Transkript
ECCO
Erste Head-to-Head-Studie bei Colitis ulcerosa
Vedolizumab mit signifikanten Vorteilen gegenüber Adalimumab
Foto: KD
Ärzte wollen sie, Patienten wollen sie, trotzdem sind Head-to-Head-Studien Mangelware. Umso erfreulicher, dass am ECCO-Kongress in Kopenhagen ein direkter Vergleich von Vedolizumab mit Adalimumab bei mittlerer bis schwerer Colitis ulcerosa vorgestellt wurde. Eindeutiges Ergebnis: Vedolizumab ist überlegen.
Stefan Schreiber
Nach Meinung der meisten Fachleute war die im Bereich der entzündlichen Darmerkrankungen durchgeführte Head-to-Head-Studie VARSITY die wichtigste am diesjährigen ECCO-Kongress in Kopenhagen vorgestellte Untersuchung (siehe auch Interview mit Prof. Gerhard Rogler, S. 2 ff). Studienleiter Prof. Stefan Schreiber von der Universitätsklinik Schleswig-Holstein in Kiel wartete bis zum letzten Kongresstag mit der Präsentation der Ergebnisse des direkten Vergleichs von Vedolizumab (VDZ) und Adalimumab (ADA).
Vergleich zweier Wirkmechanismen
Tatsächlich handelte es sich bei dieser mit Spannung erwarteten Studie nicht nur um eine Gegenüberstellung zweier etablierter monoklonaler Antikörper, sondern auch um einen Vergleich zweier verschiedener Wirkmechanismen. Auf der einen Seite VDZ (Entyvio®), welches α4β7-Integrin, ein Adhäsionsmolekül auf der Oberfläche von aktivierten Lymphozyten, selektiv hemmt. Durch die Blockade wird verhindert, dass aktivierte Lymphozyten an die MAdCAMRezeptoren der Darmwand binden und ins Darmgewebe einwandern können. Auf der anderen Seite der TumorNekrose-Faktor-alpha-(TNF-α-)Hemmer ADA (Humira®), der an TNF-α bindet und ihn neutralisiert. TNF-α ist ein proinflammatorisches Zytokin, das bei Entzündungsprozessen und im Immunsystem eine wichtige Rolle spielt. Trotz einer wachsenden Zahl neuer Therapieoptionen seien bislang noch keine CED-Biologika in klinischen Studien direkt gegenübergestellt worden, erklärte Schreiber.
Klinische Remission und Mukosaheilung
Für die randomisierte, doppelblinde und plazebokontrollierte VARSITY-Studie wurden in 37 Ländern 769 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Colitis ulcerosa (CU) (mittlere Erkrankungsdauer 6 resp. 7 Jahre) in zwei Gruppen eingeteilt. Bemerkenswert sei, so Schreiber, dass rund die Hälfte von ihnen von schwerer CU betroffen gewesen sei (MayoScore: 9 bis 12). Rund 20 Prozent hatten bereits eine AntiTNF-Therapie hinter sich, rund 30 Prozent wurden dauerhaft mit Steroiden behandelt.
In Standarddosierung erhielten 383 Teilnehmer VDZ (i.v.) und Plazebo (s.c.) und weitere 386 ADA (s.c.) und Plazebo (i.v.). Nach 52 Wochen zeigten die mit VDZ behandelten Patienten signifikant bessere Ergebnisse, und zwar sowohl hinsichtlich der klinischen Remission (Mayo-Score ≤ 2) als auch hinsichtlich einer endoskopisch bestätigten Mukosaheilung (Mayo-Score ≤ 1). So erreichten 31,3 Prozent in der VDZGruppe und 22,5 Prozent in der ADA-Gruppe (p = 0,0061) eine klinische Remission, eine Abheilung der Mukosa wiesen 39,7 Prozent der VDZ- und 27,7 Prozent der ADA-Patienten auf (p = 0,0005) (siehe Abbildung). Unter den Anti-TNFnaiven Teilnehmern erreichten 29,5 Prozent der ADA-Behandelten und 43,1 Prozent der VDZ-Behandelten eine Mukosaheilung. «Damit zeigte sich, dass die klinische Überlegenheit von VDZ am stärksten bei Anti-TNF-naiven Patienten ausgeprägt war», erklärte Schreiber. Eine kortikoidfreie Remission wurde numerisch (aber nicht statistisch signifikant) von mehr Patienten unter ADA als unter VDZ erreicht (21,7% vs. 12,6%).
Anteil Patienten in %
Abbildung:
VARSITY – Ergebnisse in der Gesamtpopulation
n Adalimumab n Vedolizumab
60
Δ = 8,8% (2,6%, 15,0%) Δ = 12,0% (5,3%, 18,6%)
50 p = 0,0061
p = 0,0005
40
30
20
10
0
n/N: 87/386 120/383 Klinische Remission
n/N: 107/386 152/383 Mukosaheilung
Quelle: adaptiert nach Stefan Schreiber
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Die klinischen Unterschiede wurden zwischen der 6. und der 14. Behandlungswoche deutlich und hielten dann über die gesamte Studienzeit von 52 Wochen an. Beide Biologika wurden generell gut vertragen. Insgesamt zeigten 62,7 Prozent und 69,2 Prozent der mit VDZ respektive ADA behandelten Patienten unerwünschte Nebenwirkungen. Infektionen, vor allem des oberen Respirationstrakts, traten mit 43,5 Prozent häufiger unter ADA als unter VDZ (33,5%) auf. Ernsthafte Nebenwirkungen erlitten unter VDZ 11,0 Prozent und unter ADA 13,7 Prozent. «Diese klaren Ergebnisse sprechen dafür, dass wir mehr solche Head-to-Head-Studien durchführen sollten. Sie offenbaren aber auch, dass der Einsatz von VDZ bei Patienten mit
moderater bis schwerer CU dem von ADA überlegen ist», so
Schreiber in seinem Fazit.
L
Klaus Duffner
Referenzen: Schreiber S et al.: VARSITY: A double-blind, double-dummy, randomised, controlled trial of vedolizumab versus adalimumab in patients with active ulcerative colitis. ECCO 2019, Abstract OP34.
Quelle: Late Abstracts, Vortrag Stefan Schreiber «VARSITY: A double-blind, doubledummy, randomised, controlled trial of vedolizumab versus adalimumab in patients with active ulcerative colitis» beim 14. Kongress der European Crohn`s and Colitis Organisation (ECCO), 9. März 2019 in Kopenhagen.
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Reisen mit IBD
Tipps zu Infektionsprophylaxe und Impfungen
Reisen gehört zum Leben. Für Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (IBD) kann ein Trip in ferne Länder jedoch eine besondere Herausforderung sein. Dr. Jean-François Rahier aus Yvoir (Belgien) gab am ECCO-Kongress in Kopenhagen Tipps, wie man die Patienten am besten vorbereitet.
Weltweit reisen jährlich rund eine Milliarde
Menschen ins Ausland. «Trotzdem existieren
zu den Herausforderungen, mit denen Patien-
ten mit IBD bei solchen Reisen zu kämpfen
haben, nur sehr wenig Studien», bemängelte
Rahier. So sehen sich 81 Prozent der IBD-Pa-
tienten während des Unterwegsseins durch ihre
Erkrankung eingeschränkt. Gleichzeitig gibt
die grosse Mehrheit der IBD-Betroffenen
Jean-François Rahier
gemäss einer noch unveröffentlichten Untersuchung des belgischen Gastroenterologen an,
dass Verreisen, ob nun in der Freizeit oder aus
beruflichen Gründen, ein wichtiger Faktor für die Lebens-
qualität darstellt. Sorgen machen den Patienten vor allem
eine mögliche Entzündungsaktivierung, Infektionen, der ein-
geschränkte Zugang zu Gesundheitsversorgung und zu Toi-
letten in fremden Ländern sowie eine inadäquate Ernährung.
«Tatsächlich ist das Reisen unserer Patienten mit einer erhöh-
ten Morbidität verbunden», so der belgische Gastroentero-
loge. Einer der Gründe: In der Ferienzeit würde es verstärkt
zu eigenmächtigen Therapieabbrüchen respektive «Medika-
mentenferien» kommen. Dies erhöhe die Gefahr für Infektio-
nen oder Relapse-Ereignisse (1, 2). Auch die Zunahme be-
stimmter Infektionskrankheiten in der Bevölkerung sei ein
Risikofaktor – so habe sich in Europa beispielsweise die Zahl der Masernfälle zwischen 2017 und 2018 verdoppelt.
Vorsicht mit Lebendvakzinen
Wie sollte man sich als IBD-Patient auf eine Reise vorbereiten? Für den Fall einer Gastroenteritis sei es ratsam, sich mit Antibiotika einzudecken und – nach Impfungen – den Immunstatus checken zu lassen (1). Zudem wird bei Immunsuppression abgeraten, sich lange in der Sonne aufzuhalten und in endemische Gelbfiebergebiete zu fahren. Denn unter den vielen zur Verfügung stehenden Lebendvakzinen sei die Gelbfieberimpfung sicherlich die problematischste, so Rahier. Hausärzte könnten sich durch Rückfragen bei Spezialisten über die aktuellen Empfehlungen informieren. Für eine neue Studie zur ärztlichen Betreuung von IBD-Patienten im Zusammenhang mit Reisen wurde von 305 Gastroenterologen aus 23 Ländern in Europa, Asien und Amerika ein ausführlicher Fragebogen ausgefüllt (3). Dabei zeigte sich, dass 52 Prozent der teilnehmenden Ärzte mit den Patienten vor Antritt der Reise über spezifische Diarrhö (90%), notwendige Impfungen (89%) und medizinische Versorgung respektive Versicherungen während der Reise sprechen (89%). Auch spezielle Fragen zu Tuberkulose, Malaria oder Thrombosegefahren werden besprochen.
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Bei den Impfungen sei das Bild weniger positiv, so Rahier. So würde ein Drittel der Befragten sowohl eine Gelbfieberals auch eine Bacillus-Calmette-Guérin-(BCG-)Impfung (vor allem gegen TB) empfehlen, obwohl beide Impfungen bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen «komplett kontrainduziert» seien. Ein weiteres Drittel der Gastroenterologen gab an, nicht zu wissen, wie mit diesen Lebendimpfungen umzugehen sei. Dabei war auffällig, dass die älteren Kollegen (> 20 Jahre im Beruf) insgesamt mehr Wissensdefizite zu diesem Thema aufwiesen als die jüngeren (< 5 Jahre im Beruf). Tatsächlich sind die meisten Impfstoffe Totvakzinen, diese können jederzeit den Patienten gegeben werden. Bei den Lebendvakzinen dürfen MMR, Gelbfiber und Varizella-Zoster-Virus nicht drei Wochen vor, während und drei Monate nach einer immunsupprimierenden- respektive Anti-TNFBehandlung gegeben werden. Allerdings zeige eine neuere Studie, dass einer MMR-Impfung bei einer gleichzeitigen Behandlung mit Vedolizumab von Patienten mit Morbus Crohn nichts im Wege stehe, sagte Rahier (4). Wenn die Luft dünn wird Auch Flugreisen respektive hypoxische Bedingungen können zum Problem werden, nicht nur für IBD-Patienten, sondern für jedermann (5). So liegt die Thromboseinzidenz für die Allgemeinbevölkerung bei mehr als 16 Stunden Flug bei 1:1264 – ein «ziemlich hoher Wert», meinte Rahier, der bei IBD-Patienten wahrscheinlich noch höher sei, da hier von vornherein ein gewisses Thromboserisiko bestehe. Flüge und Aufenthalte in grösseren Höhen sind auch mit einem höheren Flare-Risiko verbunden – eine Erfahrung von IBD-Patienten, die man vor einigen Jahren in einer Schweizer Studie wissenschaftlich belegen konnte (6). Und danach? Wie wirkt sich ein Trip in andere Länder bei immunsupprimmierten Patienten nun aus? In einer retrospektiven Studie wurden 1061 Reisen von IBD-Patienten (496) und gesunden Kontrollpersonen (565) analysiert (7). Es zeigte sich, dass der Gebrauch von Immunsuppressiva kein Risikofaktor für eine Erkrankung während der Reise war. Auch hinsichtlich des Auftretens einer reisebedingten Diarrhö kam es, gemäss einer niederländischen Arbeit, bei IBD-Patienten mit und ohne Immunsuppression zu keinen Unterschieden (8). Je nachdem welche Region man besucht habe, könne für IBD-Patienten ein Check auf bestimmte «Reisemitbringsel» wie Zeckensti- che, Darmparasiten, Trypanosomen, Histoplasma, HBV, HCV oder Tuberkulose sinnvoll sein, so Rahier. L Klaus Duffner Referenzen: 1. RahierJF et al.: Second European evidence-based consensus on the pre- vention, diagnosis and management of opportunistic infections in inflammatory bowel disease. J Crohns Colitis 2014; 8(6): 443–468. 2. Soonawala D et al.: Pretravel preparation and travel-related morbidity in patients with inflammatory bowel disease. Inflamm Bowel Dis 2012; 18(11): 2079–2085. 3. Chan W et a.l: A Global Survey of Gastroenterologists' Travel Advice to Patients with Inflammatory Bowel Disease on Immunosuppressive Agents and Management of Those Visiting Tuberculosis-Endemic Areas. J Crohns Colitis 2018; 12(11): 1261–1269. 4. Wichmann A et al.: Safety and Efficacy of Live Measles Vaccine Administered to a Crohn's Disease Patient Receiving Vedolizumab. Am J Gastroenterol 2016; 111(4): 577. 5. Kuipers S et al.: The absolute risk of venous thrombosis after air travel: a cohort study of 8755 employees of international organisations. PLoS Med 2007; 4(9): e290. 6. Vavricka S et al.: High altitude journeys and flights are associated with an increased risk of flares in inflammatory bowel disease patients. JCC 2014; 8(3): 191–199. 7. Ben Horin S et al: Travel-Associated Health Risks for Patients With Inflammatory Bowel Disease. CGH 2012; 10(2): 160–165. 8. Baaten GG et al.: Symptoms of infectious diseases in immunocompromised travelers: a prospective study with matched controls. J Travel Med 2011; 18(5): 318–326. Quelle: 14. Kongress der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO). Vortrag Jean-François Rahier: Vaccination and travelling with IBD: An update. 8. März 2019 in Kopenhagen. Kurzmeldungen vom ECCO-Kongress 2019 Vitamin-D-Defizit weitverbreitet Die allermeisten Patienten mit chronischer Darmerkrankung (IBD: inflammatory bowel disease) leiden unter einem Vit- amin-D-Defizit. Bulgarische Wissenschaftler untersuchten über ein Jahr alle zwei Wochen die Vitamin-D-Spiegel ihrer Patien- ten in Varna (Bulgarien). Ergebnis: 96 Prozent der Patienten mit Morbus Crohn (MC) und 93 Prozent derjenigen mit Co- litis ulcerosa (CU) zeigten eine Vitamin-D-Insuffizienz (zwi- schen 50 nmol/l und 75 nmol/l) respektive einen Mangel (< 50 nmol/l). Zudem waren bei Patienten mit extraintestina- len Manifestationen die Vitamin-D-Spiegel signifikant tiefer. In einer israelisch-amerikanisch-dänischen Metaanalyse von 27 qualitativen Beobachtungsstudien mit 8316 IBD-Patien- ten konnte überdies eine signifikante Korrelation zwischen niedrigem Vitamin-D-Status und klinischer Krankheitsakti- vität respektive Mukosaentzündung festgestellt werden. Die Autoren empfehlen daher, die Vitamin-D-Spiegel zu über- wachen. KD L Quellen: ECCO 2019; P549 und P787. Belastende Erlebnisse als IBD-Trigger Welchen Einfluss haben äussere Faktoren bei Ungeborenen respektive Kleinkindern auf das Risiko, später eine chro- nischentzündliche Darmerkrankung (IBD: inflammatory bowel disease) zu entwickeln? Niederländische Forscher vom Universitätsspital Groningen evaluierten die Umweltfaktoren, denen 674 IBD-Patienten in ihrer frühen Kindheit und bis zum Krankheitsausbruch aus- gesetzt waren. Dabei zeigte sich, dass die pränatale Exponie- rung gegenüber Zigarettenrauch das IBD-Risiko bezüglich Morbus Crohn (MC) fast verdoppelt (OR = 1,9) sowie be- züglich Colitis ulcerosa (CU) signifikant erhöht (OR = 1,6). Ebenfalls korreliert mit einem erhöhten Krankheitsrisiko war die Konfrontation mit mehr als drei stark belastenden Erleb- nissen vor Ausbruch der Erkrankung (MC: OR = 2,9; CU: OR = 2,6). Interessanterweise erwies sich der Kontakt zu Hunden oder Katzen, vor allem im ersten Lebensjahr, als IBD-protektiv. KD L Quelle: ECCO 2019; P749. 8 CongressSelection Gastroenterologie | Juni 2019