tumorstadien entdecken, im Vergleich zu denen mit längeren Intervallen oder zu denen ganz ohne Vorsorge», resümierte Studienleiterin Anne Hu von der McMaster University in Hamilton (CAN). Auch hinsichtlich des Mortalitätsrisikos seien Vorsorgekoloskopien mit nicht allzu grossen zeitlichen Abständen von Vorteil. L Klaus Duffner Quelle: 14. Kongress der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO). DOP Session 8. Anne Hu et al.: Surveillance colonoscopies in ulcerative colitis: does it make a difference? 2019; Abstract Poster DOP66. 12 CongressSelection Gastroenterologie | Juni 2019 ECCO Referenzen: 1. Olén O et al: Childhood onset inflammatory bowel disease and risk of cancer: a Swedish nationwide cohort study 1964–2014. BMJ 2017: 358: j3951. 2. Beaugerie L et al: Lymphoproliferative disorders in patients receiving thiopurines for inflammatory bowel disease: a prospective observational cohort study. Lancet 2009; 374 (9701): 1617–1625. 3. Lemaitre M et al: Association Between Use of Thiopurines or Tumor Necrosis Factor Antagonists Alone or in Combination and Risk of Lymphoma in Patients With Inflammatory Bowel Disease. JAMA 2017; 318(17): 1679–1686. 4. Hyams JS et al: Infliximab Is Not Associated With Increased Risk of Malignancy or Hemophagocytic Lymphohistiocytosis in Pediatric Patients With Inflammatory Bowel Disease. Gastroenterology 2017; 152(8): 1901–1914.e3. 5. Vos AC et al: Risk of malignant lymphoma in patients with inflammatory bowel diseases: a Dutch nationwide study. Inflamm Bowel Dis 2011; 17(9): 1837–1845. Quelle: 14. Kongress der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO), Vortrag Arie Levine «Cancer risk in children with IBD, an under-recognised issue» am 9. März 2019 in Kopenhagen. CongressSelection Gastroenterologie | Juni 2019