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Hepatische Enzephalopathie
Nach einem ersten Schub sollte medikamentös behandelt werden
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Schübe einer hepatischen Enzephalopathie beeinträchtigen die Selbstständigkeit, die Lebensqualität wie auch die Prognose von Patienten mit chronischen Lebererkrankungen. Eine effektive Sekundärprophylaxe neuer Schübe ist heute möglich.
Die hepatische Enzephalopathie (HE) ist eine Funktionsstörung des Gehirns, die durch ein Leberversagen und/oder einen portosystemischen venösen Shunt und die dadurch verstärkt ins Gehirn gelangenden toxischen Verbindungen verursacht wird; die Symptome reichen von neurologischen und psychiatrischen Auffälligkeiten bis zum Koma als schwerster Störung. Wie Prof. Sara Montagnese aus Padua (I) berichtete, kann die HE durch die Verabreichung von Ammoniumsalzen und Harnstoffvorstufen ausgelöst werden. Dagegen lässt sich mit nicht resorbierbaren Disacchariden und mit bestimmten Antibiotika eine Linderung der Symptomatik erzielen, wobei beide Therapieprinzipien ihre Wirkung über eine Beeinflussung des Darmmikrobioms und dessen Metabolisierung von Nahrungsbestandteilen entfalten. Darüber hinaus lindert auch die Drosselung eines portosystemischen Shunts die Symptomatik. Verschiedene Stoffe, die aus dem Darm in das portalvenöse System aufgenommen und bei Gesunden in der Leber entgiftet werden, haben unmetabolisiert neurotoxische Effekte: Ammoniak, Mercaptane, benzodiazepinähnliche Substanzen und Indol. Die Ammoniakkonzentration im Plasma wirkt sich nicht nur direkt auf die Gehirnfunktion aus, sondern dient auch als Marker für die Anwesenheit weiterer toxischer Stickstoffverbindungen, die von den Darmbakterien produziert werden und aufgrund der fortgeschrittenen Lebererkrankung in den systemischen Kreislauf gelangen. Darüber hinaus wird der Ammoniakspiegel im Plasma auch durch die Nierenfunktion, harnstoffmetabolisierende Bakterien im Harntrakt sowie durch den Muskelabbau bei einer Sarkopenie beeinflusst. Ein Abbau von Proteinen mit einer nachfolgenden Oxidierung von Aminosäuren unter Hungerbedingungen kann ebenfalls zu einer Hyperammonämie (erhöhter Ammoniumgehalt im Blut) beitragen. Zudem können alle systemischen Prozesse, die mit einer vermehrten Freisetzung proinflammatorischer Zytokine einhergehen, über die Förderung einer Hyponatriämie und Blutalkalisierung zur verstärkten Empfindlichkeit gegenüber Ammoniak beitragen. Das im Blut vermehrt vorhandene Ammoniak gelangt zusammen mit anderen toxischen Metaboliten ins Gehirn und führt dort zu folgenden Veränderungen: L Erhöhung der Glutaminsynthese in Astrozyten und ver-
mehrte Glutaminkonzentration in den Mitochondrien
L Aktivierung der Mikroglia und Induktion einer Neuroinflammation
L Störung des Energiemetabolismus im Gehirn über eine Hemmung der Ketoglutarat-Dehydrogenase und der Pyruvat-Dehydrogenase, mit konsekutiver Dysfunktion des Zitronensäurezyklus, vermehrter glykolytischer Aktivität und Laktatproduktion
L Beeinträchtigung der glutamatergen und GABAergen Signalübertragung
L Beeinträchtigung von inhibitorischen und exzitatorischen Mechanismen der Signalübertragung aufgrund der elektrochemischen Ähnlichkeit zwischen Ammonium- (NH4+) und Kaliumionen.
Zudem gibt es Hinweise auf Beeinträchtigungen der serotonergen, histaminergen und dopaminergen Neurotransmission. Es wurden auch Änderungen der Blut-Hirn-Schranke bei Patienten mit akutem Leberversagen und akuter Dekompensation einer chronischen Leberinsuffizienz beschrieben.
Management der hepatischen Enzephalopathie
Das Management von Patienten mit hepatischer Enzephalopathie basiert auf vier Hauptprinzipien: 1. Betreuung von Patienten mit Bewusstseinseintrübungen 2. Identifikation und Behandlung von Kofaktoren, die den
Mentalstatus beeinträchtigen können 3. Identifikation und Beseitigung von auslösenden Faktoren 4. Einleitung einer empirischen, ammoniumreduzierenden
Therapie. Patienten mit manifester hepatischer Enzephalopathie der Schweregrade III und IV (nach der West-Haven-Klassifikation, siehe Tabelle) sollten bei Bedarf zum Sicherstellen der Atmung intensivmedizinisch versorgt werden. Bei Patienten, die nicht mehr schlucken können oder ein hohes Aspirationsrisiko haben, sollte ein nasogastraler Tubus zur Applikation oraler Medikamente verwendet werden. Die Identifikation und Kontrolle auslösender Faktoren ist von zentraler Bedeutung, weil dadurch viele Patienten mit HE mithilfe einer gezielten Intervention von ihren Symptomen befreit werden können. Zur medikamentösen Therapie werden am häufigsten zunächst nicht resorbierbare Disaccharide wie Lactulose und nicht resorbierbare Antibiotika wie Rifaximin (Xifaxan®) eingesetzt. Weitere Optionen, für die es Einzelhinweise auf
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subklinisch manifest
Tabelle:
Klassifikation der HE nach den West Haven-Kriterien
Bewusstseinslage
neuropsychiatrische Symptome
neurologische Symptome
Stadium 0 (= mHE)
normal
Defizite in Aufmerksamkeit, visuell-räumlicher Wahrnehmung, Geschwindigkeit der
Informationsverarbeitung
keine
Stadium 1
leichtgradige mentale Verlangsamung
Eu-/Dysphorie, Reizbarkeit und Angst, reduzierte Auf-
merksamkeit, Rechenschwäche
keine gestörte Feinmotorik (beeinträchtigtes Schreibver-
mögen, Fingertremor)
Stadium 2
verstärkte Müdigkeit, Apathie, Lethargie
leichte Persönlichkeitsstörung, minimale Desorientiertheit bzgl. Ort und Zeit, inadäquates Verhalten
flapping tremor/Asterixis, Ataxie,
verwaschene Sprache
Stadium 3
Somnolenz
Aggressivität, ausgeprägte Desorientiertheit
bzgl. Ort und Zeit, Verwirrtheit
Rigor, Krämpfe, Asterixis
Stadium 4
Koma
– Hirndruckzeichen
mHE: minimale Hepatische Enzephalopathie Quelle: adaptiert nach: Vilstrup H et al. Hepatology 2014; 60:715–735 | Zhan T et al. Dtsch Ärztebl Int 2012; 109(10):180–187))
eine mögliche Wirksamkeit gibt, sind verzweigtkettige Aminosäuren (BCAA: Branched-Chain Amino Acids), intravenöses L-Ornithin-L-Aspartat (LOLA), Probiotika sowie verschiedene weitere Antibiotika. Vor dem Hintergrund, dass die hepatische Enzephalopathie als Zeichen einer Verschlechterung der Lebererkrankung und Prädiktor eines erhöhten Mortalitätsrisikos anzusehen ist, sollten die Betroffenen nach einem ersten HE-Anfall auch in einem Lebertransplantationszentrum vorgestellt werden.
Prophylaxe von HE-Schüben
Eine Primärprophylaxe der HE wird nicht generell empfohlen; eine Ausnahme bilden grössere Blutungen im oberen Gastrointestinaltrakt, bei denen zur Reduktion der Resorption von Stickstoffverbindungen Lactulose oder Mannitol gegeben werden können. Dagegen ist die Sekundärprophylaxe wichtig, denn wenn ein Patient einmal einen HE-Schub durchgemacht hat, ist die Wahrscheinlichkeit für weitere Episoden sehr hoch; solche weiteren Episoden zählen zu den Hauptursachen für erneute Hospitalisierungen sowie für die hohen Kosten einer fortgeschrittenen Lebererkrankung. Die Sekundärprophylaxe einer HE sollte mit einem nicht resorbierbaren Disaccharid, wie zum Beispiel Lactulose, gestartet werden (1). In einer plazebokontrollierten Studie, in der Lactulose oder Plazebo als Sekundärprophylaxe nach
einem überstandenen HE-Schub eingesetzt wurden, entwickelten in einem Follow-up-Zeitraum von 14 Monaten im Median 19,6 Prozent der mit Lactulose behandelten Patienten einen erneuten HE-Schub, verglichen mit 46,8 Prozent in der Plazebogruppe (1). Da die abführenden Effekte von nicht resorbierbaren Disacchariden individuell unterschiedlich ausfallen, empfahl Montagnese, mit einer Dosis von zweimal täglich 20 ml Sirup (oder der äquivalenten Menge eines Granulats) zu starten; danach sollte die Dosierung allmählich so titriert werden, dass die Patienten 2 bis 3 weiche Stühle pro Tag haben. In der Regel schaffen es die Patienten innerhalb weniger Wochen, ihre Dosis so anzupassen, dass sie weder Verstopfungen noch Durchfälle haben. Im Falle einer rezidivierenden HE ist es sinnvoll, das nicht resorbierbare Antibiotikum Rifaximin zur Lactuloseprophylaxe hinzuzufügen wie in einer sechsmonatigen, plazebokontrollierten Studie bei Patienten mit rezidivierenden HE-Episoden gezeigt werden konnte. 91 Prozent der Studienpatienten erhielten eine begleitende Lactulosetherapie. Im sechsmonatigen Studienzeitraum traten neue HE-Episoden bei 22,1 Prozent der zusätzlich mit Rifaximin behandelten Patienten auf, verglichen mit 45,9 Prozent in der Plazebogruppe (2). 13,6 Prozent der Patienten in der Rifaximingruppe und 22,6 Prozent in der Plazebogruppe mussten hospitalisiert werden. Die Inzidenz unerwünschter Wirkungen war in beiden Gruppen ähnlich (2).
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Eine besondere Herausforderung ist das Management von Patienten mit häufig rezidivierenden HE-Episoden, betonte Montagnese. Betroffen sind häufig Patienten mit grossen, spontan entstandenen portosystemischen Shunts sowie Zirrhosepatienten nach angiografischer Anlage eines transjugulären intrahepatischen portosystemischen Shunts (TIPS). Hier sollte ein Verschluss des Shunts, sofern er zugänglich ist, erwogen werden. Eine aktuelle retrospektive Studie, in der 43 Patienten mit rezidivierender hepatischer Enzephalopathie einem retrograden transvenösen Verschluss ihres portosystemischen Shunts unterzogen wurden, konnte bei 91 Prozent der Patienten eine signifikante Verbesserung und bei 67 Prozent sogar eine komplette Rückbildung der rezidivierenden HE-Symptomatik dokumentieren; die Follow-upZeit der Studie lag bei 755 Tagen im Median (3). In einer prospektiven Studie, in der ebenfalls ein Verfahren zum retrograden Shuntverschluss mithilfe eines Gelatinepfropfs bei 73 konsekutiven Patienten mit Magenvarizen (n = 57) oder hepatischer Enzephalopathie (n = 16) geprüft wurde, ent-
KURZ & BÜNDIG
Verschiedene Stoffe, die aus dem Darm in das portalvenöse System aufgenommen und bei Gesunden in der Leber entgiftet werden, haben unmetabolisiert neurotoxische Effekte und können eine hepatische Enzephalopathie (HE) auslösen.
Zur medikamentösen Therapie sowie zur Sekundärprophylaxe einer HE werden am häufigsten zunächst nichtresorbierbare Disaccharide wie Lactulose und nichtresorbierbare Antibiotika wie Rifaximin (Xifaxan®) eingesetzt.
Im Falle einer rezidivierenden HE ist es sinnvoll, das nichtresorbierbare Antibiotikum Rifaximin zur Lactulose-Prophylaxe hinzuzufügen. Bei Patienten mit häufig rezidivierenden HE-Episoden sollte ein Verschluss des portosystemischen Shunts, sofern zugänglich, erwogen werden.
Bei persistierender HE sowie bei häufig rezidivierenden HE-Episoden ist häufig eine Kombinationstherapie zur Beseitigung der HE-Symptomatik notwendig.
wickelte keiner der behandelten Patienten nach dem Shunt-
verschluss eine HE-Episode im Follow-up-Zeitraum von
durchschnittlich 544 Tagen. Der Child-Pugh-Score verbes-
serte sich bei 40 Prozent der Patienten. Als unerwünschte
Wirkungen wurden bei 23 Prozent der Patienten ein Aszites
und bei 26 Prozent eine Bildung von Ösophagusvarizen be-
obachtet (4).
Entwickelt sich eine rezidivierende HE im Zusammenhang
mit der Anlage eines TIPS, dann sollte dieser korrigiert und
seine Notwendigkeit neu überprüft werden. Gerade bei die-
sem Verfahren ist also eine sorgfältige Abwägung von Nut-
zen und Risiken notwendig, betonte Montagnese.
Häufig rekurrierende HE-Episoden sowie eine persistierende
HE, aber auch HE-Verlaufsformen mit deutlicher motori-
scher Dysfunktion stellen allesamt ein klinisches Szenario
dar, bei dem die Kombination mehrerer Therapieformen oft
notwendig ist und im Einzelfall trotz einer noch schwachen
Evidenzlage versucht werden sollte, empfahl Montagnese.
Die Medikamente, die hier zusätzlich zu den evidenzbasier-
ten Therapeutika erwogen werden sollten, sind BCAA, Pro-
biotika, LOLA, Stickstofffänger und Albumin. Als weitere
Massnahmen kommen Stuhltransplantation und Modifika-
tionen im Proteinanteil der Nahrung in Frage.
Eine Lebertransplantation stellt die therapeutische Ultima
ratio für Patienten mit persistierender oder häufig rezidi-
vierender HE dar; hier ist allerdings eine sehr gute Nutzen-
Risiko-Abwägung notwendig.
L
Adela Žatecky
Referenzen: 1. Sharma BC et al.: Gastroenterology 2009; 137: 885–891. 2. Bass NM et al.: Rifaximin treatment in hepatic encephalopathy. N Engl J
Med 2010; 362(12): 1071–1081. 3. Lee EW et al.: Coil-Assisted Retrograde Transvenous Obliteration
(CARTO): An Alternative Treatment Option for Refractory Hepatic Encephalopathy. Am J Gastroenterol 2018; 113(8): 1187–1196. 4. Gwon DI et al.: Vascular Plug-Assisted Retrograde Transvenous Obliteration for the Treatment of Gastric Varices and Hepatic Encephalopathy: A Prospective Multicenter Study. J Vasc Interv Radiol 2015; 26(11): 1589–1595.
Quelle: EASL Postgraduate Course «End stage liver disease» beim 54. Jahrestreffen der European Association for the Study of the Liver (EASL), 10.-11. April 2019 in Wien.
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