Transkript
Cardiology Update
Interview mit Prof. Thomas F. Lüscher, London und Zürich
Zielwerte zukünftig noch viel strenger verfolgen
Foto: vh
Bereits seit 1975 versammeln sich alle zwei Jahre Kardiologen aus aller Welt zum Cardiology Update in Davos. Diesmal präsentierten in einem hochkarätigen Programm hundert Referenten aus ganz Europa und den USA aktuelle Entwicklungen aus verschiedenen Bereichen der Kardiologie, wie Prof. Dr. Thomas F. Lüscher, Imperial College London und Universität Zürich, im Interview ausführt.
Angesichts der neuen Daten über die SGLT2-
Hemmer war viel von Diabetes und Herzinsuf-
fizienz die Rede. Führt ein Diabetes unweiger-
lich zu einer Herzinsuffizienz?
Prof. Dr. med. Thomas F. Lüscher: Das ist eine
gute Frage. Der Diabetes kann aus zwei Grün-
den zu einer Herzinsuffizienz führen: Zum
einen über eine koronare Herzkrankheit mit
Infarkt, zum anderen gibt es aber auch immer
Prof. Thomas F. Lüscher
mehr Hinweise, dass der Diabetes selber das Myokard schädigt. Wir haben gerade eine Ar-
beit publiziert (Eur Heart J 2019; 40: 997–1008), die zeigt,
dass gewisse schädigende Effekte kumulieren, die auch bei
normalen Koronarien zu einer Dysfunktion des linken Ven-
trikels führen. Sicher kommt am Ende beides zusammen,
aber wie wichtig das eine und wie wichtig das andere ist, ist
noch schwer zu sagen.
Vor diesem Hintergrund kommt den antidiabetischen Substanzklassen mit Herzwirksamkeit ja noch einmal grössere Bedeutung zu … Das stimmt. Viele der älteren Substanzen haben in Studien kardial eher eine neutrale Wirkung gezeigt. Eine Wirkung über die Senkung des Blutzuckers hinaus, nämlich eine Senkung der kardiovaskulären Mortalität, ist nur für die neuen Substanzklassen der SGLT2-Hemmer und der GLP-1-Rezeptor-Agonisten belegt. Beide senken die Mortalität, aber eine günstige Wirkung auf die Herzinsuffizienz wurde nur für die SGLT2-Hemmer gezeigt. Dafür haben die GLP-1-RezeptorAgonisten eine günstige Wirkung auf das Gewicht, sie werden mittlerweile sogar zur Gewichtsreduktion eingesetzt. Diese Medikamente haben das Diabetesmanagement auf eine neue Ebene gehoben, auch wenn sie immer noch relativ wenig verschrieben werden. Das ist sicher ein Durchbruch.
Wird das die Zusammenarbeit zwischen Diabetologen und Kardiologen verändern? Das denke ich. Denn es gibt ja gar nicht so viele Diabetologen, und Diabetes mellitus ist einfach bei uns extrem häufig. Etwa ein Drittel der Patienten mit Herzinfarkt hat in der Schweiz einen Diabetes. Da müssen auch die Kardiologen wissen, was zu tun ist. Deshalb haben wir in unserem
«Cardix», das gerade frisch erschienen ist, auch dem Thema Diabetes beziehungsweise dem metabolischen Syndrom ein grosses Kapitel gewidmet.
Was wirkt am GLP-1-Rezeptor-Agonisten kardioprotektiv? Das ist eine gute Frage. Aus Untersuchungen nach Magenbypass weiss man, dass der Diabetes bei den operierten Patienten verschwindet, bevor sie schlanker werden. Unsere Hypothese ist daher, dass GLP-1 dafür verantwortlich ist, denn mit einem Magenbypass steigt das GLP-1. Und der Diabetes scheint aufgrund dessen zu verschwinden.
Die Kardioprotektion ist also eine sekundäre Folge? Ja. Ich denke, das passiert primär über die Auswirkung auf den Diabetes, das Gewicht verändert sich ja erst später. Das kann man natürlich nicht ganz genau trennen, auch die Gewichtsreduktion hat eine gewisse protektive Wirkung. Das trifft aber nur auf einen Teil der Bevölkerung zu, höchstens ein Drittel der massiv Übergewichtigen entwickelt einen Diabetes. Einen weiteren Einfluss hat ein hoher Blutdruck, der ja ebenfalls gewichtsabhängig ist. Lipide hingegen spielen in diesem Zusammenhang eine geringere Rolle, die Diabetespatienten haben typischerweise zwar eine Dyslipidämie, aber keine Hypercholesterinämie. LDL und HDL sind eher tief, die Triglyzeride erhöht. Das LDL ist hier prospektiv überhaupt nicht aussagekräftig, nur die Ceramide. Auch das CRP ist hoch.
Also würden Patienten mit Diabetes mellitus von einer antiinflammatorischen Therapie profitieren? Ja. Schade, dass das Canakinumab in diesem Zusammenhang nicht weiterentwickelt wird, sondern nur im Bereich der Krebstherapie, das scheint lukrativer zu sein. Jetzt wissen wir leider nicht so genau, was weiter passiert, auch Methotrexat funktioniert hier ja nicht. Interessant in diesem Zusammenhang scheint Colchicin zu sein, damit laufen weitere Untersuchungen. Es ist zwar gastrointestinal nicht so gut verträglich, aber immerhin kostengünstig.
Wie soll man den Blutdruck bei Patienten mit Herzinsuffizienz steuern? Prof. Marc Pfeffer hat das gut dargestellt. Bei einem normalen Ventrikel ist ein hoher Blutdruck immer schlecht und
2 CongressSelection Kardiologie | Mai 2019
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sollte gesenkt werden. Aber wenn man eine Hypertonie hat und zusätzlich eine Herzinsuffizienz entwickelt, dann sinkt der Blutdruck, je schlechter die Funktion ist. Das gilt vor allem für eine Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurfkapazität. Allerdings ist das in diesem Zusammenhang kein günstiges Zeichen, sondern zeigt einfach nur, dass der Ventrikel nicht mehr gut arbeiten kann. Ist die Herzinsuffizienz dann gut eingestellt, steigt der Blutdruck wieder ein wenig. Und das ist dann eher gut.
Life Vest® oder nicht? Gab es Narben oder nicht? Das ist alles noch nicht abschliessend untersucht. Man empfiehlt, drei Monate auf Sport zu verzichten, und behandelt symptomatisch, alles andere weiss man noch nicht genau. Bei Zustand nach Vorhofflimmern und wiederhergestelltem Sinusrhythmus würde man sich fragen, ob man abladieren oder antikoagulieren soll oder ob ein Betablocker indiziert ist. Und eine dekompensierte Herzinsuffizienz muss wieder gut eingestellt werden.
Bei Myokardinfarkten gibt es eine neue Einteilung. Welche? Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Infarkten und Myokardschäden. Ein Troponinanstieg ist erst einmal nur ein Hinweis auf einen Myokardschaden. Bei einem Infarkt muss auch eine Ischämie vorliegen, das heisst, damit müssen Schmerzen oder eine EGK-Veränderung einhergehen. Diese kann auch bei Diabetikern vorliegen, insofern ist das nicht immer leicht zu beurteilen, auch die Vorbefunde sind ja nicht immer bekannt. Bei einem Anstieg des Troponins, Infarkt-EKG und Schmerzen kommt der Patient ins Katheterlabor. Dabei unterscheidet man verschiedene Infarkttypen. Am häufigsten ist der Typ 1, und auch der Typ 2 ist nicht selten, zum Beispiel postoperativ oder hypertensiv bedingt. Bei einem plötzlichen Herztod nimmt man ebenfalls an, dass ein Infarkt vorliegt. Auch im Rahmen einer perkutanen Koronarintervention oder einer Bypassoperation kann es zu einem Infarkt kommen. Für einen Myokardschaden gibt es vielfältige Ursachen. Marathonläufer haben meist erhöhte Troponinwerte, oft sieht der rechte Ventrikel katastrophal aus. Auch ein schneller Puls von 180 Schlägen pro Minute, eine dekompensierte Herzinsuffizienz mit einem Füllungsdruck von 30 mmHg oder eine Myokarditis – die ist viel häufiger, als man denkt – schädigen das Myokard.
Was bedeutet das für die Praxis? Diese Unterscheidung ist sehr sinnvoll, denn nur bei einem Myokardinfarkt ist eine Intervention zwingend, bei einer Schädigung des Myokards nicht. Meist wissen wir das leider erst, wenn die Patienten bereits im Katheterlabor waren – man muss ja die Ischämie ausschliessen. Wir wollen schliesslich sicher sein, nichts Ernstes zu verpassen. Der Hausarzt muss weiterhin alle Patienten mit erhöhtem Troponin schicken. Allzu leicht kann sonst etwas übersehen werden, und das wäre eine Katastrophe.
Inwieweit unterscheidet sich das weitere Vorgehen? Die Versorgung nach einem Infarkt funktioniert in der Schweiz eigentlich gut, fast alle bekommen ein Statin und ASS, und das LDL wird gut eingestellt. Bei erhöhtem Blutdruck funktioniert das vielleicht noch etwas schlechter. Für die Diagnose eines Myokardschadens, zum Beispiel aufgrund einer Myokarditis, benötigt man ein MRI. Dann stellt sich die Frage, ist jemand gefährdet oder nicht. Braucht es eine
Cardix® – 3. Auflage
Das aktualisierte Taschenmanual kann gratis über das «Zurich Heart House – Foundation for Cardiovascular Research» (www.zhh.ch) bezogen und als App unter www.cardix.ch heruntergeladen werden.
Und: Abladieren oder nicht? Für symptomatische Patienten ist eine Ablation vielleicht sinnvoll, aber die Studienlage lässt zu wünschen übrig. Ausserdem fehlt es meiner Meinung nach an Regulierung. Insgesamt werden diese Eingriffe hier zu häufig durchgeführt, und es fehlt zudem an einer entsprechenden Zertifizierung für Zentren und Operateure.
Bei der Behandlung der Hypertonie haben die Fixdosiskombinationen durch die neuen ESC-Richtlinien einen deutlich höheren Stellenwert erhalten. Darf man erwarten, dass der Anteil der erfolgreich behandelten Hypertoniker damit endlich einmal steigt? Es ist interessant, wie sich die Beurteilung des Blutdrucks in den letzten Jahren verändert hat. Gerade mit den neuen amerikanischen Guidelines sind über Nacht viele Menschen neu zu Hypertonikern geworden. Da die Grundmenge an Hypertonikern also immer grösser wird und der Lebensstil dabei eine wichtige Rolle spielt, wird es wohl kaum gelingen, daran grundsätzlich etwas zu verändern. Aber es würde sich wahrscheinlich lohnen. Vermutlich leben die Frauen länger als die Männer, da sie über lange Zeit einen niedrigeren Blutdruck haben, ausser im Alter. Und die Kombinationspräparate sind gut. Man kann mit niedrigeren Dosierungen arbeiten, hat bei mehr Wirkung weniger Nebenwirkungen, und die Patienten haben das Gefühl, nur eine Tablette zu nehmen, was psychologisch hilfreich ist. Die meisten nehmen nicht gern viele Tabletten, eine am Tag schafft man …
Was würden Sie als Kongresshighlights bezeichnen?
Die Eröffnungssitzung beschäftigte sich mit der Zukunft der
kardiovaskulären Medizin. Dabei ging es um den Einfluss
von Digital Health, Precision Medicine und wichtige Aspekte
der Genetik. Diese Themen werden uns immer stärker be-
schäftigen. Schon in den nächsten Jahren werden die geneti-
schen Voraussagen deutlich besser werden. Ausserdem
werden die Zielwerte immer tiefer liegen. Bei Hochrisiko-
patienten etwa sollte das LDL bei 1,0 mmol/l liegen, die Athe-
rosklerose ist eine progressive Erkrankung. Sowohl bei den
Lipiden als auch beim hohen Blutdruck müssen wir die Ziel-
werte noch viel strenger verfolgen.
Zu den Highlights zählt sicherlich auch eine gute Botschaft
für Patienten mit der bislang tödlich verlaufenden kardialen
Amyloidose. In der ATTR-ACT-Studie konnte unter dem
Wirkstoff Tafamidis ein Rückgang von Mortalität und Hos-
pitalisationen gezeigt werden. Die Substanz konnte die funk-
tionelle Kapazität günstig beeinflussen und wirkte sich posi-
tiv auf die Lebensqualität aus.
L
Das Gespräch führten Valérie Herzog und Christine Mücke.
CongressSelection Kardiologie | Mai 2019
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