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Harntrakt- und Prostatakrebs
Vielversprechende Fortschritte in der medikamentösen Krebstherapie
Fotos: vh
Hinsichtlich der Therapie des Urothelkarzinoms haben neue vorläufige Daten zum ImmuncheckpointInhibitor Atezolizumab Hoffnung geweckt. Bei Patienten mit metastasiertem hormonsensitivem wie auch kastrationsresistentem Prostatakarzinom sind am EAU-Kongress Studien mit ebenso vielversprechenden Daten mit dem Androgenrezeptorhemmer Enzalutamid präsentiert worden.
SAUL-Studie: Atezolizumab bei Urothelkarzinom
Immuncheckpoint-Inhibitoren sind die neuen
Waffen in der Krebstherapie, die die Krebszel-
len gezielt abtöten. Tumorzellen bedienen sich
dieser Checkpoints, um der Erkennung des Im-
munsystems zu entgehen. Durch Unterbre-
chung der Rezeptor-Liganden-Bindung kön-
nen Checkpoint-Inhibitoren die immunsuppri-
Prof. Axel Merseburger
mierenden Signale abschalten, sodass das Immunsystem die Krebszellen erkennen und
zerstören kann. Pharmakologisch einsetzbare
Immuncheckpoint-Inhibitoren sind derzeit
monoklonale Antikörper.
Die SAUL-Studie untersuchte die Sicherheit
von Atezolizumab bei lokal fortgeschrittenem
oder metastasiertem urothelialem oder nicht
urothelialem Karzinom des Harntrakts bei
über 1000 Patienten. Atezolizumab ist ein hu-
manisierter monoklonaler Antikörper, der
Prof. Antonio Alcaraz
durch Bindung an den PD-L1-Liganden die T-Zell-Aktivierung und -Proliferation stimu-
liert, was die Zerstörung der Krebszellen ermöglicht. Es ist
unter anderem zugelassen für die Therapie von Patienten mit
lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzi-
nom nach vorangegangener platinbasierter Chemotherapie.
Das Ziel der SAUL-Studie war es, die Sicherheit als primären
Endpunkt bei einer breiter gefassten, sozusagen realistische-
ren Patientenpopulation als noch in der Zulassungsstudie zu
untersuchen. Eingeschlossen waren daher auch Patienten mit
schlechterem ECOG-Performance-Status, Niereninsuffi-
zienz, ZNS-Metastasen oder Autoimmunerkrankung, was
einem praxisnahen Bild dieser Population entspricht. Als se-
kundäre Endpunkte waren auch Gesamtüberleben und pro-
gressionsfreies Überleben definiert.
Das Resultat der einarmigen, multizentrischen Open-label-
Phase-IIIb-Studie war vergleichbar mit der Zulassungsstudie
IMvigor 211, die Atezolizumab mit Chemotherapie verglich.
Im primären Endpunkt erfuhren 88 Prozent der SAUL-Pa-
tienten Nebenwirkungen aller Schweregrade, in der IMvigorStudie war dies unter Atezolizumab bei 95 Prozent der Patienten der Fall. Von den aufgetretenen Nebenwirkungen waren 43 Prozent vom Grad 3 und 4 (vs. 51% bei IMvigor). Es sind keine neuen Sicherheitssignale aufgetreten. Bei einer ersten Interimsanalyse nach 12 Monaten betrug das mediane Gesamtüberleben 8,7 Monate, und 41 Prozent der Patienten waren noch am Leben. 17 Prozent der Patienten waren nach 1 Jahr progressionsfrei. In einer Subanalyse wurde das Gesamtüberleben von Patienten ermittelt, die den Einschlusskriterien der IMvigor-Studie entsprochen hätten. Dieses war mit 10 Monaten erwartungsgemäss länger als bei den Patienten mit schlechterem Performancestatus. Das zeige aber, dass auch Patienten mit schlechtem Performance-Status von einer Atezolizumab-Therapie profitieren können, berichtete Prof. Axel Merseburger, Klinik für Urologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck (D) (1).
ARCHES-Studie: Enzalutamid gegen Prostatakrebs
Beim metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinom kann eine Kombination aus Androgendeprivationtherapie (ADT) plus Enzatulamid das progressionsfreie Überleben verlängern, wie die ARCHES-Studie zeigte. Enzalutamid ist ein Androgenrezeptorinhibitor und vermindert das Wachstum von Prostatakarzinomzellen, induziert Apoptose und führt zur Tumorregression. Es wird in Kombination mit Androgendeprivation bei metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom eingesetzt. In der ARCHES-Studie wurde diese Kombination beim metastasierten hormonsensitiven Prostatakarzinom in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit untersucht. In die Studie wurden Patienten mit einer Low- oder High-volume-Erkrankung eingeschlossen, mit oder ohne vorherige Behandlung mit Docetaxel. Die Unterteilung in Low- oder High-volumeErkrankung wurde getroffen, weil eine frühere Untersuchung mit Androgendeprivation plus Docetaxel bei Low-volume-Erkrankung schlechter wirkte als bei High-volume (2).
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1150 Patienten erhielten in 20 verschiedenen Ländern doppelblind randomisiert Enzalutamid plus ADT versus Plazebo plus ADT. Als primärer Endpunkt war das Ersteintreten einer radiografischen Progression, Tod jeglicher Ursache innerhalb von 24 Wochen oder ein Therapieabbruch definiert. Zwei Drittel (62%) der Teilnehmer hatten eine High-volume-Erkrankung. Prof. Antonio Alcaraz, Hospital Clinic de Barcelona (E), präsentierte am EAU-Kongress Interimsdaten zum progressionsfreien Überleben und zu den Nebenwirkungen. Es zeigte sich, dass sich das Progressionsrisiko unter Enzalutamid nach 12 Monaten um 61 Prozent gegenüber Plazebo verringert hat. Dieses Ergebnis zog sich mehr oder weniger gleichmässig durch alle Subgruppen wie High- oder Low-volume, Gleason-Score wie auch der geografischen Herkunft. In der Subgruppe der Neudiagnostizierten war die Risikoreduktion mit 66 Prozent noch grösser. Patienten, die zuvor eine Prostatektomie erhalten hatten, sprachen sogar noch besser auf die Kombination an, mit einer Risikoreduktion von 82 Prozent. Bei Patienten mit vorheriger lokaler Radiotherapie betrug die Risikoreduktion 61 Prozent. Die Art und die Raten von aufgetretenen Nebenwirkungen unter Enzalutamid deckten sich mit denjenigen aus vorherigen Studien. Zu Gedächtnisstörungen kam es bei 4,5 Prozent, zu Knochenbrüchen bei 6,5 Prozent und zu Stürzen bei 3,7 Prozent der Patienten in der Enzalutamidgruppe (3). Die Kombination ADT plus Enzalutamid verlängert demnach die Zeit bis zur radiografischen Progression. Inwiefern sich dies auf das Gesamtüberleben auswirkt, muss abgewartet werden. Diese Daten zum Gesamtüberleben stehen noch aus.
Patienten mit mCRPC
In einer weiteren Studie wurde Enzalutamid bei Patienten mit kastrationsresistentem metastasiertem Prostatakarzinom (mCRPC) in einer Studienverlängerung um 3 weitere Jahre verabreicht. PREVAIL (n = 1715) war eine Phase-III-Studie bei chemotherapienaiven asymptomatischen bis leicht symptomatischen Patienten, in der das Gesamtüberleben nach 2 Jahren unter Enzatulamid 71 Prozent und in der Plazebogruppe 62 Prozent betrug. 234 Patienten wechselten für die Studienverlängerung von der Plazebo- in die Verumgruppe, wurden jedoch für die Auswertung weiterhin zur Plazebogruppe gezählt. Nach 3 Jahren lag das Gesamtüberleben bei 49 Prozent (vs. 44%) und nach 5 Jahren bei 26 Prozent (vs. 21%). Enzalutamid reduzierte das Mortalitätsrisiko um 17 Prozent signifikant (p = 0,0008), und das mediane Überleben betrug 35,5 Monate versus 31,4 Monate unter Plazebo bei einem medianen Follow-up von 69 Monaten. 9,1 Prozent der Patienten brachen die Therapie wegen Nebenwirkungen ab, in der Plazebogruppe waren dies 6 Prozent. Bei 6,9 Prozent der Patienten führten Nebenwirkungen zum Tod (vs. 3,8%). Die häufigsten Nebenwirkungen betrafen Fatigue (38,2 vs. 26,1%), Rückenschmerzen (32,5 vs. 22,4%) Obstipation (25,6 vs. 17,4%), Nausea (24,5 vs. 22,7%), Arthralgie (23,5 vs. 16,2%) und Appetitverlust (21,0 vs. 16,6%). Auch nach 5 Jahren war der Nutzen unter Enzalutamid trotz Gruppenwechsel grösser als mit Plazebo, so das Fazit der Studienautoren (5).
Testosteronersatz verlangsamt Prostatakarzinom-Rezidiventwicklung
1966 wurde die Erkenntnis mit dem Nobelpreis ausgezeich-
net, wonach eine hormonelle Kastration die Krebsentwick-
lung behindert. Seither ist eine Senkung des Testosteronspie-
gels eine verbreitete Therapie beim Prostatakarzinom. In den
1990er- und 2000er-Jahren stellte man jedoch fest, dass die
Patienten nun nicht mehr am Prostatakarzinom starben, son-
dern vielmehr an kardiovaskulären Ursachen. Der Verdacht
kam auf, dass die mit den Antitestosteronpräparaten extrem
tief gesunkenen Testosteronspiegel die metabolischen Kom-
plikationen wie zum Beispiel Diabetes, Hypercholesterin-
ämie oder den Bauchfettanteil vergrössert. Ausserdem war
auch die Sexualfunktion bei diesen Männern verringert.
Diese Beobachtung führte dazu, eine Testosteronersatzthera-
pie bei Männern mit niedrigem Prostatakarzinomrisiko zu
testen. Von 834 Männern nach radikaler Prostatektomie er-
hielten 152 Männer mit niedrigem Risiko und ohne Krank-
heitsanzeichen eine Testosteronersatztherapie. Nach 3 Jah-
ren wurde ein allfälliger Anstieg des PSA (prostataspezifi-
sches Antigen) gemessen, der eine Tumorrezidiventwicklung
anzeigt. In der Gruppe mit Testosteronersatz erlitten 5 Pro-
zent der Teilnehmer ein Rezidiv, während dies in der Gruppe
ohne Testosteron bei 15 Prozent der Fall war. Innerhalb von
3 Jahren war die Rezidivrate unter Testosteron um das Drei-
fache gesunken.
Das Resultat überraschte insofern, als unter Testosteron
nicht nur kein biochemischer Redizivanstieg eintrat, sondern
eine Senkung dieser Rate, so der Kommentar des Studienlei-
ters Prof. Thomas Ahlering, University of California, Depar-
tement of Urology, Irvine (USA). Testosteron heilt zwar den
Krebs nicht, doch bremst er dessen Entwicklung um durch-
schnittlich 1½ Jahre bei Patienten mit niedrigem Risiko. Tes-
tosteron hilft ausserdem auch, physiologische Marker wie
Muskelmasse, Cholesterinwerte, Triglyzeridspiegel und die
sexuelle Aktivität zu verbessern.
Die Studie zeige die Wichtigkeit einer guten Patientenselek-
tion, vor allem bei Patienten mit sexuellen Störungen nach
einer radikalen Prostatektomie, kommentiert Prof. Fran-
cesco Montorsi, Mailand (I), Generalsekretär der European
Association of Urology. Bei gut ausgewählten Patienten kann
ein Testosteronersatz offensichtlich zu einer unmittelbaren
Zunahme der Lebensqualität und vermutlich auch zu einer
Reduktion der Mortalität führen. Dies muss jedoch noch in
grösseren Studien bestätigt werden.
L
Valérie Herzog
Quellen: Breaking News Session «ARCHES: Efficacy of androgen deprivation therapy (ADT) with enzalutamide (ENZA) or placebo (PBO) in metastatic hormone-sensitive prostate cancer (mHSPC) by disease characteristics». 34. Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), 16. bis 19. März 2019 in Barcelona. Towe M et al.: Testosterone replacement therapy prevents disease progression in men undergoing radical prostatectomy. Presented at 34. EAU 2019, Barcelona. #449.
Referenzen: 1. Breaking News Session «Primary results from SAUL, a prospec-
tive multinational single-arm study of atezolizumab (atezo) for locally advanced or metastatic urothelial carcinoma (UC) or non-UC of the urinary tract» 34. Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), 16.–19. März 2019 in Barcelona.
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2. Kyriakopoulos CE et al.: Chemohormonal therapy in metastatic hormone-sensitive prostate cancer: long-term survival analysis of the randomized phase III E3805 CHAARTED Trial. J Clin Oncol 2018; 36: 1080–1087.
3. Breaking News Session «ARCHES: Efficacy of androgen deprivation therapy (ADT) with enzalutamide (ENZA) or placebo (PBO) in metastatic hormone-sensitive prostate cancer (mHSPC) by disease characteristics» 34. Jahreskongress der European Association of Urology (EAU), 16.–19. März 2019 in Barcelona.
4. Towe M et al.: Testosterone replacement therapy prevents disease progression in men undergoing radical prostatectomy. Poster presented at 34. EAU 2019, Barcelona. #646.
5. Armstrong A et al.: Enzalutamide in men with chemotherapynaïve metastatic castration-resistant prostate cancer (mCRPC): Long-term overall survival and safety analyses of the phase 3 PREVAIL study. Poster presented at 34. EAU 2019, Barcelona. #900.
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