Transkript
Welche Harnwegsinfektionen behandeln?
Symptomstärke und Fiebergefühl entscheidend
EAU
Foto: vh
Unnötig mit Antibiotika behandelte Harnwegsinfekte tragen zu steigenden Resistenzraten bei. Doch wann kann auf eine Antibiose verzichtet werden, ohne die Gefahr einer Pyelonephritis zu erhöhen? Prof. Björn Wullt, Microbiology and Immunologie, Lund University, Lund (S), präsentierte am EAUKongress Kriterien, die helfen, eine «benigne» von einer «aggressiven» Infektion zu unterscheiden.
Harnwegsinfektionen zu behandeln erfordert
die Entscheidung darüber, ob eine Antibiotika-
therapie sofort, erst später oder gar nicht nötig
ist. Hierzu bedarf es einer Abgrenzung zwi-
schen Harnwegsinfektionen wie Zystitis und
Pyelonephritis und einer asymptomatischen
Bakteriurie. Das ist nicht einfach, denn es gibt
keine spezifischen Bakterien, die man dem
einen oder dem anderen Infekt zuordnen
Prof. Björn Wullt
könnte, erklärte Wullt. Hilfe bieten Biomarker im Urin. Während bei einer asymptomatischen
Bakteriurie oder einer Zystitis keine systemischen Entzün-
dungsmarker im Urin zu finden sind, sind die Spiegel von
Neutrophilen, IL-8 und IL-6 bei einer Pyelonephritits stark
erhöht. Auch das CRP steigt an. IL-6 zeigt als endogenes Py-
rogen eine tiefe Infektion an. Bei asymptomatischer Bakteri-
urie ist es daher nie zu finden, bei einer Zystitis nur sehr dis-
kret, bei einer Pyelonephritis sehr stark. In der Praxis wird je-
doch nur der Streifentest verwendet, der zwar gut ist, aber in Bezug auf die Behandlung auch falsch positive Resultate produziert, so Wullt.
Asymptomatische Bakteriurie nicht behandeln
Bis zu den 1970er-Jahren galt eine asymptomatische Bakteriurie als eine zu eradizierende Erkrankung. Später folgte die Erkenntnis, dass sie harmlos ist, wenn nicht sogar protektiv gegen symptomatische Superinfektionen, so Wullt. In einer Studie bei 673 Frauen, deren nachgewiesene asymptomatische Bakteriurie mit E. coli und Enterococcus faecalis entweder eradiziert oder nicht eradiziert wurde, zeigte sich in der unbehandelten Gruppe eine höhere redizivfreie Rate nach 6 und 12 Monaten (1). Asymptomatische Infekte, die mit dem Urinstreifentest entdeckt werden, sollten daher nicht behandelt werden, empfiehlt Wullt. Bei Männern, die im Vergleich zu Frauen seltener davon betroffen sind, sollte jedoch die Ursache gesucht werden, um beispielsweise keine Prostatitis zu verpassen.
EAU-Guidelines: Urologische Infekte
https://www.rosenfluh.ch/qr/harnwegsinfektion
KURZ & BÜNDIG
Eine asymptomatische Bakteriurie sollte nicht behandelt werden.
Bei einer Zystitis korrelieren alle inflammatorischen Biomarker mit den Symptomen.
Bei einer stark symptomatischen Zystitis empfiehlt sich eine Antibiotikatherapie, bei weniger ausgeprägten Symptomen eine verzögerte Antibiose oder ein Versuch mit nicht steroidalen Antiphlogistika oder Phytotherapie.
Symptomstärke und Fiebergefühl
Wie aber zeigt sich in der Praxis, ob es sich um eine asymptomatische Bakteriurie oder eine Harnwegsinfektion handelt? Ein starkes Indiz für eine Zystitis sind typische Symptome wie Harndrang, schmerzhafte Miktion, erhöhte Frequenz, inkomplette Blasenentleerung, suprapubische Beschwerden wie auch Hämaturie. Einen unkomplizierten Harnwegsinfekt nicht antibiotisch zu behandeln, geht mit einer Spontanheilung von 30 bis 50 Prozent, aber auch einem Pyelonephritisrisiko von 1 bis 7 Prozent einher, wie verschiedene Studien mit Antibiotikatherapien und Plazebogruppen zeigten (2–4). Die Frage stellt sich also, welche Zystitis behandelt werden muss, um die Gefahr für eine Pyelonephritis zu bannen. Eine Unterscheidung einer «benignen» von einer «aggressiven» Zystitis ist gemäss Wullt bei Frauen mit wiederholten Harnwegsinfekten möglich. Sind die im «acute cystitis symptom score» (ACSS) erhobenen Symptome suprapubische Schmerzen/Dysurie, subjektives Fiebergefühl, Malaise und Drang mehr als anderthalb Mal stärker als bei früheren Episoden,
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korreliert dies mit einem IL-6-Spiegel-Anstieg auf ≥ 25 ng/l, wie Untersuchungen gezeigt haben (5). Insbesondere das Symptom subjektives Fiebergefühl triggert einen IL-6-Anstieg. Die Frage nach der Symptomstärke und dem subjektiven Fiebergefühl sind demnach eine Entscheidungshilfe für oder gegen eine Antibiotikatherapie. Sind die Symptome nicht stark ausgeprägt, kann eine verzögerte antibiotische Therapie verschrieben werden für den Fall, dass die Symptome stärker werden. Zur Behandlung der bestehenden Beschwerden eignen sich beispielsweise nicht steroidale Antiphlogistika und Phytotherapie. Bei rezidivierenden Infekten ist eine IL-6-Messung bei verdächtigen Symptomen zum Ausschluss einer antibiotikapflichtigen Infektion hilfreich, so Wullt. Zusätzlich empfiehlt sich zur Prävention rezidivierender Harnwegsinfekte gemäss den EAU-Guidelines die Anwendung von immunstimulierender Prophylaxe wie beispielsweise OM-89 (siehe Link). L
Referenzen: 1. Cai T et al.: The role of asymptomatic bacteriuria in young
women with recurrent urinary tract infections: to treat or not to treat? Clin Infect Dis 2012; 55: 771–777. 2. Christiaens TC et al.: Randomised controlled trial of nitrofurantoin versus placebo in the treatment of uncomplicated urinary tract infection in adult women. Br J Gen Pract 2002; 52: 729–734. 3. Ferry SA et al.: The natural course of uncomplicated lower urinary tract infection in women illustrated by a randomized placebo controlled study. Scand J Infect Dis 2004; 36: 296–301. 4. Vik I et al.: Ibuprofen versus pivmecillinam for uncomplicated urinary tract infection in women – A double-blind, randomized non-inferiority trial. PLoS Med 2018; 15: e1002569. 5. Sunden F et al.: Triggered Urine Interleukin-6 Correlates to Severity of Symptoms in Nonfebrile Lower Urinary Tract Infections. J Urol 2017; 198: 107–115. 6. Sunden F et al.: Predictive value of urinary interleukin-6 for symptomatic urinary tract infections in a nursing home population. Int J Urol 2016; 23: 168–174.
Valérie Herzog
Quelle: «When to treat UTI?» 34. Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), 16. bis 19. März 2019 in Barcelona.
Kaffeepause in der Industrieausstellung.
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