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Hypereosinophiliesyndrom
Benigne oder maligne?
Foto: H.B.
Bei Vorliegen einer deutlich erhöhten Eosinophilenzahl (> 1,5 G/l) stellt sich immer die Frage, ob eine Neoplasie dahintersteckt oder ob andere Ursachen aufgedeckt werden können. Für das weitere Vorgehen sei der Nachweis von Endorganbeteiligungen sowie von genetischen Veränderungen mit zytooder molekulargenetischen Methoden wegweisend, berichtete PD Dr. Alicia Rovó vom Inselspital Bern am Allergy and Immunology Update in Grindelwald.
Definitionsgemäss liegt eine Eosinophilie im
peripheren Blut vor bei einer absoluten Eosino-
philenzahl über 0,5 G/l, während man von
einer Hypereosinophilie (HE) spricht, wenn sie
> 1,5 G/l beträgt. Die Häufigkeit der Eosino-
philie wird variabel mit 3 bis 10 Prozent ange-
geben. Sie kann ein breites Spektrum von Ursa-
chen haben (Tabelle 1). Demgegenüber ist die
HE relativ selten und sollte immer eine gründ-
PD Dr. med. Alicia Rovó
liche Evaluation mit Fokus auf zugrunde liegende Störungen und auf Hinweise für Endor-
ganschäden nach sich ziehen (1, 2). Im Knochenmarkaspirat
liegt eine HE vor bei > 20 Prozent aller kernhaltigen Zellen,
in anderen Geweben ist die Definition weniger strikt und
stellt auf die Einschätzung eines erfahrenen Pathologen ab,
der eine Gewebsinfiltration als gegeben erachtet oder mittels
Immunfärbung von Eosinophilen stammende extrazelluläre
Proteinablagerungen nachweisen kann.
Multifunktionelle Eosinophile
Eosinophile Granulozyten haben viele Fähigkeiten und können entsprechend auch viele verschiedene pathologische Veränderungen verursachen, darunter Fibrose, Thrombose, Vaskulitis und allergische Entzündungen. Diese Manifestationen hängen ab von der Zahl der Eosinophilen, ihrer Lokalisation und ihrem Aktivierungsgrad sowie von der zugrunde liegenden Ätiologie der Eosinophilie (3). Allerdings kann die eosinophile Entzündung unabhängig von der Ursache identische Bilder hervorrufen, beispielsweise bei eosinophiler Endokardfibrose im Rahmen einer myeloproliferativen Neoplasie, eines idiopathischen Hypereosinophiliesyndroms (HES) oder einer parasitären Wurminfektion. Dies ist in der Diagnostik zu berücksichtigen. Die Multifunktionalität der Eosinophilen spiegelt sich in ihren zahlreichen Zellkomponenten wider. Die Granula enthalten kationische Proteine, Chemokine und Zytokine, im Zytoplasma finden sich Lipidkörper, die unter anderem Entzündungsmediatoren wie Leukotriene und Prostaglandine enthalten, zudem gehören zu den Eosinophilenprodukten auch Wachstumsfaktoren (3). Auf der Zelloberfläche finden sich Chemokin- und Adhäsionsrezeptoren. Für die Freiset-
zung der Inhaltsstoffe der Granula sind verschiedene zelluläre Mechanismen verantwortlich.
Klonal, polyklonal oder idiopathisch?
Das Spektrum der Endorganbeteiligungen bei HES ist breit und umfasst viele Organsysteme (Tabelle 2) (4). Der Nachweis von Endorganschäden, die nicht anders zu erklären sind, ist für die Diagnose eines HES entscheidend. HES werden eingeteilt in: • primäres (= neoplastisches) HES • sekundäres (= reaktives) HES • idiopathisches HES • Hypereosinophilie ungeklärter Bedeutung.
Das primäre HES ist ein klonales Geschehen. Bei sekundären HES wird die eosinophile Expansion hingegen durch eine Überproduktion von Zytokinen aus anderen Zellen verursacht, sie sind damit polyklonal. Beispiele sind parasitäre Infektionen oder T-Zell-Lymphome. Beim idiopathischen HES bleibt bei nachweisbarer Endorganschädigung die Ursache unbekannt. Im Gegensatz dazu fehlen bei der Hypereosinophilie ungeklärter Bedeutung erkennbare Hinweise auf Endorganschäden, und die Ätiologie bleibt ebenfalls ungeklärt. Eine umfassendere Klassifikation wendet klinisch definierte Kategorien an und unterscheidet zwischen myeloproliferativen HES (M-HES), lymphozytären HES (L-HES), überlappenden HES, assoziierten HES (z.B. bei primären Immundefektsyndromen, Hyper-IgE-Syndrom, Sarkoidose) sowie autosomal-dominantem familiärem HES und idiopathischem HES mit Multiorganbeteiligung (5, 6). Zu den myeloiden Neoplasien mit HE gehören die chronische Eosinophilenleukämie sowie eine Gruppe von myeloid/lymphoiden Neoplasien mit Eosinophilie und molekularen genetischen Abnormitäten, beispielsweise für PDGFRA, PDGFRB, FGFR1 oder PCM1-JAK2, die eine sehr ungünstige Prognose haben.
Haut, Lunge, Herz oder Darm?
Die initiale Abklärung bei Verdacht auf HES umfasst Differenzialblutbild, Blutausstrich und Flowzytometrie. Gleichzeitig ist nach möglichen Ursachen zu suchen (Serumtryptase, antinukleäre Antikörper [ANCA], Serum-Vitamin B12,
8 CongressSelection Allergologie/Immunologie | Juni 2019
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Tabelle 1:
Differenzialdiagnose der Hypereosinophilie
Kategorie
Beispiele
Allergien
Asthma, atopische Dermatitis
Medikamentenhypersensitivität div.
Infektionen
Helminthen, Skabies, Protozoen, Pilze, Viren (HIV)
Neoplasien
Leukämie, Lymphome, Adenokarzinome
Immunstörungen
Immundefekte, Autoimmun- und idiopathische Erkrankungen (Sarkoidose, entzündliche Darmerkrankungen, IgG4-Erkrankungen)
Verschiedenes
Strahlenexposition, Cholesterinembolismus, Hypoadrenalismus, IL-2-Therapie
seltene eosinophile Erkrankungen
idiopathisches Hypereosinophiliesyndrom, eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis, eosinophile gastrointestinale Erkrankungen
Tabelle 2:
Ausgewählte Endorganschäden bei Hypereosinophiliesyndrom
Kategorie hämatologisch kardial pulmonal dermatologisch
neurologisch rheumatologisch gastroenterologisch
Beispiele
Anämie, Thrombozytopenie, Myelofibrose, Hepatosplenomegalie
nekrotisierende Myokarditis, Wandthrombus, Fibrose
Embolie, Asthma, infiltrative eosinophile Lungenerkrankung, Pleuraerguss
Schleimhautulzera, Nagelbettinfarkte, Hautblutungen, Ekzem, Erythrodermie, Urtikaria/Angioödem
zerebrale Thrombose, Enzephalopathie, periphere Neuropathie, Krampfanfälle
Vaskulitis, nicht erosive Polyarthritis, Gelenkergüsse, Raynaud-Phänomen
Motilitätsstörungen, Malabsorption, Fibrose/Strikturen
nach (4)
Stuhluntersuchung auf Eier und Parasiten, HIV-Serologie, IgE, Strongyloides-IgG). Screeningtests für Endorganbeteiligungen sind: • kardial: Serum-Troponin T, EKG, Echokardiogramm • gastrointestinal: Leberenzyme • pulmonal: Lungenfunktionsprüfung, Thorax-Röntgenbild • renal: Harnstoff, Kreatinin, Urinstatus.
Je nach Ergebnis dieser Screeningtests müssen sich weitere
Untersuchungen mit Bildgebungen und Biopsien der betref-
fenden Organsysteme anschliessen. In einer retrospektiven
Multizenterstudie hatten HES-Patienten bei der Erstvorstel-
lung in 37 Prozent eine Haut-, in 25 Prozent eine Lungen-
und in 14 Prozent eine Magen-Darm-Beteiligung (7). Im wei-
teren Verlauf stiegen diese Zahlen auf 70, 45 und 38 Prozent.
Myeloproliferative HES zeigen häufiger kardiale Komplika-
tionen, lymphozytäre HES neigen eher zu Hautmanifestatio-
nen. Unter diesen sind Angioödem/Urtikaria sowie erythe-
matöse, juckende papulöse und noduläre Exantheme häufig.
Therapeutische Überlegungen
Das initiale therapeutische Management richtet sich nach
dem Zustand des Patienten (8). Liegt eine lebensbedrohliche
Situation vor und ist das Vorliegen einer PDGFR-assoziierten
Neoplasie dokumentiert oder zu vermuten, ist von einem
M-HES auszugehen, das mit Imatinib therapiert werden
kann. Bestehen hingegen Anzeichen für eine eosinophile
Granulomatose mit Polyangiitis, kommen hoch dosierte
Glukokortikosteroide plus Cyclophosphamid zum Einsatz,
in den anderen Fällen Glukokortikosteroide allein. Bei
asymptomatischen HE-Patienten müssen klinische Zeichen
für eine myeloide Neoplasie gesucht und ausgeschlossen wer-
den. Verläuft die Suche negativ, kann unter der Annahme
einer HE undeterminierter Signifikanz eine enge Überwa-
chung ohne Therapie erfolgen, parallel zu einer umfassenden
Familienanamnese.
In der Diskussion wies Rovó ausdrücklich darauf hin, dass
den Eosinophilen nicht anzusehen ist, ob sie klonalen Ur-
sprungs sind oder nicht. Eine genaue Abklärung ist also zwin-
gend. «Als Hämatologin bin ich jedes Mal sehr beunruhigt,
wenn ich einer Hypereosinophilie begegne», schloss Rovó. L
Halid Bas
Referenzen: 1. Valent P et al.: Contemporary consensus proposal on criteria
and classification of eosinophilic disorders and related syndromes. J Allergy Clin Immunol 2012; 130(3): 607–612.e9. 2. Andersen CL et al.: Eosinophilia in routine blood samples and the subsequent risk of hematological malignancies and death. Am J Hematol 2013; 88(10): 843–847. 3. Khoury P et al.: Eosinophils in vasculitis: characteristics and roles in pathogenesis. Nat Rev Rheumatol. 2014; 10(8): 474–483. 4. Curtis C et al.: Hypereosinophilic syndrome. Clin Rev Allergy Immunol 2016; 50(2): 240–251. 5. Simon HU et al.: Refining the definition of hypereosinophilic syndrome. J Allergy Clin Immunol 2010; 126(1): 45–49. 6. Cogan E et al.: Clinical management of the hypereosinophilic syndromes. Expert Rev Hematol 2012; 5(3): 275–289. 7. Ogbogu PU et al.: Hypereosinophilic syndrome: a multicenter, retrospective analysis of clinical characteristics and response to therapy. J Allergy Clin Immunol 2009; 1 24(6): 1319–1325.e3. 8. Klion AD: Hypereosinophilic syndrome: approach to treatment in the era of precision medicine. Hematology Am Soc Hematol Educ Program 2018(1): 326–331.
Quelle: «Hypereosinophilic syndrome», 21st Course, Allergy and Immunology Update (AIU), 25. bis 27. Januar 2019 in Grindelwald.
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