Transkript
EAU
Urolithiasis
Prävention gegen Rezidive
Harnsteine treten häufig auf, bei gut einem Viertel der Patienten sind sie rezidivierend. Dadurch ist die Lebensqualität markant beeinträchtigt und die sozioökonomischen Folgen beträchtlich. Welche Erkenntnisse es zur Steinbildung gibt und welche Möglichkeiten sich dagegen bieten, war am EAUKongress in Barcelona zu erfahren.
Die meisten Harnsteine bestehen aus Kalziumoxalat, die Pathogenese der kalziumhaltigen Steine ist nicht ganz klar. Randall’sche Plaques, beziehungsweise intratubuläre Kalzifikationen, die an geschädigten Epithelzellen der Nierenpapille verankert sind, bilden nach aktueller Auffassung den Kristallisationskern für Harnsteine. Die Inzidenz von Randall’schen Plaques ist bei Frauen und Männern in den letzten zwanzig Jahren von 17/20 Prozent um mehr als das Zwei- bis Dreifache auf 50/59 Prozent angestiegen. Auch das Durchschnittsalter für das erstmalige Auftreten von Steinen ist von einem Lebensalter 34 auf 26 Jahre gesunken. Lebensstil und Ernährungsweise könnten mit eine Erklärung dafür sein. Idiopathische Kalziumoxalat-Steinbildner mit traditionellen Risikofaktoren für Nephrolithiasis, wie niedriges Urinvolumen, hohe Kalziumkonzentration im Urin und vorgängige Steinbildung, weisen mehr Randall’sche Plaques auf, erklärt Prof. Dirk Lange, Urologie, University of British Columbia, Vancouver (CAN). Bei Personen ohne Kalziumoxalatsteine sind dagegen keine Randall’schen Plaques zu finden. Der exakte zugrundeliegende Mechanismus ist nicht geklärt. Eine vaskuläre Ätiologie wird derzeit diskutiert. Atheroskleroseähnliche Läsionen und Kalzifizierungen in den Gefässwänden der Vasa recta erodieren das papilläre Interstitium und wachsen weiter an. Das lässt den Schluss zu, dass die Entstehung von Nierensteinen eine vaskuläre Ursache hat. «Eine Steinerkrankung scheint daher eine systemische Erkrankung zu sein», führt Prof. Kemal Sarica, Urologie, Kafkas University Medical School, Kars (TR), aus.
KURZ & BÜNDIG
Die Inzidenz der Urolithiasis ist weltweit ansteigend, Lebensstil und Ernährungsweise tragen dazu bei.
Randall’sche Plaques gehen einer Kalziumoxalatsteinbildung voraus.
Möglicherweise liegt eine Endotheldysfunktion zugrunde. Ernährungsumstellungen können bei der Rezidivprophylaxe
helfen.
Mit steigendem BMI erhöht sich beispielsweise das Risiko für das Auftreten von symptomatischen Nierensteinen (1). Ein möglicher Grund dafür ist die Veränderung der Urinzusammensetzung mit steigendem Anteil an Kalziumoxalat (2), wie der Referent in eigenen Untersuchungen beobachtet hat. Auch beim Metabolischen Syndrom, bei Patienten mit Diabetes wie auch Dyslipidämie ist das Urolithiasisrisiko erhöht, so der Referent. Eine gemeinsame Pathophysiologie dieser Erkrankungen liegt beispielsweise in der endothelialen Dysfunktion infolge oxidativem Stress. Hohe Oxalatspiegel induzieren selbst wiederum die Endothelschädigung und -dysfunktion, untergegangene Zellen fördern die Anheftung von Kristallen. Eine In-vitro-Untersuchung zeigte, dass eine Vorbehandlung der renalen proximalen Tubuluszellen mit Pyrrolidindithiocarbamat diese gegen den toxischen Einfluss von Oxalat unempfindlicher macht (3).
Mit der Ernährung Steinbildung steuern
Mit der Ernährung lassen sich etwa die Hälfte der Nierensteine verhindern. Das ergab die Analyse von drei grossen prospektiven Kohortenstudien mit knapp 192 126 Teilnehmern. Die dabei gefundenen fünf modifizierbaren Faktoren beeinflussen die Steinbildung wesentlich, berichtete Prof. Pietro Manuel Ferraro, Fondazione Policlinico Universitario A. Gemelli IRCCS Roma (I). Diese umfassen gesüsste Getränke, Flüssigkeitsaufnahme, Übergewicht, Kalziumaufnahme und Diät. Einer massgeschneiderten Ernährungsempfehlung sollte eine 24-Stunden-Urinuntersuchung vorausgehen. Rezidive bei Patienten mit vorgängigen Kalziumoxalatsteinen können zu 20 Prozent aus Kalziumphosphatsteinen bestehen, berichtet Ferraro. Zu beachten sei, dass sich die Steinzusammensetzung mit der Zeit ändern kann. Bei Patienten mit rezidivierender Steinbildung bei idiopathischer Hyperkalziurie empfiehlt sich eine Diät mit wenig Protein, wenig Salz und normalem Kalzium. Eine kalziumarme Ernährung bringt dagegen weniger Nutzen: In einer fünf Jahre dauernden Langzeituntersuchung führte eine kalziumnormale (30 mmol Ca/Tag) Ernährung mit tiefem tierischem Protein- (52 mmol/Tag) und Salzgehalt (50 mmol/Tag) gegenüber einer kalziumarmen Ernährung (10 mmol Ca/Tag) zu einer Halbierung der Rezidivrate (4). Salzkonsum beeinflusst ebenfalls die Kalziumkonzentration. Wie eine Untersuchung zeigte, steigt pro 100 mmol Natrium im Urin auch die Urinkalziumkonzentration um 1 mmol an,
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unabhängig von der Kalziumeinnahme (5). Eine weitere Ernährungsstudie mit grosser Kohorte konnte für Fleischprotein als Quelle von Nahrungssäuren ein leicht erhöhtes Nierensteinrisiko nachweisen, während das Risiko mit Gemüse, Protein aus Milchprodukten, kaliumreichen Nahrungsmitteln sank (6). Für die Prävention der Kalziumsteinbildung über die Ernährung sieht der Experte daher mehrere Einflussmöglichkeiten: erhöhte Flüssigkeitszufuhr (2–2,5 l/Tag), adäquate Kalzium(1–1,2 g/Tag), Früchte- und Gemüseeinnahme, Salzeinnahmebegrenzung auf < 5 g/Tag sowie limitierte Aufnahme von Fleischprotein und hochoxalathaltigen Nahrungsmitteln wie beispielweise Spinat und Mangold. Was bietet die Phytotherapie? Für Patienten, die weiteren Steinbildungen vorbeugen möchten, ist es nicht immer einfach, den Ernährungsempfehlungen Folge zu leisten und ihre Flüssigkeitszufuhr zu erhöhen. Die Einnahme von Kaliumzitrat zur Auflösung von Harnsäureund in geringerem Ausmass auch Kalziumoxalatsteinen ist nicht standardisiert bezüglich Menge und Einnahmedauer und induziert gastrointestinale Nebenwirkungen. Thiazide sind eine weitere Möglichkeit, doch auch damit ist die Compliance tief, beschreibt Dr. Samih Al-Hayek, Cambridge University Hospitals, Cambridge (GB), die Situation. Im Internet bieten sich dagegen viele pflanzliche Kuren zur Steinauflösung und Rezidivprävention an. Die Ratschläge variieren von simplen Früchte- und Gemüseempfehlungen bis hin zu komplexen Mixturen. Es sei jedoch nicht ganz klar, wie Phytotherapeutika in diesem Kontext wirken, so der Nierensteinexperte. Es fehlen standardisierte Methoden in Pflanzenanbau- und Gewinnung. Manche pflanzliche Arzneien wirken antiseptisch, manche diuretisch, krampflösend oder muskelrelaxierend. Sie beeinflussen vermutlich nicht die Risikofaktoren, wie die Ausscheidung von Kalzium, Oxalat, Urat oder Zitrat, sondern könnten einen direkten Einfluss auf den Kristallisationsprozess ausüben. Von einer Pflanze (Desmodium styracifolium) ist beispielsweise bekannt, dass sie der oxidativen Nierenzellschädigung vorbeugt und als potenzielles Antiurolithikum verwendet werden könnte, so Al-Hayek. Die meisten freiverkäuflichen Pflanzenzubereitungen versprechen Wirkungen, ohne jedoch die Evidenz zu liefern. Eine Review analysierte 16 klinische Studien: pflanzliche Präparate im Vergleich zu Zitrat oder zu Plazebo; Didymocarpus pedicel- lata (verwendet u.a. als Ayurvedamedikament gegen Blasen- entzündung) versus Plazebo. Kriterien waren die Reduktion der Steingrösse sowie Urinexkretionsraten von Kalzium, Urat und Oxalat. In Bezug auf die Steingrösse wirkte Zitrat signifikant besser als Phytotherapie, ebenso auf die Exkre- tionsrate von Harnsäure. Auf Kalzium und Oxalat war keine Wirkung zu beobachten. Die Didymocarpus-pedicellata-Zu- bereitung war Plazebo überlegen bezüglich Clearance und Steingrössenreduktion. Bezüglich Harnexkretionsrate von Kalzium oder Urat zeigte sich kein Unterschied. Die pflanzli- chen Präparate waren im Allgemeinen ohne Nebenwirkun- gen, Zitrat verursachte dagegen gastrointestinale Störungen. Limitierender Faktor ist die tiefe Qualität der Evidenz (8). Das Bedürfnis nach Unterstützung durch Phytotherapeutika ist bei den Patienten mit rezidivierender Urolithiasis sehr gross. Vermutlich haben pflanzliche Arzneimittel hierfür ein grosses Potenzial. Zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich jedoch keine auf grösseren Patientenzahlen und ausreichender Ein- nahmedauer abgestützten, evidenzbasierten Empfehlungen aussprechen, so Al-Hayek abschliessend. L Valérie Herzog Quelle: «Management of urinary stones», 34. Jahreskongress der European Asso- ciation of Urology (EAU), 16. bis 19. März 2019 in Barcelona. Referenzen 1. Taylor EN et al.: Obesity, weight gain, and the risk of kidney stones. JAMA 2005; 293: 455–462. 2. Sarica K et al.: Effect of being overweight on stone-forming risk factors. Urology 2008: 71: 771–774. 3. Sarica K et al.: Human umbilical vein endothelial cells accelerate oxalate-induced apoptosis of human renal proximal tubule epithelial cells in co-culture system which is prevented by pyrrolidine dithiocarbamate. Urol Res 2012; 40: 461–466. 4. Borghi L et al.: Comparison of two diets for the prevention of recurrent stones in idiopathic hypercalciuria. N Engl J Med 2002; 346: 77–84. 5. Blackwood AM et al.: Urinary calcium excretion, sodium intake and blood pressure in a multi-ethnic population: results of the Wandsworth Heart and Stroke Study. J Hum Hypertens 2001; 15: 229–237. 6. Ferraro PM et al.: Dietary protein and potassium, diet-dependent net acid load, and risk of incident kidney Stones. Clin J Am Soc Nephrol 2016; 11: 1834–1844. 7. Monti E et al.: Herbal medicines for urinary stone treatment. A systematic review. Arch Ital Urol Andol 2016; 88: 38–46. CongressSelection Urologie | Juni 2019 9